BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/870 21. Wahlperiode 30.06.15 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Cansu Özdemir (DIE LINKE) vom 23.06.15 und Antwort des Senats Betr.: Barrierefreiheit im HVV für blinde, sehbehinderte und anderweitig mobilitätsbeeinträchtigte Menschen – Verschlechterung durch modernere Züge? Für blinde, sehbehinderte und anderweitig mobilitätsbeeinträchtigte Menschen besteht oft ein erheblicher psychischer Druck, wenn sie den öffentlichen Nahverkehr nutzen. Viele von ihnen berichten von zusätzlichen großen Schwierigkeiten und starker Verunsicherung bei der Nutzung der neuen U-Bahn-Modelle des HVV, DT4 und DT5, aufgrund der Abschaffung der Ansage „zurückbleiben bitte“. Sie würden in Türen eingeklemmt, die sich, für sie unangekündigt da ohne Warnton, schließen. Daraus können Schmerzen und Verletzungen, Panikreaktionen und in der Folge sogar die Meidung des ÖPNV resultieren. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Senat beantwortet die Fragen auf der Grundlage von Auskünften der Hamburger Verkehrsverbund GmbH (HVV), der Hamburger Hochbahn AG (HOCHBAHN) sowie der Deutschen Bahn AG (DB)/S-Bahn Hamburg GmbH (S-Bahn) wie folgt: 1. Existiert ein Konzept zur Ermöglichung der barrierefreien Nutzung der Verkehrsmittel des HVV? Wenn ja, welche Maßnahmen sieht es vor? Wenn nein, warum nicht? Vor dem Hintergrund des im Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) formulierten Ziels der vollständigen Barrierefreiheit im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) bis 2022 werden in den Jahren 2015 bis 2016 unter Federführung des HVV in verschiedenen Arbeitskreisen mit Aufgabenträgern, Verkehrsunternehmen, der Senatskoordinatorin für die Gleichstellung behinderter Menschen sowie den Behindertenund Seniorenverbänden in Hamburg und dem Umland Standards der Barrierefreiheit und Konzepte zur Realisierung entwickelt. Dies betrifft auch die Themen barrierefreie Fahrzeuge und Zugänglichkeit. In einer entsprechenden Broschüre sowie im Internetauftritt des HVV ist hinterlegt, welche Maßnahmen bereits umgesetzt wurden. Bauwerke und Fahrzeuge der HOCHBAHN stammen in weiten Teilen aus Zeiten als die „Barrierefreiheit“ noch nicht den heutigen Stellenwert hatte. Insoweit sind Bestandsanlagen und -Fahrzeuge auch nicht durchweg barrierefrei nach heutigen Ansprüchen. Bei Neubau oder Veränderung von Anlagen und Fahrzeugen werden die Maßnahmen mit den Verbänden der Betroffenen abgestimmt und detailliert erörtert. Für die Herstellung der Barrierefreiheit der U-Bahn-Haltestellen befindet sich derzeit Drucksache 21/870 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 ein intensives Nachrüstungsprogramm zur Ausstattung mit Aufzügen und Leitsystemen auf den Bahnsteigen in der Umsetzung. Zudem wird im Rahmen des zwischen der DB und der zuständigen Behörde bestehenden Programms zur Steigerung der Haltestellenattraktivität der stufenfreie Ausbau von S-Bahn-Haltestellen vorangetrieben. 2. Wie hat sich der Dialog mit betroffenen Menschen und ihren Vertretern/ -innen zum Thema „Barrierefreiheit und sichere Nutzung“ bisher gestaltet ? a) Wie wurde und wird mit schriftlichen und mündlichen Anfragen/ Beschwerden umgegangen? Wie viele davon hat es gegeben und welchen Inhalts? Die HOCHBAHN und der HVV haben zu Fragen der Barrierefreiheit feste Ansprechpartner bei den Verbänden, die wiederum in der AG „Barrierefreier ÖPNV in Hamburg“ vertreten sind. Rückmeldungen zur Barrierefreiheit werden seitens der HOCHBAHN und des HVVKundendialogs innerhalb von 14 Tagen beantwortet. Spezielle Anfragen zu Fahrzeugen , die an den HVV gerichtet werden, werden in der Regel direkt über das Beschwerdemanagementsystem an die Verkehrsunternehmen zur Bearbeitung weitergeleitet . Im Jahr 2015 erreichten die HOCHBAHN zum Thema „zu schnell schließende Türen beim DT5“ drei Beschwerden. Kritisiert wurden das zu schnelle Schließen und der fehlende Ton beim vorzeitigen Schließen der Türen. Zum Wegfall der im Vortext genannten Ansage hat es in diesem Jahr bisher keine Beschwerde gegeben. Bei der für Verkehr zuständigen Behörde sind im Hinblick auf die barrierefreie Nutzung von Fahrzeugen im Jahr 2015 keine Beschwerden eingegangen (Stand 24. Juni 2015). Bei der DB/S-Bahn gibt es vereinzelt Beschwerden über das Prozedere beim Einsatz der Rampen. Diese werden mit dem betroffenen Personal durchgesprochen. b) Wie genau hat der Arbeitskreis des HVV „Barrierefreier ÖPNV in Hamburg“ dieses Thema behandelt? Welchen Handlungsspielraum hat dieser Arbeitskreis, also welchen Stellenwert haben seine Arbeitsergebnisse? In der Arbeitsgruppe „Barrierefreier ÖPNV in Hamburg“ werden seit Anfang der 1990er Jahre in Gesprächen Handlungsbedarfe und mögliche Lösungen zur Barrierefreiheit für den gesamten Hamburger ÖPNV erörtert und abgestimmt. Kleinere Maßnahmen werden in der Regel direkt durch die Unternehmen umgesetzt oder im Rahmen von Um- und Neubauten berücksichtigt, investive Maßnahmen müssen darüber hinaus in den Aufsichtsgremien des HVV beschlossen werden. Die Abschaffung der Ansage „zurückbleiben bitte“ wurde beispielsweise von der HOCHBAHN in der Arbeitsgemeinschaft vorgestellt. Auf im Nachgang geäußerte subjektive Unsicherheit wurde der Abfertigungsvorgang erneut erläutert und die Sicherheit des Verfahrens dargestellt. Auch die Fragestellung des Verfahrens beim Einsatz von Rampen bei der DB/S-Bahn behandelt der Arbeitskreis regelmäßig eingehend. Daraus hervor gegangen ist zum Beispiel die regelmäßige Begleitung der Lokführerfortbildungen durch die Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen e.V. 3. Welche Erkenntnisse hat der HVV aus der am 18.02.15 erfolgten Besichtigung und Testung des DT5 durch seheingeschränkte Benutzer/ -innen erhalten? a) Leitet der HVV aus diesen Erkenntnissen Konsequenzen ab? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/870 3 Der Termin hat mit Vertretern der HOCHBAHN stattgefunden. Aus der Besichtigung haben sich für die HOCHBAHN keine neuen Sachverhalte ergeben. Im Juli 2015 werden den Verbandsvertretern nochmals die Sicherheitsmechanismen am DT5 erläutert. Darüber hinaus werden sämtliche Erkenntnisse zur barrierefreien Gestaltung von Fahrzeugen im geplanten Arbeitskreis „Fahrzeuge“ im Rahmen des PBefG-Projektes (siehe Antwort zu 1.) berücksichtigt. b) Wie bewertet der HVV die folgenden, von anwesenden sehbehinderten und blinden oder kognitiv eingeschränkten Fahrgästen gemachten Erfahrungen: i. Aufgrund der stark abgedunkelten Scheiben ist es sehgeschädigten Personen oft nicht möglich, Stationen anhand von markanten Punkten entlang der Fahrstrecke zu erkennen. Auch sind die beleuchteten Anzeigen der Haltestellen im Vergleich zu den älteren Bahnen visuell schlechter wahrnehmbar und die akustischen Stationsansagen sind oft zu leise oder aufgrund von Nebengeräuschen nicht hörbar. Die Seitenfenster des DT5 werden gegenwärtig gegen solche mit deutlich geringerer Tönung ausgetauscht. Dies ist den Verbandsvertretern bereits auf der 21. Sitzung der Arbeitsgruppe „Barrierefreier ÖPNV in Hamburg“ im September 2014 mitgeteilt worden und bekannt. Der geschilderte Sachverhalt wird voraussichtlich Ende Juli abgestellt sein. ii. Die Türen schließen an der Haltestelle bei Nichtbenutzung nach circa drei – vier Sekunden automatisch und ohne akustisches Warnsignal, sodass blinde Fahrgäste keine Information über den Schließvorgang erhalten. Erst bei einem Widerstand öffnen sie sich wieder. Blinde Personen, welche gerade beim ein- oder aussteigen sind, werden somit durch die sich schließenden Türen eingeklemmt, die sich erst nach einer kurzen Zeit wieder öffnen. Dies ruft bei den Betroffenen Erschrecken und Irritation hervor. Die eingebaute Lichtschranke, die verhindern soll, dass Menschen verletzt werden, wenn sie sich während des Schließvorgangs im Türbereich befinden, wurde als ihren Zweck nicht erfüllend bewertet. Auch das optische Signal des „beleuchteten Kranzes“ an der Tür ist für Blinde nicht hilfreich. Die Türen der U-Bahn-Fahrzeuge halten sämtliche für sie gültige Normen und Bestimmungen ein und sind von der Technischen Aufsichtsbehörde abgenommen. Der HOCHBAHN liegen zudem keine Erkenntnisse darüber vor, dass die eingebaute Lichtschranke nicht ordnungsgemäß funktionieren soll. Die automatische Schließung erfolgt mit einer verminderten Schließgeschwindigkeit und die Türkanten sind so sensibel , dass keine Gefährdung oder Verletzungsgefahr droht. iii. Es ist äußerst schwierig, wahrzunehmen, ob der Zug bereits abfahrbereit ist oder nicht, insbesondere da oft auch Türen nicht geöffnet sind. Wenn in dieser Phase noch eine Tür gesucht wird, besteht eine erhöhte Unfallgefahr, wenn sich der Zug dann ohne akustisches Warnsignal in Bewegung setzt. Der Türschließ- und Abfertigungsvorgang wird zusätzlich zu den beschriebenen technischen Sicherungen vom Zugfahrer per Video überwacht. Eine noch dicht am Zug entlanggehende Person wird daher vom Zugfahrer erkannt. Der Zug darf erst abfahren , wenn der 50 cm breite weiße Sicherheitsstreifen neben und vor dem Zug frei von Personen ist. Insoweit besteht keine erhöhte Unfallgefahr für den beschriebenen Fall. 4. Im Hamburger Schnell- und Regionalbahnverkehr kommen unterschiedliche Warntöne beim Schließen der Türen zum Einsatz. Ein einheitlicher und damit unmissverständlicher Ton würde für beeinträchtigte Menschen eine deutliche Erleichterung darstellen. Welche Haltung nimmt der HVV dazu ein? Drucksache 21/870 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 a) Gibt es solche Erwägungen gegenwärtig oder hat es sie bereits gegeben und mit welchem Ergebnis? Dem HVV sind bezüglich der unterschiedlichen Verwendung von Warntönen bundesweit keine Probleme bekannt. Seitens der HOCHBAHN gibt es diesbezüglich keine Erwägungen. Der bei der HOCHBAHN verwendete Warnton wird seit 20 Jahren unverändert verwendet. Die Züge der S-Bahn verwenden eine gemäß europäischer Richtlinie TSI PRM definierte Tonfrequenz. Hierbei muss ein Warnton dem Umgebungslärm immer angemessen und hörbar sein. Der S-Bahn liegen weder Beschwerden noch Schadensfälle von Fahrgästen dazu vor, dass die bei ihren Fahrzeugen verwendeten Warntöne nicht hörbar oder missverständlich wären. 5. Ist dem HVV bekannt, dass Angehörige bestimmter Personengruppen die neuen Züge meiden und lieber auf den nächsten „alten“ Zug warten, damit sie diesen angstfrei und sicher benutzen können? Nein, dem HVV und der HOCHBAHN ist dies nicht bekannt. Grundsätzlich werden neue Fahrzeuge von den mobilitätseingeschränkten Personen aufgrund des verbesserten Ein-/Ausstiegs, der Platzverhältnisse, des Informationsangebotes et cetera eher bevorzugt. Im Rahmen einer Erörterung innerhalb der Arbeitsgruppe „Barrierefreier ÖPNV in Hamburg“ beim HVV wurde darauf hingewiesen, dass eine sichere Nutzung der Fahrzeuggeneration DT5 möglich ist. Die Verbände wurden gebeten, dies auch gegenüber ihren Mitgliedern zu kommunizieren. 6. Welche Haltung nimmt der Senat zu dem genannten Problem ein? Sieht er hier die Barrierefreiheit eingeschränkt? Wenn nein, warum nicht? Eine Einschränkung der Barrierefreiheit wird nicht gesehen. Die zuständige Behörde unterstützt den bestehenden Dialog zwischen Verkehrsunternehmen, dem HVV und den Betroffenenverbänden.