BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/9056 21. Wahlperiode 16.05.17 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Deniz Celik (DIE LINKE) vom 10.05.17 und Antwort des Senats Betr.: Tödliche Supererreger durch Antibiotika-Produktion Eine ARD-Dokumentation vom 8.5.2017 (http://www.daserste.de/information/ reportage-dokumentation/dokus/videos/der-unsichtbare-feind-video-102.html) zeigt, wie die Hersteller von Antibiotika (hier vor allem in Indien) durch ihre Produktionsbedingungen dazu beitragen, dass sich multiresistente Keime entwickeln, die eine tödliche Gefahr darstellen, weil Antibiotika nicht mehr wirken. Es gibt von den Produktionsbedingungen dieser Fabriken eine direkte Verbindung nach Hamburg: Firmen und Produktionsstätten, die Medikamente in die EU importieren, benötigen hierfür eine Zertifizierung ihrer Produktion (siehe auch Richtlinie 2003/94/EG zur Festlegung der Grundsätze und Leitlinien der Guten Herstellungspraxis für Humanarzneimittel). Das Hamburger Gesundheitsamt spielt hier eine tragende Rolle. Ein großer Teil von Medikamenten wird über den Hamburger Hafen in die EU importiert, sodass die Hamburger Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz beziehungsweise das Gesundheitsamt für die Zertifizierung der Produktionsstätten zuständig ist. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Wirkstoffe mit antibiotischen Eigenschaften und in geringerem Umfang auch antibiotisch wirksame Arzneimittel werden, wenn sie in Staaten außerhalb der Europäischen Union hergestellt wurden, zumeist auf dem Seeweg oder per Luftfracht nach Deutschland verbracht. Die Hamburger Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz prüft auf Antrag eines pharmazeutischen Unternehmens die Herstellung bestimmter Wirkstoffe und Arzneimittel. Voraussetzung dafür ist, dass das Unternehmen seinen Firmensitz in Hamburg hat. Inspiziert werden nur Arzneimittel und bestimmte Wirkstoffe, die in Staaten außerhalb der Europäischen Union (Drittstaaten) hergestellt wurden und mit denen kein Abkommen zur gegenseitigen Anerkennung der Herstellungsverfahren besteht. Dabei erfolgt keine Zertifizierung ganzer Produktionsstätten. Bei der Prüfung auf Einhaltung der Guten Herstellungspraxis (GMP) gemäß der Richtlinie 2003/94/EG und der Richtlinie 2001/83/EG werden ausschließlich die durch das in Hamburg ansässige pharmazeutische Unternehmen beantragten Wirkstoffe oder Arzneimittel berücksichtigt. Voraussetzung ist, dass das Unternehmen einen Import beabsichtigt oder aus anderen rechtlichen Gründen, zum Beispiel für Zwecke der Arzneimittelzulassung , eine Bestätigung der Einhaltung der GMP-Regeln benötigt. Analog zu dem in Deutschland geltenden Verfahren haben Kontrollen in Drittländern ausschließlich die Produktsicherheit zum Gegenstand. Sie dienen dazu, sicherzustellen , dass der Hersteller alle erforderlichen Maßnahmen ergreift, um eine Kontamination , insbesondere mit Mikroorganismen und chemischem Verbindungen, wie zum Beispiel anderen Antibiotika, auszuschließen. Drucksache 21/9056 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Die in der ARD-Dokumentation beschriebenen Missstände hingegen haben nicht die Produktion von pharmazeutischen Produkten, sondern die Normierung, Einhaltung und Kontrolle von Auflagen zum Umweltschutz und zur Abfallentsorgung zum Gegenstand . Deren Überwachung ist von den GMP-Regeln ausdrücklich nicht gedeckt, die Hamburger Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz zur Kontrolle nicht befugt. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen teilweise auf der Grundlage von Auskünften des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) wie folgt: 1. Welche Erkenntnisse hat der Senat über den Zusammenhang von Antibiotika -Rückständen im Abwasser von Pharmaunternehmen und der Entstehung von multiresistenten Keimen? In Hamburg sind keine Pharmazeutischen Unternehmen ansässig, die antibiotisch wirksame Stoffe für die Arzneimittelproduktion herstellen oder solche Wirkstoffe zu Fertigarzneimitten verarbeiten. Im Übrigen hat sich der Senat damit nicht befasst. 2. Sind der Gesundheitsbehörde die Probleme der Firma MSN Laboratories in Indien mit der Entsorgung von Abwässern, die Antibiotika- Rückstände enthalten, bekannt? Nein, siehe Vorbemerkung. Falls ja: a. Seit wann sind diese Probleme bekannt? b. Wie kam das Gesundheitsamt zu seinen Erkenntnissen? c. Wurden in irgendeiner Form Maßnahmen ergriffen, um das Problem anzugehen? Welche und wann? d. Sind für die Zukunft Aktivitäten geplant, um das Problem anzugehen ? Welche und wann? e. Wird die Zertifizierung der MSN Laboratories überprüft werden? Wenn ja: wann? f. Wird die Zertifizierung der MSN Laboratories gestoppt werden? Entfällt. 3. Welche weiteren Antibiotika-Hersteller und Hersteller von Rohstoffen zur Antibiotika-Produktion werden vom Hamburger Gesundheitsamt geprüft und zertifiziert? (Bitte auflisten nach Land, Firma, Produktionsstandort und hergestellten Antibiotika beziehungsweise Rohstoff.) Die Hamburger Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz führt keine regelmäßigen Inspektionen bestimmter Hersteller in Drittstaaten durch. Inspiziert werden ausschließlich einzelne Wirkstoffe und Arzneimittel auf Antrag. 4. Sind der Behörde vergleichbare Probleme bei der Antibiotika-Produktion, wie sie die ARD-Dokumentation aufzeigt, auch für andere Firmen, Standorte und Länder bekannt? Welche sind das? (Bitte auflisten nach Land, Firma, Produktionsstandort und hergestellten Antibiotika.) a. Seit wann sind die Probleme jeweils bekannt? b. Wie kam das Gesundheitsamt jeweils zu seinen Erkenntnissen? c. Sind für die Zukunft jeweils Aktivitäten geplant, um das Problem anzugehen? Welche und wann? d. Wird die Zertifizierung der entsprechenden Produktionsstätten gestoppt werden? Siehe Vorbemerkung. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9056 3 5. Wie bewertet der Senat das Risiko, dass multiresistente Keime, die an den Produktionsstandorten von Antibiotika in die Umwelt gelangen, durch Reisen, Warenverkehr oder Zugvögel nach Deutschland und Europa gelangen? Es ist bekannt, dass multiresistente Keime durch internationale Reisetätigkeiten eingeschleppt werden können. Dabei handelt es sich um ein internationales Problem. Ein Eintrag durch Warenverkehr oder Zugvögel kann nicht ausgeschlossen werden. 6. Welche Maßnahmen will der Senat zur Abwendung dieses Risikos ergreifen? Hamburg nimmt an überregionalen Projekten teil. Besonders zu erwähnen ist die „Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie DART 2020“ mit dem Ziel, Antibiotikaresistenzen frühzeitig zu erkennen, bestehende Therapieoptionen zu verbessern und Infektionsketten früh zu unterbrechen. Eingebettet ist DART in den globalen Aktionsplan der WHO zur Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen. Einen wichtigen Bestandteil der Bemühungen stellt das risikoadaptierte Screening von Personen dar, die sich einer medizinischen Maßnahme in Krankenhäusern unterziehen. Es dient dazu, das Vorhandensein multiresistenter Erreger frühzeitig festzustellen und mittels geeigneter Hygienemaßnahmen ein Verbreiten der Erreger zu unterbinden. Hygiene- und Screeningmaßnahmen , zum Beispiel auf Basis von Empfehlungen des Robert Koch- Instituts, haben auch in Hamburg Geltung und sind in entsprechenden Hygieneverordnungen verankert. 7. Die Fernsehdokumentation zitiert die Hamburger Gesundheitsbehörde mit der Aussage, dass keine Rechtsgrundlage bestehe, die Einhaltung von Umweltauflagen zu überprüfen (zum Beispiel fachgerechte Entsorgung von Abwässern). Welche Möglichkeiten bestehen dafür, die Reinigung und Klärung des Wassers als Teil des Produktionsprozesses vor der Ableitung in die Umwelt zu prüfen? Die Reinigung und Klärung von Abwasser ist kein Teil des Produktionsprozesses. Ziel der nationalen Regelungen, die die Pflichten der Hersteller normieren (Arzneimittelund Wirkstoffherstellungsverordnung), wie auch der EU-GMP-Regeln (Richtlinien 2001/83/EG und 2003/94/EG) ist der Produktschutz. 8. Gibt es eine Zusammenarbeit des Gesundheitsamtes mit den örtlichen Umweltbehörden, die für die Einhaltung von Umweltauflagen zuständig sind, und wie sieht diese Zusammenarbeit jeweils aus? (Bitte auflisten nach Land, Produktionsstandort, jeweils zuständiger Behörde und Art der Zusammenarbeit.) Nein. 9. Welche Aktivitäten und Maßnahmen wollen der Senat und das Gesundheitsamt ergreifen, um die Entstehung von multiresistenten Erregern durch die Herstellung beziehungsweise Herstellungsbedingungen von Antibiotika abzuwenden? Siehe Vorbemerkung und Antwort zu 6. Für den Umweltschutz im Sinne einer sachgerechten Behandlung von Abwasser und Abfällen aus industrieller Produktion sind die Hersteller selbst beziehungsweise die jeweils am Standort des Herstellers zuständigen Behörden verantwortlich. 10. Wie viele Fälle von Infektionen mit multiresistenten Keimen hat es in Hamburg von 2012 bis Stichtag 1.5.2017 gegeben? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr und jeweiligem Keim.) In Hamburg wurden folgende Fälle von Infektionen mit MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus) von 2012 bis zum 1.5.2017 gemeldet: MRSA Anzahl gemeldeter Fälle 2012 27 2013 65 Drucksache 21/9056 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 MRSA Anzahl gemeldeter Fälle 2014 65 2015 47 2016 37 2017 (bis 1.5.2017) 9 Aufgrund der erst ab dem 1. Mai 2016 geltenden Meldepflicht gemäß Verordnung zur Anpassung der Meldepflichten nach dem Infektionsschutzgesetz an die epidemische Lage (IfSGMeldAnpV) liegen Daten für den geforderten Zeitraum für andere multiresistente Erreger nur ab diesem Datum vor: Erreger Anzahl gemeldeter Fälle 2016, ab 1.5.2016 Anzahl gemeldeter Fälle 2017, bis 1.5.2017 Acinetobacter 19 13 Citrobacter 1 2 Enterobacter 6 21 Escherichia 1 5 Havnia 0 1 Klebsiella 31 18 Proteus 2 1 Raoultella 0 1 Serratia 3 2 11. Sind dem Senat Ausbruchsereignisse (Häufungen von Infektionen) mit multiresistenten Erregern bekannt? Welche? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr Erreger, Zahl der Infizierten und Ort des Ausbruchs.) Ein Ausbruchsgeschehen liegt dann vor, wenn es mindestens zwei nosokomiale Infektionen gibt. Über die Anzahl von Ausbruchsereignissen mit multiresistenten Erregern im Zeitraum 2012 bis 1.5.2017 gibt die nachstehende Tabelle Auskunft: Jahr Erreger Zahl der Infizierten* Ort des Ausbruchs 2012 Klebsiella 4 Krankenhaus, Bezirk Eimsbüttel 2013 MRSA 4 Krankenhaus, Bezirk Wandsbek 2014 MRSA 4 Krankenhaus, Bezirk Hamburg-Nord 2014 MRSA 4 Krankenhaus, Bezirk Hamburg-Nord 2014 MRSA 6 Krankenhaus, Bezirk Harburg 2014 MRSA 5 Krankenhaus, Bezirk Harburg 2014 Vancomycin-resistente Enterokokken 2 Krankenhaus, Bezirk Hamburg-Mitte 2015 Klebsiella 7 Krankenhaus, Bezirk Hamburg-Nord 2015 Klebsiella 5 Krankenhaus, Bezirk Bergedorf 2015 Pseudomonas 9 Krankenhaus, Bezirk Hamburg-Nord 2015 Serratia 4 Krankenhaus, Bezirk Altona 2015 Acinetobacter 3 Krankenhaus, Bezirk Hamburg-Mitte 2016 MRSA 15 Krankenhaus, Bezirk Hamburg-Nord 2016 Enterobacter 11 Krankenhaus, Bezirk Hamburg-Nord 2016 Acinetobacter 5 Krankenhaus, Bezirk Hamburg-Nord 2016 Acinetobacter 15 Krankenhaus, Bezirk Hamburg-Nord 2017 Klebsiella 6 Krankenhaus, Bezirk Altona * Die Anzahl gibt für die Bezirke Hamburg-Nord und Harburg sowohl Infizierte als auch Kolonisationen wieder. Eine kurzfristig abrufbare, elektronisch auswertbare Statistik und Auswertungsmöglichkeit besteht im UKE und UHZ nicht. Im UKE und UHZ haben in den letzten Jahren wenige Ausbruchsereignisse im Sinne des Infektionsschutzgesetzes stattgefunden. 12. Eines der Schwerpunktthemen des G20-Gipfels im Bereich Gesundheit ist der Kampf gegen multiresistente Krankheitserreger. a. Welche konkreten Maßnahmen zur Bekämpfung von Antibiotika- Resistenzen stehen zur Debatte und sollen möglicherweise verabschiedet werden? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9056 5 Die Bundesregierung hat ihre Absicht mitgeteilt, die G20-Präsidentschaft Deutschlands zu nutzen, um unter anderem „Epidemic Preparedness“ weiter zu thematisieren. Deutschland beteiligt sich an der internationalen Initiative „Coalition for Epidemic Preparedness Innovations“ (CEPI). CEPI ist eine internationale öffentlich-private Partnerschaft aus Staaten, Stiftungen und Unternehmen der pharmazeutischen Industrie. Ziel von CEPI ist es, Epidemien zu stoppen, bevor großflächige Gesundheitskrisen entstehen und zu humanitären Katastrophen führen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung stellt für CEPI 10 Millionen Euro für das Haushaltsjahr 2017 bereit. Darüber hinaus hat das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF), zuletzt im Vorfeld des G20-Gipfels, angekündigt, sich gegenüber der Bundesregierung dafür einzusetzen, die Allianz „Conscience of Antimicrobial Resistance Accoutability“ (CA- RA) bei der Entwicklung eines Maßnahmenplans für effektive globale Aktivitäten gegen antimikrobielle Resistenzen zu unterstützen. b. Wird die Hamburger Gesundheitsbehörde an entsprechenden Beratungen beim G20-Gipfel zu diesem Thema teilnehmen? An welchen ? Wie lauten gegebenenfalls ihre Empfehlungen? Die zuständige Behörde ist eingeladen worden, an der B20 Health Conference am 18. Mai 2017 teilzunehmen. Im Vorfeld des G20-Gesundheitsministertreffens hat der Präses der zuständigen Behörde den Bundesgesundheitsminister gebeten, Fragen des Umweltschutzes bei der Arzneimittelproduktion auf die Agenda des Treffens zu setzen .