BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/9058 21. Wahlperiode 19.05.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Jennyfer Dutschke (FDP) vom 11.05.17 und Antwort des Senats Betr.: Verlust des Freizügigkeitsrechts/Ausweisungen von Unionsbürgern Nach Artikel 21 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) hat jeder Unionsbürger das Recht, „sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten (…) frei zu bewegen und aufzuhalten.“ Die Ausübung dieses Freizügigkeitsrechts unterliegt den Bedingungen und Beschränkungen der Durchführungsvorschriften, in erster Linie der Richtlinie 2004/38/EG vom 29. April 2004 (Freizügigkeitsrichtlinie). Diese Richtlinie fasst Rechte und Pflichten von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen bei Einreise und Aufenthalt in anderen Mitgliedstaaten zusammen.1 Die Freizügigkeitsrichtlinie wird durch das Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU – FreizügG/EU) in nationales Recht umgesetzt.2 Aus § 2 FreizügG/EU geht im Einzelnen hervor, nach welchen Maßgaben Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt sind. § 3 FreizügG/EU regelt die entsprechenden Rechte für Familienangehörige. Ebenso ist im Freizügigkeitsgesetz/EU auch festgelegt, unter welchen Umständen Unionsbürger ihr Recht auf Freizügigkeit verlieren können. Einen solchen Verlust kann die Ausländerbehörde gemäß § 2 Absatz 7 Freizüg G/EU feststellen, wenn Unionsbürger die Voraussetzungen für das Vorliegen des Freizügigkeitsrechts durch die Verwendung von ge- oder verfälschten Dokumenten oder die Vorspiegelung falscher Tatsachen vorgetäuscht haben. Ein Rechtsverlust kann ferner nach § 5 Absatz 4 FreizügG/EU innerhalb der ersten fünf Jahre des Aufenthalts festgestellt werden, wenn die Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts entfallen sind oder nicht vorliegen. Schließlich kann ein Verlust des Freizügigkeitsrechts nach § 6 Absatz 1 Freizüg G/EU „unbeschadet des § 2 Absatz 7 und des § 5 Absatz 4 nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit“ festgestellt werden. Aus diesen Gründen kann außerdem die Einreise verweigert werden . Stellt die Ausländerbehörde fest, dass ein Recht auf Einreise und Aufenthalt aus den oben genannten Gründen nicht besteht, trifft den Unionsbürger die 1 Vergleiche http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/FAQs/DE/Themen/Migration/Freizuegigkeit/ Freizuegigkeit_15.html. 2 Ebenda. Drucksache 21/9058 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Pflicht aus der Bundesrepublik auszureisen.3 Kommt er dieser Pflicht nicht nach, kann die Ausreisepflicht zwangsweise durchgesetzt werden.4 Ferner wird durch § 4a FreizügG/EU bestimmt, unter welchen Voraussetzungen Unionsbürger ein Daueraufenthaltsrecht erwerben und somit unabhängig vom Vorliegen der Freizügigkeitsvoraussetzungen gemäß § 2 Absatz 2 Freizüg G/EU aufenthaltsberechtigt sind. Eine Verlustfeststellung nach § 6 Absatz 1 FreizügG/EU darf „nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden“ (siehe § 6 Absatz 4 Freizüg G/EU). Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die Feststellung des Verlusts der Freizügigkeitsvoraussetzungen nach § 5 Absatz 4 FreizügG/EU ist eine im Einzelfall zu treffende Ermessensentscheidung. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Bei wie vielen Unionsbürgern wurden seit 2010 ein Nichtbestehen des Rechts auf Einreise und Aufenthalt nach § 2 Absatz 1 FreizügG/EU und eine daraus folgende Ausreisepflicht festgestellt? Bitte nach oben genannten Gründen aufschlüsseln. Falls die Feststellung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erfolgte, bitte angeben, gegen welche nationalen Rechtsnormen verstoßen wurde. Von der zentralen Ausländerbehörde sind nach Auswertung des ausländerbehördlichen Fachverfahrens im Zeitraum Januar 2010 bis April 2017 insgesamt 245 Verfügungen des Freizügigkeitsverlustes nach § 6 FreizügG/EU erlassen worden. Im April 2017 wurde außerdem in zehn Fällen der Verlust des Freizügigkeitsrechts nach § 5 Absatz 4 FreizügG/EU festgestellt. Bei den Bezirksämtern werden in der dort aus dem ausländerbehördlichen Fachverfahren generierten Betriebsdatenstatistik (BDS) alle dort gegenüber Unionsbürgern getroffenen Verlustfeststellungen nach dem FreizügG/EU, also nach den §§ 2 Absatz 7 oder 5 Absatz 4 FreizügG/EU, mit folgendem Ergebnis erfasst: 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 1.Q 2017 Hamburg-Mitte 29 12 27 21 2 39 33 11 Altona 13 4 5 5 10 3 8 3 Eimsbüttel 10 13 7 0 1 1 0 0 Hamburg-Nord 2 4 5 5 2 2 2 2 Wandsbek* 24 12 58 10 12 14 0 0 Bergedorf 5 5 6 7 9 0 5 0 Harburg 7 14 14 4 4 1 11 9 Summe 90 64 122 52 40 60 59 25 * Die Zahlen aus der vorliegenden BDS sind teilweise unstimmig. Daher sind einige Zahlen geschätzt. Die Gründe, aus denen der Verlust der Freizügigkeit nach § 2 Absatz 7, § 5 Absatz 4 oder § 6 FreizügG/EU festgestellt wurde, werden nicht statistisch auswertbar erfasst. Eine Auswertung der jeweiligen Ausländerakten ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 2. In wie vielen Fällen und aus welchen Gründen erfolgte die Feststellung des Rechtsverlustes nach Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts gemäß § 6 Absatz 4 FreizügG/EU? In keinem Fall. 3 Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, § 7 FreizügG/EU, Rn.1. 4 Vergleiche http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/FAQs/DE/Themen/Migration/Freizuegigkeit/ Freizuegigkeit_15.html. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9058 3 3. Wie viele Unionsbürger kamen der Ausreisepflicht freiwillig nach? Bei wie vielen wurde die Ausreisepflicht zwangsweise durchgesetzt? 4. Welche Staatsbürgerschaft hatten die jeweils betroffenen Unionsbürger? In welche Länder wurden sie abgeschoben? Bitte nach Ländern aufschlüsseln . Die Anzahl der überwachten freiwilligen Ausreisen sowie der erfolgten Abschiebungen von Unionsbürgern, die im Zuge des Nichtbestands beziehungsweise Verlust der Freizügigkeit im Zeitraum Januar 2010 bis April 2017 erfasst wurden, sind der folgenden Übersicht zu entnehmen: Herkunftsland Überwachte freiwillige Ausreisen Abschiebungen Bulgarien 6 15 Dänemark - 1 Estland - 1 Frankreich 1 0 Italien - 1 Kroatien - 1 Lettland 1 8 Litauen 1 10 Niederlande - 4 Polen 12 57 Rumänien 5 54 Schweden - 2 Slowakei - 5 Großbritannien - 3 Gesamt 26 162 Darüber hinaus gibt es eine unbestimmte Zahl von Personen, die ohne behördliche Kontrolle das Bundesgebiet verlässt. In nahezu allen Fällen erfolgt die überwachte freiwillige Ausreise beziehungsweise Abschiebung in das jeweilige EU-Herkunftsland. Abweichungen hiervon werden statistisch nicht erfasst.