BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/9093 21. Wahlperiode 23.05.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Birgit Stöver (CDU) vom 15.05.17 und Antwort des Senats Betr.: Auf gute Nachbarschaft – Grundzüge von Bebauungsplänen nachbarschützend ausweisen In den Außenbezirken, besonders im Hamburger Westen und Nordosten, wird in den vergangenen Jahren immer häufiger beklagt, dass die Stadt mit den Nachverdichtungen mehr Baumasse genehmigt, als es die Bebauungspläne grundsätzlich zulassen, berichtete das „Hamburger Abendblatt“ im Artikel „Wie das Bauamt Anwohner benachteiligt“ vom 24. Februar 2017. Im Streit um den Wohnungsbau in Klein Borstel zum Beispiel, hatte das Gericht zwar die Baugenehmigung des Bezirksamtes für fehlerhaft erklärt, zugleich aber festgestellt, dass daraus kein Anspruch auf Korrektur abzuleiten sei. Der Grund: Der Fehler der Verwaltung müsse zusätzlich die Nachbarn in ihren Rechten beschneiden, und das habe er nicht getan. Ein Fehler allein begründe keinen Anspruch auf Änderung oder Aufhebung der Baugenehmigung . Tatsächlich kann eine Baugenehmigung grundsätzlich nur angefochten werden , wenn der Grenzabstand unterschritten oder die genehmigte Nutzungsart eine andere ist als im Plan festgesetzt. Die Gebäudehöhe zum Beispiel spielt keine Rolle, solange nicht „rücksichtslose“ Höhen erreicht werden. Gerade vor dem Hintergrund einer immer stärkeren Nachverdichtung im städtischen Innenbereich muss geprüft werden, ob die Grundzüge eines Bebauungsplans nachbarschützend festgestellt werden sollten, damit Anwohner diese auch gerichtlich geltend machen können. In dem Artikel „Gleiches Recht für alle?!“ im Magazin „Hamburger Grundeigentum“ vom April 2017 wird vorgeschlagen, dass die Grundzüge eines Bebauungsplans stets qualifiziert nachbarschützend festgestellt werden sollten. Damit sollen die Grundzüge einer Bauleitplanung auch nachbarschaftsrechtliche Wirkung entfalten. Bei der gegenwärtigen Gesetzeslage haben Nachbarn keine Chance, bei vermeintlichen oder tatsächlichen Verstößen gegen die Bauvorschriften vorzugehen, da diese Verstöße nicht als Verletzung des Nachbarschutzes eingestuft werden. Wesentliche Festsetzungen, die gleichsam den Grundzug der Planung darstellen, sind bisher nicht als nachbarschützend eingeordnet. Vielfach können sich also Nachbarn gegen Verstöße der Bauvorschriften auf dem Nachbargrundstück nicht wehren, weil sie vor den Verwaltungsgerichten als nicht betroffen gelten. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Drucksache 21/9093 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 1. Bei wie vielen und welchen der in Aufstellung befindlichen Bebauungspläne werden die Grundzüge mit nachbarschützender qualifizierter Wirkung in der Planungsbegründung ausgewiesen? 2. Bei wie vielen und welchen der in Aufstellung befindlichen Bebauungspläne werden die Grundzüge nicht mit nachbarschützender qualifizierter Wirkung in der Planungsbegründung ausgewiesen und warum nicht? 3. Warum weisen die Plangeber in Hamburg nicht generell die Grundzüge der Bebauungspläne qualifiziert nachbarschützend aus? 4. Wie bewertet der Senat das Anliegen, die Grundzüge von Bebauungsplänen generell qualifiziert nachbarschützend auszuweisen? 5. Beabsichtigt der Senat, eine Fachanweisung zu erlassen, nach der grundsätzlich die Grundzüge von Bebauungsplänen qualifiziert nachbarschützend ausgewiesen werden müssen? Wenn ja, mit welchem Inhalt und wann? Wenn nein, warum nicht? In den geltenden und in der Aufstellung befindlichen Bebauungsplänen in Hamburg werden in den Planbegründungen die Festsetzungen und Inhalte der Planung beschrieben und in Verbindung mit der zuvor erfolgten Abwägung begründet. Ein Grundzug der Planung wird nicht explizit als solcher festgesetzt, dies trifft auch auf die nachbarschützende qualifizierte Wirkung zu. Grundzüge können sich auch aus dem Zusammenspiel der Festsetzungen insgesamt in einem Plangebiet ergeben und stellen damit die Folge der Festsetzungen dar, um das gewünschte Planungsziel zu erreichen . Grundsätzlich gilt, dass sich die Grundzüge der Planung nach den konkreten Inhalten und Zielen des einzelnen Planverfahrens richten und insoweit einer Verallgemeinerung in der angesprochenen Form entziehen. In jedem Bebauungsplanverfahren werden entsprechend den gesetzlichen Vorgaben aus § 1 Absatz 7 Baugesetzbuch (BauGB) die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abgewogen. Zu berücksichtigende nachbarliche Belange sind damit in jedem Bebauungsplanverfahren Gegenstand der zu treffenden Abwägung. Im Übrigen werden Nachbarrechte hinreichend durch das Gebot der Rücksichtnahme, den Gebietserhaltungsanspruch sowie den Anspruch auf Aufrechterhaltung der typischen Prägung des Baugebiets geschützt. Alle vorgenannten Rechte entfalten Nachbarschutz , sodass es darüber hinaus keiner (weiteren) gesonderten Festschreibung von Grundzügen der Planung in nachbarschützender qualifizierter Wirkung in der Planbegründung bedarf. Über die in der Aufstellung befindlichen Bebauungspläne, die einen qualifizierten Abwägungsvorgang noch nicht durchlaufen haben, sind bereits aus rechtlichen Gründen keine abschließenden Aussagen über zukünftige Festsetzungen und die zukünftigen Grundzüge der Planung möglich. Hinsichtlich der Frage, ob einzelne Planfestsetzungen nachbarschützende Wirkung entfalten, kommt es nicht allein auf die Planbegründung , sondern vorrangig auf den tatsächlichen Inhalt und die objektive planerische Zielrichtung der Festsetzungen an. So sind zum Beispiel Festsetzungen zur Art der Nutzung und zur Bauweise grundsätzlich nachbarschützend. 6. Wie will der Senat die Rechte der Nachbarn auf die Grundzüge der Bauleitplanung bei der Realisierung von Bauvorhaben stärker qualifiziert schützen? Die Rechte der Nachbarn können insbesondere dann berührt sein, wenn von nachbarschützenden Festsetzungen im Bebauungsplan wie zum Beispiel der Art der baulichen Nutzung befreit werden soll. Nach § 31 des BauGB darf von den Festsetzungen des Bebauungsplanes jedoch nur befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden, weitere Voraussetzungen erfüllt sind und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9093 3 Die Entscheidung der Genehmigungsstelle ist dabei immer abhängig vom jeweiligen Einzelfall. Die Rechte der Nachbarn sind im Ergebnis geschützt. 7. Steigt die Anzahl der Klagen von Nachbarn gegen Baugenehmigungen seit 2011 in Hamburg an? Wenn ja, wie hoch? Nein. 8. Ist der Senat der Ansicht, dass gerade bei stärkerer Nachverdichtung im Innenbereich auf die nachbarschaftlichen Interessen Rücksicht genommen werden muss, um die grundsätzliche Akzeptanz der Bevölkerung zu erforderlichen Baumaßnahmen weiterhin zu erhalten? Wenn ja, inwiefern? Wenn nein, warum nicht? Im Rahmen der Verdichtung und Innenentwicklung werden nachbarliche Belange insbesondere nach Maßgabe der Vorschriften zu § 31 beziehungsweise § 34 BauGB berücksichtigt. Im Übrigen siehe Antwort zu 6.