BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/9096 21. Wahlperiode 23.05.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Karin Prien und Carsten Ovens (CDU) vom 15.05.17 und Antwort des Senats Betr.: Warum benötigt Hamburg aus Sicht des Senats keine Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus? (II) Am 24. April legte der Unabhängige Expertenkreis der Bundesregierung einen Bericht zum Thema Antisemitismus vor, der deutlich macht, dass rechtsextremistische Kreise zwar der bedeutendste Träger des Antisemitismus seien, dieser aber auch unter Muslimen ein wachsenden Problem sei. Die Sachverständigen fordern deshalb die verbesserte Erfassung und Ahndung antisemitischer Straftaten sowie die Stärkung des Beratungsangebots. In Drs. 21/8611 und vorab im Sozialausschuss am 30. März 2017 machte Rot-Grün jedoch bereits deutlich, dass SPD und GRÜNE die von der CDU geforderte Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus“ (Drs. 21/7105) nicht für nötig halten. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Die Antworten des Senates beruhen zum Teil auf Angaben der Projekte Mobiles Beratungsteam gegen Rechtextremismus (MBT), empower – Beratung für Betroffene rechter , rassistischer und antisemitischer Gewalt (empower) und amira – Beratung bei Diskriminierung wegen (zugeschriebener) Herkunft und Religion (amira) sowie dem Projekt „Neue Wege“ der Türkischen Gemeinde Hamburg und Umgebung e.V. (TGH). Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Laut Drs. 21/8611 beschäftigt sich die Dienststelle 702 für Prävention im Bereich „Gewaltzentrierte Ideologien“ im Landeskriminalamt (LKA) zum Teil auch mit Antisemitismus. Hierbei ist sie für Vorfälle unterhalb der Schwelle Gefahrenabwehr und Strafverfolgung zuständig. a) Wie viele Vorfälle jeweils welcher Art wurden in den Jahren 2011 bis 2016 jeweils erfasst? Das Landeskriminalamt (LKA) 702 ist seit dem 1. September 2016 als zentrale Präventionsdienststelle für die Bearbeitung von vermeintlichen oder tatsächlichen Radikalisierungssachverhalten unterhalb der Schwellen von Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung zuständig. Erhebungen im Sinne der Fragestellung führt die Polizei erst seit diesem Zeitpunkt durch. Im erfragten Zeitraum vom Jahr 2011 bis 31. August 2016 sind Sachverhalte im Sinne der Fragestellung hauptsächlich durch die Ermittlungsdienststellen des LKA 7 bearbeitet worden. Das LKA 702 hat im Zeitraum 1. September bis 31. Dezember 2016 insgesamt 60 Verdachtsfälle im Sinne der Fragestellung registriert. Alle Fälle sind dem Bereich des religiös begründeten Extremismus zuzuordnen, bei dem Antisemitismus einen Teilaspekt darstellen kann. Darüber hinaus führt die Polizei gesonderte Auswertungen im Sinne der Fragestellung nicht durch. Drucksache 21/9096 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 b) Welche Maßnahmen stehen hinter der erwähnten intervenierenden Präventionsarbeit und inwieweit sind die Erkenntnisse infolge der oben genannten Vorfälle in die Präventionsarbeit eingeflossen und haben diese in den letzten Jahren verändert? In Fällen einer tatsächlichen Radikalisierung erfolgt die intervenierende Präventionsarbeit stets einzelfallbezogen und in der Regel interdisziplinär. Unter Einbindung polizeiinterner sowie insbesondere externer Kooperationspartner wie zum Beispiel der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI), dem Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD), der Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB) sowie mittlerweile etablierten Beratungsstellen werden unter anderem in Fallkonferenzen auf den Einzelfall bezogene Präventionsmaßnahmen gemeinsam entwickelt, angepasst sowie nachhaltig begleitet. Das LKA 702 unterstützt beziehungsweise koordiniert die Maßnahmen mit beziehungsweise zwischen den einzelnen Institutionen. Erkenntnisse aus der Präventionsarbeit bringt die Polizei in die jeweiligen Beratungsnetzwerke ein, um Netzwerkpartner über Entwicklungsprozesse zu informieren und im Hinblick auf die Entwicklung eigenständiger Präventionsprogramme zu aktivieren und zu unterstützen. Zu den genannten einzelfallbezogenen Maßnahmen gehören unter anderem: Beratung beziehungsweise Betreuung von Angehörigen durch eine der Beratungsstellen oder das LKA 702, Ausstiegs- beziehungsweise Distanzierungsangebote durch die Beratungsstellen, Einbindung muslimischer Imame beziehungsweise Seelsorger, Einsetzen von Familienbetreuern, Amtsvormündern, psychologische Beratungsangebote, Einbindung von Sozialarbeitern, Schulbetreuern, Sportvereinen, Anbindung des Probanden in Projekte (zum Beispiel Praktikum, Anti-Aggressions- Training). c) Die Vernetzung mit den lokalen Sozialräumen gehöre mit zur Arbeit des LKA. Welche lokalen Sozialräume wurden seit 2011 in das Netzwerk mit aufgenommen? d) Welche Erkenntnisse ergaben sich infolge der stärkeren Vernetzung und in welche interdisziplinaren Maßnahmen flossen sie ein beziehungsweise welche Maßnahmen wurden daraufhin entwickelt und initiiert? Das LKA 702 ist sowohl im Beratungsnetzwerk gegen religiös begründeten Extremismus als auch im Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus vertreten. Darüber hinaus lag und liegt der Schwerpunkt der bisherigen, anlassunabhängigen Netzwerkarbeit im Bereich des religiös begründeten Extremismus und in der lokalen Vernetzung von Polizei, Moscheen und islamischen Vereinen, Schulen, Häusern der Jugend und Sportvereinen in den Stadtteilen Harburg, Wilhelmsburg, Altona, Billstedt, Mümmelmannsberg , St. Georg, Osdorf, Lurup und Bahrenfeld. Aktuell ist das LKA 702 am Aufbau eines Arbeitskreises im Stadtteil Jenfeld beteiligt. Die Polizei hat bereits in der Vergangenheit gewonnene Erkenntnisse zum Beispiel auf antisemitische Einstellungsmuster in migrantischen Communities und die erkannte Notwendigkeit einer Aufhellung dieses Phänomenbereichs sowie die sich daran anschließende Entwicklung von geeigneten Präventionsmaßnahmen in die jeweiligen Beratungsnetzwerke eingebracht. Im Rahmen des Netzwerkausbaus hat das LKA 702 am 16. September 2016 in einem Gespräch mit Vertretern der Jüdischen Gemeinde seine Präventionsarbeit vorgestellt. Ein von der Polizei unterbreitetes Kooperationsangebot ist bisher noch nicht aufgegriffen worden; konkrete Kooperationsstrukturen haben sich daher noch nicht entwickelt. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9096 3 Sofern die Sicherheitsbehörden aus dem Bereich der Jüdischen Gemeinde auf antisemitische Sachverhalte oder Entwicklungsprozesse hingewiesen werden, werden diese unverzüglich bearbeitet. Derzeit liegen keine derartigen Hinweise vor, daher sind aus Sicht der Polizei gezielte Präventionsmaßnahmen aktuell nicht erforderlich. 2. Seit 2016 kooperiert das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) mit der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus. Welche Auswirkungen hatte der Austausch auf die Beratungs- und Fortbildungsangebote des LI? Die Kooperationsvereinbarung des LI mit der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus sieht neben dem regelmäßigen fachlichen Austausch regelmäßige Seminarveranstaltungen vor. 2016 sind jeweils zwei dreistündige Veranstaltungen in Kooperation mit der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus am LI angeboten worden (Antisemitismuskritische Politische Bildung zum Nahostkonflikt: Begriffsgrundlagen und Handlungsanregungen). Für 2017 ist eine Wiederholung geplant. Darüber hinaus sind Handlungsanregungen der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus in die Beratungs- und Fortbildungsangebote des LI in den Bereichen Sozialund Rechtserziehung sowie Menschenrechts- und Demokratiefeindlichkeit eingeflossen . 3. Das LKA 71 und das LKA 72 liefern die Zahlen für den Meldedienst Politisch Motivierte Kriminalität. Auf der Internetseite des Bundesinnenministeriums befinden sich für den Unterpunkt Hasskriminalität Antisemitismus von 2001 bis 2015 nur die Zahlen für das gesamte Bundesgebiet. Gibt es diese Auflistung auch separat für Hamburg? Wenn ja, bitte an dieser Stelle angeben. Wenn nein, warum nicht? Ja, die erfragten Daten liegen der Polizei aufgrund gesetzlicher Löschfristen für die letzten fünf Jahre vor. Zu den Fallzahlen der Jahre 2012 bis 2015 siehe folgende Tabelle: Jahr Hasskriminalität gesamt (alle Phänomene) davon antisemitisch 2012 143 35 2013 140 28 2014 188 35 2015 357 30 4. Laut der Drs. 21/8611 erfasst das „Mobile Beratungsteam gegen Rechtextremismus“ (MBT Hamburg) des Trägers Arbeit und Leben Hamburg „im Rahmen seiner Recherche- und Monitoringaufgaben auch rechte, rassistische und antisemitische Aktivitäten unterhalb dieser Schwelle“. a) Wie viele und welche antisemitischen Aktivitäten von jeweils welchem Täterkreis (rechtsextrem, linksextrem, muslimisch, andere) wurden hier von MBT Hamburg in den Jahren 2011 bis 2016 erfasst? Bitte nach Jahren aufschlüsseln. Das MBT betreibt ein regelhaftes Monitoring, indem täglich (extrem) rechte Webseiten und Publikationen, Aktivitäten von (extrem) rechten Organisationen und Akteurinnen und Akteuren beobachtet und darüber hinaus über zivilgesellschaftliche Netzwerke sowie die Auswertung behördlicher Meldungen Erkenntnisse über (extrem) rechte Strukturen und Aktivitäten gesammelt werden. Quantitative Erhebungen werden dabei nicht vorgenommen, vielmehr werden qualitativ Akteurinnen und Akteure, gesellschaftliche Handlungsfelder, Diskurse und Handlungsformen beobachtet. Linksextremismus oder religiös begründeter Extremismus sind aufgrund der Aufgabenstellung des MBT nicht Teil dieses Monitorings. Drucksache 21/9096 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 b) Inwieweit haben die seit 2011 erlangten Erkenntnisse von MBT zur Weiterentwicklung der Arbeit beigetragen? Bitte konkrete Beispiele und Maßnahmen benennen. Das MBT hat aufgrund des Monitorings und einer inhaltlichen Beschäftigung mit den aktuellen Erscheinungsformen des Antisemitismus Kooperationsstrukturen, Beratungsangebote und vor allem die Bildungsarbeit weiterentwickelt. So wurden beispielsweise Bildungsveranstaltungen durchgeführt mit Zielgruppen wie Schulklassen oder einer Gruppe der Jüdischen Gemeinde. Ein vom MBT herausgegebener Bildungsbaustein gegen Antisemitismus stärkt diesen präventiven Bereich der Projektarbeit und stieß auf großes Interesse. 5. Außerdem würde „empower – Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“ des Trägers Arbeit und Leben Hamburg „neben den strafrechtlich relevanten Vorfällen im Rahmen seiner Beratungsarbeit ebenfalls qualitative Aspekte zu rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“ erfassen. a) Wie viele und welche strafrechtlich relevanten antisemitischen Vorfälle hat empower seit seiner Gründung 2015 bis 2016 erfasst? Bitte nach Jahren und Täterkreisen aufschlüsseln. Bei seinem Monitoring differenziert empower nicht nach strafrechtlicher Relevanz von Vorfällen. Eine entsprechende Aufschlüsselung ist daher nicht möglich. Die Beratungsstelle empower erhebt keine täterbezogenen Daten. b) Wie viele und welche „qualitativen Aspekte“ antisemitischer Gewalt hat empower seit seiner Gründung 2015 bis 2016 erfasst? Bitte nach Jahren und Täterkreisen aufschlüsseln. empower erfasst qualitative Daten im Sinne der Schwere der Taten und der Unsicherheiten , die diese hervorbringen. Dabei werden auch individuelle Bedrohungssituationen und verbalverletzendes Verhalten erhoben, die unterhalb der strafrechtlichen Relevanz liegen. Auch werden die Felder und Institutionen, in denen es zu antisemitischen Vorfällen kommt, in qualitativer Hinsicht erfasst. Im Übrigen siehe Antwort zu 5. a). c) Inwieweit haben diese zur Weiterentwicklung der Beratungsarbeit beigetragen? Bitte konkrete Beispiele und Maßnahmen benennen. In der Beratungsarbeit findet jeweils immer eine konkrete Analyse der Bedürfnisse der Betroffenen statt, dementsprechend wird eine individuelle und ressourcenorientierte Unterstützung angeboten. Zur konkreten Ausgestaltung der Beratungsarbeit können aus Datenschutzgründen keine Angaben gemacht werden. Neben der individuellen Betroffenenberatung hat empower in Zusammenarbeit mit der Zentralen Wohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland in Berlin eine Weiterbildung zur Beratungsarbeit durchgeführt. Zudem ist für dieses Jahr eine Broschüre mit dem Fokus auf Antisemitismus geplant. 6. Wie viele Opfer von antisemitischen Vorfällen haben sich im Zeitraum von 2011 bis 2016 an a) MBT beziehungsweise b) empower gewandt? Bitte nach Jahren und Täterkreis aufschlüsseln. In Abgrenzung der drei Säulen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ (Mobile Beratung – Opferberatung – Ausstieg) ist nicht das MBT für die Beratung von Betroffenen, die Opfer eines Vorfalles geworden sind, zuständig, sondern die Beratungsstelle empower. Bis zur Etablierung von empower hat das MBT die damals noch existierende Lücke bei sich ergebenden Bedarfen interimsmäßig geschlossen. Daten der Ratsuchenden von 2011 bis 2015 wurden entsprechend der Datenschutzbestimmungen gelöscht. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9096 5 2015 hat eine Person zum Themenfeld Antisemitismus Beratung von empower in Anspruch genommen. 2016 hatte empower sieben Betroffene im Themenbereich Antisemitismus in der Beratung. Täterbezogene Daten werden von empower nicht erhoben. 7. Auch können sich Opfer an die Antidiskriminierungsstelle amira des Trägerverbundes verikom und basis & woge e.V. wenden. Wie viele Opfer von antisemitischen Vorfällen haben sich im seit deren Gründung im Jahr 2014 an diese gewandt? Bitte nach Art der Vorfälle, Jahren und Täterkreis aufschlüsseln. 2015 haben sich zwei Familien aufgrund von Antisemitismus an die Beratungsstelle amira gewandt. Bei den Vorfällen handelte es sich in einem Fall um einen Streit zwischen Schülern, im zweiten Fall um einen Nachbarschaftsstreit. Im Jahr 2016 gab es einen weiteren Beratungsfall zu Antisemitismus, bei dem es sich ebenfalls um einen Nachbarschaftsstreit handelte. 8. Welche Rolle spielt der wachsende Antisemitismus muslimischer Kreise bei der Bildungsarbeit a) des LI, Es liegen keine validen Studien vor, die einen wachsenden Antisemitismus muslimischer Kreise belegen. Antisemitismus wird am LI daher als gesamtgesellschaftliches Problem behandelt. Das LI bietet schulinterne und zentrale Beratungs- und Fortbildungsangebote zu den unterschiedlichen Erscheinungsformen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit an (Islamismus, Islamfeindlichkeit, Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus). Die zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besuchen regelmäßig Fach-Fortbildungen zur Antisemitismus-Prävention. Zudem besteht über den Arbeitskreis „Neue Wege“ ein Austausch mit der Türkischen Gemeinde und der Jüdischer Gemeinde. Im Übrigen siehe Drs. 21/5315. b) des MBT Hamburg und Die Bildungsarbeit gegen Antisemitismus des MBT thematisiert Judenfeindschaft in unterschiedlichen Dimensionen (Judenfeindschaft auf der individuellen Ebene, als voll entwickelte Ideologie oder Weltanschauung, als bewusstes Ressentiment, als latente Einstellung, als unreflektierte Übernahme einzelner antisemitischer Stereotype) und verschiedenen Formen (beispielsweise Schuldabwehrantisemitismus oder antisemitische Wahrnehmungen des Nahostkonflikts). Die Angebote der Bildungsarbeit werden angesichts dieser verschiedenen Facetten des Antisemitismus auf die konkreten Zielgruppen hin, deren Erfahrungen, Wissensbestände und Einstellungen hin feinkonzipiert . c) von empower? empower bietet Bildungsarbeit zu Themenbereichen des Antisemitismus wie zum Beispiel sekundärem Antisemitismus und antisemitischen Einstellungen, die sich in Kritik an Israel zeigen, für unterschiedliche Zielgruppen an. Dabei gilt es, mit Sicht auf die Zielgruppe, auch eigene Einstellungen kritisch zu reflektieren und die Perspektiven von Betroffenen zu stärken, um in allen gesellschaftlichen Gruppen Antisemitismus weiter abzubauen. 9. Auch das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg sammelt Informationen über antisemitische Bestrebungen. a) Inwieweit arbeitet dieses jeweils mit den zuvor genannten Stellen zusammen? Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) kooperiert mit diesen Stellen im Rahmen seiner Mitarbeit im Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus. b) Welche über die Anmerkungen im jährlichen Verfassungsschutzbericht hinausgehenden Erkenntnisse liegen dem LfV über einen wachsenden Antisemitismus in muslimischen Kreisen vor? Keine. Drucksache 21/9096 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 6 10. Drs. 21/8708 verweist auf das Hamburger Modellprojekt der Türkischen Gemeinde und der Jüdischen Gemeinde „Neue Wege“. Dieses leiste Präventionsarbeit zu Antisemitismus bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund . a) Seit wann gibt es das Projekt? b) Welche Maßnahmen sind damit verbunden? Die Projektstruktur gliedert sich in vier Säulen, die die inhaltliche Arbeit bestimmen und in denen Maßnahmen stattfinden: Das Projekt setzt in Form von Workshops interreligiöse Begegnungen mit Jugendlichen um, in denen sich diese mit unterschiedlichen Erscheinungsformen des Antisemitismus in Geschichte und Gegenwart auseinandersetzen. Mit dem methodischen Ansatz der Biografiearbeit werden Peer Guides aktiv, indem diese jüdische Biografien recherchieren, die Berührungspunkte in Hamburg und der Türkei aufweisen. Ein Fachkräfte-Arbeitskreis, der aus Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftlern , Lehrerinnen und Lehrern sowie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern besteht, begleitet kritisch und beratend die Jugendarbeit und die Projektaktivitäten. Es finden regelmäßig Veranstaltungen rund um das Thema Antisemitismus statt, um auch weitere Zielgruppen aus der muslimisch-migrantischen Gesellschaft zu erreichen und eine Debatte anzustoßen. c) Wie viele Jugendliche wurden insgesamt und in jeweils welchen Stadtteilen erreicht? Bitte nach Jahren aufschlüsseln. 2016 wurden 60 Jugendliche erreicht. Die entsprechenden Stadtteile werden nicht statistisch erhoben, es zeichnet sich aber ein Schwerpunkt in den Stadtteilen Altona, Eimsbüttel und Lurup ab. 2017 wurden 26 Jugendliche überwiegend in den Stadtteilen Altona, Eimsbüttel, Lurup erreicht. d) Durch wen erfolgt die Finanzierung in jeweils welcher Höhe? Bitte nach Jahren aufschlüsseln. Siehe Drs. 21/7939. 11. Drs. 21/8708 weist darauf hin, dass auf die Hamburger Angebote im Internet und durch den Flyer „Hamburg bekennt Farbe gegen Rechtsextremismus “ informiert werde. a) Wie viele Flyer wurden davon gedruckt und innerhalb welches Zeitraums verteilt? Das Faltblatt „Hamburg bekennt Farbe – gegen Rechtsextremismus“ mit dem Untertitel „Beratungsangebote für Betroffene, Ratsuchende, Engagierte und Ausstiegswillige“ wurde Ende 2016 in deutschsprachiger Fassung und Anfang 2017 in mehrsprachiger Fassung publiziert. Von der deutschsprachigen Fassung wurden 20.000 Exemplare gedruckt, von der mehrsprachigen Fassung 10.000 Exemplare. Im Rahmen einer Versandaktion wurden jeweils zunächst rund 7.000 Exemplare an Einrichtungen mit Publikumsverkehr beziehungsweise Bildungs- und Beratungsfunktion in der Stadt versandt, darunter unter anderem an Bezirksämter, Wohlfahrtsverbände, Religionsgemeinschaften und kirchliche Institutionen, das Flüchtlingszentrum, die Öffentlichen Bücherhallen, die Hamburger Volkshochschule sowie an Integrationszentren. Darüber hinaus erfolgt stetig eine Verteilung über die Mitgliedsinstitutionen des Hamburger Beratungsnetzwerkes gegen Rechtsextremismus sowie anlassbezogen im Rahmen von Fachtagungen sowie sonstigen Veranstaltungen. Der Flyer ist im Übrigen nur eine Möglichkeit, den Weg zu den Beratungsinformationen im Internet zu finden. b) Bezieht sich dieser Flyer nicht auf eine Veranstaltung im Jahr 2015? Gibt es keine neuen Flyer? Wenn es keine neuen Flyer gibt: Warum nicht und zu wann soll dieser Missstand behoben werden? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9096 7 Das Faltblatt ist terminneutral und bezieht sich auf keine Veranstaltung. Es informiert zeitlich unabhängig über das Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus sowie die darin verorteten Beratungsprojekte. c) Wie wird in dem Flyer deutlich gemacht, dass er auch Informationen für Personen enthält, die nicht Opfer von Rechtsextremismus, sondern anderer extremistischer Ausprägungen geworden sind? Sollte dies nicht deutlich gemacht werden: Wie werden die Opfer anderer extremistischer Ausprägungen stattdessen informiert? Der Flyer enthält gemäß seiner thematischen Ausrichtung ausschließlich Informationen zu Beratungsangeboten für Betroffene, Ratsuchende, Engagierte und Ausstiegswillige im Themenfeld Rechtsextremismus. 12. Wie viele Juden leben derzeit in Hamburg? In der amtlichen Statistik wird die Zugehörigkeit zu einer Religion nicht erfasst. Hilfsweise können die Angaben des Hamburgischen Melderegisters herangezogen werden , die jedoch nicht validiert sind. Im Melderegister sind aktuell 2.152 Personen mit dem Merkmal „jh-jüdische Gemeinde“ gespeichert (Stand: 16. Mai 2017). Enthalten sind in dieser Zahl sowohl Haupt- als auch Nebenwohnsitze. 13. Welche jüdischen Einrichtungen werden derzeit von der Polizei mit jeweils wie viel VZÄ wie viele Stunden am Tag sicherheitsüberwacht? Wie viele Vorfälle wurden seit 2011 hier an jeweils welchem Standort vermerkt? Bitte nach Art und Jahren aufschlüsseln. Die Polizei führt derzeit an zwei jüdischen Einrichtungen durchgängig vor Ort Objektschutzmaßnahmen durch. Darüber hinaus berührt die Frage nach den Örtlichkeiten und eingesetzten Polizeibediensteten die Einsatztaktik der Polizei, zu der aus grundsätzlichen Erwägungen keine Angaben gemacht werden. Statistiken über Einsätze im Zusammenhang mit zu bewachenden Einrichtungen werden von der Polizei nicht geführt. Für die Beantwortung der Frage wäre eine manuelle Durchsicht aller einschlägigen Vorgänge der letzten fünf Jahre der örtlich zuständigen Polizeidienststellen erforderlich. Die Auswertung mehrerer Tausend Vorgänge ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Im zuständigen LKA 7 sind allgemein nur sehr wenige Sachverhalte unterhalb der Schwelle zur Strafbarkeit erinnerlich. 14. In welcher Art und Weise und Höhe bezuschusst der Senat die zusätzlichen privaten Sicherheitsmaßnahmen bei jüdischen Einrichtungen in Hamburg? Welche Kosten verursachen diese Sicherheitsmaßnahmen insgesamt? Bitte auch nach Standorten aufschlüsseln. Der Senat bezuschusst keine zusätzlichen privaten Sicherheitsmaßnahmen bei jüdischen Einrichtungen in Hamburg. 15. Im Laufe der letzten Jahre gab es immer wieder Medienberichte über Antisemitismus, hier vor allem migrantischen Antisemitismus, an Schulen . a) Welche Stelle sammelt hierzu Informationen? Diese Daten werden von der zuständigen Behörde nicht zentral erfasst. Schulische Fachkräfte, die mit entsprechenden Vorfällen konfrontiert werden, können sich bei den Schulleitungen und Beratungsdiensten der Schulen, den Regionalen Bildungs- und Beratungszentren (ReBBZ), verschiedenen Referaten des LI und der Beratungsstelle Gewaltprävention Unterstützung holen. Bei der Polizei Hamburg sammelt die Staatsschutzdienststelle die erfragten Informationen , sofern diese für Ermittlungsverfahren oder Präventionsmaßnahmen relevant sind. b) Wie viele Fälle von Antisemitismus an Schulen seit dem Jahr 2011 liegen dieser Stelle vor? Bitte nach Art und Jahren aufschlüsseln. Drucksache 21/9096 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 8 Im Jahr 2016 hat das LI in drei Fällen Lehrkräfte zum Umgang mit antisemitischen Erscheinungsformen LI beraten. Bei der Polizei sind im Zeitraum 1. Januar 2012 bis 31. März 2017 sieben Straftaten im Sinne der Fragestellung registriert; zu den Löschfristen siehe Antwort zu 3. Zu den einzelnen Sachverhalten siehe folgende Tabelle; Angaben zum Jahr 2017 sind vorläufig : Jahr Deliktsbezeichnung Extremismus Phänomen Kurzsachverhalt 2012 § 130 StGB Volksverhetzung ja PMK - rechts antisemitische Beleidigungen unter Schülern 2013 § 130 StGB Volksverhetzung ja PMK - rechts antisemitische Äußerung in einer Klassenarbeit 2015 § 86a StGB Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ja PMK - rechts Unbekannte Täter sprühten in einem Gebäude einer ehemaligen Schule vier Hakenkreuze und die Parole: „Juden raus“ sowie „ACAB“ an Wände 2015 § 86a StGB Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ja PMK - rechts Unbekannte Täter schmierten auf dem Gelände eines Gymnasium diverse spiegelverkehrte Hakenkreuze und die Schriftzüge: „NSDAP“; „HH88“; „Heil“; „Heil Hitler“; „Ausländer“ und „Bulk=Juden Ausschwitz“ an die Fassaden 2016 § 86a StGB Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ja PMK - rechts Unbekannte Täter schmierten diverse Hakenkreuze, die Zahl „88“, SS-Runen; sowie die Schriftzüge : „Ein Reich ein Führer“; „Nazi Schule“; „Heil Hitler“; „A. Hitler war hier“; „nicht für Juden“; „NPD: toll“ und „Juden vergasen“ an mehrere Gebäudeteile einer Schule. 2016 § 86a StGB Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ja PMK - rechts Unbekannte Täter schmierten an die Wand eines Treppenhauses einer Schule „A.C.A.B.“, „HH88“, „Fuck (gemalter Judenstern) jews“ 2016 § 130 StGB Volksverhetzung ja PMK - rechts antisemitische Äußerung unter Schülern c) Welche Informationen über Entwicklung und Ausprägung liegen dem Senat zusätzlich vor? Weitergehende Informationen liegen den zuständigen Behörden nicht vor. d) Wie viele Lehrer wurden seit 2011 am LI zum Thema Antisemitismusprävention geschult? Bitte nach Jahren aufschlüsseln. In den Jahren 2011 bis 2015 wurden die angebotenen Fortbildungen nicht nachgefragt . Im Jahr 2016 haben insgesamt 52 Lehrkräfte an Fortbildungen zur Antisemitismusprävention teilgenommen, im Jahr 2017 bisher elf Lehrkräfte.