BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/9101 21. Wahlperiode 23.05.17 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Prof. Dr. Jörn Kruse (AfD) vom 15.05.17 und Antwort des Senats Betr.: Staatsvertrag mit den Muslimen – Artikel 6 Religionsunterricht Im November 2012 hat der Senat einen Staatsvertrag mit den islamischen Religionsgemeinschaften Hamburgs geschlossen. Aufgrund schwerwiegender Verfehlungen einiger Vertragspartner ist das Traktat seither immer wieder in die Kritik geraten, mit der Folge, dass mittlerweile von verschiedenen Seiten Stimmen nach einer Aufkündigung laut wurden. Aus diesem Grund verlangen zahlreiche Bürger der Stadt nach Klarheit. Da der Vertragstext an vielen Stellen nicht präzise formuliert ist, sondern stets einen gewissen Interpretationsspielraum lässt, wird der Senat dazu aufgefordert, im Folgenden Präzisierungen vorzunehmen. In Artikel 6 des Staatsvertrages heißt es: (1) Die Vertragsparteien sind sich einig in der Anerkennung der Bedeutung, des Wertes und der Chancen des an den staatlichen Schulen der Freien und Hansestadt Hamburg erteilten Religionsunterrichts in gemischtkonfessionellen Klassenverbänden und Lerngruppen. Sie streben deshalb im Rahmen von Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes eine Weiterentwicklung an, deren Ziel es ist, eine Verantwortungsstruktur für die Inhalte des Religionsunterrichts im Rahmen von Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes zu schaffen, die sowohl alle Religionsgemeinschaften im verfassungsrechtlichen Sinne gleichberechtigt am Religionsunterricht beteiligt , als auch einen gemeinsamen Unterricht von Schülerinnen und Schülern unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit ermöglicht, um so die bestehende dialogische Form des Religionsunterrichtes zu erhalten. Das Nähere wird gesondert geregelt. (2) Ungeachtet des Absatzes 1 anerkennt die Freie und Hansestadt Hamburg das Recht der islamischen Religionsgemeinschaften, bei Vorliegen aller gesetzlichen Voraussetzungen die Erteilung eines besonderen islamischen Religionsunterrichts nach Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes verlangen zu können. Protokollerklärung zu Artikel 6 Absatz 1 Die Vertragsparteien sind sich darüber einig, dass innerhalb der kommenden fünf Jahre Schulpraxis, Didaktik und Rahmenpläne, Lehrerbildung und -zulassung sowie der institutionelle Rahmen für den Religionsunterricht nach Maßgabe von Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes weiterentwickelt werden sollen. Dies soll durch eine Arbeitsgruppe erfolgen, die aus Vertreterinnen und Vertretern der zuständigen Behörde sowie aus Vertreterinnen und Vertretern solcher Religionsgemeinschaften besteht, die beabsichtigen, die Inhalte eines Religionsunterrichts in gemischtkonfessionellen Klassenverbänden und Lerngruppen in Hamburg zu verantworten. Die Arbeitsgruppe legt ihre Ergebnisse den jeweiligen Entscheidungsgremien zum Beschluss Drucksache 21/9101 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 vor. Die Beteiligten beachten die ihnen durch Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes zugewiesenen Funktionen. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Fragesteller unterstellt mit der Vorbemerkung neben einer behaupteten Unklarheit der Verträge mit den islamischen Religionsgemeinschaften auch schwerwiegende Verfehlungen einzelner Vertragspartner, ohne diese aber zu belegen. Auch die behauptete Unklarheit des Bedeutungsgehalts einzelner Vertragsbestimmungen besteht tatsächlich nach Auffassung des Senats nicht. Entsprechend der Tradition der bereits mit anderen Konfessionen geschlossenen religionsverfassungsrechtlichen Verträge sind auch die Verträge mit DITIB, SCHURA und VIKZ sowie der Alevitischen Gemeinde in ihren Inhalten eher zurückhaltend ausgestaltet und bestätigen und bekräftigen im Wesentlichen bereits bestehende Rechte und Pflichten. Sie unterscheiden sich von den Verträgen mit den körperschaftlich organisierten Religionsgesellschaften aber aufgrund der Tatsache, dass bei diesen der Aspekt der Rechtstreue bereits die Grundlage für die Verleihung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts bildete. Einzelne Gesichtspunkte der gemeinsam anerkannten Wertegrundlagen sind ausdrücklich geregelt worden, um ihrer zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung erkannten Virulenz im politischen und gesellschaftlichen Diskurs Rechnung zu tragen. Der Senat hat mit der Vorlage der Verträge zur Zustimmung durch die Bürgerschaft umfassend die Ausgangslage und die Bedeutung auch der Einzelregelungen dargelegt und begründet, siehe Drs. 20/5830. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Worin bestehen die Bedeutung, der Wert und die Chancen von Religionsunterricht in gemischtkonfessionellen Klassenverbänden im Einzelnen ? Schülerschaft und Schulwirklichkeit in Hamburg sind von einer Vielfalt von Kulturen, Religionen und Weltanschauungen geprägt. Der Religionsunterricht macht deshalb die Schülerinnen und Schüler mit wesentlichen Inhalten des Christentums des Protestantismus , des Katholizismus und der Orthodoxie, aber auch des Judentums, des Islams und des Buddhismus sowie gegebenenfalls auch anderer Religionen bekannt. Gemeinsamkeiten und Unterschiede werden herausgearbeitet. In der exemplarischen Beschäftigung mit Elementen religiöser und weltanschaulicher Traditionen werden die in ihnen enthaltenen Angebote existenzieller Selbstvergewisserung und Möglichkeiten ethischer Orientierung erschlossen. Ein besonderer Stellenwert kommt der theologischen Begründung der Menschenwürde zu. Kontroversen und Konflikte zwischen Religionen werden nicht ausgeblendet. Angesichts der religiösen Vielfalt ist für ein gelingendes Zusammenleben aber die Fähigkeit , sich im Dialog zu begegnen, wichtig. Durch seine dialogische Grundstruktur ermöglicht der Religionsunterricht in gemischtkonfessionellen Lerngruppen in besonderer Weise, dass Schülerinnen und Schüler von Beginn an lernen, dieser Vielfalt sensibel und dialogorientiert, mit Respekt, Verständigungsbereitschaft, wechselseitiger Wertschätzung und Anerkennung von Differenz zu begegnen. Im Religionsunterricht wird Dialogkompetenz im Dialog erworben. Deshalb wird darauf geachtet, dass die emotionale und intellektuelle Atmosphäre im Unterricht von gegenseitiger Achtung und Neugier, von wachem Interesse für Eigenes und Fremdes getragen wird und dass sich niemand in seiner Identität missachtet oder sich bedroht fühlt (vergleiche Rahmenpläne Religion, 2011). Religionsunterricht ist damit ein wichtiger Ort an der Schule, Toleranz zu einzuüben. 2. Was genau ist unter einer „Weiterentwicklung“ beziehungsweise der „Schaffung einer Verantwortungsstruktur für die Inhalte des Religionsunterrichts “ sowie einer „gleichberechtigten Teilnahme“ zu verstehen? Die Weiterentwicklung umfasst die Anpassung des bisherigen „Religionsunterrichts für alle in evangelischer Verantwortung“ an eine durch die beteiligten Religionsgemeinschaften gleichberechtigt wahrgenommene Verantwortung für die Gestaltung des Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9101 3 Religionsunterrichts. Hieraus resultiert Änderungsbedarf mit Blick auf Didaktik und Rahmenpläne, Lehrkräfteausbildung, -zulassung und -fortbildung, den institutionellen Rahmen des Religionsunterrichts und schließlich auch die Schulpraxis. Die „gleichberechtigte Beteiligung“ sichert die verfassungsrechtlich notwendige Übereinstimmung des Religionsunterrichts mit den Grundsätzen jeder einzelnen beteiligten Religionsgemeinschaft . 3. Was ist mit „besonderem islamischen Religionsunterricht“ gemeint? 4. Welche sind die gesetzlichen Voraussetzungen dafür? „Besonderer islamischer Religionsunterricht“ im Sinne von Artikel 6 Absatz 2 des oben zitierten Vertrags wäre ein Religionsunterricht auf Grundlage von Artikel 7 Absatz 3 Grundgesetz (GG) beziehungsweise § 7 Absatz 1 Hamburgisches Schulgesetz (HmbSG), der als konfessionell getrennter Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der islamischen Religionsgemeinschaften erfolgt. 5. Haben die islamischen Religionsgemeinschaften bislang schon einmal nach einem „besonderen islamischen Religionsunterricht“ verlangt? Falls ja, wann, wo und warum? Nein. 6. Hat die der Protokollerklärung zu Artikel 6 genannte Arbeitsgruppe bereits ihre Tätigkeit aufgenommen? Falls ja, seit wann? Siehe Drs. 20/12206. 7. Womit beschäftigt sich diese Arbeitsgruppe gegenwärtig? Siehe Antwort zu 2. 8. Wer gehört seitens der islamischen Religionsgemeinschaften der Arbeitsgruppe an? Bitte auch angeben, welcher Organisation die einzelnen Mitglieder angehören. Der Arbeitsgruppe gehören Personen an, die von der für Bildung zuständigen Behörde sowie von den beteiligten islamischen Religionsgemeinschaften (DITIB-Nord, Schura-Hamburg sowie der VIKZ) und der Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland , der Alevitischen Gemeinde Deutschland und der Jüdischen Gemeinde Hamburg beauftragt worden sind. Die Arbeit wird unterstützt durch themenbezogene Entwicklungsgruppen, deren Zusammensetzung je nach Sachgegenstand und Arbeitsauftrag variiert. 9. Welche Voraussetzungen müssen die von den islamischen Religionsgemeinschaften bestimmten Teilnehmer der Arbeitsgruppe erfüllen, um sich mit der Schulpraxis, der Didaktik, den Rahmenplänen sowie der Lehrerbildung und -zulassung an Hamburger Schulen befassen zu können ? Ist hier etwa ein akademischer Abschluss vonnöten? Die muslimischen Vertreterinnen beziehungsweise Vertreter in der Arbeitsgruppe müssen jeweils von den sie entsendenden Religionsgemeinschaften beauftragt sein. In die Arbeitsprozesse sind theologische Expertinnen beziehungsweise Experten und schulische Lehrkräfte mit entsprechender Fakultas der einzelnen beteiligten Religionen eingebunden. 10. Hat die Arbeitsgruppe in der Vergangenheit bereits Ergebnisse vorgelegt ? Falls ja, wann und wie sehen diese aus? Falls nein, wann wird eine Präsentation der Ergebnisse voraussichtlich erfolgen? Siehe. Drs. 20/12206. Drucksache 21/9101 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 11. Welches sind die Entscheidungsgremien? Über die von der Arbeitsgruppe erarbeiteten Unterlagen und Materialien (unter anderem didaktische Materialien und Lehrpläne) entscheiden die Gemischten Kommissionen , denen Vertreterinnen und Vertreter der zuständigen Behörde und der jeweiligen Religionsgemeinschaften angehören; siehe auch Drs. 21/7840 und Drs. 21/2581.