BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/9109 21. Wahlperiode 23.05.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Sabine Boeddinghaus (DIE LINKE) vom 15.05.17 und Antwort des Senats Betr.: Ergebnisse der Evaluation des Pilotprojektes „BYOD – Start in die nächste Generation“ –Nachfragen zu Drs. 21/8153 Hinsichtlich meiner Anfrage zur Evaluation des Pilotprojektes „BYOD – Start in die nächste Generation“ an mehreren staatlichen Schulen in Hamburg (vergleiche Drs. 21/8153) ergeben sich anhand der Senatsantworten noch dringende Klärungs- und Informationsbedarfe. Ich frage den Senat: Die Auswertung des Pilotversuchs „Start in die nächste Generation“ beruhte auf der wissenschaftlichen Begleitung und der Evaluation durch die Universität Hamburg. Der Evaluationsbericht lag der zuständigen Behörde am 27. September 2016, also mehr als zwei Monate nach der Abschlussveranstaltung vor. Auf einer Pressekonferenz im Rathaus am 3. November 2016 haben der Präses der zuständigen Behörde und der Verfasser, Prof. Dr. Rudolf Kammerl, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen Nürnberg , ehemals Universität Hamburg, die Ergebnisse des Pilotprojekts gemeinsam dargestellt und Fragen der Journalisten dazu beantwortet. Der komplette Evaluationsbericht wurde zu diesem Zeitpunkt im Transparenzportal Hamburg veröffentlicht (siehe http://t.hh.de/7288404). Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Auf Frage 2. der Ursprungsdrucksache (Drs. 21/8153) nach Existenz von öffentlicher Kritik seitens der Wissenschaftler/-innen im Zuge der Projektevaluation und möglicher Einflussnahmen des Senats beziehungsweise der zuständigen Fachbehörde auf selbige, antwortete der Senat klar mit „Nein.“ Dennoch beweist ein in der Publikation „ZEIT ONLINE“ am 13. Juli 2016 veröffentlichtes Interview mit Herrn Prof. Dr. Rudolf Kammerl (damals leitender Wissenschaftler der Evaluation zu „BYOD“ an der Universität Hamburg, im Auftrag des Hamburger Senats) ganz offenkundig nicht nur die Existenz solcher Kritik, sondern die Aussagen des Professors belegen ferner, dass seine explizite Ausladung von der Abschlussveranstaltung zum Projekt im am 11. Juli 2016 in der Stadtteilschule Maretstraße durch den Senat beziehungsweise die zuständige Fachbehörde vollzogen wurde. Seinen Äußerungen nach, weil man befürchtete, dass die Ausweitung des Projektes auf weitere Schulen durch zu viele kritische Argumente erschwert werden könne (vergleiche dazu http://www.zeit.de/hamburg/stadtleben/2016-07/elbvertiefung-13-7- 16). Wie steht der Senat zu diesem Sachverhalt und weshalb wurde dies nicht in der Antwort in der Ursprungsdrucksache eingeräumt? Drucksache 21/9109 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 a. Mit welcher Begründung erfolgte die kurzfristige „Ausladung“ von Prof. Dr. Kammerl von der Veranstaltung, obschon er doch der leitende Wissenschaftler für die Beurteilung des Pilotversuchs war? Herr Prof. Dr. Rudolf Kammerl war zur Abschlussveranstaltung eingeladen und hat auch teilgenommen. Im Übrigen siehe Drs. 21/5248 und 21/8153. b. Wieso wurde von Senat beziehungsweise zuständiger Fachbehörde nicht schon zur Abschlussveranstaltung im Sommer auf positive wie negative Aspekte des „BYOD“-Projektes offen eingegangen? c. Inwiefern bestand durch diese Entscheidung aus Sicht von Senat und zuständiger Fachbehörde darin keine Diskreditierung der Glaubwürdigkeit der „BYOD“-Pilotphase und ihrer Ergebnisse und wurde dadurch nicht eine objektive Bewertung verhindert? Siehe Vorbemerkung. 2. Trifft es zu, dass bei der Auswahl des Podiums zur Abschlussveranstaltung am 11. Juli 2016 lediglich Vertreter/-innen von Schulen berücksichtigt wurden, die ausdrücklich positive Aspekte am Pilotprojekt vertraten? Wurden Teilnahmen oder Teilnahmeanfragen bestimmter Schulen beziehungsweise deren Vertreter/-innen zur Abschlussveranstaltung abgelehnt ? a. Wenn ja, wie wird dieses Vorgehen begründet und wie wird es hinsichtlich einer objektiven Auswertung aus Sicht des Senats beziehungsweise der zuständigen Fachbehörde gerechtfertigt? (Bitte in beider Hinsicht erläutern.) 3. Trifft es zu, dass kritische Eltern von Schülern/-innen, die an „BYOD“ teilnahmen, von der Abschlussveranstaltung am 11. Juli 2016 ausgeladen wurden beziehungsweise ihnen die Teilnahme an dieser verweigert worden ist? a. Wenn ja, wie wird dieses Vorgehen begründet und wie wird es von Senat beziehungsweise zuständiger Fachbehörde gerechtfertigt? b. Inwiefern wird darin senatsseitig kein Verstoß gegen die Transparenzpflicht und objektive Meinungsbildung gesehen, der den Charakter einer Informationsveranstaltung zum Abschluss eines Schulprojektes konterkariert? Nein. 4. Meinen Informationen zufolge wurden speziell im Vorfeld des Pilotprojektes , trotz anderslautender Versicherung der zuständigen Fachbehörde an die Eltern, erst auf wiederholtes Drängen der Elternschaft an den betroffenen Schulen einführende Infoveranstaltungen zum Projekt und dessen Anforderungen beziehungsweise Auswirkungen für die Eltern durchgeführt und auch dann nicht an allen teilnehmenden Schulen. Ist das korrekt? a. Wenn ja, mit welcher Begründung geschah das und inwiefern wurde dadurch die Informationspflicht gegenüber den Eltern von Senat und zuständiger Fachbehörde nicht verletzt? b. Wie ist dieses Vorgehen vor dem Hintergrund der Beteiligungsaufforderung an die Eltern für die Teilnahme ihrer Kinder in den entsprechenden Versuchsklassen zu rechtfertigen? c. Trifft es ferner zu, dass die stattgefundenen Infoveranstaltungen auch nur für die Eltern der teilnehmenden Schüler/-innen geöffnet waren? Wenn ja, mit welcher Begründung geschah das? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9109 3 Gemeinsam mit dem Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit wurde eine Elternbroschüre für die Teilnahme am Pilotprojekt erarbeitet, bei der die Eltern für die Teilnahme ihrer nicht volljährigen Kinder ihre Zustimmung erteilen konnten oder nicht. Zur Teilnahme am Pilotprojekt war die Zustimmung der Schulkonferenz und damit der Elternvertretung im Vorwege erforderlich. Die Schulen hatten unterschiedliche Konzepte für die Durchführung des Pilotprojektes an ihrer Schule. Die Information der Eltern über die Einzelheiten der Durchführung des Projektes oblag deshalb den beteiligten Pilotschulen und wurde von den Schulen eigenverantwortlich organisiert. 5. Welche Möglichkeiten für konkrete Nachfragen und Informationen wurden wann, durch wen und wie genau für die Eltern an den betreffenden Schulen bereitgestellt? a. Wie genau wurden die Schulen und deren Elternschaft über die Infoveranstaltungen hinaus durch Senat beziehungsweise die zuständige Fachbehörde während des Pilotprojektes informatorisch betreut? Eltern konnten sich jederzeit an die Schulleitung, die beauftragten Lehrkräfte und Projektleiterinnen und -leiter an den Schulen wenden. Im Übrigen siehe Drs. 21/8153 sowie Antwort zu 4. a. bis c. 6. Meinen Informationen nach wurden auch für die Eltern der teilnehmenden Schulen Abschlussinformationsveranstaltungen zum Pilotprojekt im Herbst 2016 von Senat beziehungsweise zuständiger Fachbehörde zugesichert, die allerdings dann doch nicht stattgefunden haben. Ist das korrekt? a. Wenn ja, weshalb wurde davon abgesehen und wie wird dieses Vorgehen gerechtfertigt? Die zuständige Behörde hat solche Abschlussinformationsveranstaltungen nicht zugesichert . 7. Meinen Informationen zufolge wurde für die Schüler/-innen, die über kein eigenes pilotprojekttaugliches Endgerät verfügten, ein Leihgerät von ihren Schulen gegen eine von den Eltern eingeforderte Leihgebühr zur Verfügung gestellt. Ist das korrekt? a. Wenn ja, mit welcher Rechtfertigung wurden dafür von den Eltern Kosten erhoben und warum wurden diese Kosten nicht von Senat beziehungsweise zuständiger Fachbehörde getragen? Jede Pilotschule hatte auf der Basis der Projektausschreibung ein eigenes, sozial einvernehmliches und diskriminierungsfreies Konzept entwickelt, wie Schülerinnen und Schülern, die kein eigenes Endgerät hatten, ein solches zur Verfügung gestellt werden konnte. Dieses haben die Schulen eigenverantwortlich umgesetzt. Der für Bildung zuständigen Behörde sind keine Vorgänge mit Leihgebühr bekannt. 8. Trifft es ferner zu, dass die Eltern für die eigenen Endgeräte ihrer Kinder eine kostenpflichtige zusätzliche Versicherung abschließen mussten? a. Wenn ja, mit welcher Rechtfertigung wurden dafür den Eltern Kosten übergeholfen und warum wurden diese Versicherungskosten nicht von Senat beziehungsweise zuständiger Fachbehörde getragen ? Eine Verpflichtung zum Abschluss einer Versicherung wurde seitens der für Bildung zuständigen Behörde nicht ausgesprochen. 9. Von Prof. Dr. Kammerl wurde in dem unter 1. angeführten Artikel (Interview ) die zusätzliche Medienkompetenz als Mehrwert des Pilotprojektes gegenüber der jeweiligen Kontrollgruppe ohne diesen digitalen Lernansatz verneint. Warum nimmt die abschließende Bewertung des Senats auf diesen Aspekt praktisch keinen Rückbezug? Wenn doch, an welcher Drucksache 21/9109 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Stelle im Bericht ist ein entsprechender Hinweis zu finden? (Bitte zitieren und Fundstelle angeben.) Im endgültigen Evaluationsbericht wird ein Mehrwert der zusätzlichen Medienkompetenz festgestellt (siehe http://t.hh.de/7288404). Der Bericht kommt zu ganz anderen Einschätzungen, wie die folgenden Zitate aus dem Bericht zeigen: „Fehlende grundlegende Medienkompetenz wurde nur selten kritisiert.“ (Seite 16) „Die Möglichkeit mehrere Geräte zu nutzen und zu erkennen, welches Gerät wann am sinnvollsten eingesetzt werden kann, trägt zur Stärkung der Medienkompetenz bei.“ (Seite 17) „Die selbsteingeschätzte Medienkompetenz der befragten Schülerinnen und Schüler fällt insgesamt positiv aus: 72 % gaben eine „eher hohe“, 15 % eine „hohe“ und 12 % eine „eher geringe“ Medienkompetenz an.“ (Seite 24) „Bei den jüngeren Generationen, also jüngere Schüler, Mittelstufe, ist es ein Motivationszuwachs und auch ein Medienkompetenzzuwachs. Weil wie gesagt, die können alle ihre Handys benutzen und auch ihre Tablets. Aber ein produktiver Einsatz gelingt den wenigsten Schülern. Ich denke da zum Beispiel auch an Internetrecherche . Alle kennen Google, aber wirklich vernünftig was suchen im Internet, das können viele noch nicht. Und das lernen sie dann bei uns.“ (I 5, § 52) (Seite 75) „Verbunden mit diesen Bemühungen war oft auch eine gesteigerte Motivation und Medienkompetenz der Schülerschaft wie der mediendidaktischen Kompetenz der Lehrkräfte selbst.“ (Seite 83) „Aus Sicht der Evaluation ist die Laufzeit des Projektes nicht ausreichend, um die Eignung des Ansatzes zur Verbesserung des Lernerfolges der Schülerinnen und Schüler sowie zur erweiterten Förderung von Medienkompetenz abschließend zu beurteilen.“ (Seite 110) 10. Den Antworten des Senats auf Fragen 10. – 12. zu den Strahlungsbelastungen zufolge wurden bei den Messungen die geltenden Strahlenschutzgrenzwerte hinsichtlich der Sendeleistung von Mobiltelefonen im Vorfeld des Pilotprojektes berücksichtigt und eingehalten. Beziehen sich die zugrunde gelegten Grenzwerte dabei auf die Nutzung eines Mobiltelefons ? a. Wenn ja, wieso wurde dabei nicht die gleichzeitige Nutzung von dutzenden Mobiltelefonen zur gleichen Zeit in einem komprimierten, kleinen Raum berücksichtigt, die sich demzufolge klar vervielfacht darstellt? Für das Projekt „Start in die nächste Generation“ ist in den Pilotschulen ein sicheres Funknetz für die Nutzung mit persönlichen Endgeräten aufgebaut worden, das ausschließlich von autorisierten schulischen Anwendern genutzt werden kann. Dieses wurde von einem unabhängigen Sachverständigen geprüft. Es wurde kein Netz eines öffentlichen Mobilfunkanbieters für Mobiltelefone verwandt. Im Übrigen siehe Drs. 21/8153. 11. Warum wurde im Abschlussbericht zum Pilotprojekt nicht explizit auf die Frage der Strahlenbelastung durch die notwendigen starken WLAN- Netzwerke und der dutzenden gleichzeitig stark in Betriebsleistung befindlichen Mobiltelefone (die ja die meist genutzten Endgeräte darstellten ) eingegangen? Die Universität Hamburg, Fachbereich Erziehungswissenschaften, hat das Projekt wissenschaftlich begleitet und mit dem Ziel, pädagogische Fragestellungen zu untersuchen , evaluiert. Die Überprüfung der technischen Infrastruktur war nicht Gegenstand dieser Evaluation und ist gesondert von der für Bildung zuständigen Behörde beauftragt worden. Für die Überprüfung durch einen unabhängigen Sachverständigen wurde eine Referenzschule ausgewählt, die alle baulichen, unter anderem Stahlbeton sowie sonstigen Beson- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9109 5 derheiten erfüllt hat, um ein Ergebnis zu erhalten, das eine grundsätzliche Aussage zuließ. Der Sachverständige hat festgestellt, dass alle verbauten Accesspoints weit unterhalb des zugelassenen Grenzwertes lagen. Damit sind die Vorgaben der Bundesnetzagentur eingehalten worden. Die gemessenen Leistungsparameter liegen weit unterhalb der möglichen Sendeleistung und somit auch unterhalb der Sendeleistung, die bei der Nutzung von Mobiltelefonen gemessen werden. Im Übrigen siehe Antwort zu 10. und Drs. 21/8153. 12. Unseren Informationen zufolge wurde das Pilotprojekt explizit von der Bertelsmann Stiftung und der Telekom initiiert beziehungsweise gefördert . Ist das zutreffend? a. Wenn ja, inwiefern ist es nach Ansicht von Senat beziehungsweise zuständiger Fachbehörde als gewährleistet anzusehen, dass ein Unternehmen wie die Telekom – das einen zumindest mittelbaren wirtschaftlichen Vorteil davon zu erwarten hätte, wenn ein solcher Schulversuch positiv bewertet und perspektivisch auf viele Schulen, wenn nicht auf alle Schulen Hamburgs ausgedehnt werden würde – als neutraler Partner für „BYOD“ angesehen werden kann? (Bitte ausführen.) b. Welche konkreten Erwägungen und Vereinbarungen wurden durch Senat beziehungsweise zuständige Fachbehörde im Vorfeld und während der Durchführung des Versuchs ergriffen, um die in 12. a. skizzierte Brisanz sich möglicherweise schädlich auswirkender Interessenskonflikte zu vermeiden? Nein. Das Projekt wurde weder durch die Bertelsmann Stiftung oder die Telekom- Stiftung noch durch eine andere Stiftung initiiert oder gefördert.