BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/9223 21. Wahlperiode 02.06.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Prof. Dr. Jörn Kruse und Dr. Bernd Baumann (AfD) vom 26.05.17 und Antwort des Senats Betr.: Wie stark leiden Hamburgs Wirtschaft und Arbeitsmarkt unter den Folgen der Russland-Sanktionen? Am 13. März 2017 hat die EU ihre Sanktionsmaßnahmen gegen Russland nunmehr um weitere sechs Monate bis September 2017 verlängert. Die damit verbundenen Ausfuhrbeschränkungen gehen nun schon ins vierte Jahr. So dürfen seit März 2014 im Zuge laufend ausgeweiteter Maßnahmenkataloge zahlreiche Güter und Dienstleistungen – vornehmlich solche mit militärischem Verwendungszweck oder mit „sensitiver Technologie“ sowie „Dual Use Güter“ und bestimmte Ausrüstungsgegenstände für den Öl- und Gassektor – nicht mehr nach Russland ausgeführt werden. Darüber hinaus gibt es für russische Finanzinstitutionen umfassende Beschränkungen sowohl für die Kapitalmärkte als auch für indirekte Finanzierungsmöglichkeiten . Russland hat im Gegenzug Einfuhrbeschränkungen – vornehmlich solche für landwirtschaftliche Produkte – gegenüber den Ländern erlassen, die sich an den Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland beteiligen. Die Hafenstadt Hamburg als bedeutender Handels-, Technologie- und Logistikstandort Deutschlands ist von den Sanktionen gegen Russland in besonderem Maße betroffen. Immerhin rangiert die Hansestadt mit einem Anteil von 7,3 Prozent an den deutschen Importen und 4,7 Prozent an den Exporten als Außenhandelsstandort nach den Flächenstaaten NRW, Baden- Württemberg, Bayern und Niedersachsen auf Platz fünf in Deutschland. Der Hafen hat über den Nord-Ostsee-Kanal eine günstige Verbindung in den baltischen Raum und nach Russland. Weiterhin verfügt Hamburg als Logistikstandort über eine exzellente verkehrstechnische Hinterland-Anbindung , auch nach Osteuropa. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass der Containerverkehr von und nach Russland aufgrund der EU-Sanktionsmaßnahmen erheblichen Schaden genommen hat. So ist nach Berechnungen von „Hafen Hamburg Marketing e.V.“ Russland als Handelspartner Hamburgs beim seeseitigen Containerverkehr 2015 von Platz zwei auf Platz drei hinter Singapur zurückgefallen . Bis 2016 ist der über den Hafen laufende Containerverkehr mit Russland sogar um rund ein Drittel rückläufig gewesen. Der seeseitige Containerverkehr zwischen Deutschland und Russland insgesamt brach im vergangenen Jahr 2016 nochmal ein. und zwar um 17,1 Prozent auf 0,8 Millionen TEU (Twenty-foot-Equivalent-Unit = Standardcontainer). Dieser Rückgang ist nach Einschätzung des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden Drucksache 21/9223 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 „auf die Sanktionsmaßnahmen der Europäischen Union infolge der Krimkrise zurückzuführen“.1 Die gravierenden Einbußen beim Containerverkehr Hamburgs sind nicht zuletzt Folge eines Hebeleffektes, da Russlandlieferungen beim Umschlag an Groß- und Feederschiffen – etwa bei der Weiterleitung von Containern über die Ostsee – regelmäßig doppelt ins Gewicht fallen. Die entsprechenden Rückschläge haben maßgeblich dazu beigetragen, dass Hamburg in der Rangliste beim Containerumschlag in Europa auf Platz drei hinter Antwerpen zurückgefallen ist. Besonders dramatisch haben sich die Warenexporte nach Russland entwickelt . Während es bei den grundstofflastigen Importen nur vergleichsweise geringe Einbußen gab, sind die Exporte aus Hamburg nach Russland nach Recherchen der Handelskammer seit dem Beginn der Sanktionen im März 2014 nahezu vollständig um 94(!!) Prozent weggebrochen. Dies verwundert nicht, da Russland-Exporte vor allem hochtechnisierte Produkte wie etwa Kraftfahrzeuge und Kraftwagenteile, Maschinen und Datenverarbeitungsgeräte betreffen. Deutlich rückläufig sind auch die Übernachtungszahlen von Gästen aus Russland. Diese sind in der Hansestadt gemäß der Studie der Handelskammer Hamburg von 2014 bis 2016 um rund ein Viertel zurückgegangen . Die Einbrüche im Außenhandel, beim Transport und im Gastgewerbe dürften in Hamburg nicht ohne Folgen für den Arbeitsmarkt geblieben sein. Schätzungen des österreichischen Wirtschaftsforschungsinstituts WIFO sprechen von bis zu 100.000 gefährdeten Arbeitsplätzen in Deutschland, was direkt oder indirekt auf die Russlandsanktionen zurückzuführen sei. Auf Hamburg heruntergerechnet, wo etwa 2,8 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland beschäftigt sind, würde dies bedeuten, dass etwa zweieinhalb- bis dreitausend Jobs auf Grund der Russland-Sanktionen gefährdet oder sogar schon vernichtet worden sind. Im Sommer 2015 hatte die Handelskammer Hamburg 56 Unternehmen zu den Auswirkungen der Sanktionen befragt. Zwei Drittel dieser Unternehmen lieferten Güter beziehungsweise Dienstleistungen nach Russland; 23 Prozent der befragten Unternehmen importierten solche Güter aus Russland. Eine Mehrheit dieser Unternehmen hielt die Sanktionsmaßnahmen der EU für wirkungslos ! Insgesamt mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen beklagte , von direkten und indirekten Auswirkungen der Russland-Sanktionen betroffen zu sein, wozu letztlich das veränderte wirtschaftliche Umfeld, die Rubelabwertung, protektionistische Maßnahmen und Einfuhrstopps sowie ein erschwerter Zugang zu Finanzierungen von Russlandgeschäften beitragen würden. Aufgrund ausfallender oder zeitlich zu streckender Projekte erwarteten schon damals 20 Prozent der von der Handelskammer befragten Unternehmen , bei einer Fortdauer der Sanktionen Mitarbeiter in Deutschland entlassen zu müssen. Dies vorausgeschickt fragen wir den Senat: Die zuständige Behörde steht im direkten Austausch mit der Handelskammer, Unternehmen , (Außenhandels-)Verbänden und der Hafenwirtschaft über die Auswirkungen der Sanktionen gegen die Russische Föderation und hält darüber hinaus die Kommunikation mit den russischen Partnerinnen und Partnern aufrecht. Regelmäßige Kontakte mit Russland, hier aufgrund der städtepartnerlichen Beziehung vor allem mit St. Petersburg, aber auch mit Moskau, dienen der Kontaktpflege und der Verbesserung der Rahmenbedingungen für die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen. 1 Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes vom 05.04.2017. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9223 3 Neben der zuständigen Behörde ist insbesondere Hafen Hamburg Marketing e.V. (HHM) im russischen Markt aktiv. Die Marktbearbeitung zum Nutzen der Mitgliedsunternehmen wird auch während der Sanktionen intensiv fortgesetzt werden. Die Auswirkungen der Sanktionen auf das Russlandgeschäft werden als eher gering eingeschätzt. Die Einschätzungen der Experten variieren zwischen 10 Prozent und maximal 30 Prozent. Der zuständigen Behörde sind keine Firmen im Einzelnen bekannt, die aufgrund der Russland-Sanktionen in existenzielle Schwierigkeiten geraten sind. Wirtschaftliche Folgen aufgrund der Sanktionen erwartet die zuständige Behörde auch künftig nicht in nennenswertem Umfang. Negative Auswirkungen auf den Handel mit Russland sind vor allem eine Folge der allgemein schlechten Wirtschaftslage in Russland . Die Sanktionen wirken nur zu einem geringen Anteil direkt auf die Handelsbeziehungen . Auch die indirekten Wirkungen, wie zum Beispiel fehlende Kaufkraft oder Zurückhaltung bei ausländischen Direktinvestitionen, lassen sich nur bedingt mit den (fort-)geltenden Sanktionsregimen erklären. Auch bei Betrachtung der gesamten Seegüter in den Jahren 2015 (erstes Gesamtjahr unter Sanktionswirkung) und 2016 ist der Rückgang relativ gering ausgefallen. Dies stand auch im Zusammenhang mit dem günstigen Rubel-Euro-Verhältnis. Der Rückgang bei containerisierten Konsum- und Investitionsgütern ist demgegenüber zwar erheblich stärker ausgefallen, allerdings ist dieser nicht im Kern in den EU-Sanktionen zu suchen, sondern vielmehr in den Gegenmaßnahmen Russlands im Nahrungs- und Genussmittelbereich, der den größten Posten im Versand nach Russland durch den Hamburger Hafen ausmacht. Es gibt insgesamt erste Konsolidierungszeichen. Positivere Wechselkurse zwischen Euro und Rubel sowie steigende Ölpreise können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es substanzielle Probleme in der russischen Wirtschaft gibt. Der Senat baut daher insbesondere auf die Modernisierungspartnerschaft, die die Bundesregierung mit der Russischen Föderation angestoßen hat. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Welche Initiativen hat der Senat ergriffen, um die Auswirkungen der Russland-Sanktionen auf die wirtschaftliche Lage von Unternehmen, die Hafen- und Transportwirtschaft sowie den Arbeitsmarkt in Hamburg zu bewerten und welche Ergebnisse sind dabei ermittelt worden? Falls nichts dergleichen unternommen wurde: warum nicht? Plant der Senat entsprechende Untersuchungen und, wenn ja, in welchem zeitlichen Rahmen mit welchen inhaltlichen Zielen? Bitte detailliert erläutern. 2. Sind dem Senat Einzelfälle von Unternehmen bekannt, deren wirtschaftliche Situation sich aufgrund der Russland-Sanktionen spürbar verschlechtert hat oder die gar schon wegen der Sanktionsfolgen Mitarbeiter entlassen mussten? Falls ja, um welche Unternehmen handelt es sich, wie haben sich die Auswirkungen dargestellt und welche Maßnahmen hat der Senat ergriffen , um diese Unternehmen in der nun kritischen Situation zu unterstützen ? 3. Welche wirtschaftlichen Folgen für Hamburg erwartet der Senat für die Zukunft aufgrund der weiter verlängerten Sanktionsmaßnahmen gegen Russland? Siehe Vorbemerkung.