BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/9224 21. Wahlperiode 02.06.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Bernd Baumann und Prof. Dr. Jörn Kruse (AfD) vom 26.05.17 und Antwort des Senats Betr.: Wie bereitet sich Hamburg auf die den Arbeitsmarkt künftig umwälzenden „Industrie 4.0“-Entwicklungen vor? Die „Digitale Revolution“ wird durch das „Internet der Dinge“ (IoT) beziehungsweise Industrie 4.0 noch tiefer, schneller und direkter in Gesellschaft und Arbeitsmärkte eindringen als bisher. Deutschland ist von diesen Trends in besonders hohem Maße betroffen. Eingehende Studien wie die der ING-DiBa-Bank schätzen, dass 59 Prozent aller Arbeitsplätze in Deutschland durch die zunehmende Digitalisierung gefährdet seien; demgegenüber identifizierte die Universität von Oxford in den USA „nur“ ein Gefährdungspotenzial von 47 Prozent. Die höhere Anfälligkeit des deutschen Arbeitsmarktes begründete die ING-DiBa mit dem vergleichsweise größeren Gewicht der Industrieproduktion in Deutschland. Überdies wird durch Industrie 4.0 zugleich der Stellenbedarf für hochkomplexe Tätigkeiten wachsen, was rasant steigende Ausbildungsanforderungen bedeutet und von dieser Seite zeitig vorbereitet werden muss. Dies vorausgeschickt fragen wir den Senat: Die „Digitale Revolution“ ist ein fortlaufender Prozess, der Veränderungen in der Arbeitswelt nach sich zieht. Da die mit der Digitalisierung einhergehenden Veränderungen der Arbeitswelt überwiegend global oder zumindest überregional und nicht spezifisch für Hamburg sind, gibt es nur wenige Studien mit einem rein regionalen Fokus. Zudem gilt: Je weiter der Vorhersagehorizont in die Zukunft reicht, je detaillierter einzelne Berufsgruppen betrachtet werden und je stärker der regionale Fokus ist, desto ungenauer die Voraussagen. So verschieden wie die Aussagen über neue Anforderungen sind, sind auch die Aussagen über den potenziellen Verlust oder Gewinn an Arbeitsplätzen. Dengler und Matthes kommen in ihrer Studie „Folgen der Digitalisierung für die Arbeitswelt. Substituierbarkeitspotenziale von Berufen in Deutschland“ (IAB-Forschungsbericht 11, 2015) etwa zu der Einschätzung, dass nur 15 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigen von einem „hohen Substituierbarkeitspotenzial“ betroffen seien – im Gegensatz zu den 59 Prozent in der genannten Studie der ING-DiBa-Bank. Allerdings basieren die Berechnungen dieser ohnehin schon weit auseinander liegenden Korridore stark auf Annahmen. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Methodik solcher Studien findet sich beispielsweise in dem Artikel „Arbeitswelt 4.0: Wohlstandszuwachs oder Ungleichheit und Arbeitsplatzverlust – was bringt die Digitalisierung?“ (ifo Schnelldienst 70 (07), 2017). Grundsätzlich ist bei der Einordnung von Studienergebnissen zu beachten, dass nicht alles, was theoretisch automatisiert werden kann, auch wirklich automatisiert wird. Insbesondere werden nur einzelne konkrete Tätigkeiten Drucksache 21/9224 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 innerhalb von Berufen und nicht zwingend ganze Berufe automatisiert. Darüber hinaus sollten bei Vorhersagen nicht nur die Gefährdungspotenziale durch digitale Technik quantifiziert werden, sondern auch die positiven Nachfrageeffekte von Produktinnovationen , Kosten- und Preissenkungen. Werden diese mit berücksichtig, so kann es laut jüngster Arbeitsmarktprognose des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales gelingen , wirtschaftliches Wachstum und Beschäftigung zu erzeugen. Dies setzt allerdings voraus, dass Politik und Wirtschaft eine technologische Vorreiterrolle einnehmen und die Bildungs- und Infrastrukturpolitik systematisch auf den digitalen Wandel ausrichten . Für den Senat ist die Veränderung der Arbeit durch Digitalisierung und Industrie 4.0 ein Prozess, den er ernst nimmt und der bereits von einer Vielzahl von Akteuren begleitet und adressiert wird. Dabei stehen der Dialog und die Interessen der Beschäftigten und der Unternehmen im Vordergrund. Das Aktionsbündnis Bildung und Beschäftigung Hamburg – Hamburger Fachkräftenetzwerk, welches aus verschiedenen Behörden der Freien und Hansestadt Hamburg, der Arbeitsverwaltung, Kammern sowie den Wirtschafts- und Sozialpartnern besteht, hat sich das Thema Digitalisierung sowie die sich daraus ergebenen Handlungsbedarfe im Bereich der Fachkräftesicherung als einen Schwerpunkt für die Arbeit des Jahres 2017 gesetzt. Darüber hinaus arbeitet die zuständige Fachbehörde im bundesweiten Prozess Arbeit 4.0 mit, in dem unter anderem das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) vorgelegte Weißbuch „Arbeiten 4.0“ inhaltlich begleitet wurde. Die Sozialpartner in der Metall- und Elektro-Industrie haben mit der Sozialpartnervereinbarung „Ausbildung 4.0“ Handlungsempfehlungen zu Aus- und Fortbildung für Industrie 4.0 beschlossen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat im Rahmen der Förderinitiative Mittelstand-Digital auch in Hamburg in Zusammenarbeit mit der Handelskammer Hamburg ein Mittelstand-4.0-Kompetenzzentrum zur Information und Demonstration eingerichtet, um mittelständische Unternehmen und Handwerksbetriebe bei der Digitalisierung und Vernetzung sowie Anwendung von Industrie 4.0 zu unterstützen. Die Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation (BWVI) bewegt das Thema in den Clustern. Im Luftfahrtcluster Hamburg Aviation beispielsweise ist der von der BWVI geförderte Verein Hamburg Centre of Aviation Training Lab (HCAT+) e.V. Kernpartner in einer Initiative der Airbus Operations GmbH (hr40.digital – http://www.airbus.piipe.de). Die Partner im HCAT+ e.V. arbeiten darüber hinaus an einem Konzept, um auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) stärker einzubinden. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Hat der Senat Studien darüber veranlasst beziehungsweise liegen ihm welche vor, a. wie sich in Hamburg die Anforderungs- beziehungsweise Ausbildungsprofile durch „Industrie 4.0“ für die nächsten Jahre verändern? b. wie viele neue Jobs dadurch geschaffen werden? Der Senat hat keine eigenen Studien beauftragt. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) beleuchtet mit Blick auf den Hamburger Arbeitsmarkt die Substituierbarkeitspotenziale : „Digitalisierung der Arbeitswelt/Folgen für den Arbeitsmarkt in der Freien und Hansestadt Hamburg“ (IAB-Regional, 5/2016) und „Relevanz der Digitalisierung für die Bundesländer: Saarland, Thüringen und Baden-Württemberg haben den größten Anpassungsbedarf.“ (IAB-Kurzbericht, 14/2016). Im Prognos Zukunftsatlas 2016 werden Hamburg, bezogen auf das Beschäftigungspotenzial und die Herausforderungen durch die Digitalisierung, hohe Zukunftschancen bescheinigt. Im Auftrag der Handelskammer Hamburg hat das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) im Rahmen der Dialogplattform Industrie 4.0 die Studie „Industrie 4.0 – Potenziale am Standort“ (2015) vorgelegt. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 2. Welche konkreten berufsqualifizierenden Initiativen und Maßnahmen plant der Senat, um das Erwerbspersonen-Potenzial Hamburgs auf die Anforderungen von „Industrie 4.0“ vorzubereiten? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9224 3 Zur Feststellung des Ist-Zustandes und der Entwicklungsbedarfe hat das Hamburger Institut für Berufliche Bildung am 27. April 2017 einen landesweiten Fachtag Berufsbildung 4.0 in Zusammenarbeit mit Wirtschaft und Verbänden durchgeführt. Die Auswertung des Fachtages ist noch nicht abgeschlossen. Nach der Initiierung durch den Fachtag wird das Thema Berufsbildung 4.0 in der beruflichen Erstausbildung im Rahmen der Lernortkooperation von den Berufsschulen gemeinsam mit der Wirtschaft weiter verfolgt und gestaltet. Ebenfalls in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft sind für die technischen Fachschulen Arbeitsprozessanalysen vorgenommen worden, die die Grundlage für die in Entwicklung befindlichen Bildungspläne bilden. 3. Hat der Senat Prognosen darüber veranlasst, wie hoch die Arbeitsplatzverluste in Hamburg aufgrund von Industrie 4.0 für die nächsten Jahre zu erwarten sind? Nein. 4. Wenn nein, warum nicht? Siehe Vorbemerkung. 5. Wenn ja, a. mit welchen Verlusten rechnet er für die Dekade? Bitte, wenn möglich , aufschlüsseln nach Branchen. b. wie viele Helferjobs fallen hierunter? c. wie viele Stellen für Fachkräfte fallen hierunter? Entfällt.