BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/9228 21. Wahlperiode 02.06.17 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Alexander Wolf (AfD) vom 26.05.17 und Antwort des Senats Betr.: Immer mehr Abiturienten und Wunderkinder – Absenkung der Leistungs - und Prüfungsanforderungen an Hamburger Gymnasien im Langzeitvergleich (IV) Die allgemeine Hochschulreife – früher ein Ausweis überdurchschnittlicher Begabung und Leistungsfähigkeit – ist bereits heute der Mehrheitsabschluss im Hamburger Schulsystem. Der schuljahrgangsbezogene Anteil der Schüler mit allgemeiner Hochschulreife an den allgemeinbildenden Hamburger Schulen liegt – infolge langfristiger Absenkungen der Leistungs- und Prüfungsanforderungen 1 – seit einigen Jahren bei über 50 Prozent und steigt kontinuierlich an. Im Vergleich dazu liegt der Abiturientenanteil bayerischer Schüler bei circa 30 Prozent.2 Eine wissenschaftliche Studie unter Leitung des Bildungsforschers Prof. Dr. Hans Peter Klein kommt zu dem Ergebnis, dass die Hamburger Abituraufgaben im Unterrichtsfach Mathematik seit Jahren immer leichter werden. „Von 2005 bis 2013 gibt es einen klaren Abstieg in den Anforderungen“.3 Die Autoren nennen als Gründe, dass von den Schülern immer weniger Aufgaben bewältigt werden müssen, die Prüfungszeit dafür aber nicht verkürzt worden sei. Außerdem sei die minimal erforderliche Punktzahl für das Bestehen der Abiturprüfung einfacher zu schaffen als zu Beginn des Untersuchungszeitraumes . Dazu Klein: „Waren in Mathematik im Grundkurs im Jahre 2005 noch drei Aufgaben in 270 Minuten zu lösen, sind es 2011 und 2012 selbst im Kurs auf erhöhtem Niveau nur noch zwei Aufgaben in 300 Minuten, man mag es kaum glauben. Selbst das nicht als Hardliner bekannte Nordrhein-Westfalen verlangt im Leistungskurs immer noch drei Aufgaben in 255 Minuten.“4 Des Weiteren bemängeln die Wissenschaftler, dass die Mathe-Aufgaben zunehmend mit langen und erläuternden Texten eingeleitet werden. Dahinter 1 Der Verweis auf die Einhaltung bundesweit geltender Bildungsstandards, die von der Kultusministerkonferenz in den Jahren 2003, 2004 beziehungsweise 2012 verabschiedet wurden (Drs. 21/8074), ist kein (hinreichend) aussagekräftiges Kriterium, um zu bewerten und gegebenenfalls zu belegen, dass auch unter Beachtung dieser Standards das Niveau der Hamburger Abiturprüfungen in den letzten Jahren nicht gesunken ist. 2 Vergleiche als Referenzwert die Statistik des Schuljahres 2013/2014: Bayerisches Landesamt für Statistik, unter: https://www.statistik.bayern.de/medien/statistik/bildungsoziales/ schu_absolventen_2013-2014.pdf (abgerufen am: 21.12.2016). 3 Vergleiche https://www.welt.de/print/die_welt/hamburg/article126380799/Mathe-Abitur- Niveau-in-Hamburg-sinkt-deutlich.html (abgerufen am: 15.03.2015). 4 Ebenda. Drucksache 21/9228 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 würden sich zumeist gängige mathematische Operationen mit leichtem Rechenweg verstecken. Deswegen würden gute Ergebnisse bei diesen Klausuren auch nicht viel über das tatsächliche mathematische Verständnis der Abiturienten aussagen. Eine mittlere Lesekompetenz reiche inzwischen aus, um in einer Zentralabiturarbeit zumindest ein „ausreichend“ zu erzielen.5 Auch das ab 2017 eingeführte bundesländerübergreifende Zentralabitur bezeichnet der Bildungsforscher Prof. Dr. Hans Peter Klein in einem Interview als „Realsatire“, weil nur sehr wenige Aufgaben tatsächlich allen Schülern gleich gestellt würden und weil der Anteil der einheitlichen Prüfungsleistungen auf das Gesamtergebnis der Abiturnote im einstelligen Prozentbereich läge.6 Im Rahmen der Einführung der ersten bundesländerübergreifenden Abiturprüfungen sah sich die Hamburger Schulbehörde bereits veranlasst, aufgrund des verheerenden Abschneidens der Schüler in einer abiturrelevanten Mathematik-Probeklausur nachträglich einzugreifen. Im Frühjahr 2017 veranlasste der Senator per Verordnung eine pauschale nachträgliche Heraufsetzung der Zensuren der Mathematik-Probeklausur um eine ganze Note (bei Vorhandensein einer erkennbaren Schülerleistung). Senator Rabe gab im Rahmen der Selbstbefassung zu diesem Vorgang in der Ausschusssitzung vom 21.02.2017 vor, dass die Aufgaben der Probeklausur sehr schwierig gewesen seien und die Schüler in der zur Verfügung stehenden Bearbeitungszeit , die Fülle der Aufgaben vielfach nicht vollständig bearbeiten konnten . Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen in den Prüfungs- und Leistungsstandards sowie der nachträglichen Eingriffe in abiturrelevante Prüfungsleistungen durch die Hamburger Schulbehörde, wollen wir dem Senat die Möglichkeit geben, ausführliches Datenmaterial zur Entwicklung der Prüfungsund Leistungsanforderungen im abiturrelevanten Bereich sowie zu den Ergebnissen der Abiturprüfungen im Langzeitvergleich zur Verfügung zu stellen . Ich frage den Senat: Die Ausführungen von Prof. Klein sind nicht mehr aktuell: Seit Erscheinen seines Artikels hat es mehrere Änderungen der Prüfungsbedingungen gegeben. In der Hamburger Abiturprüfung 2014 wurden im Rahmen des sogenannten Sechs-Länder-Abiturs erstmals Aufgaben eingesetzt, die in gleicher oder ähnlicher Form auch in anderen Ländern eingesetzt wurden. Im Fach Mathematik wurden die zuvor üblichen zwei komplexen Aufgaben durch eine dritte Aufgabe ergänzt, die ohne Hilfsmittel zu bearbeiten ist. In der Abiturprüfung 2017 werden im Fach Mathematik insgesamt vier Aufgaben gestellt, wie dies die Aufgabenentwicklergruppe Mathematik des IQB vorsieht. Hamburg entnimmt alle Aufgaben dem IQB-Aufgabenpool. Alle mathematischen Sachgebiete sind verbindlich in der Prüfung. Damit ist Hamburg ein Vorreiter auf dem Weg zu mehr Vergleichbarkeit der Länder in der schriftlichen Abiturprüfung Mathematik . Zu dem Abschneiden der Schülerinnen und Schüler in der abiturrelevanten Mathematik -Probeklausur siehe Drs. 21/7504 und Drs. 21/7509. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 5 Ebenda. 6 Interview im Deutschland Radio Kultur vom 02.01.2017, unter: http://www.deutschlandradiokultur.de/bildungsforscher-hans-peter-klein-zentralabitur-isteine .1008.de.html?dram:article_id=375304 (abgerufen am: 15.03.2017). Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9228 3 1. Inwieweit war die Teilnahme an einer schriftlichen Prüfung im Unterrichtsfach Mathematik jeweils verbindlicher Bestandteil der Abiturprüfung ? Vom Schuljahr 1983/1984 an war Mathematik dann schriftliches Abiturprüfungsfach, wenn die Schülerin oder der Schüler es als Leistungsfach gewählt hatte, und dann schriftliches oder mündliches Prüfungsfach, wenn sich unter den Prüfungsfächern weder das Fach Deutsch noch eine Fremdsprache befand. Seit dem Schuljahr 1997/1998 und bis zum Schuljahr 2007/2008 war Mathematik dann schriftliches Prüfungsfach, wenn die Schülerin oder der Schüler es als Leistungsfach gewählt hatte, und dann schriftliches oder mündliches Prüfungsfach, wenn das Fach Deutsch Leistungsfach (und somit auch Prüfungsfach) war und sich unter den anderen Prüfungsfächern keine Fremdsprache befand. Seit dem Schuljahr 2008/2009 ist Mathematik verbindliches schriftliches oder mündliches Prüfungsfach für jede Schülerin und jeden Schüler. Bitte aufschlüsseln für die Jahre 1980, 1985, 1990, 1995, 2000, 2005, 2010, 2015. Bitte zusätzlich aufschlüsseln, für wie viel Prozent der Schüler das Unterrichtsfach Mathematik verbindlicher Bestandteil der Abiturprüfung im jeweiligen Jahr war. Darüber, wie hoch in den in der Anfrage genannten Jahren der Anteil derjenigen Schülerinnen und Schüler war, für die das Unterrichtsfach Mathematik verbindlicher Bestandteil der Abiturprüfung war, liegen keine Erkenntnisse vor. Diese Daten sind nicht statistisch erfasst worden. 2. Welcher Notenschnitt in welchen Unterrichtsfächern musste in der gymnasialen Oberstufe jeweils erreicht werden, um für die Abiturprüfung zugelassen zu werden? Bitte aufschlüsseln für die Jahre 1980, 1985, 1990, 1995, 2000, 2005, 2010, 2015. Seit dem Schuljahr 1983/1984 wurde die Zulassung zur schriftlichen Abiturprüfung erteilt, wenn in vier der sechs Leistungskurse aus dem ersten bis dritten Halbjahr der Studienstufe mindestens je 15 Punkte der dreifachen Wertung erreicht worden waren und wenn die für den Erwerb der allgemeinen Hochschulreife erforderliche Gesamtqualifikation erreicht werden konnte. Die Erreichung der Gesamtqualifikation setzte zusätzlich zu den genannten Mindestvoraussetzungen für vier der sechs Leistungskurse aus dem ersten bis dritten Halbjahr der Studienstufe Folgendes voraus: In 20 einzubringenden Grundkursen aus dem ersten bis vierten Semester der Studienstufe musste eine Gesamtpunktzahl von mindestens 100 Punkten und in 15 dieser Grundkurse mindestens je fünf Punkte erzielt werden. In den acht einzubringenden Leistungskursen aus dem ersten bis vierten Halbjahr der Studienstufe musste eine Gesamtpunktzahl von mindestens 100 Punkten erzielt werden. Die Voraussetzungen für die Zulassung zur mündlichen Abiturprüfung gingen in Bezug auf die im Unterricht der Studienstufe erzielten Noten nicht über die Voraussetzungen für die Zulassung zur schriftlichen Prüfung hinaus. Seit dem Schuljahr 1997/1998 und bis zum Schuljahr 2007/2008 wurde die Zulassung zur schriftlichen Abiturprüfung erteilt, wenn in vier der sechs Leistungskurse aus dem ersten bis dritten Halbjahr der Studienstufe mindestens je zehn Punkte der doppelten Wertung erreicht worden waren und wenn die für den Erwerb der allgemeinen Hochschulreife erforderliche Gesamtqualifikation erreicht werden konnte. Die Erreichung der Gesamtqualifikation setzte zusätzlich zu den genannten Mindestvoraussetzungen für vier der sechs Leistungskurse aus dem ersten bis dritten Halbjahr der Studienstufe Folgendes voraus: In 22 Grundkursen aus dem ersten bis vierten Semester der Studienstufe musste eine Gesamtpunktzahl von mindestens 110 Punkten, in 16 dieser Grundkurse mussten mindestens je fünf Punkte erzielt werden. In den acht Leistungskursen aus dem ersten bis vierten Semester der Studienstufe musste eine Gesamtpunktzahl von mindestens 70 Punkten erzielt werden. Die Voraussetzungen für die Zulassung zur mündlichen Abiturprüfung gingen in Bezug auf die im Unterricht der Studienstufe erzielten Noten nicht über die Voraussetzungen für die Zulassung zur schriftlichen Prüfung hinaus. Drucksache 21/9228 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Seit dem Schuljahr 2008/2009 wird die Zulassung zur schriftlichen Abiturprüfung erteilt, wenn die für den Block 1 der Gesamtqualifikation festgesetzten Notenschwellen erreicht werden können und in einer während der vier Semester der Studienstufe verpflichtend belegten zweiten Fremdsprache der zweiten Fremdsprache kein Semesterergebnis mit null Notenpunkten abgeschlossen worden ist. Für den Block 1 der Gesamtqualifikation sind die folgenden Notenschwellen festgesetzt: Nicht mehr als ein Fünftel der eingebrachten Ergebnisse darf mit weniger als fünf Notenpunkten bewertet worden sein; kein Ergebnis darf null Notenpunkte betragen. Insgesamt müssen in Block 1 der Gesamtqualifikation (mindestens 32 Semesterergebnisse) mindestens 200 Punkte erreicht sein. Die für die Erreichung der Gesamtqualifikation maßgebliche Gesamtpunktzahl errechnet sich, indem die Gesamtzahl der in den eingebrachten Fächern in vier Semestern der Studienstufe erzielten Notenpunkte durch die Anzahl der Semesterergebnisse dividiert wird (doppelt gewichtete Fächer zählen doppelt) und das Ergebnis mit 40 multipliziert wird. Die Voraussetzungen für die Zulassung zur mündlichen Abiturprüfung gingen in Bezug auf die im Unterricht der Studienstufe erzielten Noten nicht über die Voraussetzungen für die Zulassung zur schriftlichen Prüfung hinaus.