BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/9277 21. Wahlperiode 06.06.17 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Philipp Heißner (CDU) vom 30.05.17 und Antwort des Senats Betr.: Mutmaßlicher Missbrauch in „Elbkinder“-Tagesstätte Medienberichten zufolge soll ein Praktikant in der Kindertagesstätte des städtischen Trägers „Elbkinder“ am Rehrstieg in Hausbruch zwei Kinder sexuell missbraucht haben. Dabei soll es sich nicht um die erste Tat des jungen Mannes gehandelt haben. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Welche Erkenntnisse liegen dem Senat beziehungsweise der zuständigen Behörde über die Umstände der Kindesmisshandlungen in der Einrichtung in Hausbruch vor? Dem Beschuldigten wird unter anderem vorgeworfen, sich während seiner Tätigkeit als Praktikant in der Kindertagesstätte vor zwei Kindern entblößt und eines der Kinder im Anschluss an der unbekleideten Scheide berührt zu haben. Weitere Einzelheiten können wegen einer sonst nicht auszuschließenden Gefährdung des Ermittlungszwecks nicht mitgeteilt werden. 2. Welche Maßnahmen wurden dem mutmaßlichen Täter gegenüber eingeleitet ? Wurde Haftbefehl beantragt? Wenn nein, warum nicht? Wie begründet die zuständige Behörde dies, insbesondere vor dem Hintergrund des mutmaßlich mehrfachen Kindesmissbrauchs durch den Tatverdächtigen und dem Erlass von Haftbefehlen bei ähnlich gelagerten Fällen in der Vergangenheit? Der vom Amtsgericht Hamburg am 24. Mai 2017 erlassene Durchsuchungsbeschluss wurde noch am gleichen Tag vollstreckt. Dem Beschuldigten wurde rechtliches Gehör gewährt. Ferner erfolgten eine erkennungsdienstliche Behandlung und mit Einwilligung des Beschuldigten die Erhebung eines DNA-Musters zu Zwecken der Beweisführung im hiesigen und für künftige Verfahren. Mangels Vorliegens entsprechender Haftgründe und damit wegen fehlender Voraussetzungen für den Erlass eines Untersuchungshaftbefehls wurde kein Haftbefehl beantragt. Das Vorliegen von Haftgründen ist in jedem Fall individuell bezogen auf den jeweiligen Beschuldigten zu prüfen. Insofern hat es keine Relevanz, dass in scheinbar „ähnlichen Fällen“ Untersuchungshaft verhängt worden ist. Zur Vermeidung der Gefährdung der weiteren, noch andauernden Ermittlungen ist eine derzeitige weitergehende Beantwortung nicht möglich. 3. Welche Informationen liegen dem Senat beziehungsweise der zuständigen Behörde über den mutmaßlichen Täter vor? War der mutmaßliche Täter der Behörde bereits durch andere Vergehen bekannt? Wenn ja, durch welche? Drucksache 21/9277 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Im Hinblick auf das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und die gesetzlichen Wertungen des Bundeszentralregistergesetzes sieht der Senat davon ab, etwaige Ermittlungsverfahren mitzuteilen, die durch einen Freispruch oder eine Einstellung beendet worden sind. Dasselbe gilt für Ermittlungsverfahren, die zu einem Abschluss geführt haben, der entweder nicht in ein Führungszeugnis aufzunehmen oder nach den Tilgungsvorschriften des Bundeszentralregistergesetzes nicht mehr zu berücksichtigen ist. Danach liegen keine mitteilungsfähigen Verfahren vor. 4. Sind dem Senat beziehungsweise der zuständigen Behörde ähnliche Fälle aus dieser oder anderen Kinderbetreuungseinrichtungen bekannt? Wenn ja, welche? Wie wurde auf diese von den zuständigen Stellen jeweils reagiert? Im Vorgangserfassungs- und -verarbeitungssystem MESTA der Staatsanwaltschaft wird nicht erfasst, ob sich ein Fall eines Kindesmissbrauchs in einer Kindertagesstätte ereignet. Dementsprechend kann nicht beantwortet werden, ob „ähnliche Fälle“ bekannt sind. Wenn die Staatsanwaltschaft Kenntnis von einem entsprechenden Verdacht erlangt, leitet sie gegen den mutmaßlichen Täter ein Ermittlungsverfahren ein. Auch der Polizei liegen keine statistisch auswertbaren Daten im Sinne der Fragestellung vor. Die räumliche Erfassung von Straftaten in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfolgt nach Ortsteilen. Die Tatörtlichkeit „Kinderbetreuungseinrichtungen“ wird nicht differenziert erfasst. Daher sind die in diesen Einrichtungen begangenen Straftaten mit der PKS nicht auswertbar. Auch anzeigende Institutionen, wie beispielsweise Kinderbetreuungseinrichtungen , werden in der PKS nicht gesondert erfasst. Zur Beantwortung der Fragestellungen wäre eine manuelle Durchsicht aller Hand- und Ermittlungsakten der vergangenen Jahre bei der Kriminalpolizei erforderlich. Die Auswertung mehrerer Hunderttausend Vorgänge ist in der für die Beantwortung Parlamentarischer Anfragen zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Im Übrigen trifft die Polizei bei Bekanntwerden von Sachverhalten im Sinne der Fragestellung im Rahmen ihrer Zuständigkeit alle erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und zur Verfolgung von Straftaten . 5. Welche Unterlagen des Tatverdächtigen wurden vor dem Praktikumsbeginn wie und von wem geprüft? Welches Ergebnis hatte diese Überprüfung zur Folge? Der Praktikant besuchte eine Berufsfachschule für Sozialpädagogik, von der in jedem Fall bei der Bewerbung und vor der endgültigen Zulassung zur schulischen Ausbildung das erweiterte Führungszeugnis eingefordert wird. Zum Abschluss des Praktikantenvertrags und zur Definition der Praktikumsinhalte wurde ein Formblatt der Schule verwendet. Dies handhaben alle sozialpädagogischen Ausbildungsstätten so, weil während der Ausbildung üblicherweise mehrere Praktika bei verschiedenen Trägern absolviert werden und so nicht jeder Träger einzeln ein neues Führungszeugnis abverlangen muss. Es ist sicher, dass keinerlei Eintragungen, die den Kinderschutz betreffen, vorgelegen haben. 6. Lag der Leitung der Tagesstätte zum Zeitpunkt der Einstellung des Praktikanten ein erweitertes Führungszeugnis vor? Wenn nein, warum nicht? Dies lag der Fachschule vor, siehe Antwort zu 5. 7. Welche Maßnahmen wollen die zuständige Behörde und der Träger ergreifen, um ähnliche Fälle künftig verhindern zu können? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9277 3 Grundsätzlich will der Träger vermeiden, dass alle Mitarbeitenden sowie Praktikantinnen und Praktikanten unter einen Generalverdacht gestellt werden. Gerade männliche Mitarbeitende leiden darunter, dass Eltern ihnen gegenüber manchmal misstrauischer sind als gegenüber weiblichen Kolleginnen. Die Elbkinder – Vereinigung Hamburger Kitas gGmbH hat als Träger immer offensiv vertreten, dass Männer in den Kitas als Mitarbeitende und Praktikanten willkommen sind. Dazu verpflichtet auch das Hamburgische Gleichstellungsgesetz. Im Jahr 2015 wurden in allen Kitas der Elbkinder Kinderschutzkonzepte entwickelt. Die Beratung und Qualifizierung der Teams bezog sich schwerpunktmäßig auf die Themen Nähe und Distanz, Macht und Machtmissbrauch, Grenzen setzen und respektieren , Beschwerdemöglichkeiten für Kinder und Partizipationsmöglichkeiten für Kinder. Dabei wurden für diese Themen Verhaltensvereinbarungen für jede Kita getroffen. Auch die Kita Rehrstieg hat solch ein Konzept entwickelt. Sie wird sich jetzt noch einmal intensiv mit dem vorhandenen einrichtungsbezogenen Kinderschutzkonzept auseinandersetzen. Diese erneute Beschäftigung mit dem Thema wird unter dem Eindruck der aktuellen Erfahrung eine gründlichere Analyse der besonderen Gefahrenpunkte beinhalten. Außerdem werden alle Mitarbeitenden durch die Beratung eines ausgewiesenen Spezialisten dafür sensibilisiert, auf Hinweise für eine mögliche Gefährdung zu achten. In der Einarbeitung der Praktikanten und Praktikantinnen wird das Thema des Kinderschutzes zukünftig noch deutlicher hervorgehoben und die eigene Haltung dazu besprochen. Die zuständige Behörde sieht über die aufgezeigte Einholung von Führungszeugnissen hinaus keine Möglichkeiten, weitere Vorauskünfte zu erlangen. Darüber hinaus mussten alle Kitas zum 30. Juni 2015 Schutzkonzepte bei der zuständigen Behörde vorlegen (siehe Drs. 21/9269). 8. Ist es zulässig, Kinder in einer Kindertagesstätte mit Personen, die keine Erzieher sind, alleinzulassen? 9. Welche Aufgaben müssen in Hamburger Kindertagesstätten von Erziehern übernommen werden? Welche Aufgaben können von Erziehern auf Praktikanten übertragen werden und mit welchen Einschränkungen erfolgt dies? Wurden im vorliegenden Fall diese Regelungen eingehalten ? Erzieher unterstützen die Entwicklung der Kinder zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten auf der Grundlage der Hamburger Bildungsempfehlungen . Aufgrund der Vielfältigkeit können die einzelnen damit verbundenen Tätigkeiten und Aufgaben nicht vollständig aufgelistet werden. Die Entscheidung der Übertragung von Aufgaben an Praktikanten obliegt jeweils der für den Praktikanten zuständigen pädagogischen Fachkraft. Diese muss in jeder Situation einzelfallbezogen einschätzen, ob beziehungsweise wie weit eine Übertragung von Aufgaben aufsichtsrechtlich unbedenklich ist. Dabei sind folgende Faktoren heranzuziehen : Person des Praktikanten (zum Beispiel Ausbildungsstand, Persönlichkeit, Alter, Gesundheitszustand und so weiter), Kinder (zum Beispiel Alter, Entwicklungsstand , Vertrautheit zum Praktikanten, Gruppengröße und so weiter), Situation (zum Beispiel in übersichtlichen/unübersichtlichen Kita-Räumen, bei Ausflügen, mit wie vielen weiteren Fachkräften/Personen gegebenenfalls in Rufweite und so weiter). Diese Aufzählung ist nur beispielhaft und nicht vollständig. Der Träger hat die Verantwortung für die Aufsichtsführung in der Einrichtung. Diese kann er nach dem Delegationsprinzip Leitung – Erzieher – Praktikant an seine Mitarbeiter weitergeben. Die Person, die die Aufsichtspflicht an den Praktikanten delegiert, muss „geeignet“ sein, das heißt, sie sollte auf jeden Fall zuverlässig, gewissenhaft, verantwortungsbewusst und erfahren sein sowie die Fähigkeit haben, die Übersicht zu behalten und situationsangemessen handeln/eingreifen können. 10. Wie stellt sich die Personalsituation in der „Elbkinder“-Tagesstätte am Rehrstieg in Hausbruch dar? Wie viele Kinder werden von wie vielen Drucksache 21/9277 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Erziehern betreut? Wie viele Praktikanten arbeiten in dieser Einrichtung zurzeit? Wie viele arbeiteten dort insgesamt im laufenden Jahr? Wie lange dauerten die Praktika durchschnittlich? Derzeit werden 95 Kinder in der Kita von 13 pädagogischen Fachkräften in vier Gruppen betreut. Das heißt, dass pro Gruppe drei pädagogische Fachkräfte in Teil- und Vollzeit sowie eine Fachkraft gruppenübergreifend arbeiten. Drei Praktikantinnen sowie ein Praktikant im Freiwilligen Sozialen Jahr sind derzeit in der Kita tätig. Im laufenden Jahr wurden und werden insgesamt vier Praktikanten und Praktikantinnen eingesetzt. Die Praktika dauern je nach Ausbildung ein bis zwei Jahre.