BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/9317 21. Wahlperiode 09.06.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Jennyfer Dutschke (FDP) vom 01.06.17 und Antwort des Senats Betr.: Verlust des Freizügigkeitsrechts/Ausweisungen von Unionsbürgern (II) Von der zentralen Ausländerbehörde sind nach Auswertung des ausländerbehördlichen Fachverfahrens im Zeitraum Januar 2010 bis April 2017 insgesamt 245 Verfügungen des Freizügigkeitsverlustes nach § 6 FreizügG/EU erlassen worden. Im April 2017 wurde außerdem in zehn Fällen der Verlust des Freizügigkeitsrechts nach § 5 Absatz 4 FreizügG/EU festgestellt.1 Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Im Rahmen der Auswertung des ausländerbehördlichen IT-Verfahrens zu den nachstehenden Fragen durch die zuständige Behörde wurde eine Gesamtzahl von 326 Verfügungen nach § 6 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) im Zeitraum von Januar 2010 bis Mai 2017 ermittelt. Diese weicht von der seinerzeit für die Drs. 21/9058 ermittelten Zahl ab. Eine technische Klärung der Differenz konnte in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht abgeschlossen werden. Die nachstehenden Antworten beruhen auf der aktuellen Auswertung. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie verfährt die Ausländerbehörde bei der Überprüfung des Rechts auf Freizügigkeit? (Bitte Prozess und Vorgehen erläutern.) Nach strafrechtlicher Verurteilung wird ein Verlust des Freizügigkeitsrechts nach § 6 FreizügG/EU geprüft. Zunächst erfolgt eine Anhörung durch die zuständige Behörde. Die Entscheidung über den Freizügigkeitsverlust nach § 6 FreizügG/EU erfolgt dann im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Berücksichtigung der Aufenthaltsdauer und aller maßgeblichen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet (sofern vorhanden), wobei es stets auf die individuelle Gefahrenprognose ankommt. Es gelten die Kriterien des § 6 Absätze 1 bis 3 Freizüg G/EU. Für die Gefahrenprognose ist unter anderem das bisherige strafrechtliche Verhalten relevant, wie es sich beispielsweise aus der/den Verurteilung(en) ergibt, sowie gegebenenfalls auch die Entwicklung im Verlauf der Haft. 2. In wie vielen Fällen, in denen Verfügungen des Freizügigkeitsverlustes nach § 6 FreizügG/EU erlassen wurden, gab es im Vorfeld ein Anhörungsverfahren ? (Bitte jährlich für die Jahre 2010 – 2016 und monatlich für den Zeitraum Januar – Mai 2017 aufschlüsseln.) 3. In wie vielen Fällen, in denen Verfügungen des Freizügigkeitsverlustes nach § 6 FreizügG/EU erlassen wurden, wurde ausschließlich nach Aktenlage entschieden? (Bitte jährlich für die Jahre 2010 – 2016 und monatlich für den Zeitraum Januar – Mai 2017 aufschlüsseln.) 1 Vergleiche Drs. 21/9058. Drucksache 21/9317 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 In allen Fällen wird vor Erlass einer Entscheidung nach § 6 FreizügG/EU rechtliches Gehör angeboten. Ob die Betroffenen sich dazu äußern, bleibt ihnen selbst überlassen . Im Anschluss erfolgt eine Entscheidung nach Aktenlage, zu der auch die Äußerung im rechtlichen Gehör gehört. Die Zahl der erlassenen Verfügungen ist den folgenden Übersichten zu entnehmen: Zeitraum Verfügungen nach § 6 FreizügG/EU 2010 17 2011 17 2012 54 2013 55 2014 42 2015 36 2016 72 Januar 2017 7 Februar 2017 5 März 2017 6 April 2017 6 Mai 2017 9 4. Wie viele Personen, gegen die Verfügungen des Freizügigkeitsverlustes nach § 6 FreizügG/EU erlassen wurden, galten als obdachlos? (Bitte jährlich für die Jahre 2010 – 2016 und monatlich für den Zeitraum Januar – Mai 2017 aufschlüsseln.) In der Regel befinden sich Personen, bei denen Verfügungen nach § 6 FreizügG/EU erlassen wurden, in Strafhaft. Die Anschrift der Haftanstalt ist auch die im ausländerrechtlichen Fachverfahren hinterlegte Anschrift. Eine vorherige Obdachlosigkeit kann ohne händische Durchsicht aller infrage kommenden Ausländerakten nicht mehr ermittelt werden. Dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 5. Wie viele Unionsbürger kamen der Ausreisepflicht in den Jahren 2010 – 2016 freiwillig nach? Bei wie vielen wurde die Ausreisepflicht zwangsweise durchgesetzt? (Bitte jahresweise nach Herkunftsland, freiwilliger Ausreise, Abschiebung aufschlüsseln analog zu Drs. 21/9058, Tabelle zu Fragen 3. und 4.) Die Angaben sind der folgenden Übersicht zu entnehmen: Abschiebungen Herkunftsland 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Bulgarien 1 2 6 3 2 1 Dänemark 1 Estland 1 Italien 1 Kroatien 1 Lettland 1 1 2 1 3 Litauen 1 1 3 1 3 1 Niederlande 2 1 1 Polen 2 4 7 13 7 8 13 3 Rumänien 5 12 9 6 5 12 5 Schweden 1 1 Slowakei 3 2 England 1 2 Gesamt 3 11 23 27 29 19 40 10 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9317 3 Freiwillige Ausreisen Herkunftsland 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Bulgarien 1 1 3 1 Frankreich 1 Lettland 1 Litauen 1 Polen 1 1 3 2 3 2 Rumänien 1 1 1 2 Gesamt 1 2 1 3 3 5 6 5 6. 6.1. Wie viele Aufforderungen zur Vorsprache bei der Ausländerbehörde zwecks Überprüfung des Freizügigkeitsrechts hat der Senat erlassen ? (Bitte jährlich für die Jahre 2014 – 2016 und monatlich für den Zeitraum Januar – Mai 2017 aufschlüsseln.) 6.2. Wie viele Betroffene kamen der Aufforderung nach? Eine statistische Erfassung erfolgt nur in Bezug auf von der Polizei angetroffene und an die zuständige Behörde gemeldete Fälle seit März 2017. Die Angaben sind der folgenden Übersicht zu entnehmen: Monat Aufforderungen zur Vorsprache Erfolgte Vorsprachen März 2017 92 0 April 2017 113 2 Mai 2017 84 0 Darüber hinaus werden solche Aufforderungen statistisch nicht erfasst und lassen sich auch nicht aus dem ausländerbehördlichen Fachverfahren ermitteln. Eine Auswertung der in Betracht kommenden Ausländerakten von zum Stand 30. April 2017 laut Ausländerzentralregister rund 100.000 Unionsbürgern in Hamburg ist nicht möglich. 6.3. Wie verfährt der Senat in Fällen, in denen Betroffene der Aufforderung zur Vorsprache nicht folgen? Sofern die Möglichkeit der persönlichen Vorsprache beziehungsweise des rechtlichen Gehörs nicht wahrgenommen wird, entscheidet die zuständige Behörde nach bestehender Aktenlage, siehe auch Antwort zu 2. und 3. 6.4. Wurden in Einrichtungen und Beratungsstellen der Wohnungslosenhilfe Aufforderungen verteilt, die Ausländerbehörde aufzusuchen und dort prüfen zu lassen, ob die Freizügigkeit weiterhin besteht? Wenn ja, in welchen Einrichtungen, mit welchem Inhalt, in welchem Umfang und mit welcher Wirkung? Bei Aufforderungen zur Vorsprache beziehungsweise der Gewährung von rechtlichem Gehör handelt es sich um einzelfallbezogene, persönliche Anschreiben, die den Betroffenen direkt oder öffentlich zugestellt werden. Auf Bitten der Beschäftigten der Tagesaufenthaltsstelle (TAS) des Diakonischen Werkes Hamburg in der Bundesstraße 101 sind dort von dem zuständigen Polizeibeamten des besonderen Fußstreifendienstes einmalig „Aufforderungen zur Vorsprache bei der Ausländerbehörde“ in den landessprachlichen Übersetzungen Bulgarisch, Polnisch und Rumänisch zu Informationszwecken ausgelegt worden. Besucher der TAS konnten sich so eigenständig informieren beziehungsweise aktiv werden. Die ausgelegten Vordrucke waren nicht ausgefüllt, das heißt mit persönlichen Daten versehen, und hatten eindeutig keinen auffordernden, verbindlichen Charakter.