BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/9492 21. Wahlperiode 27.06.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Jennyfer Dutschke (FDP) vom 19.06.17 und Antwort des Senats Betr.: Verlust des Freizügigkeitsrechts/Ausweisungen von Unionsbürgern (III) Im Rahmen der Auswertung des ausländerbehördlichen IT-Verfahrens zu den Fragen in den Drs. 21/9058 und 21/9317 wurden Abweichungen in zu den in Drs. 21/9058 ermittelten Zahlen festgestellt. Eine technische Klärung der Differenz konnte nach Aussage des Senats in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht abgeschlossen werden. Ferner wurden gemäß Drs. 21/9317 in den Monaten März bis Mai 2017 zwar 289 Personen zur Vorsprache aufgefordert, aber nur bei 21 Personen wurde im entsprechenden Zeitraum ein Verlust der Freizügigkeit festgestellt.1 Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Hat der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde inzwischen ermitteln können, wodurch die Differenz in den Antworten von Drs. 21/9058 und 21/9317 zu erklären ist? Wenn ja, wodurch ist diese Differenz zu erklären? Wenn nein, warum nicht und bis wann wird die Klärung voraussichtlich abgeschlossen sein? Bei der Programmierung der Abfrage ist eine fehlerhafte Eingabe erfolgt, die zur Auswertung von nur einem Teilzeitraum geführt hat. Diese Eingabe ist erst nach gründlicher Recherche im Nachgang zur Drs. 21/9317 aufgefallen. Insofern haben sich die Zahlen aus Drs. 21/9317 als nachvollziehbar dargestellt. 2. Wie viele Freizügigkeitsverlustfeststellungen sind pro Bezirk im Zeitraum 2010 bis 2017 erfolgt und welche Nationalität hatten die Betroffenen? Vom Einwohner-Zentralamt wurden im gefragten Zeitraum für Personen mit folgenden Staatsangehörigkeiten Verlustfeststellungen getroffen: Staatsangehörigkeit Verlustfeststellungen Polen 98 Rumänien 95 Bulgarien 29 Litauen 26 Slowakei 13 Lettland 11 Spanien 10 Italien 9 1 Vergleiche Drs. 21/9317. Drucksache 21/9492 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Staatsangehörigkeit Verlustfeststellungen Niederlande 8 Tschechische Republik 5 Vereinigtes Königreich 4 Dänemark 3 Norwegen 3 Estland 2 Frankreich 2 Schweden 2 Belgien 1 Griechenland 1 Kroatien 1 Österreich 1 Portugal 1 Ungarn 1 (Stand: 31.05.2017) Die Betriebsdatenstatistik der Bezirksämter wird quartalsweise erhoben, somit liegen dort keine aktuelleren Angaben vor als bereits in der Drs. 21/9058 dargestellt. 3. Welche Hürden gelten für einen Verlust der Freizügigkeit nach § 6 Freizüg G/EU hinsichtlich der Aspekte der öffentlichen Ordnung oder Gesundheit? Die Voraussetzungen ergeben sich aus den EU- und bundesrechtlichen Vorgaben der Artikel 27 fortfolgende der Richtlinie 2004/38/EG (sogenannte Freizügigkeitsrichtlinie) sowie des § 6 FreizügG/EU. Die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung ist nicht ausreichend. Daher muss ein persönliches Verhalten erkennbar sein, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Es muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (§ 6 Absatz 2 FreizügG/EU). Es muss somit eine aktuelle Gefahrenprognose erstellt werden, generalpräventive Erwägungen sind nicht zulässig. Ebenso sind wirtschaftliche Erwägungen nicht zulässig (§ 6 Absatz 6 FreizügG/EU). Bei einem bereits bestehenden Daueraufenthaltsrecht (§ 4a FreizügG/EU) müssen schwerwiegende Gründe für eine Verlustfeststellung vorliegen (§ 6 Absatz 4 Freizüg G/EU). Bei mehr als zehn Jahren Aufenthalt müssen zwingende Gründe vorliegen, die aber nur vorliegen können bei Verurteilung zu mindestens fünf Jahren Haftstrafe oder Sicherungsverwahrung, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder vom Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht (§ 6 Absatz 5 FreizügG/EU). a. Wie und durch wen erfolgt eine Prüfung des Verlusts der Freizügigkeit nach § 6 FreizügG/EU hinsichtlich Gründen der öffentlichen Ordnung oder Gesundheit? Die Prüfung des Verlustes der Freizügigkeit nach § 6 FreizügG/EU erfolgt durch das dafür zuständige Sachgebiet im Einwohner-Zentralamt. Die Anhörung (§ 6 Absatz 8 FreizügG/EU) erfolgt grundsätzlich durch die aktenhaltende Dienststelle (Bezirksämter oder Einwohner-Zentralamt). Der Fall wird dann zur weiteren Prüfung dem zuständigen Sachgebiet zugeleitet, wo die Entscheidung anhand der Rechtslage im Rahmen einer individuellen Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Beachtung aller maßgeblichen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet (§ 6 Absatz 3 FreizügG/EU) sowie unter besonderer Beachtung der aktuellen Gefahrenprognose erfolgt, siehe auch Drs. 21/9317. b. In wie vielen Fällen wurde der Verlust der Freizügigkeit nach § 6 FreizügG/EU aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Gesundheit festgestellt? Siehe Drs. 21/9058 und 21/9317. Eine weitergehende statistische Differenzierung der Entscheidungen nach § 6 FreizügG/EU erfolgt nicht. Entscheidungen aus Gründen der öffentlichen Gesundheit sind der zuständigen Behörde nicht bekannt. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9492 3 4. Wodurch erklärt der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde den Anstieg der Aberkennungen des Freizügigkeitsrechts ab 2016 und die hohe Tendenz in 2017? Im Jahr 2016/2017 gab es ein erhöhtes Aufkommen von Überprüfungsanlässen, das zu einem Anstieg der Verfahren geführt hat. 5. Warum wurde den Aufforderungen zur Vorsprache von durch die Polizei Angetroffenen und gemeldeten Vorfällen nicht Folge geleistet? Gesicherte Erkenntnisse liegen der zuständigen Behörde hierzu nicht vor. Rückmeldungen der Betroffenen zu den Gründen ihres Nichterscheinens sind der zuständigen Behörde nicht zugegangen. a. Werden in einem solchen Fall Maßnahmen ergriffen? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht? Die Polizei übermittelt der Ausländerbehörde Erkenntnisse, soweit diese Anlass zu einer Überprüfung der Voraussetzungen eines Freizügigkeitsrechts geben. Die geeigneten ausländerbehördlichen Maßnahmen werden nach einer Einzelfallprüfung getroffen . In geeigneten Fällen wird nach Aktenlage entschieden, in einzelnen Fällen wird eine nochmalige Anhörung nach § 28 Hamburgisches Verwaltungsverfahrensgesetz angeboten. 6. Wurde bei den 289 Personen, die zur Vorsprache bei der Ausländerbehörde zwecks Überprüfung des Freizügigkeitsrechts einbestellt wurden und nicht erschienen sind, das Recht zur Freizügigkeit nach Aktenlage geprüft? Wenn ja, mit welchem Ergebnis? Wenn nein, warum nicht? Zur Beantwortung der Frage müsste in jedem Einzelfall eine händische Aktenauswertung erfolgen. Dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Im Übrigen siehe Antwort zu 5. a. 7. Wird überprüft, ob Unionsbürger, die sich in Hamburg aufhalten, die Voraussetzungen gemäß §2 FreizügG/EU erfüllen? a. Wenn ja, wie erfolgt diese Prüfung? (Bitte Prozess erläutern.) b. In welchen Fällen beziehungsweise zu welchen Anlässen erfolgt eine Prüfung? c. Müssen Betroffene nachweisen, dass sie einen Arbeitsplatz beziehungsweise einen Wohnsitz haben? Wenn ja, wie? d. Wie können beziehungsweise müssen Betroffene nachweisen, dass sie arbeitssuchend sind? Eine Überprüfung erfolgt im Rahmen der EU- und bundesrechtlichen Vorgaben, insbesondere der Richtlinie 2004/38/EG (sogenannte Freizügigkeitsrichtlinie), des Freizüg G/EU und der dazu erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift (AVV zum Freizüg G/EU, siehe http://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_ 03022016_MI12100972.htm). Nach Artikel 6 der Freizügigkeitsrichtlinie beziehungsweise § 2 Absatz 5 FreizügG/EU setzt das Recht auf einen Aufenthalt bis zu drei Monaten lediglich den Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses voraus. Für einen Aufenthalt von mehr als drei Monaten müssen grundsätzlich die Freizügigkeitstatbestände nach Artikel 7 der Freizügigkeitsrichtlinie beziehungsweise § 2 Absatz 2 FreizügG/EU vorliegen. Anlässe zur Überprüfung dieser Freizügigkeitsvoraussetzungen ergeben sich aus den Umständen des Einzelfalls, in Betracht kommen zum Beispiel Mitteilungen über die Inanspruchnahme oder Beantragung von Sozialleistungen nach § 87 Absatz 2 Num- Drucksache 21/9492 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 mer 2a Aufenthaltsgesetz in Verbindung mit § 11 Absatz 1 FreizügG/EU. Nachweise über das Vorliegen der Freizügigkeitsvoraussetzungen beziehungsweise über eine Arbeitssuche können durch Vorlage geeigneter Dokumente erbracht werden, zum Beispiel Arbeitsverträge, Bewerbungsschreiben, Bescheinigungen der Jobcenter et cetera. e. Wie erfolgt die Überprüfung der „begründeten Aussicht auf einen Arbeitsplatz“ im Rahmen der Arbeitssuche gemäß §2 Absatz 2 Nummer 1a FreizügigG/EU? Es gelten die Vorgaben der Nummern 2.2.1a.1 bis 3 der AVV zum FreizügG/EU. Danach ist eine „begründete Aussicht, einen Arbeitsplatz zu finden, … anzunehmen, wenn der Arbeitssuchende aufgrund seiner Qualifikation und des aktuellen Bedarfs am Arbeitsmarkt voraussichtlich mit seinen Bewerbungen erfolgreich sein wird“ – und eine tatsächliche Arbeitgebersuche nachweisen kann. f. Werden Menschen überprüft, die auf öffentlichen Flächen widerrechtlich campen? g. Erfolgt einer Überprüfung von Personen, die mutmaßlich obdachlos sind beziehungsweise im öffentlichen Raum übernachten? Ja. h. Wenn nein, warum nicht? Entfällt.