BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/954 21. Wahlperiode 07.07.15 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Karin Prien (CDU) vom 01.07.15 und Antwort des Senats Betr.: Zunehmende islamistische Radikalisierung junger Menschen – Wie schützt der Senat Hamburgs Schülerinnen und Schüler vor Salafisten und deren Anwerbeversuchen? Laut der Angaben des am 11. Juni 2015 vorgestellten Verfassungsschutzberichts 2014 hat sich die Zahl der den bewaffneten Dschihad unterstützenden Salafisten in Hamburg innerhalb nur eines Jahres mehr als verdreifacht, von 70 (2013) auf 240 (2014). Auch insgesamt vergrößerte sich das salafistische Spektrum, von 240 (2013) auf 400 (2014) Anhänger. Die gezielte Missionierung von Menschen durch radikale Islamisten findet weiterhin zu großen Teilen durch aggressives Anwerben an den Koranverteilungsständen statt. Besonders im Fokus der Missionierungsversuche stehen nach wie vor junge Schülerinnen und Schüler, die aufgrund ihrer alterstypischen Unerfahrenheit ausgenutzt werden. Erst kürzlich ist die 18-jährige Ece B. aus Hamburg nach Syrien ausgereist, um den Dschihad zu unterstützen. Deshalb ist es besonders wichtig, dass weiterhin intensiv Präventionsarbeit an Schulen mit den Schülerinnen und Schülern geleistet wird und auch nach Möglichkeit das familiäre Umfeld und der Freundeskreis in die Aufklärung miteinbezogen werden. In der 20. Wahlperiode hatte ich mit den Drs. 20/13716, 20/13241, 20/13214, 20/13020 den damals aktuellen Stand der Dinge erfragt. Angesichts der neuen, beunruhigenden Zahlen hat diese Thematik nichts an Aktualität und Brisanz verloren. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat erneut: Die oben angegebenen Zahlen haben den Stand 31. Dezember 2014. Mit Stichtag 1. Juli 2015 wurden neue Zahlen erhoben. Danach sind dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg 460 Salafisten bekannt, davon werden 270 dem dschihadistischen Flügel zugerechnet. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Sind dem Senat beziehungsweise den zuständigen Behörden Anwerbeversuche seitens radikaler Islamisten und Salafisten gegenüber Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Hamburg bekannt, die sich 2014 und 2015 ereignet haben? Wenn ja, um viele Fälle handelt es sich und bei wie vielen spielte das Setting Schule eine Rolle? Das LfV Hamburg hat Erkenntnisse, dass Salafisten und gewaltbereite Islamisten seit Längerem versuchen, neue Anhänger für ihre Ideologien zu gewinnen (siehe. Jahresberichte des LfV Hamburg). Diese Rekrutierungsversuche erfolgen auf verschiedenen Drucksache 21/954 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Wegen. Eine Konkretisierung und Quantifizierung im Sinne der Fragestellung ist nicht möglich. Bei der Polizei werden Statistiken im Sinne der Fragestellungen nicht geführt. Für die Beantwortung wäre eine händische Auswertung der Hand- und Ermittlungsakten des erfragten Zeitraums erforderlich. Die Durchsicht mehrerer Tausend Vorgänge ist in der für eine Parlamentarische Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 2. Auf welche Weise wurden/werden diese Anwerbeversuche aktenkundig beziehungsweise erfasst? Die Informationen über Anwerbeversuche werden beim LfV Hamburg nach Maßgabe des Hamburgischen Verfassungsschutzgesetzes (HmbVerfSchG) verarbeitet. Bei der Polizei werden entsprechende Vorgänge mit strafrechtlichen oder gefahrenabwehrenden Inhalten nach dem Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei (PolDVG) in Ermittlungsakten geführt. 3. Wie viele Schülerinnen und Schüler und/oder Jugendliche und junge Erwachsene sind bekannt, die in den Jahren 2014 und 2015 versucht haben, zu islamradikalen Zwecken auszureisen? Wie viele konnten dies tatsächlich umsetzen und wie viele konnten an der Ausreise gehindert werden? Unter Jugendlichen versteht der Senat Minderjährige unter 18 Jahren, unter jungen Erwachsenen Menschen zwischen 18 und 21 Jahren. Dem LfV Hamburg sind folgende Ausreiseversuche bekannt: 2014: Drei ausgereiste Jugendliche, vier Jugendliche an der Ausreise gehindert. Acht ausgereiste jungen Erwachsene, zwei junge Erwachsene an der Ausreise gehindert . 2015: Zwei ausgereiste Jugendliche, drei Jugendliche an der Ausreise gehindert. Zwei ausgereiste junge Erwachsene. 4. Wie viele radikalisierte Schülerinnen und Schüler und/oder Jugendliche und junge Erwachsene sind in den Jahren 2014 und 2015 nach Hamburg zurückgekehrt, nachdem sie vorher für islamistische Organisation ins Ausland gereist waren, um dort am Dschihad teilzunehmen? Dem LfV Hamburg wurden im Jahre 2014 folgende Rückkehrer im Sinne der Fragestellung bekannt: ein Jugendlicher/zwei junge Erwachsene. Für das Jahr 2015 liegen dem Senat bisher keine Erkenntnisse über Rückkehrer vor. 5. Gab es seit 2011 Lehrerinnen oder Lehrer im Hamburger Schuldienst, die dem salafistischen und/oder islamistischen Milieu zugerechnet werden /wurden? Wenn ja, um viele Fälle handelt es sich und befinden sich diese Personen noch im Hamburger Schuldienst? Solche Personen sind der zuständigen Behörde nicht bekannt. 6. Gab es seit 2011 Erzieherinnen und Erzieher in Kindertageseinrichtungen in Hamburg, die dem salafistischen und/oder islamistischen Milieu zugerechnet werden/wurden? Wenn ja, um viele Fälle handelt es sich und arbeiten diese Personen noch an einer Hamburger Kita? Solche Personen sind der zuständigen Behörde nicht bekannt. 7. Wie viele Schülerinnen und Schüler und/oder Jugendliche und junge Erwachsene sind dem Senat beziehungsweise den zuständigen Behörden bekannt, die einer islamistischen und/oder salafistischen Gruppe in Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/954 3 Hamburg angehören? Wie werden diese Personen erfasst? Inwieweit wird mit diesen Personen zum Zwecke der Aufklärung kommuniziert? Mit Stichtag 2. Juli 2015 sind dem LfV Hamburg 18 Jugendliche und 68 junge Erwachsene als Angehörige oder Unterstützer islamistischer und/oder salafistischer Gruppen bekannt. Die Daten dieser Personen werden in den Datenbanken des LfV Hamburg erfasst. Das LfV Hamburg führt – soweit zielführend – Gespräche mit den Personen. Darüber hinaus informiert das LfV Hamburg im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit umfassend über die Gefahren, die vom religiös motivierten Extremismus ausgehen. Dies geschieht durch umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit sowie durch Vorträge und Teilnahme an Diskussionsveranstaltungen. Vertreter des Verfassungsschutzes, insbesondere der Islamwissenschaftler des Verfassungsschutzes, stehen mit Beratungsleistungen in Einzelfällen zur Verfügung. 8. Welche präventiven Maßnahmen haben der Senat beziehungsweise die zuständigen Behörden im Schuljahr 2014/2015 ergriffen, um die Hamburger Schülerinnen und Schüler über die Gefahren, die von radikalen Islamisten und Salafisten ausgehen, aufzuklären? Die Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB) und das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) haben im Schuljahr 2014/2015 und in den Schuljahren davor verschiedene präventive Maßnahmen der genannten Art ergriffen, siehe Drs. 20/13020, 20/13214, 20/13241, 20/13716 sowie 21/58. Bei der Polizei steht die Dienststelle „Spezielle Prävention“ in der Abteilung Staatsschutz des Landeskriminalamtes (LKA 702) den Schulen für Fragestellungen im Zusammenhang mit religiös motiviertem Extremismus zur Verfügung. Im Übrigen siehe Antwort zu 7. 9. Inwieweit wurden/werden Lehrerinnen und Lehrer im Schuljahr 2014/ 2015 zu diesem Thema geschult und sensibilisiert? Gab/gibt es Lehrgänge oder Workshops zu diesem Thema? Wenn ja wann wie viele und wie hoch waren die jeweiligen Teilnehmerzahlen ? Das Referat „Gesellschaft“ des LI führt seit Beginn des Schuljahrs 2013/2014 sowie im laufenden Schuljahr auf Lehrerkonferenzen, Fachkonferenzen, Jahrgangsveranstaltungen für Schülerinnen und Schüler sowie Elternabenden Aufklärungsveranstaltungen durch, die der Sensibilisierung, Information und Aufklärung von pädagogischem Personal und Erziehungsberechtigten über die Gefahren islamistischer Propaganda und Rekrutierung dienen. Lehrerfortbildungen, Workshops und andere praxisbezogene Formen der Kompetenzvermittlung schließen sich an solche Veranstaltungen oft an. Die Teilnehmerzahl auf diesen Veranstaltungen schwankte pro Schule je nach Format des Angebots zwischen 250 und 15 Teilnehmern. Besonders im berufsbildenden Bereich haben nahezu alle Schulleitungen mit ihren Lehrerkollegien inzwischen an solchen Veranstaltungen des LI teilgenommen. Das LKA 702 hat im Schuljahr 2014/2015 drei Veranstaltungen an Hamburger Schulen zum Thema „Salafismus“ veranstaltet. Ziel der Veranstaltungen war es, Schulleitungen und Lehrkräfte für dieses Thema zu sensibilisieren und die Befassung in der jeweils eigenen Zuständigkeit anzuregen. Die Teilnehmerzahlen der Veranstaltungen wurden nicht erfasst. 10. Welche Lehrinhalte werden an den Hamburger Schulen zum Thema Islam vermittelt und welche Rolle spielt die Prävention vor Radikalisierung darin? Das Fach Religion wird auf der Grundlage der gültigen Bildungspläne unterrichtet, siehe http://www.hamburg.de/contentblob/2372656/data/religion-sts.pdf (für die Stadtteilschule ) sowie http://www.hamburg.de/contentblob/2373318/data/religion-gymseki .pdf (für das Gymnasium). Die dort festgelegten Ziele und Methoden dienen den in § 2 HmbSG genannten Grundwerten und pädagogischen Zielsetzungen. Der Religionsunterricht soll einer religiös verbrämten Radikalisierung vorbeugen. Menschen- Drucksache 21/954 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 rechts- und Demokratiefeindlichkeit als politisch-ideologischer Hintergrund einer Radikalisierung ist außerdem Gegenstand anderer gesellschaftswissenschaftlicher Fächer, Lernbereiche und Aufgabengebiete. 11. Wie viele Koranverteilungsstände haben in Hamburg bis zum 30.06.2015 stattgefunden? Koranverteilungsaktionen in Form von Informationsständen finden nach Kenntnis der zuständigen Behörden in Hamburg seit dem Jahr 2012 statt. Vor dem Hintergrund der Fragestellung führt der Senat solche Koranverteilungsstände auf, von denen bekannt ist, dass sie einen salafistischen Hintergrund haben. Bis zum 30. Juni 2015 haben in Hamburg bisher 143 salafistische Koranverteilungsaktionen stattgefunden. Im Übrigen siehe Drs. 21/114. 12. Wie regelmäßig wird die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zu diesen Ständen kontrolliert und durch wen? Wie oft konnte 2014 und 2015 verzeichnet werden, dass die gesetzlichen Vorgaben nicht eingehalten wurden? Welche Konsequenzen ergaben sich durch die NichtEinhaltung ? Veranstalter benötigen eine Sondernutzungserlaubnis nach § 19 Absatz 1 Hamburgisches Wegegesetz. Kontrollen finden seitens der Behörden anlassbezogen statt, bei denen bislang keine Verstöße nach dem Wegerecht festgestellt wurden. Im Übrigen siehe Drs. 21/114. 13. Wieso wurde vor dem Hintergrund der laut des Verfassungsschutzberichtes deutlich gestiegenen Zahl der Salafisten in Hamburg die Beobachtung der Hamburger IGMG-Gliederung, die hier durch das „Bündnis islamischer Gemeinden in Norddeutschland“ (BIG) repräsentiert wird, im Verlauf des Jahres 2014 eingestellt? Die „Islamische Gemeinschaft Milli Görüs“ (IGMG) stand nie in einem inhaltlichen Zusammenhang mit dem Salafismus. Von dem „Bündnis islamischer Gemeinden in Norddeutschland“ gehen nach Erkenntnissen des LfV keine Aktivitäten mehr aus, die eindeutig als Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu erwarten sind. 14. Vor dem Hintergrund der Ausreise der 18-jährigen Ece B. nach Syrien: Welche Unterstützung durch die Stadt Hamburg erfahren Familienangehörige und Freunde von Menschen, die zu islamradikalen Zwecken ausreisen ? Inwieweit findet in dem Umfeld Aufklärung statt? Am 1. Juli 2015 hat eine neue Beratungsstelle zur Angehörigenberatung und systemischen Ausstiegsbegleitung in Hamburg ihre Arbeit aufgenommen (siehe Drs. 20/13460 und 21/476). Träger ist die Vereinigung Pestalozzi gem.GmbH in Zusammenarbeit mit Ambulante Maßnahmen Altona e.V. (AMA). Finanziert wird die Beratungsstelle durch die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI). Die Beratungsstelle berät sowohl Familienangehörige als auch deren soziales Umfeld. Zudem können Multiplikatoren, zum Beispiel aus den Bereichen Schule und Kinderund Jugendhilfe, beraten und fortgebildet werden. Im Rahmen der Beratungsstelle ist auch die Einrichtung einer Selbsthilfegruppe für Angehörige von nach Syrien oder in den Irak Ausgereisten geplant. Zudem finanziert die BASFI ab dem 1. Juli 2015 jeweils eine Koordinierungsstelle bei SCHURA – Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V. und der Alevitischen Gemeinde Hamburg e.V., welche auch eine niedrigschwellige Lotsenberatung anbieten, die die Ratsuchenden an die Familienberatung der Vereinigung Pestalozzi verweist. Bei der Polizei werden Familienangehörige im Rahmen von Ermittlungs- und Gefahrensachverhalten aufgeklärt und beraten; darüber hinaus vermittelt die Polizei die Angehörigen an Hilfseinrichtungen weiter. Auch das LfV Hamburg steht Familienangehörigen und anderen durch Jihad-Reisen betroffenen Menschen beratend zur Verfügung . Im Übrigen siehe Antwort zu 7.