BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/9543 21. Wahlperiode 30.06.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 22.06.17 und Antwort des Senats Betr.: Praxis der Versammlungsfreiheit in Hamburg Zwar wird die Versammlungsfreiheit nicht schrankenlos gewährt, einschränkende Maßnahmen gegenüber Anmeldern/-innen und Teilnehmern/-innen von Versammlungen sind aber wiederum im Lichte der Versammlungsfreiheit zu betrachten. Dass dies nicht immer in hinreichendem Maß geschieht, haben die beiden jüngsten Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Hamburg zu den Protestcamps im Stadtpark aufgezeigt. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Hinsichtlich der gerichtlichen Entscheidung zu den Verfügungen der Polizei wird auf die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts (VG) Hamburg zu der Anmeldung „Solidarische Oase Gängeviertel“ und des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Hamburg sowie des Bundesverfassungsgerichts zum Camp im Stadtpark hingewiesen. Die gerichtlichen Entscheidungen machen die Notwendigkeit differenzierter Betrachtung deutlich. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. In wie vielen Fällen wurden seit dem 01.04.2013 Versammlungen auf Flächen angemeldet, die zugleich einer Sondernutzungserlaubnispflicht, einer Erlaubnispflicht für Grünanlagen oder sonstigen Erlaubnispflichten unterliegen? (Bitte Ort, Datum und Art der Versammlung genau angeben .) Die erfragten Daten werden von der Polizei statistisch nicht erfasst. Eine Durchsicht, Auswertung und Aufbereitung mehrerer Tausend Vorgänge ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Die für Erlaubnispflichten in Bezug auf Sondernutzungen, Grünanlagen und ähnliche Bereiche zuständigen Bezirksämter haben in zwei Fällen verzeichnet, dass für Versammlungen auch gleichzeitig die Nutzung öffentlicher Wegeflächen beantragt und als Sondernutzung nach dem Hamburgischen Wegegesetz genehmigt wurden: Ort Datum Art Harburg, Niedermoor 30.09.2013 bis 02.10.2013 Versammlung „Mahnwache gegen Tierversuche bei Laboratory of Pharmacology and Toxicology sowie die generelle Benutzung und Tötung von Tieren für Versuche- Für eine Welt ohne Tierausbeutung!“ Harburg, Herbert -Wehner- Platz 15.05.2014 Versammlung „100% sozial- Die Position der LINKEN“ Drucksache 21/9543 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Weiterhin wurde beziehungsweise wird im Rahmen einer privatrechtlichen Überlassungsvereinbarung eine Fläche in der Großen Elbstraße 9 (sogenannte Containerfläche ) zu folgenden vier Kundgebungen zur Verfügung gestellt: Anlass: Zeitraum: Kundgebung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft 26. März 2015 Mai-Kundgebung des DGB 01. Mai 2015 Mai-Kundgebung des DGB 01. Mai 2017 Kundgebung „Hamburg zeigt Haltung“ 08. Juli 2017 Die übrigen Bezirksämter hatten für diesen Zeitraum entweder keine Fälle beziehungsweise haben versammlungsrechtliche Vorgänge an die Polizei weitergeleitet oder konnten entsprechende Angaben in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht ermitteln, wobei eine automatisierte Auswertung nicht möglich war und entsprechende Statistiken nicht vorlagen und somit für die Beantwortung weit über tausend Sondernutzungsanträge händisch darauf hin zu überprüfen gewesen wären, ob gegebenenfalls parallel oder im Vorfeld eine Anmeldung als Versammlung erfolgt ist. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass das jeweils zuständige Bezirksamt gegebenenfalls nicht automatisiert über eine Versammlungsanmeldung, die eventuelle weitere Genehmigungserfordernisse nach sich zieht, informiert wird. a. In wie vielen Fällen wurden solche Versammlungen verboten? In keinem Fall. Im Übrigen siehe Antwort zu 2. a. b. In wie vielen Fällen wurden sie von bestimmten Auflagen abhängig gemacht? Dann bitte die entsprechenden Auflagen angeben. Siehe Antwort zu 1. 2. Wird bei der Versammlungsbehörde eine Statistik über Verbote und Auflagen sowie Widersprüche und Klagen gegen Versammlungsbescheide (zum Beispiel Auflagen und Verbote) geführt? Bei der Versammlungsbehörde wird eine Statistik nur in Bezug auf Versammlungsverbote geführt. Wenn ja: a. Wie viele angemeldete Versammlungen wurden in Hamburg seit dem 01.01.2013 verboten? Bitte jeweils das Datum, für welches die Versammlung angemeldet wurde, den jeweiligen Tenor der angemeldeten Versammlung und die jeweiligen Verbotsgründe mit angeben . Drei; hierzu siehe folgende Tabelle: Datum Tenor Grund des Verbots 15.03.2015 „Gala in Hamburg für die Ummah!“ Spendensammlung für eine terroristische Vereinigung 15.03.2015 „Diskriminierung und Stigmatisierung in Deutschland“ als Ersatzveranstaltung für die „Gala in Hamburg für die Ummah!“ Spendensammlung für eine terroristische Vereinigung 12.09.2015 „Tag der Patrioten“ Hinweise auf geplante rechtsextreme Gewaltaktionen b. Gegen wie viele Versammlungsbescheide wurde seit dem 01.01.2013 Widerspruch eingelegt, mit welchem Ergebnis? c. In wie vielen Fällen wurde seit dem 01.01.2013 Klage erhoben, mit welchem Ergebnis? Siehe Antwort zu 1. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9543 3 3. In wie vielen Fällen wurden seit dem 01.01.2000 in Hamburg Versammlungen präventiv durch eine Allgemeinverfügung untersagt? Bitte alle Allgemeinverfügungen mit Datum, Gebiet und Begründungen aufführen. Für den benannten Zeitraum gab es bislang eine Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017. Hierin wurde angeordnet, dass das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit unter freiem Himmel gemäß Artikel 8 Absatz 2 Grundgesetz (GG) i.V.m. § 15 Absatz 1 Versammlungsgesetz (VersG) und § 35 Satz 2 des Hamburgischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (HmbVwVfG) dahin gehend eingeschränkt wird, dass angemeldete und nicht angemeldete Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel nur außerhalb dieses Bereiches durchgeführt werden dürfen. Bezüglich der Einzelheiten siehe www.polizei.hamburg.de sowie Bekanntmachung im „Amtlichen Anzeiger“ Nummer 45 vom 9. Juni 2017, Seiten 869 – 870. 4. Wann genau und wo wurden welche Versammlungen aufgrund einer Allgemeinverfügung verboten? Die Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017 umfasst den Zeitraum vom 7. Juli 2017 ab 06.00 Uhr, bis 8. Juli 2017, 17.00 Uhr, für Teile des Hamburger Stadtgebietes. Im Übrigen siehe Antwort zu 3. 5. In wie vielen Fällen sind Anmelder/-innen gegen diese Versammlungsverbote und die zugrunde liegende Allgemeinverfügung vorgegangen? Bitte genau ausführen, welche Rechtsmittel mit welchem Ausgang eingelegt wurden. Mit der Allgemeinverfügung wurde kein Versammlungsverbot ausgesprochen. Die Allgemeinverfügung stellt eine beschränkende versammlungsrechtliche Verfügung dar. Im Übrigen sind vor dem VG Hamburg derzeit sechs Verfahren und vor dem OVG Hamburg zwei Verfahren anhängig. Über den Ausgang der Verfahren kann keine Mitteilung gemacht werden, da noch keine rechtskräftigen Entscheidungen vorliegen. 6. Unter welchen tatbestandlichen Voraussetzungen ist nach Ansicht des Senats beziehungsweise der zuständigen Behörde der Erlass einer Allgemeinverfügung zulässig und auf welcher Rechtsgrundlage ist dies möglich? Die Rechtsgrundlage für den Erlass einer Allgemeinverfügung ist Artikel 8 Absatz 2 Grundgesetz (GG) i.V.m. § 15 Absatz 1 Versammlungsgesetz (VersG) und § 35 Satz 2 Hamburgisches Verwaltungsverfahrensgesetz (HmbVwVfG). Die tatbestandlichen Voraussetzungen ergeben sich aus diesen Normen. 7. Welche Stellen sind in die behördliche Entscheidung darüber, ob ein polizeilicher Notstand vorliegt, eingebunden? Die Bewertung der Frage eines polizeilichen Notstandes im rechtlichen Sinne ergibt sich aus der fachlichen Abwägung von Sicherheitsanforderungen und zur Verfügung stehenden Ressourcen. Sie wird entsprechend von der Einsatzleitung vorgenommen. 8. Wann wurde in Hamburg seit dem 01.01.2000 der polizeiliche Notstand verhängt? Bitte Datum, Anlass und Gründe aufführen. Eine Durchsicht, Auswertung und Aufbereitung sämtlicher Akten ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Erinnerlich ist jedenfalls ein Fall, in dem das Verbot einer für den 12. September 2015 unter dem Thema „Tag der Patrioten“ angemeldeten Versammlung auf einen polizeilichen Notstand gestützt wurde. 9. Wie ist der Verfahrensstand der in der Drs. 21/62 aufgeführten Verfahren mit Beteiligung von Hartmut Dudde vor dem VG Hamburg (Az 13 K 2672/12 und 11 K 2550/12)? Bitte jeweils auch den Entscheidungstenor angeben. Drucksache 21/9543 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Der Einsatzleiter war bei den genannten Verfahren nicht Beteiligter. Vielmehr richteten sich die Klagen gegen die Freie und Hansestadt Hamburg. In den genannten Verfahren entschied das VG Hamburg wie folgt: Aktenzeichen Datum der Entscheidung Tenor 13 K 2672/12 Urteil vom 4. Mai 2016 Es wird festgestellt, dass die Ingewahrsamnahme der Klägerin durch die Polizei Hamburg am 2. Juni 2012 rechtswidrig war. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte mit Ausnahme der Kosten, die durch die Anrufung des unzuständigen Gerichts entstanden sind; diese trägt die Klägerin. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet. 11 K 2550/12 Urteil vom 26. Juni 2015 Es wird festgestellt, dass die Ingewahrsamnahme des Klägers durch die Polizei Hamburg am 2. Juni 2012 rechtswidrig war. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte mit Ausnahme der Kosten, die durch die Anrufung des unzuständigen Gerichts entstanden sind; diese trägt der Kläger. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet. Beim Hamburgischen OVG war keines der Verfahren anhängig. 10. Wie ist der Verfahrensstand hinsichtlich der in der Drs. 21/62 angegebenen beabsichtigten Klagen mit den verwaltungsgerichtlichen Aktenzeichen der PKH-Anträge 8 K 6132/14, 8 K 88/15, 8 K109/15, 8 K 110/15 und 8 K 128/15 anlässlich des Aufzuges „Rote Flora verteidigen – Esso- Häuser durchsetzen! Gegen rassistische Zustände – Bleiberecht für alle!“ vom 21. Dezember 2013 (Hartmut Dudde war Einsatzleiter des Abschnitts „Aufzug“)? Bitte angeben, welche Entscheidungen es mit welchem Tenor gegeben hat. Zu den genannten Anträgen auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ergingen folgende Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Hamburg: Aktenzeichen Datum der Entscheidung Tenor 8 K 6132/14 Beschlüsse vom 19. September 2016 und 14. Dezember 2016 Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vom 21. Dezember 2014 wird abgelehnt. Die Erinnerung gegen den Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9543 5 Aktenzeichen Datum der Entscheidung Tenor Beschluss vom 19. September 2016 wird als unbegründet zurückgewiesen . 8 K 88/15 Beschlüsse vom 19. September 2016 und 2. Januar 2017 Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vom 22. Dezember 2014 wird abgelehnt. Auf die Erinnerung hin wird der Beschluss vom 19. September 2016 aufgehoben und der Antragstellerin Prozesskostenhilfe für die erste Instanz ohne Ratenzahlung bewilligt. … wird zu den Bedingungen einer ortsansässigen Rechtsanwältin beigeordnet. Aus ihrem Vermögen hat die Antragstellerin einen Betrag von … EUR zur Deckung der Kosten der Prozessführung einzusetzen. 8 K 109/15 Beschluss vom 19. September 2016 Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vom 22. Dezember 2014 wird abgelehnt. 8 K 110/15 Beschluss vom 19. September 2016 Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vom 22. Dezember 2014 wird abgelehnt. 8 K 128/15 Beschluss vom 25. August 2016 Dem Antragsteller wird für die erste Instanz Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsverpflichtung bewilligt . … wird zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts zur Vertretung beigeordnet. Beim Hamburgischen OVG war keines der Verfahren anhängig.