BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/9604 21. Wahlperiode 04.07.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Cansu Özdemir (DIE LINKE) vom 27.06.17 und Antwort des Senats Betr.: Reisebewegungen von Jihadisten Laut aktuellen Zahlen des Bundesamtes für Verfassungsschutz liegt die Entwicklung der Ausreisezahlen aus Deutschland von 2013 bis zum jetzigen Zeitpunkt bei inzwischen 930 Personen (vergleiche https://www.verfassungsschutz.de/print/de/arbeit70sfelder/af-islamismusund -islamistischer-terrorismus/zahlen-und-fakten-islamismus/zuf-isreisebewegungen -in-richtung-syrien-irak). „Etwa ein Drittel der gereisten Personen befindet sich momentan wieder in Deutschland. Als Ergebnis (…) zu zurückgekehrten Personen liegen den Sicherheitsbehörden aktuell zu über 70 Personen Erkenntnisse vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak oder hierfür eine Ausbildung absolviert haben.“ Die Ausbildung sowie das zumeist aktive Kämpfen in IS-Strukturen dieses Personenkreises bedeutet ein hohes Gefahrenpotenzial und Risiko von islamistisch motivierten Anschlägen und Straftaten. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wie erklärt sich der Senat, dass trotz Präventions- und Interventionsprogrammen sowie Aufstockung der sicherheitsbehördlichen Strukturen so viele Personen immer wieder ausreisen? 2. Was sind die Gründe, warum Ausreisen nicht aktiv verhindert werden konnten und können? Im aktuellen Verfassungsschutzbericht wird dargelegt, dass die Zahl der Ausreisen deutlich zurückgegangen ist. So gab es im Jahr 2016 keine Ausreisen. Im Jahr 2017 reisten bisher sechs Personen aus, die inzwischen nach Deutschland zurückgebracht wurden und in Untersuchungshaft sitzen. Dies ist auch ein Ergebnis der Prävention, Information und Aufklärung durch die Hamburger Behörden. Durch Ausreiseverbote einschließlich passrechtlicher Maßnahmen sind Ausreisen verhindert worden (siehe Drs. 21/5536, 21/6646, 21/7321, 21/8105 und 21/9440). Insofern setzt der Senat konsequent nationale und internationale Vereinbarungen um (siehe Drs. 21/1104). Gleichzeitig hat die Arbeit der Beratungsstelle Legato bereits positive Auswirkungen in Hamburg: Durch die enge Betreuung von Familien werden Radikalisierungsprozesse junger Menschen in Hamburg gestoppt und Deradikalisierungen ermöglicht. Nicht jede Reisebewegung erfolgt mit dem Ziel, an Kampfhandlungen teilzunehmen. Aufgrund der Reisefreiheit und der Begrenztheit der Möglichkeit, alle Reiseplanungen zu überprüfen, kann nicht in jedem Fall sicher bestimmt werden, welchem Zweck die Reise dient. Im Übrigen siehe Antwort zu 3. Drucksache 21/9604 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 3. Wie viele der genannten Personen sind nach aktuellem Stand aus Hamburg ? Bitte nach Geschlecht und Alter aufschlüsseln. Dem LfV Hamburg liegen seit 2013 zu insgesamt 80 ausgereisten Personen entsprechende Erkenntnisse vor. Syrienreisende Männer Frauen Unter 18 Jahre 3 0 18 – 21 Jahre 10 7 22 – 25 Jahre 20 2 26 – 34 Jahre 25 2 35 Jahre und älter 9 2 Summe 67 13 Gesamtsumme 80 a. Wie viele der ausgereisten Personen sind zurückgekommen? Syrien-Rückkehrer Männer 21 Frauen 2 Unter 18 Jahre 1 18 – 21 Jahre 4 22 – 25 Jahre 3 26 – 34 Jahre 10 35 Jahre und älter 5 Gesamtsumme 23 Im Übrigen siehe Antwort zu 3. b. Wie vielen Personen wurde der Pass entzogen? Siehe Antwort zu 1. und 2. c. Wie viele Personen sind von Abschiebung bedroht? Hierzu liegen der zuständigen Behörde keine Informationen vor. Da zu den 80 bekannten Personen auch Deutsche und langfristig in Deutschland aufhältige Ausländer zählen, kommt eine Abschiebung nicht in jedem Fall in Betracht. Die Möglichkeiten zur Herstellung und Durchsetzung der Ausreisepflicht werden aber in allen geeigneten Fällen geprüft. i. Mit welcher gesetzlichen Grundlage wird dies begründet? Eine etwaige Ausreisepflicht besteht nach § 50 Aufenthaltsgesetz (AufenthG); diese ist gegebenenfalls nach § 58 AufenthG im Wege einer Abschiebung durchzusetzen. d. Wie viele aus Hamburg ausgereiste Personen sind in Syrien/im Irak verstorben? Aufgrund der eingeschränkten Erkenntnisse der Lage vor Ort liegen meist keine detaillierten Informationen über den Verbleib und die Aktivitäten der gereisten Personen vor. Es wird darauf hingewiesen, dass der „Islamische Staat“ (IS) in mehreren Fällen falsche Todesnachrichten verbreitet hat. Dem LfV Hamburg liegen Hinweise vor, dass 20 Personen zu Tode gekommen sein sollen. e. Wie viele Personen waren vorher oder sind derzeit als Gefährder/ -innen eingestuft? Von den aus Hamburg stammenden ausgereisten Personen sind derzeit sechs als Gefährder eingestuft. Die Einstufungen erfolgten jeweils erst nach Bekanntwerden der Ausreise. Im Übrigen siehe Antwort zu 3. 4. Wie bewertet der Senat die Gruppen aus Hamburg, die bisher ausgereist sind (vergleiche Drs. 21/8642 und 8930)? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9604 3 a. Welchem Personenkreis werden sie zugeordnet? b. Was wird ihnen vorgeworfen? c. Wie schätzt der Senat ihre Gefährlichkeit ein? d. Warum wurde ihre Ausreise nicht verhindert? Den Erkenntnissen des LfV Hamburg zufolge gehören alle Personen der salafistischen Szene an. Den mit Staatsschutzsachen befassten Dezernenten der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg sind insgesamt acht in Hamburg aufhältig gewesene Beschuldigte (Tatvorwurf jeweils Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland – §§ 129a, 129b StGB) bekannt, die in das Ausland ausgereist sind. In einem der acht Fälle soll sich der Beschuldigte der Jabhat al Nusra angeschlossen haben. Die Übrigen betreffen den IS. Die zuständige Behörde sieht im Hinblick auf eine mögliche Gefährdung des Untersuchungszwecks von der Mitteilung weiterer Einzelheiten ab. Die Rückkehrer stehen im besonderen Fokus der Sicherheitsbehörden. Für jeden bekannten Rückkehrer wird auf Basis der vorhandenen Informationen eine individuelle Gefährdungseinschätzung erstellt und die erforderlichen Maßnahmen im Rahmen der vorhandenen operativen Ressourcen werden ergriffen. Der genaue Zeitpunkt einer Ausreise lässt sich nicht immer genau bestimmen, da Hinweise auf eine erfolgte Ausund Rückreise in vielen Fällen erst nachträglich anfallen und daher zeitlich nicht konkret eingegrenzt werden können. Ausreisende sind sich darüber im Klaren, dass Sicherheitsbehörden mit den zur Verfügung stehenden rechtlichen Mitteln eine Ausreise verhindern würden, sobald sie davon Kenntnis erlangen würden. Aus diesem Grund werden entsprechende Reisepläne konspirativ vorbereitet und nur in kleinsten Zirkeln geplant und besprochen. Im Übrigen siehe Antworten zu 1. und 2. sowie 3.