BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/9747 21. Wahlperiode 14.07.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Franziska Grunwaldt (CDU) vom 06.07.17 und Antwort des Senats Betr.: Auswertung des Winternotprogramms 2016/2017 – Welche Erkenntnisse zieht der Senat daraus und wie läuft es mit der Suche nach einem neuen Standort? Das Winternotprogramm (WNP) bietet „ein ergänzendes Übernachtungsangebot in den Wintermonaten zu ganzjährigen niedrigschwelligen Hilfen für obdachlose Menschen, insbesondere Notübernachtungsstellen, Tagesaufenthaltsstätten , Schwerpunktpraxen“, so die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) im Sozialausschuss vom 8. Juni 2017. Derzeit hat das WNP zwar „Sommerpause“, doch die Planungen für das kommende WNP müssten – insbesondere vor dem Hintergrund, dass einer der von f & w fördern und wohnen AöR betriebenen Standorte für das kommende WNP nicht mehr zur Verfügung stehen soll – auf Hochtouren laufen. Im vergangenen WNP haben die von f & w betriebenen Standorte Münzstraße und Schaarsteinweg 435 beziehungsweise 385 Schlafplätze angeboten. Einen neuen Standort gleicher Größe und in ähnlich zentraler Lage zu finden, dürfte die große Herausforderung für die Planung des kommenden WNP sein. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Ausschuss für Soziales und Integration hat sich im Rahmen einer Selbstbefassung in seiner Sitzung vom 8. Juni 2017 mit dem Thema „Auswertung des Winternotprogramms 2016/2017“ ausführlich beschäftigt. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Lag der Anteil der Obdachlosen mit deutscher Staatsangehörigkeit im WNP 2015/2016 noch bei 14 Prozent, so waren es im WNP 2016/2017 19 Prozent. Wie waren jeweils die absoluten Zahlen und wie erklärt der Senat die Entwicklung der absoluten Zahlen? Im Winternotprogramm (WNP) 2015/2016 haben 433 Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit das Angebot genutzt, im WNP 2016/2017 waren es 774. Mehrfachzählungen in geringem Umfang sind nicht auszuschließen. Die vorliegenden Auswertungsergebnisse lassen den Schluss zu, dass die vermehrte Inanspruchnahme durch deutsche Obdachlose mit dem Rückgang der Nutzung durch osteuropäische Menschen und der Präsenz von Fachkräften von f & w in den Nachtstunden korrespondiert und damit eine wieder höhere Akzeptanz des Angebots bei deutschen Obdachlosen ausdrückt. Insoweit werden die persönlichen Motive für die Inanspruchnahme des WNP jedoch statistisch nicht erfasst. 2. Die Auslastung der 130 Plätze bei den Kirchengemeinden lag der Präsentation der BASFI zufolge im WNP 2016/2017 durchgehend bei 100 Prozent, die Auslastung der beiden Standorte von f & w fördern und wohnen AöR (f & w) hingegen lag nur bei 85 Prozent (Schaarsteinweg) Drucksache 21/9747 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 und 93 Prozent (Münzstraße). Wie erklärt der Senat die deutlich unterschiedliche Inanspruchnahme? Die Zuweisung der Plätze bei den Kirchengemeinden und sonstigen Einrichtungen erfolgt regulär durch das Diakoniezentrum für Wohnungslose, ergänzend auch durch die Bahnhofsmission Hauptbahnhof sowie – für Frauen – durch die Tagesaufenthaltsstätte Kemenate. Das Angebot in den 1-2-Bett-Containern wird von den Nutzerinnen und Nutzern in der Regel durchgehend über die gesamte Dauer des WNP in Anspruch genommen und unterliegt daher nur einer geringen Fluktuation. Frei werdende Plätze werden anhand einer Warteliste umgehend neu belegt. Daraus ergibt sich eine vollständige Auslastung an diesen Standorten. Die Auslastung der beiden Standorte von f & w unterliegt dagegen über die Gesamtdauer des WNP hinweg üblichen Schwankungen, die sich aus einem unterschiedlichen Zulauf in Abhängigkeit unter anderem von Witterungsbedingungen, Selbsthilfemöglichkeiten und persönlichen Motiven ergeben. Zudem war insbesondere zu den Weihnachtsfeiertagen und zum Jahreswechsel auch bei diesem WNP wieder ein deutlicher Rückgang der Übernachtungen zu beobachten. Die Gesamtauslastung an beiden Standorten von 89 Prozent zeigt, dass die bereitgestellten Kapazitäten auch in diesem Jahr ausgereicht haben, um den Kälte- und Erfrierungsschutz sicherzustellen. 3. „Übernachtende, die trotz Selbsthilfemöglichkeiten nicht in ihre Heimat zurückkehren wollten, wurde anstelle der WNP-Nutzung die Wärmestube von 20 Uhr bis 7 Uhr angeboten“, heißt es vonseiten der BASFI. Die von f & w betriebene Wärmestube, die allerdings keine Schlafplätze anbietet und bewusst das Licht durchgehend anbehält, gerade weil es keine Übernachtungseinrichtung sein soll, sei allerdings nur durchschnittlich von drei Personen genutzt worden. a) Wann wurde die Wärmestube eingerichtet und ist sie Teil des WNP? b) Auf welcher rechtlichen Grundlage wurde die Wärmestube eingerichtet ? c) Mit welchem Ziel wurde die Wärmestube eingerichtet? d) Für welche Zielgruppe ist die Wärmestube vorgesehen? e) Welche Zielgruppe nutzt die Wärmestube? f) Ist die Wärmestube niedrigschwellig? Wenn nein, welche Angaben über sich müssen die Nutzer der Wärmestube machen? g) Wie war die tägliche Auslastung während des WNP 2016/2017? Bitte Auflistung beifügen. h) Wie viele Obdachlose wurden bei den Standorten Schaarsteinweg und Münzstraße im WNP 2016/2017 abgewiesen? Erhielten alle Abgewiesenen einen Hinweis auf die Wärmestube? Wenn nein, warum nicht? i) Wie erfolgt durch wen auf welcher rechtlichen Grundlage nach Abweisung die Zuweisung in die Wärmestube? Bitte erläutern. Die Wärmestube ist im Oktober 2016 eingerichtet worden und stand ab dem 1. November 2016 zur Öffnung bereit. Als Kälte- und Erfrierungsschutz fügte sie sich in das Angebot der Notmaßnahmen des Winternotprogramms auf der Grundlage des Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG) ein. Allen Personen, für die eine Unterbringung an den Übernachtungsstandorten des WNP nach dem SOG wegen bereits bestehender Selbsthilfe- oder Unterbringungsmöglichkeiten ausgeschlossen war (zum Beispiel Wohnraum oder Unterbringung außerhalb Hamburgs) und die unabhängig von etwaigen angebotenen Hilfen zur Selbsthilfe (zum Beispiel Fahrkarten) weiter um einen Kälte- und Erfrierungsschutz ersuchten , wurde von den beratenden Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern von f & w mit Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9747 3 einem Laufzettel der Aufenthalt in der Wärmestube eröffnet. Der Laufzettel ist der Wärmestube zugefaxt worden, die mögliche Ankunft der jeweils beschriebenen Person wurde telefonisch angekündigt. Darüber hinaus waren Angaben der Betroffenen vor Ort in der Wärmestube nicht erforderlich, es handelte sich also auch hier um ein niedrigschwelliges Angebot. Die Nutzung eigener Schlafausrüstung war in diesem Angebot nicht ausgeschlossen. Insgesamt haben 92 Personen einen solchen Laufzettel erhalten. Die Wärmestube hat die Laufzettel bei Ankunft mit dem gefaxten Dokument abgeglichen. Tatsächlich genutzt wurde das Angebot täglich von bis zu drei regelmäßig erscheinenden Personen. Weitergehende Auslastungsstatistiken wurden nicht geführt. 4. f & w hat im Rahmen der Perspektivberatung 2.170 Gespräche während des WNP geführt. „In über 200 Fällen sind Kostenübernahmen für Rückkehrhilfen erklärt worden. In 117 Fällen sind daraus genutzte Fahrkarten entstanden.“ Plata und Sansa haben in ihren 1.112 geführten Gesprächen sogar 404 Fahrkarten ausgehändigt. a) Wieso händigten Plata und Sansa in nur halb so viel Gesprächen als f & w vier Mal so viel Fahrkarten aus? Die Gespräche in den ganzjährigen Angeboten bei der Anlaufstelle für wohnungslose EU-Bürger/Plata, ergänzt um die Straßensozialarbeit bei Sansa, sind nach ihrer Aufgabenstellung auf eine Klärung der Perspektiven osteuropäischer Menschen einschließlich der in diesen Fällen regelmäßig als möglich anzunehmenden Rückkehr in die Heimat fokussiert. Die quantitativen Ergebnisse enthalten aufgrund der dortigen Quartalstatistik auch den nicht zum WNP gehörenden Monat Oktober. Die auf die Laufzeit des WNP beschränkten Beratungen bei f & w umfassen neben Gesprächen zur persönlichen Lage, zu Leistungsansprüchen, zur öffentlichen Unterbringung und zu möglichen Verweisen an andere Beratungsstellen ebenfalls Perspektivklärungen . In der Gesamtmenge der 2.170 Beratungen sind in 723 Fällen Gespräche mit dem vorrangigen Ziel einer Perspektivklärung beziehungsweise Rückkehrmöglichkeit in den Heimatort geführt worden. Obgleich hierbei im Schwerpunkt osteuropäische Menschen beraten wurden, richten sich diese Angebote zur Perspektivklärung an WNP-Nutzerinnen und -Nutzer aller Nationalitäten. Nicht in allen Fällen besteht hier eine vergleichbare Rückkehroption wie bei osteuropäischen Personen. Allein die Anzahl der in Anspruch genommenen Fahrkarten spiegelt zudem nicht die Zahl der in ihre Heimatorte zurückgekehrten Personen wider. Dem Ziel entsprechend, durch die Perspektivklärungen den Beratenden auch ihre Selbsthilfemöglichkeiten und die Konditionen des für Notfälle konzipierten WNP aufzuzeigen, sind Personen auch mit eigenen Mitteln in die Heimat zurückgekehrt, ohne dass hierüber statistische Angaben erfasst und damit Zuordnungen zu den Beratungsstandorten vorgenommen werden können. Vor diesen Hintergründen ist ein direkter Vergleich der gesamten Beratungszahlen und der genutzten Fahrkarten nicht möglich. b) Werden Name, Adresse und Geburtsdatum der mit Fahrkarten versehenen Obdachlosen registriert? Wird ihre Legitimation überprüft? Wird eine Akte/eine Information in einem für alle Sozialarbeiter zentralen System angelegt/hinterlegt? c) Wenn ein eigentlich mit Fahrkarte in die Heimat geschickter Obdachloser wieder Gesprächsangebote von f & w, Plata oder Sansa in Anspruch nimmt: Unter welchen Voraussetzungen kann dem beratenden Sozialarbeiter auffallen, dass es sich hier bereits um ein Folgegespräch handelt, und wird zentral erfasst, dass es sich hier um einen Rückkehrer handelt? Wenn dies zentral erfasst wird: Welche Erkenntnisse über Rückkehrer liegen dem Senat vor? Wenn dies nicht zentral erfasst wird: Warum wird nicht ermittelt, wie viele Rückkehrer es gibt? Im Rahmen der Beratungsgespräche werden die persönlichen Angaben registriert. Die Überprüfung der Angaben erfolgt im Zuge eines an die Beratung anknüpfenden Antra- Drucksache 21/9747 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 ges auf Kostenübernahme für ein Rückfahrtticket beim Grundsicherungsamt des Bezirksamtes Mitte. Damit sind – anhand der grundsätzlich freiwilligen Angaben in diesem niedrigschwelligen Angebot – auch zurückkehrende Personen im laufenden WNP erkennbar. Eine wiederholte Nutzung des WNP ist hier regelhaft ebenso ausgeschlossen wie eine erneute Bewilligung von Rückfahrttickets. Im zurückliegenden WNP waren von den 92 an die Wärmestube verwiesenen Personen acht Personen zurückgekehrte frühere Nutzerinnen und Nutzer des laufenden WNP. Eine weitergehende Auswertung erfolgt nicht. Insbesondere kann die Zahl der Rückkehrinnen und Rückkehrer, die nicht erneut im laufenden WNP vorstellig werden, insoweit statistisch nicht erfasst werden. 5. Hat der Senat bereits infolge der Auswertung des WNP 2016/2017 Änderungen für das WNP 2017/2018 in Planung? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht? Es ist nach jetzigem Stand von einem Notübernachtungsangebot in ähnlicher Größenordnung auszugehen wie im zurückliegenden WNP. Die Meinungsbildung hinsichtlich konzeptioneller Aspekte des kommenden WNP ist noch nicht abgeschlossen. 6. Ist es zutreffend, dass der Standort Münzstraße oder der Standort Schaarsteinweg für das kommende WNP nicht mehr zur Verfügung steht? a) Wenn ja, welcher Standort von beiden wird es sein und warum steht ausgerechnet dieser Standort nicht mehr zur Verfügung? b) Steht ein neuer Standort bereits zur Verfügung? Wenn ja, wo befindet sich dieser und wie viele Schlafplätze können dort maximal angeboten werden? Wenn nein, wie ist der Planungsstand bezüglich der Suche eines neuen Standortes? Wurden diesbezüglich bereits Gespräche aufgenommen ? Wenn ja, wann und mit wem? Wenn nein, warum nicht? Der Standort in der Münzstraße steht nach Auslaufen des Mietvertrages zum 31.März 2017 aufgrund einer anderweitigen Nutzung der Grundstücksflächen nicht mehr zur Verfügung. Anstelle dieses Standortes sollen künftig die Räumlichkeiten des im Eigentum der Freien und Hansestadt Hamburg stehenden Gebäudes in der Friesenstraße 22 im Bezirk Hamburg-Mitte unterhalb der dortigen Verwaltung von f & w genutzt werden. Vorgesehen ist eine Umnutzung der im Augenblick für die Unterbringung von 350 Flüchtlingen genutzten Räumlichkeiten mit einer Herrichtung für die Zeit des Winternotprogramms im Umfang von bis zu 460 Plätzen. Diesbezüglich ist nach Gesprächen mit dem Bezirk und den Anliegern ein Anhörungsverfahren nach § 28 Bezirksverwaltungsgesetz eingeleitet worden. 7. In Drs. 21/8553 heißt es, dass die Planungen für einen neuen Standort für die Tagesaufenthaltsstätte (TAS) noch nicht abschlossen seien. Ist dies inzwischen der Fall? Wenn ja, wo ist der neue Standort, wie groß ist er, für wie viele Leute bietet er Platz und zu wann wird er bezogen? Wenn nein, warum nicht, wann ist mit einem Abschluss der Planungen zu rechnen und zu wann ist der alte Standort in der Hinrichsenstraße gekündigt? Die Suche nach einem neuen Standort der ganzjährigen Tagesaufenthaltsstätte und die Planungen für deren Inbetriebnahme sind vor dem Hintergrund einer erwartungs- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9747 5 gemäß schwierigen Akquise geeigneter und verfügbarer Flächen und Objekte nach wie vor noch nicht abgeschlossen. Eine Standortentscheidung soll in der zweiten Jahreshälfte 2017 erfolgen. Die Räumlichkeiten am derzeitigen Standort in der Hinrichsenstraße stehen im Eigentum der Freien und Hansestadt Hamburg und werden vorerst weiter für den Tagesaufenthalt genutzt.