BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/9755 21. Wahlperiode 14.07.17 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Michael Kruse (FDP) vom 06.07.17 und Antwort des Senats Betr.: Strategie nach dem Brexit-Entscheid – Wie interessant ist Hamburg für Unternehmen und Institutionen aus Großbritannien nach dem Brexit? Ein Jahr nach dem Referendum des Vereinigten Königreichs am 23. Juni 2016 (Brexit) sind die Auswirkungen des Entscheids auf Handels- und Geschäftsbeziehungen weiter ungewiss. Die Wirtschaftsbeziehungen zu Großbritannien sind für Hamburg sehr wichtig. Mehr als 1.000 Unternehmen in Hamburg pflegen geschäftliche Beziehungen zu Großbritannien. Die Ansiedlung von Unternehmen und Institutionen aus Großbritannien könnte eine Chance für den Wirtschaftsstandort Hamburg sein. Auch europäische Institutionen wie die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) und die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) mit Sitz in London könnten nach einem Brexit in andere Länder der Europäischen Union verlegt werden. Eine Strategie des Senats zur Ansiedlung britischer Unternehmen oder von Institutionen , die verlagert werden, ist allerdings nicht erkennbar. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Seit der Entscheidung der britischen Bevölkerung vom 23. Juni 2016, die Europäische Union (EU) zu verlassen, war allgemein mit einer hohen Zahl von Abwanderungen von Unternehmen aus dem Großbritannien gerechnet worden. Nennenswerte Verlagerungen nach Deutschland oder in andere Länder der EU aufgrund des Brexits haben bisher nicht stattgefunden. Grund hierfür sind die bislang noch nicht feststehenden Modalitäten des Austritts Großbritanniens aus der EU. Ein Verbleiben Großbritanniens im europäischen Binnenmarkt ist nicht ausgeschlossen. Dadurch ist eine weitere Verzögerung der Unternehmensentscheidungen eingetreten. Lediglich Firmen, die in der EU lizensierte Produkte anbieten, wie etwa im Finanzbereich , sind derzeit im Verlagerungsdruck. So haben bereits einige Banken die mittelfristige Teilverlagerung an andere europäische Finanzzentren wie Frankfurt oder Paris angekündigt, die jedoch noch nicht vollzogen sind. Auch Unternehmen, die auf internationale Fachkräfte angewiesen sind, halten ihre Überlegungen aufrecht, zusätzliche Aktivitäten auf dem Kontinent zu starten, da die striktere Einwanderungspolitik die Anwerbung von ausländischen Fachkräften erschwert und verteuert. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen auf der Grundlage von Auskünften der HWF Hamburgische Gesellschaft für Wirtschaftsförderung mbH (HWF) wie folgt: 1. Welche Strategie verfolgen der Senat und seine zuständigen Stellen zur Anwerbung von britischen Unternehmen? Welche Strukturen hat der Senat seit dem Brexit-Entscheid geschaffen, um diese Strategie umzusetzen ? Drucksache 21/9755 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Zum einen werden Unternehmen aus Asien und Nordamerika angesprochen, die für zusätzliche Aktivitäten in Europa Großbritannien als Standort in Betracht ziehen und die nach Hamburg umgeleitet werden könnten. Zum anderen stehen Unternehmen in Großbritannien (international und national) im Fokus, die bereits Geschäftsbeziehungen in Hamburg haben. Diese werden individuell angesprochen. Rund um das Thema Brexit hat sich in Hamburg ein Kompetenzteam gebildet, dem neben Vertreterinnen und Vertretern der zuständigen Behörde, der Handelskammer Hamburg und der HWF auch Unternehmerinnen und Unternehmer angehören. Das Projektteam International der HWF ist für die Akquisition von Firmen im Kontext des Brexits verantwortlich. 2. Welche Ziele haben sich der Senat und die zuständigen Stellen in Bezug auf britische Unternehmen und Institutionen, die ihren Sitz aus Großbritannien nach Kontinentaleuropa verlagern wollen, gesetzt? Hamburgs Ziel ist es, die gewachsenen Handelsbeziehungen auch nach einem Brexit soweit als möglich aufrechtzuhalten und zu fördern. Für die mit Hamburg verbundenen Unternehmen bietet sich Hamburg auch weiterhin als „Great Britain’s Gateway to Europe“ an. Im Übrigen siehe Drs. 21/5657. 3. Wie viele Unternehmen aus Großbritannien haben im Jahr nach der Abstimmung zum Brexit Anfragen an die Stadt Hamburg oder ihre zuständigen Stellen zur Sitzverlagerung gestellt? Vom 23. Juni 2016 bis Anfang Juli 2017 sind bei den zuständigen Hamburger Behörden und Institutionen 24 Anfragen zur Sitzverlagerung eingegangen. 4. Wie viele Unternehmen aus Großbritannien haben sich in den Jahren 2016 bis Juni 2017 in Hamburg neu angesiedelt? a. Wie viele Hauptniederlassungen und wie viele Zweigniederlassungen sind darunter? Gibt es eine Veränderung bei den Zahlen gegenüber dem Jahr zuvor? Die Anzahl der Neuansiedlungen von Unternehmen aus Großbritannien kann nicht erfasst werden. Festgestellt werden kann nur die Zahl der Eintragungen in der Rechtsform der Limited aus Großbritannien: 25 Unternehmen wurden im gefragten Zeitraum eingetragen, davon waren drei Hauptniederlassungen, acht Zweigniederlassungen und 14 unselbständige Zweigstellen . In 2015 waren es 17 eingetragene Unternehmen, davon war keine eine Hauptniederlassung , fünf waren Zweigniederlassungen und zwölf unselbständige Zweigstellen. Aus der Gewerbeanzeigenstatistik kann keine Aussage darüber entnommen werden, wie viele Unternehmen aus Großbritannien sich in den Jahren 2015 bis 2017 in Hamburg neu angesiedelt haben. In die Auswertung nach Staatsangehörigkeit fließen ausschließlich Einzelunternehmen ein. Die Gewerbeanzeigenstatistik gibt nur wieder, dass eine Person mit britischer Staatsangehörigkeit ein Gewerbe an- oder abgemeldet hat. Ob Neuansiedlungen aus Großbritannien erfolgt sind, ist daraus nicht ableitbar. Gewerbeanmeldungen 1 in Hamburg insgesamt und Einzelunternehmen nach britischer Staatsangehörigkeit 2015 bis April 2017 Gewerbeanmeldungen insgesamt Anzahl Fälle/Anzahl Anzahl Fälle/Anzahl Anzahl Fälle/Anzahl Anzahl Fälle/Anzahl Jahr Hauptniederlassung Zweigniederlassung unselbst. Zweigstelle Gesamtsumme 2015 18.784 190 1.188 20.162 2016 18.416 202 1.180 19.798 2017 6.447 69 435 6.951 darunter Einzelunternehmen mit britischer Staatsangehörigkeit Jahr Hauptniederlassung Zweigniederlassung unselbst. Zweigstelle Gesamtsumme 2015 30 - - 30 2016 30 - 1 31 2017 13 - - 13 1 ohne Automatenaufsteller und Reisegewerbe und ohne GmbH und UG in Gründung Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9755 3 Quelle: Statistikamt Nord: Gewerbeanzeigenstatistik Daten der Gewerbeanzeigenstatistik bis Juni des Jahres 2017 liegen erst am 31. August vor. b. Wie viele Unternehmen aus Großbritannien sind durch Maßnahmen der HWF von 2016 bis Juni 2017 neu angesiedelt worden? Die HWF hat zwei Unternehmen seit dem Jahr 2016 bis Juni 2017 neu angesiedelt. c. Wie viele Arbeitsplätze sind dadurch in welchem Stadtteil/Bezirk in Hamburg von 2016 bis Juni 2017 in welchen Branchen entstanden? Insgesamt entstanden durch die zwei Neuansiedlungen 27 Arbeitsplätze im Bezirk Hamburg-Mitte und im Bezirk Altona. Das eine Unternehmen ist im Bereich Entwicklung , Produktion und Vertrieb von roboterbetriebenen Auslieferungssystemen für kundennahe Auslieferungen sowie die Erbringung solcher Auslieferungsdienstleistungen und das zweite in dem Bereich Anbieten von Weiterbildungsinhalten und fachlicher Unterstützung für Teilnehmerinnen und Teilnehmer von eLearning-Programmen tätig. 5. Wie stellen der Senat beziehungsweise die HWF die Vorteile Hamburgs als attraktiven Wirtschaftsstandort für Unternehmen aus Großbritannien heraus? Hamburg positioniert sich in Einzelansprachen sowie über Medien und auf Veranstaltungen als „Great Britain´s Gateway to Europe“. So veranstaltete die HWF am 17. Juni des Jahres 2017 ein Business Breakfast in Manchester mit der lokalen Handelskammer und nahm am Global Expansion Summit in London teil. Im September dieses Jahres referiert die HWF bei „Brexit Business Planning Forum“ in London und nimmt an einem Briefing in Kooperation mit einer internationalen Anwaltskanzlei teil. Zudem wird mit der lokalen Handelskammer in Bristol im Oktober des Jahres 2017 eine Veranstaltung durchgeführt und das Veranstaltungsformat „Hamburg on Tour“ macht Station in London. Hier wird die zweite Bürgermeisterin den Senat vertreten. Ebenso wird Hamburg auf der „The Foreign Direct Investment Expo“ in London Aussteller. Darüber hinaus sind Unternehmergespräche in Nottingham sowie weitere Briefings in Kooperation mit Anwaltskanzleien in Planung. 6. Welche Strategie hat der Senat, um die Handelsbeziehungen Hamburgs mit Großbritannien im Sinne der Unternehmen zu erhalten und zukunftsfähig auszubauen (bitte aufteilen nach Handelsbeziehungen gegenüber England, Schottland, Wales, Nordirland)? Der Senat misst den Handelsbeziehungen zu Großbritannien einen hohen Stellenwert bei. Er ist des-halb in engem Austausch mit der Bundesregierung und der EU und setzt sich diesen gegenüber für Handelsinteressen ein. Dabei beachtet der Senat die Außenvertretungskompetenz der Bundesregierung sowie die Zuständigkeit der EU und unterstützt die grundsätzlichen Festlegungen dieser Institutionen. 7. Wie ist der aktuelle Stand der Bemühungen des Senats, Hamburg zum Sitz der EMA zu machen? Die Entscheidung, in welches Land die derzeit in Großbritannien ansässigen EU- Institutionen nach dem Ausscheiden von Großbritannien aus der EU kommen, obliegt dem EU Ministerrat. Vorschlagberechtigt sind die Regierungen der der jeweiligen EU- Länder. Hamburg hatte sich neben anderen deutschen Städten bei den zuständigen Bundesministerien darum beworben, als deutscher Kandidat dem Ministerrat vorgeschlagen zu werden. Am 12. Juni 2017 hat die Bundesregierung mitgeteilt, dass sich Deutschland mit Bonn für die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) bewirbt.