BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/9773 21. Wahlperiode 18.07.17 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 10.07.17 und Antwort des Senats Betr.: Zu welchen Auswirkungen führte der G20-Gipfel für den Justizvollzug? Die entsetzlichen Ausschreitungen im Rahmen des G20-Gipfels führten zu zahlreichen Festnahmen und Ingewahrsamnahmen. Massive Angriffe auf Polizeibeamte, angezündete Autos, in Brand gesetzte Barrikaden und die Zerstörung und Plünderung von Geschäften ziehen Haftbefehle und Ermittlungsverfahren nach sich. Nach einem Bericht des „Hamburger Abendblattes“ (online) vom 9. Juli 2017 sprachen die Richter bis Sonntag früh (9. Juli 2017) in 57 Fällen Haftbefehle aus, 50 Anträge auf Erlass eines Haftbefehls wurden abgelehnt, 65 Ingewahrsamnahmen wurden angeordnet. Von der GeSa in Harburg aus wurden die Insassen in die JVA Billwerder gebracht, die während des Gipfels als Aufnahmeanstalt diente. Wie eng die Haftplatzkapazitäten in Hamburgs Justizvollzugsanstalten seit Langem sind, ist hinlänglich bekannt. In der Antwort auf meine Schriftliche Kleine Anfrage Drs. 21/9534 vom 30. Juni 2017 verschleierte der Senat bewusst die aktuellen Kapazitäten vor dem Gipfel, indem er Belegungszahlen vom 21. Juni 2017 nannte und auf Planungen vom 22. Juni bis zum 30. Juni verwies. Es stellt sich die Frage, ob beziehungsweise wie alle Personen untergekommen sind. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Bei den in der Drs. 21/9534 genannten Belegungszahlen vom 21. Juni 2017 handelt es sich um die zum Zeitpunkt der Fragestellung (22. Juni 2017) aktuellen Zahlen. Einer Aufnahme der Zahlen der nächsten Wochenstatistik war wegen der damit verbundenen Bearbeitungsschritte innerhalb der zuständigen Behörde im Rahmen der Befassung der Senatskommission für Große und Kleine Anfragen am 30. Juni 2017 nicht möglich. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele weitere Haftbefehle wurden neben den bis zum Morgen des 9. Juli 2017 verkündeten 57 Haftbefehlen gegen Personen ausgesprochen, die im Zuge der G20-Gipfel-Ausschreitungen festgenommen wurden? Am Morgen des 9. Juli 2017 waren 43 Haftbefehle mit Bezug zum G20-Gipfel ergangen , zuzüglich 13 ohne G20-Bezug sowie zwei Verkündungen von Haftbefehlen, die bereits zu einem früheren Zeitpunkt erlassen wurden. Im Laufe des 9. Juli 2017 ergingen weitere acht Haftbefehle mit Bezug zum G20-Gipfel. Davon wurde ein Fall unmittelbar gegen Meldeauflagen verschont. Drucksache 21/9773 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 2. Wie viele a) Untersuchungshaftgefangene und b) Ingewahrsamnahmen wurden in der JVA Billwerder aufgenommen? Untersuchungshaftgefangene Ingewahrsamnahmen gesamt davon gesamt davon mit G20-Bezug ohne G20- Bezug mit G20-Bezug ohne G20- Bezug 70 48* 22 98 98 0 * Weitere zwei Untersuchungshaftgefangene wurden direkt in der Untersuchungshaftanstalt aufgenommen. 3. Wie viele Verlegungen welcher Insassen/in Gewahrsam genommenen Personen hat es jeweils von der JVA Billwerder aus seit dem 6. Juli täglich wohin gegeben? Datum Verlegungen gesamt davon mit G20-Bezug ohne G20-Bezug 6.7.2017 15 - 1 Verlegungen in die Asklepios Klinik Nord - Ochsenzoll - 13 Verlegungen in die Untersuchungshaftanstalt - 1 Verlegung in die Justizvollzugsanstalt (JVA) Glasmoor 7.7.2017 14 - 3 Verlegungen in die Untersuchungshaftanstalt (Untersuchungsgefangene ) - 3 Verl. in die JVA Hahnöfersand (Untersuchungsgefangene ) - 3 Verlegungen in die JVA Glasmoor - 4 Verlegungen in die Untersuchungshaftanstalt - 1 Verlegung in die JVA Hahnöfersand 8.7.2017 26 - 2 Verlegungen in die Untersuchungshaftanstalt (1 Untersuchungsgefangener , 1 Ingewahrsamnahme ) - 23 Verlegungen in die JVA Hahnöfersand (5 Untersuchungsgefangene , 18 Ingewahrsamnahmen ) - 1 Verlegung in die JVA Hahnöfersand 9.7.2017 32 - 7 Verlegungen in die Untersuchungshaftanstalt ( 5 Untersuchungsgefangene , 2 Ingewahrsamnahmen ) - 23 Verlegungen in die JVA Hahnöfersand (Ingewahrsamnahmen ) - 2 Verlegungen in die Untersuchungshaftanstalt 4. Für wie lange wurden die Ingewahrsamnahmen angeordnet? Die kürzeste angeordnete Ingewahrsamnahme, die in Justizvollzugsanstalten vollzogen wurde, dauerte 22 Stunden und 15 Minuten, die längste 81 Stunden und 35 Minuten . 5. Wurden von den Justizvollzugsanstalten im Vorfeld des G20-Gipfels regelmäßig die aktuellen Belegungszahlen an die Aufsichtsbehörde gemeldet? a) Falls ja, in welchen Abständen seit dem 20. Juni 2017? b) Falls ja, weshalb wurden auf meine Frage nach den aktuellen Belegungszahlen in der Schriftlichen Kleinen Anfrage Drs. 21/9534, die am 22. Juni 2017 eingereicht und erst am 30. Juni 2017 von der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9773 3 Senatskommission beschlossen wurde, Angaben für den 21. Juni 2017 gemacht und auf Planungen vom 22 bis 30. Juni 2017 (Fragen 1. und 6.) verwiesen? c) Falls nein, weshalb nicht? Seit dem 15. Juni 2017 haben die Anstalten des geschlossenen Vollzuges (ohne Zentralkrankenhaus und Außenstelle Bergedorf) zudem täglich die Anzahl der freien Haftplätze für Untersuchungsgefangene sowie für Gefangene mit Freiheitsstrafen und Ersatzfreiheitsstrafen gemeldet. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 6. Wie stellten sich Belegungsfähigkeit und tatsächliche Belegung in den einzelnen Justizvollzugsanstalten und der sozialtherapeutischen Anstalt zum 30. Juni 2017 sowie aktuell dar? Bitte pro Justizvollzugsanstalt und getrennt nach Männer- und Frauenvollzug, Untersuchungshaft, Freiheitsstrafe , Ersatzfreiheitsstrafe, Sicherungsverwahrung und Ingewahrsamnahmen angeben. Stichtag: 30.06.2017 Anstalten Festgesetzte Belegungs - fähigkeit Tatsächliche Belegungs - fähigkeit Belegung (Gefg. Bestand) ** Davon Untersuchungs - haft Davon Freiheits - strafe Davon Ersatzfrei - heitsstrafe Davon Sicherungs - verwahrung Davon Ingewahr - samnahme * BW Frauen 100 100 59 24 35 4 0 0 * BW Männer 673 673 686 258 374 18 0 0 * FB 326 326 319 0 290 16 23 0 * GM Frauen 19 19 15 0 9 0 0 0 * GM Männer 190 190 194 0 125 1 0 0 * HS 196 196 141 82 0 0 0 0 * SH 181 181 176 3 142 24 3 0 * UH Frauen 10 10 1 0 1 0 0 0 * UH Männer 413 316 240 190 26 10 0 0 Gesamt 2108 2011 1831 557 1002 73 26 0 Stichtag: 12.07.2017 Anstalten Festgesetzte Belegungs - fähigkeit Tatsächliche Belegungs - fähigkeit Belegung (Gefg. Bestand) ** Davon Untersuchungs - haft Davon Freiheits - strafe Davon Ersatzfrei - heitsstrafe Davon Sicherungs - verwahrung Davon Ingewahr - samnahme * BW Frauen 100 100 59 26 31 3 0 0 * BW Männer 673 673 672 229 380 23 0 0 * FB 326 326 316 0 287 0 23 0 * GM Frauen 19 19 17 0 15 0 0 0 * GM Männer 190 190 196 0 184 2 0 0 * HS 196 196 144 86 0 0 0 0 * SH 181 181 173 4 150 23 3 0 * UH Frauen 10 10 9 1 3 0 0 0 Drucksache 21/9773 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Stichtag: 12.07.2017 Anstalten Festgesetzte Belegungs - fähigkeit Tatsächliche Belegungs - fähigkeit Belegung (Gefg. Bestand) ** Davon Untersuchungs - haft Davon Freiheits - strafe Davon Ersatzfrei - heitsstrafe Davon Sicherungs - verwahrung Davon Ingewahr - samnahme * UH Männer 413 316 314 257 24 6 0 0 Gesamt 2108 2011 1900 603 1074 57 26 0 * BW = Justizvollzugsanstalt (JVA) Billwerder (Geschlossener Vollzug), FB = JVA Fuhlsbüttel (Geschlossener Vollzug), GM =JVA Glasmoor (Offener Vollzug), HS OV = JVA Hahnöfersand (Offener Vollzug), HS = JVA Hahnöfersand (Geschlossener Vollzug), SH = Sozialtherapeutische Anstalt Hamburg (Geschlossener Vollzug), UH=Untersuchungshaftanstalt (Geschlossener Vollzug) ** Der Gefangenenbestand (Belegung) beinhaltet auch andere Haftarten sowie freigestellte und vorübergehend abwesende Insassen. Deshalb kann die Belegung im Einzelfall die tatsächliche Belegungsfähigkeit überschreiten. Des Weiteren ergeben die Haftarten Untersuchungshaft , Freiheitsstrafe und Ersatzfreiheitsstrafe in der Tabelle bei den einzelnen Anstalten in der Addition nicht die Summe der Gesamtinhaftierten (Belegung/Gefg. Bestand). In der statistischen Erfassung ist die Ersatzfreiheitsstrafe im Gefangenenbestand eine „Darunter -Größe“ und zahlenmäßig bereits bei den Freiheitsstrafen enthalten. Es erfolgt keine Differenzrechnung , die Ersatzfreiheitsstrafe wird also nicht in Abzug gebracht. *** Die Anzahl der Gefangenen überschreitet in der Untersuchungshaftanstalt die tatsächliche Belegungsfähigkeit. In der Zahl der Gesamtinhaftierten sind auch sogenannte Polizeigefangene , das heißt vorläufig festgenommeine Personen, bis zur Haftbefehlsverkündung oder Entlassung erfasst sowie sogenannte Transportgefangene. Diese Gefangenen erhalten nicht stets einen Haftraum zugewiesen, sondern warten teilweise in den Warteräumen auf ihren Termin, werden bis zum Weitertransport auf der Transportstation untergebracht oder in den Räumen für „Polizeigefangene“. Diese nur für eine zeitweilige Unterbringung vorgesehenen Hafträume werden ihrerseits nicht in der tatsächlichen Belegungsfähigkeit erfasst. 7. Wie viele Personen wurde im Rahmen des G20-Gipfels in der ehemaligen TAF in der JVA Hahnöfersand untergebracht und wie viele befinden sich aktuell noch dort? Wie lange soll die ehemalige TAF gegebenenfalls noch in Betrieb bleiben? Bis zum 10. Juli 2017 wurden insgesamt 49 Personen in der JVA Hahnöfersand (ehemalige TAF und Jugendarrestanstalt) untergebracht. Der Betrieb der Jugendarrestanstalt mit Untersuchungsgefangenen wurde am 10. Juli 2017 und der Betrieb der ehemaligen TAF am 12. Juli 2017 eingestellt. 8. Zu welchen Leistungseinschränkungen kam es im Rahmen des G20- Gipfels für die Insassen in den einzelnen Justizvollzugsanstalten? In der JVA Glasmoor kam es zu keinen Leistungseinschränkungen. In den übrigen Anstalten kam es zu Verschiebungen der Angehörigenbesuchstermine. Es wurden jedoch Ausgleichstermine angeboten. In der JVA Fuhlsbüttel, der Sozialtherapeutischen Anstalt und der Untersuchungshaftanstalt kam es zudem zu Einschränkungen bei den Freizeitangeboten, in der Sozialtherapeutischen Anstalt darüber hinaus auch zu Einschränkungen bei Ausführungen und Begleitausgängen sowie Sonder- und Anwaltsbesuchen. 9. Ab wann sind die ersten Rückverlegungen der wegen des G20-Gipfels in Justizvollzugseinrichtungen anderer Bundesländer überstellten 65 Insassen geplant? Für den 14. Juli 2017 sind die Rückführungen aus der JVA Bützow, für den 17. und 21. Juli 2017 die Rückführungen aus der JVA Kiel und für den 18. Juli 2017 die Rückführungen aus der Jugendstrafvollzugsanstalt Regis-Breitingen vorgesehen. Ebenfalls am 18. Juli 2017 soll gemäß den aktuellen Planungen ein Sammeltransport mit den überstellten Gefangenen die JVA Lingen verlassen. Die Ankunft in Hamburg wird am 20. Juli 2017 erfolgen. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9773 5 10. Konnte das Prinzip der Binnendifferenzierung auch im Vorfeld beziehungsweise während des G20-Gipfels in den einzelnen Justizvollzugsanstalten gewährleistet werden? Falls nein, wo wurde es nicht eingehalten und zu welchen Auswirkungen führte dies im Einzelnen? Im Bereich des Männervollzuges der JVA Billwerder unterlag das Binnendifferenzierungskonzept seit Mitte Juni 2017 Einschränkungen, da prioritär in der JVA Billwerder Haftplatzkapazitäten für den G20-Gipfel geschaffen wurden. Da das Binnendifferenzierungskonzept für den Strafhaftbereich gilt, waren lediglich Strafgefangene betroffen . Die Behandlungsgruppen unterscheiden sich beispielsweise im Hinblick auf Freizeit , Aufschluss und Freistunde, weshalb es bei einem Abweichen von der Binnendifferenzierung zu einer Besserstellung oder zu einer Reduktion des Behandlungsangebotes gekommen sein kann. In den übrigen Anstalten und der TAF der JVA Billwerder wurden die Binnendifferenzierungskonzepte sowohl im Vorfeld als auch während des G20-Gipfels eingehalten. 11. Die Polizei Hamburg hat ein Onlineportal zur Verfügung gestellt, auf dem Bürger zur Ermittlung von Straftätern ihre Fotos und Videos hochladen können. a) Wie viele Videos/Fotos wurden bislang dort hochgeladen? Mit Stand 11. Juli 2017 wurden 9.839 Bild- und Videodateien über das Hinweisportal hochgeladen. Aktuell werden täglich über weitere 1.000 Dateien hochgeladen. b) Welche Maßnahmen werden getroffen, um die Personen, die dort als mutmaßliche Straftäter identifizierbar sind, zu ergreifen? Die Polizei trifft im Sinne der Fragestellung alle erforderlichen Maßnahmen zur Verfolgung von Straftaten. Die jeweils erforderlichen Maßnahmen sind abhängig vom Einzelfall . Die Polizei hat am 11. Juli 2017 die Sonderkommission „Schwarzer Block“ eingerichtet. Die Staatsanwaltschaft hat die für die Verfolgung politisch motivierter Straftaten zuständige Abteilung mit drei Dezernenten verstärkt, um ihrer Sachleitungsbefugnis im Hinblick auf die anstehenden Ermittlungen gerecht zu werden. c) Wie viele Personen konnten bislang identifiziert werden? Wurden gegen diese Personen Ermittlungsverfahren eingeleitet? Es liegen noch keine Ergebnisse im Sinne der Fragestellung vor. 12. „Nebenerfolg“ der im Zuge des G20-Gipfels durchgeführten Grenzkontrollen ist Medienberichten zufolge, dass 673 offene Haftbefehle für Straftaten vollstreckt werden konnte, die nicht im Zusammenhang mit G20 stehen. Sind unter diesen auch Haftbefehle, die von Hamburger Gerichten erlassen wurden? Falls ja, wie viele? Derzeit liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. Ergänzend wurde auch das Bundesministerium des Inneren um einen Beitrag gebeten. Eine Beantwortung ist jedoch nicht erfolgt.