BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/9829 21. Wahlperiode 21.07.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein und Carl-Edgar Jarchow (FDP) vom 14.07.17 und Antwort des Senats Betr.: Justizvollzug: Welche Folgen ergeben sich aus den Geschehnissen um den G20-Gipfel? Im Vorfeld des G20-Gipfels wurde eine Sammelstelle für Inhaftierte in Harburg eingerichtet, die bis zu 400 Personen aufnehmen konnte. Von dort aus sollten Personen, die länger als 48 Stunden in Gewahrsam waren oder gegen die ein Haftbefehl erlassen wurde, in Justizvollzugsanstalten (JVAs) verlegt werden. Zudem wurde eine Außenstelle des Amtsgerichts-Mitte (Nebenstelle Neuland) eingerichtet. Im Zuge der extrem gewalttätigen Ausschreitungen während des G20-Gipfels mussten zahlreiche Personen in Gewahrsam genommen werden. 186 Festnahmen und 57 Haftbefehle sollen erlassen worden sein. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: 1. Wie viel Personal stand in den JVAs kurz vor und während des G20- Gipfels zur Verfügung? a. Wie viele Stellen in welchen JVAs waren während des G20-Gipfels nicht besetzt (bitte je nach JVA darstellen)? Anstalt Freie Stellen Justizvollzugsanstalt (JVA) Billwerder 32,98 JVA Fuhlsbüttel 26,76 JVA Glasmoor 5,42 JVA Hahnöfersand 22,88 Sozialtherapeutische Anstalt Hamburg 7,30 Untersuchungshaftanstalt mit Zentralkrankenhaus 38,58 b. Wie viel Personal (Vollzeitstellen und Halbzeitstellen) ist vor dem G20-Gipfel aus welcher JVA in die JVA Hahnöfersand verlegt worden (bitte begründen)? Die personelle Verstärkung der JVA Hahnöfersand war erforderlich, da das Hafthaus 8 (ehemalige Teilanstalt für Frauen) sowie die Jugendarrestanstalt zur Unterbringung von Untersuchungshaftgefangenen und/oder Ingewahrsamnahmen für den Zeitraum des G20-Gipfels vorübergehend wieder in Betrieb genommen wurden. Folgendes Personal ist während des G20-Gipfels in der JVA Hahnöfersand eingesetzt worden: Anstalt Anzahl Vollzeit/Teilzeit JVA Billwerder - - JVA Fuhlsbüttel 13 Vollzeit Drucksache 21/9829 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Anstalt Anzahl Vollzeit/Teilzeit JVA Glasmoor 3 2 Vollzeit / 1 Teilzeit Sozialtherapeutische Anstalt 4 Vollzeit Untersuchungshaftanstalt 3 Vollzeit c. Kam es während des Zeitraums vor und während des G20-Gipfels zu Änderungen im Schichtsystem für die Bediensteten? Wenn ja, welche Änderungen gab es in welcher JVA (bitte je nach JVA darstellen)? In der Untersuchungshaftanstalt wurde am 6. Juli 2017 und am 7. Juli 2017 vom Drei- Schichtdienst auf den Zwei-Schichtdienst gewechselt. Im Übrigen ist es zu keinen Änderungen im Schichtsystem gekommen. d. Inwieweit wurde gegebenenfalls zusätzliches Personal aus anderen Bundeländern zur Verfügung gestellt? Im Rahmen von G20 wurde der Hamburger Justizvollzug durch 52 Bedienstete anderer Bundesländer unterstützt. Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein haben Hamburg wie folgt unterstützt: Bundesland Anzahl/Einsatzbereich Zeitraum Bremen 4 Bedienstete/Fahrbereitschaft 05.07. bis 09.07.2017 Hessen 4 Bedienstete/Fahrbereitschaft 05.07. bis 09.07.2017 Niedersachsen 18 Bedienstete/Nebenstelle des Amtsgerichts 28.06. bis 09.07.2017 Nordrhein- Westfalen 20 Bedienstete/Nebenstelle des Amtsgerichts 28.06. bis 09.07.2017 Schleswig-Holstein 4 Bedienstete/Fahrbereitschaft 2 Bedienstete/Nebenstelle des Amtsgerichts 05.07. bis 09.07.2017 28.06. bis 09.07.2017 Insgesamt wurden 40 Bedienstete für die Nebenstelle des Amtsgerichts und zwölf Bedienstete für die Fahrbereitschaft aus anderen Bundesländern eingesetzt. 2. Wie viel Personal der Geschäftsstellen der Gerichte und wie viele Richter /-innen sowie Rechtspfleger/-innen waren im Amtsgericht Nebenstelle Neuland während des G20-Gipfels beschäftigt? Es waren in der Nebenstelle des Amtsgerichts Hamburg vom 29. Juni bis 9. Juli insgesamt 132 Richterinnen und Richter sowie 100 nicht richterliche Kräfte (ohne Justizwachtmeister ) eingesetzt. Unter den nicht richterlichen Kräften wurden als Geschäftsstellenmitarbeiter 29 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, als Protokollkräfte 59 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (davon neun Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger) und als Antragsdienst sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (davon zwei Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger) eingesetzt. Weitere fünf Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger waren als Geschäftsleiterinnen und Geschäftsleiter tätig. In einem Drei-Schicht-Betrieb waren im Zeitraum 29. Juni bis 8. Juli insgesamt pro Schicht acht Richterinnen und Richter eingeteilt, drei Geschäftsstellenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter vor Ort, acht Protokollkräfte vor Ort sowie jeweils ein Geschäftsleiter beziehungsweise eine Geschäftsleiterin vor Ort. Am 9. Juli waren noch die 1. und 2. Schicht besetzt. In der 1. Schicht (7 bis 15 Uhr) und in der 2. Schicht (ab 15 Uhr, Antragsende 18 Uhr) waren acht Richterinnen und Richter, drei Geschäftsstellenmitarbeiterinnen und Mitarbeiter, acht Protokollkräfte sowie Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9829 3 ein Geschäftsleiter (1. Schicht) beziehungsweise zwei Geschäftsleiter beziehungsweise Geschäftsleiterinnen (2. Schicht) vor Ort tätig. a. Gab es Abweichungen von den ursprünglichen Planungen? b. Wenn ja, welche und warum? Der ursprüngliche Geschäftsverteilungsplan (Beschlüsse des Präsidiums des Amtsgerichts Hamburg vom 6. Juni 2017 und 20. Juni 2017 und Beschluss des Präsidiums des Landgerichts Hamburg vom 26. Juni 2017) sah auf Basis der Juni-Lageeinschätzung der Polizei ein abwachsendes Schichtmodel mit einer Schicht für den 9. Juli ab 7 Uhr, Antragsende 11 Uhr mit einem SOG-Richter und einem StPO-Richter sowie einem weiteren StPO-Richter in Rufbereitschaft (jeweils mit Annexkompetenz für die SOG-freiheitsentziehenden Maßnahmen) vor. Die massiven Ausschreitungen am Morgen des 7. Juli 2017 und in der darauf folgenden Nacht zum 8. Juli 2017 sowie die tagesaktuelle Lageeinschätzung der Polizei, machten eine Ausweitung des Schichtmodells erforderlich, da mit weiteren Festnahmen in größerem Umfang und daraus folgenden Haftanträgen gemäß § 112 StPO zu rechnen war. Es wurde per Eilanordnung die erste Schicht zeitlich und personell ausgedehnt (bis 15 Uhr, insgesamt acht Richterinnen und Richter) und zusätzlich eine zweite Schicht (Antragsende 18 Uhr mit „Open-end“-Abarbeitung) mit ebenfalls insgesamt acht Richterinnen und Richtern eingesetzt. Insgesamt waren daher am Sonntag, den 9. Juli 2017, 13 zusätzliche Richterinnen und Richter kurzfristig eingesetzt. Auch das nicht richterliche Personal wurde für diesen Tag noch kurzfristig entsprechend aufgestockt (pro Richterin beziehungsweise Richter jeweils eine Protokollkraft und insgesamt drei Geschäftsstellenkräfte). 3. Wie verlief die Koordination in der Gefangenensammelstelle in Harburg? Die Koordination der Gefangenensammelstelle (GeSa) erfolgte auf Basis eines vor dem Einsatz festgelegten umfangreichen Workflows. a. Welcher zeitliche Ablauf bei der Bearbeitung von Festgenommenen wurde geplant? Wurde dieser Plan eingehalten? Wenn nein, warum nicht? Ein zeitlicher Ablaufplan wurde nicht erstellt, da sich die Bearbeitung hinsichtlich freiheitsentziehender Maßnahmen an den individuellen Erfordernissen des Einzelfalls orientiert. b. Wie viele Personen waren während des G20- Gipfels wo genau untergebracht, zum Beispiel in Container-Zelten (bitte nach den Tagen vom 6.7. bis 9.7.2017 differenziert darstellen)? Vom 22. Juni 2017 bis zum 9. Juli 2017 wurden 411 Personen in der GeSa Neuland II verwahrt. Die Unterbringung erfolgte getrennt nach Festnahmen und Ingewahrsamnahmen in speziell angefertigten Containern, die in der Halle eines ehemaligen Großmarktes aufgebaut waren. Darüber hinaus werden Statistiken im Sinne der Fragestellung bei der Polizei nicht geführt. Zur Beantwortung dieser Fragen wäre eine Durchsicht aller Verfahrens- und Ermittlungsakten im Zusammenhang mit dem G20-Einsatz bei der Polizei erforderlich. Die händische Auswertung von mehreren Hundert Akten ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. c. Wie viele Personen sind während des G20-Gipfels aus welchen Gründen festgenommen worden? Wie viele vorläufige Festnahmen waren darunter? Wie viele gewaltbereite Personen waren darunter, die an Tagen zwischen dem 7.7 und 9.7. erneut festgenommen wurden, wegen gewalttätigen Verhaltens? Vom 22. Juni 2017 bis zum 9. Juli 2017 wurden 186 Festgenommene in der GeSa Neuland II verwahrt. In der Zeit vom 7. Juli 2017 bis zum 9. Juli 2017 waren es 134 Personen. Keine Person wurde mehrfach festgenommen. Im Übrigen siehe Antwort zu 3.b. Drucksache 21/9829 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 d. Wie viele Haftbefehle sind während des G20-Gipfels erlassen worden (bitte nach den Tagen vom 6.7. bis 9.7.2017 differenziert und insgesamt darstellen)? e. Wie viele Personen sind dann in die Untersuchungshaft gelangt? Es wurden insgesamt 51 Haftbefehle erlassen. Davon sind 50 Personen in Untersuchungshaft gelangt. Die Haftbefehle verteilen sich auf die einzelnen Tage wie folgt: 5. Juli: Ein Haftbefehl 6. Juli: Zwei Haftbefehle 7. Juli: 15 Haftbefehle 8. Juli: 19 Haftbefehle 9. Juli: 14 Haftbefehle f. Wie viele Personen sind bisher einem Amtsrichter vorgeführt worden beziehungsweise werden einem Amtsrichter vorgeführt? 108 Personen sind einer Amtsrichterin beziehungsweise einem Amtsrichter vorgeführt worden. 4. Wie funktionierte die Kommunikation mit Rechtsanwälten während des G20-Gipfels? Für einen Erstkontakt hatten verwahrte Personen die Möglichkeit über sechs aufgestellte Telefone, an denen jeweils die Erreichbarkeit des anwaltlichen Notdienstes sowie ein Telefonbuch hinterlegt waren, einen Rechtsbeistand zu kontaktieren. Darüber hinaus standen sowohl im Bereich der Polizei als auch im Bereich der Justiz Räume zur Kommunikation zwischen Anwältinnen und Anwälten und ihren Mandanten zur Verfügung. a. Inwieweit gab es Probleme bezüglich der Kontaktaufnahme der Anwälte mit Mandanten? Wenn ja, welche? Bitte begründen. b. Wie viele Fälle waren darunter, bei denen es konkrete Probleme in der Kommunikation gab? Probleme bezüglich der Kontaktaufnahme sind nicht bekannt geworden. Auch sind Kommunikationsprobleme nicht bekannt. 5. Wer beziehungsweise welche zuständige Behörde hatte die Federführung bei der Vorbereitung der gerichtlichen Verfahren? Bitte nach dem jeweiligen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht darstellen insbesondere zu - dem geplanten Protestcamp gegen G-20 Gipfel im Stadtpark; - dem Protestcamp im Elbpark Entenwerder, - dem Protestcamp im Altonaer Volkspark; - Demonstration im Gängeviertel; - Kundgebung „G20 – not welcome“; - Demonstration in der Hamburger Innenstadt. Welche Behörden und/oder zuständigen Stellen waren zudem in die Vorbereitung wie eingebunden (bitte je nach Verfahren darstellen)? 6. Hat der Präses der Justizbehörde die Freie und Hansestadt Hamburg in den gerichtlichen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht sowie vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten? (Bitte nach denen in der Frage 5. aufgeführten Verfahren insbesondere im einstweiligen Rechtsschutz darstellen.) Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9829 5 a. Wenn nein, warum nicht und wer hat die Vertretung der Freien und Hansestadt Hamburg in den jeweiligen Verfahren übernommen? b. Hat die Freie und Hansestadt Hamburg anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen? Wenn nein, warum nicht? Nein. Für Verfahren vor dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht besteht nach der Anordnung über Prozessführung (Anhang D 25.2 zur Geschäftsordnung des Senats) keine Vertretungsbefugnis der Justizbehörde. Die gerichtliche Vertretung der Freien und Hansestadt Hamburg liegt insoweit bei der Behörde für Inneres und Sport, die sie mittels Einschaltung des Justitiariats der Polizei auch wahrgenommen hat. In dem Eilverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (Az. 1 BvR 1387/17 betreffend das G20-Protestcamp im Stadtpark) hat sich das Gericht unmittelbar an die Polizei gewandt und dort lediglich Informationen erbeten, nicht aber eine rechtliche Stellungnahme. Die Justizbehörde hat dieses Verfahren fachlich begleitet. Mangels weiterer Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht bedurfte es vonseiten der Justizbehörde nicht der Inanspruchnahme bereitstehender anwaltlicher Unterstützung. 7. Welche Kosten sind genau durch die Errichtung der Gefangensammelstelle Harburg und durch die Einrichtung sowie den Betrieb der Nebenstelle des Amtsgerichts-Mitte entstanden? Woraus erfolgt die Finanzierung ? Die vorläufige Kostenschätzung für die Gefangenensammelstelle (Herrichtung, Ausstattung und Betrieb) beläuft sich auf rund 6 Millionen Euro. Eine abschließende Separation der Kosten für die Außenstelle des Amtsgerichts-Mitte ist noch nicht erfolgt. Die Finanzierung erfolgt im Zuge der „Verwaltungsvereinbarung der Bundesrepublik Deutschland und der Freien und Hansestadt Hamburg über die Übernahme von Kosten für zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen anlässlich des OSZE-Ministerrates am 8./9. Dezember 2016 und des G20-Gipfels am 7./8. Juli 2017 durch den Bund“, siehe Drs. 21/8397. Für den reinen Betrieb der Nebenstelle des Amtsgerichts Hamburg-Mitte – ohne Errichtungskosten – liegen noch nicht alle endgültigen Kostenrechnungen vor. Nach bisher erfolgter Kostenveranschlagung belaufen sich die Kosten hierfür auf rund 210.000 Euro.