BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/9844 21. Wahlperiode 25.07.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 17.07.17 und Antwort des Senats Betr.: Einsätze von Spezialeinsatzkommandos zum G20-Gipfel Mehrere Spezialeinsatzkommandos aus Deutschland, Österreich und den Niederlanden wurden als „mobile Interventionskomponente“ zum G20-Gipfel in Hamburg angefordert. Sie sollten bei Anschlägen gegen Politiker oder gegen die Bevölkerung zum Zuge kommen. Die einzigen bekannten Einsätze der Truppe erfolgten am 7. und 8. Juli 2017 gegen Protestierende im Schanzenviertel . Am 7. Juli durchsuchte das SEK Sachsen unter anderem das Haus Schulterblatt 1, auf dessen Dach Personen gelangt waren und von dort gegen die Polizei vorgingen. Laut dem sächsischen SEK-Kommandoführer Sven Mewes habe es im Haus und auf dem Dach überhaupt keine Gegenwehr gegeben, alle angetroffen Personen seien vom SEK „sofort auf den Boden gelegt“ und gefesselt worden, anschließend wurden diese von anderen Einheiten abgeführt („„Schusswaffengebrauch freigegeben“: SEK-Führer über Einsatz in Hamburg“, dpa vom 13.07.2017). Mit automatischen Waffen im Anschlag wurden nach Zeugenaussagen unter anderem Demosanitäter und Journalisten bedroht. Dem sächsischen Einsatzleiter zufolge habe das SEK am Schulterblatt die Freigabe zum Schusswaffengebrauch gehabt. Neben Maschinenpistolen setzten die Spezialeinsatzkommandos sogenannte Ablenkungspyrotechnik in den Gebäuden ein. Geschlossene Türen wurden mittels Schusswaffen „mit spezieller Munition“ geöffnet. Insgesamt seien „sechs oder sieben Häuser“ durchsucht und 13 Personen seien festgenommen worden, der Einsatz habe zwei Stunden gedauert. „Gefühlsmäßig“ sei dies kein Vorgehen gegen Demonstranten, „sondern gegen Rechtsbrecher, mögliche Verbrecher“ gewesen. Zwischen der Alarmierung und dem Eindringen in das Haus Schulterblatt 1 hätten nach Angaben von Mewes „pi mal Daumen 45 Minuten“ gelegen. Er widerspricht damit der Darstellung der Einsatzleitung der Polizei und dem Innensenator, die diesbezüglich von drei Stunden sprechen. Laut dem Einsatzleiter Hartmut Dudde seien die Spezialeinheiten „eingegraben“ gewesen, um die Sicherheit der Staatsgäste zu gewährleisten. Zeitungsberichten zufolge hätten die Truppen aber den ganzen Abend in einer Tiefgarage am „Hotel Atlantic“ gewartet und das Gebäude erst nach 23 Uhr verlassen („Krawalle im Schanzenviertel Die Wahrheit über diesen Einsatz“, „Hamburger Morgenpost “ vom 12.07.17). Polizeisprecher Timo Zill erklärt die Verzögerung damit, dass es einen derartigen Einsatz noch nie gegeben hätte. Die Koordinierung der unterschiedlichen Spezialkommandos mit den vorrückenden Wasserwerfern und dem Hubschraubereinsatz hätten „genau vorbereitet werden müssen “. Drucksache 21/9844 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Auch am 8. Juli wurden SEK am Schanzenviertel positioniert. Mitgeführt wurde das neue Sonderfahrzeug „Survivor“, das kurz darauf auf der Straße Neuer Kamp von Demonstranten/-innen eingekesselt und blockiert wurde (Quelle: Tweet Thomas Knoop vom 8.7.). Nachdem eine Polizeieinheit das Fahrzeug befreite, wurde es hinter die Polizeikette gefahren. Ein Foto zeigt, wie ein SEK-Beamter bei dem Einsatz am Neuen Kamp seine Waffe auf umstehende Personen richtet. Mit dabei bei den Einsätzen im Schulterblatt waren 20 Beamte der österreichischen Spezialeinheit „Cobra“ sowie 75 Beamte der „WEGA“ („Randale in Hamburg: Cobra stürmte Barrikaden“, heute.at vom 08.07.2017). Sie seien im Rahmen des sogenannten Südschienen-Verbund zwischen Österreich und Deutschland angefragt worden. Die „Cobra“ ist wie die deutsche GSG 9 und das Spezialeinsatzkommando Baden Württemberg Mitglied im EU-Anti- Terror-Netzwerk ATLAS und stellt dessen Präsidenten. In regelmäßigen Trainings proben die ATLAS-Truppen auch den Häuserkampf. Soweit bekannt, gehört das SEK Sachsen nicht zum ATLAS-Verbund. Der sächsische SEK-Einsatzleiter bewertet den Einsatz seiner Einheit in Hamburg positiv. Als Gründe nennt er die „Optik“, das „robuste“ Vorgehen mit Schusswaffen und Ablenkungspyrotechnik sowie den Lärm, der hiervon „sehr weit im Schanzenviertel zu hören“ gewesen sei. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Bei den Vorkommnissen um den G20-Gipfel handelte es sich um außerordentlich komplexe Einsatzverläufe, zu denen eine Vielzahl von Unterlagen, Berichten und weiterem Material auszuwerten sind, um im Sinne der Fragestellungen Ausführungen zu ermöglichen. Hierzu ist eine entsprechende Nachbereitung durch den G20-Stab der Polizei und der eingerichteten „Sonderkommission (Soko) Schwarzer Block“ vorzunehmen . Soweit eine ausreichende Auswertung bereits möglich war, werden die Erkenntnisse mitgeteilt. Vielfach bedarf es jedoch noch weiterer Auswertungen der angefallenen Erkenntnisse. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Für welche Einsätze beziehungsweise Einsatzformen wurden welche Spezialeinsatzkommandos ursprünglich angefordert und inwiefern wurde auch erörtert, dass diese gegen Protestierende erfolgen könnten? Alle beim G20-Einsatz in der Stadt befindlichen Spezialeinsatzkräfte (Teileinheiten aus allen Ländern sowie Teileinheiten des österreichischen Einsatzkommandos COB- RA) waren zur Verhinderung beziehungsweise Abwehr terroristischer Angriffe sowie für den Schutz besonders gefährdeter Schutzpersonen des G20-Gipfels eingeplant. Ein Einsatz im Zusammenhang mit militanten Störern/Straftätern war ursprünglich nicht vorgesehen. 2. Welche Trainings oder sonstigen Abstimmungen hat es vor oder nach der Verlegung der Einheiten nach Hamburg gegeben? Abgestimmt wurde der Einsatz zur Verhinderung beziehungsweise Abwehr terroristischer Angriffe. Darüber hinausgehende Angaben berühren die Einsatztaktik der Polizei , zu der aus grundsätzlichen Erwägungen keine Angaben gemacht werden. 3. Welche Ausrüstung (insbesondere Waffen, Hilfsmittel der körperlichen Gewalt) haben die Einheiten nach Hamburg mitgebracht? Siehe Antwort zu 2. 4. Welche konkreten Einsätze der SEK-Einheiten haben zum G20-Gipfel stattgefunden, welche weiteren Spezialeinsatzkommandos aus welchen Ländern beziehungsweise Bundesländern waren darin jeweils involviert und unter welcher Kommandostruktur standen die Einheiten dabei? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9844 3 Alle in der BAO Michel eingesetzten Spezialeinheiten wurden durch den Einsatzabschnitt „Intervention“ koordiniert. Darüber hinaus siehe Antworten zu 1., 2., 7. und 8. 5. Welche Waffen oder Hilfsmittel der körperlichen Gewalt (darunter auch Abschussgeräte für Gas, Leuchtmunition, Sprengmittel, Pepperballs, Taser) wurden bei den Einsätzen im Schanzenviertel getragen und welche Fahrzeuge wurden mitgeführt? 6. Wo wurden die SEK-Einheiten am 7. und 8. Juli vorgehalten? Die Einheiten waren an verschiedenen Stellen im Stadtgebiet eingesetzt, darunter auch dem Bereich der Elbphilharmonie, der Hotels und weiterer Orte im Stadtgebiet. Im Übrigen Antwort zu 2. 7. Wann wurden welche SEK-Einheiten beziehungsweise deren Kommandostrukturen am 7. Juli davon unterrichtet, am Schulterblatt eingesetzt zu werden? 8. Wann erfolgte schließlich die Alarmierung der Einheiten, wie viel Zeit verging bis zum endgültigen Einsatz und wann endete dieser? Die Anforderung von Sondereinsatzkräften (SEK) erfolgte um 22.11 Uhr. Um 23.10 trafen erste Kräfte vor Ort ein und nahmen Verbindung zum Einsatzabschnitt „Eingreifkräfte “ auf. Um 23.37 Uhr näherten sich erste Kräfte aus Sachsen sowie des Einsatzkommandos COBRA dem Objekt Schulterblatt 1. Die in Gewahrsam beziehungsweise festgenommenen Personen wurden um 23.47 Uhr an den Einsatzabschnitt „Eingreifkräfte“ übergeben und um 23.52 Uhr wurde die Tatortgruppe des Einsatzabschnittes „Kriminalpolizeiliche Maßnahmen“ angefordert. Im Rahmen der Einsatzlage im Schulterblatt waren folgende SEK eingesetzt: Teilkräfte SEK Bayern Teilkräfte SEK Hamburg Teilkräfte SEK Hessen Teilkräfte SEK Sachsen Teilkräfte EK COBRA (Österreich) Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 9. Von welchen anderen Einheiten wurden die Angetroffenen in den Häusern abgeführt? Die Personen wurden durch Einsatzkräfte des Einsatzabschnittes „Eingreifkräfte“ aus den Häusern geführt. 10. Wann und vom wem wurde den SEK-Einheiten am 7. Juli die Freigabe zum Schusswaffengebrauch erteilt und wie lautete dieser Befehl im Wortlaut? Es erfolgte keine Freigabe des Schusswaffengebrauchs gegen Personen. Der Schusswaffengebrauch gegen Personen richtet sich grundsätzlich nach den hierfür geltenden gesetzlichen Bestimmungen. Die Einsatzkräfte erhielten am 8. Juli um 00.10 Uhr vom Polizeiführer die Freigabe aller erforderlichen Einsatzmittel zum Öffnen von Türen. 11. Mit welcher Munition wurden die Türen des Hauses Schulterblatt 1 geöffnet? Mehrere Türen wurden mittels Schrotflinten mit Zinkstaub-Munition geöffnet. 12. Wie viele Personen sind dabei festgenommen worden? Es wurden 13 Personen vorläufig fest- beziehungsweise in Gewahrsam genommen. 13. Aus welchem Grund wurden die Spezialeinheiten am 8. Juli angefordert? Drucksache 21/9844 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Es wurde eine gleiche beziehungsweise ähnliche Einsatzlage wie am Abend zuvor befürchtet. 14. Inwiefern und nach welcher Maßgabe wurde den Einheiten auch am 8. Juli die Freigabe zum Schusswaffengebrauch erteilt? Es erfolgte keine Freigabe des Schusswaffengebrauchs gegen Personen. Der Schusswaffengebrauch gegen Personen richtet sich grundsätzlich nach den hierfür geltenden gesetzlichen Bestimmungen. 15. Inwiefern trifft es zu, dass die Spezialeinsatzkommandos tatsächlich Personen mit vorgehaltenen Maschinenpistolen bedrohten, wie es unter anderem Sanitäter berichten und auf Fotos dokumentiert ist? Es lag ein Hinweis vor, wonach sich zehn bis 15 gewaltbereite Störer im Haus Schulterblatt 10 versteckt hielten. Durch SEK wurde das Haus betreten, hierbei hielten die Beamten zur Eigensicherung ihre Schusswaffen in der Hand. 16. Aus welchem Grund wollten die Einheiten, wie es mehrere Journalisten schildern, dabei von Medien unbeobachtet bleiben („Ab jetzt gibt's keine Pressefreiheit mehr, hau ab oder ins Krankenhaus“, Tweet des Reporters der Zeitung „Die Bild“ Frank Schneider vom 8. Juli)? 17. Wie bewertet der Senat den Ausschluss von Journalisten/-innen, die bereits bei den Einsätzen „gewöhnlicher“ Polizeieinheiten drangsaliert und verletzt wurden, durch die Spezialeinheiten? Nach derzeitigem Erkenntnisstand sind dem Senat Sachverhalte im Sinne der Fragestellungen nicht bekannt. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 18. Wie bewertet der Senat den Einsatz automatischer Waffen durch das Spezialeinsatzkommando im Umfeld von städtischen Protestszenarien oder Tumulten, und in welchen Fällen hätten die Angehörigen der Einheit auch Schüsse aus Maschinenpistolen abgeben dürfen? Die von SEK mitgeführten Einsatzmittel stehen in Abhängigkeit zum jeweiligen Einsatzanlass . Ihr Einsatz ist im Rahmen der gesetzlichen Regelungen zulässig. 19. Aus welchem Grund wurde der angeblich ausschließlich für den Antiterror -Kampf beschaffte „Survivor“ im Schanzenviertel in Bereitschaft gehalten? Das gepanzerte Fahrzeug „Survivor“ wurde in Bereitstellung gehalten, um gegebenenfalls Einsatzkräfte oder Verletzte geschützt durch einen Gefahrenbereich bringen zu können.