BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/9849 21. Wahlperiode 25.07.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Heike Sudmann (DIE LINKE) vom 17.07.17 und Antwort des Senats Betr.: Privatisierung durch die Hintertür verhindern: Ampeln, Verkehrssteuerung und öffentliche Beleuchtung müssen durch die öffentliche Hand gesteuert werden! Verkehrssteuerung, öffentliche Beleuchtung und Parkraumbewirtschaftungen sind wichtige Einrichtungen der Verkehrsinfrastruktur und Daseinsvorsorge in Hamburg. Die Zuständigkeit hierfür liegt in der öffentlichen Hand, früher direkt in der Verkehrsbehörde, seit Gründung des „Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG)“ dort. Der LSBG respektive der damit befasste Arbeitsbereich „Management Technische Anlagen (S4) vergeben die notwendigen Aufträge für diese Einrichtungen der Verkehrsinfrastruktur. Hauptauftragnehmerin ist die Hamburg Verkehrsanlagen GmbH (HHVA), diese GmbH war ursprünglich eine Abteilung der HEW und anschließend eine Abteilung, später eine GmbH, innerhalb des Konzerns Vattenfall. Im Zusammenhang mit dem erfolgreichen Volksentscheid zum Netzerückkauf wurde die HHVA gegründet und von Vattenfall an die HGV (Hamburger Gesellschaft für Vermögens- und Beteiligungsmanagement mbH) verkauft. Damit gehört die HHVA zu 100 Prozent der Freien und Hansestadt Hamburg. Die Gesellschaftsform der HHVA ist eine private, nämlich die einer GmbH. Dieses lässt die Möglichkeit offen, die GmbH ganz oder teilweise zu verkaufen . Nach meinen Informationen plant der Senat, den Arbeitsbereich S4 des LSBG komplett in die HHVA GmbH auszulagern. Was nach außen als eine reine Organisationsmaßnahme verkauft wird, beinhaltet eine mögliche Vorbereitung für die weitere Privatisierung öffentlicher Aufgaben. Zudem birgt die vorgesehene Auslagerung diverse finanzielle Risiken für die Stadt. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Senat beantwortet die Fragen auf der Grundlage von Auskünften der Hamburg Verkehrsanlagen (HHVA) wie folgt: 1. Was ist der Anlass für Überlegungen zur Verlagerung des Fachbereichs S4 des LSBG in die HHVA? Die Freie und Hansestadt Hamburg (FHH) plant, baut und unterhält als öffentliche Aufgabe verkehrs- und beleuchtungstechnische Infrastrukturen. Der Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG) und die Hamburg Port Authority AöR (HPA) sind in ihren jeweiligen Aufgabenbereichen Auftraggeber für die dazu notwendigen Bau- und Betriebsleistungen. Die Hamburg Verkehrsanlagen GmbH (HHVA) setzt – als Unternehmen zu 100 Prozent im Besitz der FHH neben dem LSBG und der HPA – den überwiegenden Anteil dieser Beauftragungen vollumfänglich um. Drucksache 21/9849 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Nach dem Übergang der HHVA von einer Tochter des Vattenfall-Konzerns zu einer Beteiligung der FHH im Jahr 2014 ergab sich die Notwendigkeit, die Aufgaben im Zusammenspiel mit dem LSBG zu einem innerstädtischen, technischen Kompetenzzentrum zusammenzuführen und zu optimieren, da mit dieser Lösung insgesamt von einer Verbesserung der Flexibilität, Steigerung der Effektivität und Effizienz sowie Verkürzung der Kommunikationswege und Durchlaufzeiten für die Freie und Hansestadt Hamburg ausgegangen wird. Die organisatorische Zusammenführung erfolgt bei der HHVA, da dort bereits der operative Schwerpunkt in einer etablierten Unternehmensstruktur angesiedelt ist. 2. In der Regel werden Schlagworte wie „Synergien, Effizienz, Optimierung “ als Begründung für Organisationsveränderungen herangezogen. Nach meinen Informationen sollen im vorliegenden Fall mit der Verlagerung von S4 zur HHVA Schnittstellen optimiert werden. a. Welche Schnittstellen gibt es zwischen i. S4 und HHVA, Die wesentlichen Schnittstellen liegen im Bereich der Planung, des Baus und des Betriebs der Beleuchtungs-, Lichtsignal- und Verkehrstelematikanlagen und sind durch das Auftraggeber-Auftragnehmer-Verhältnis geregelt. ii. S4 und anderen Arbeits-/Fachbereichen des LSBG? Schnittstellen gibt es zwischen dem Bereich S4 und den Fachbereichen S1 Verkehrssteuerung , S2 Planung sowie S3 Baudurchführung im Geschäftsbereich Stadtstraßen des LSBG. Weiterhin hat der Bereich S4 Schnittstellen zu allen Dienststellen der Freien und Hansestadt Hamburg (einschließlich LSBG) und Realisierungsträgern, deren Baumaßnahmen die öffentliche Beleuchtungen oder Lichtsignalanlagen betreffen . b. Wie hoch ist jeweils der Abstimmungsbedarf zwischen den unter a. genannten Schnittstellen i. zeitlich, Für die direkte Klärung der operativen Aufgaben und der Abrechnungen werden sowohl beim LSBG als auch bei der HHVA derzeit rund 1,5 Vollkräfte eingesetzt. Für die Bedienung der Schnittstellen zwischen dem Fachbereich S4 und anderen Fachbereichen des LSBG sowie zu anderen Dienststellen der FHH werden rund 3,5 Vollkräfte benötigt. ii. prozentual bezogen auf die Erledigung des jeweiligen Aufgabenkomplexes ? Kommunikation zwischen der HHVA und dem LSBG: HHVA: Bezogen auf die Brutto-Abrechnungssumme des relevanten Bau- und Schadensbereichs eines Jahres beträgt der HHVA-Anteil rund 0,8 Prozent. LSBG: Bezogen auf die Abrechnungssumme des Jahres 2016 sind das rund 0,44 Prozent der Kosten. Kommunikation zwischen dem Fachbereich S4 und anderen Fachbereichen des LSBG: Bezogen auf die Abrechnungssumme des Jahres 2016 sind das rund 1,0 Prozent der Kosten. c. Welche der Abstimmungsprozesse zwischen den vorgenannten Schnittstellen i. erfordern eine räumliche Zusammenführung der Arbeitsplätze der bisher getrennten Arbeitsbereiche des LSBG und der HHVA, Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9849 3 Unter den derzeit gegebenen, Auftraggeber-Auftragnehmer-Verhältnissen ist die räumliche Zusammenführung nicht erforderlich. ii. können per Telefon, E-Mail, sharepoint et cetera erfolgen, Die Abstimmungen erfolgen derzeit in der Regel per Telefon oder E-Mail. iii. erfolgen nicht in Büroräumen, sondern vor Ort (zum Beispiel bei Begehungen der betroffenen Straßen, Wege und Kreuzungen, ...)? Abnahmen erfolgen in der Regel Vorort bei der Begehung der betroffenen Örtlichkeiten . d. Welche neuen Schnittstellen werden nach der geplanten Umorganisation entstehen? In einem sogenannten gemeinsamen Betrieb werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der HHVA und des LSBG zunächst ihre jeweiligen operativen Aufgaben im Zusammenhang mit der Planung, dem Bau und dem Betrieb der Beleuchtungs-, Lichtsignal - und Verkehrstelematikanlagen wie bisher ausführen. Darüber hinaus sind unter anderem die folgenden Aufträge zu bearbeiten: Prozesstechnische Aufnahme und Optimierung der Aufgabenverteilung der öffentlichen Außenbeleuchtung und Verkehrstechnik sowie der zugehörigen Schnittstellen zwischen dem gemeinsamen Betrieb, den Organisationseinheiten vom LSBG sowie Dritten (Ämter, Bezirke, Bund, Polizei, DEGES, HafenCity, ReGe, BID, HOCHBAHN et cetera). Optimierung der internen Abläufe und Nutzung von Synergien, um bei steigender Flexibilität, Effektivität und Effizienz die Kosten zu senken. Herbeiführung einer Klärung, gegebenenfalls Herauslösung und Zuweisung etwaiger weiterer Richtlinienkompetenzen der öffentlichen Außenbeleuchtung oder Verkehrstechnik oder Bestandteilen davon in künftige dafür zuständige Bereiche des LSBG, damit dieser seine nicht delegierbaren Bauherrenkernfunktionen wahrnehmen kann. Falls es neue Schnittstellen zwischen HHVA und LSBG geben sollte, werden diese als Ergebnis des zu bearbeitenden Projektauftrages untersucht und festgelegt. 3. Welche Untersuchungen/Gutachten im Zusammenhang mit der geplanten Umorganisation wurden bisher von wem beauftragt? Bitte jeweils auch den genauen Auftrag sowie den Termin der Fertigstellung angeben . a. Wie teuer waren jeweils diese Untersuchungen/Gutachten und aus welchen Mitteln wurden sie bezahlt? Bitte gegebenenfalls Produktbereiche , Kennzahlen et cetera angeben, wenn über die BWVI oder den LSBG finanziert wurde. Zur notwendigen Klärung von umsatzsteuerlichen Fragestellungen beauftragte die HHVA eine Stellungnahme für rund 12.800 Euro. Personalrechtliche Fragestellungen zum Thema „Personaltransfer LSBG/HHVA“ sind für rund 17.600 Euro geklärt worden (Auftragserteilung: Juli des Jahres 2016; Fertigstellung: Mai des Jahres 2017). Beide Beauftragungen wurden jeweils aus der Marge (siehe Antworten zu 7. a.) und aus dem Drittgeschäft finanziert. Der LSBG hat seit dem Erwerb der HHVA durch die FHH im Jahr 2014 keine Untersuchungen oder Gutachten in Auftrag gegeben. b. Wurden diese Untersuchungen/Gutachten ganz oder teilweise aus Mitteln finanziert, die für Grundinstandsetzung beziehungsweise Bau und Betrieb von Lichtsignalanlagen und Beleuchtung vorgesehen waren? Falls ja: aus welchen Mitteln und in welcher Höhe? Drucksache 21/9849 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Nein. c. Welche weiteren Untersuchungen/Gutachten oder Beratungsleistungen sollen noch in Auftrag gegeben werden? Bitte auch jeweils die geschätzten Kosten hierfür angeben. Um einen optimalen Übergang zu gewährleisten, ist eine externe Begleitung unabdingbar . Aus diesem Grund sollen externe Beraterinnen und Berater für den gemeinsamen Betrieb, die Prozessoptimierungen und das Changemanagement unter intensiver Beteiligung der betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für rund 120.000 Euro beauftragt werden. 4. Wie hoch werden die Kosten für die Umorganisation eingeschätzt? Die Personalkosten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter trägt der jeweilige Arbeitgeber weiterhin direkt. An den Kosten zur Ausstattung des gemeinsamen Betriebes mit Sach- und Betriebsmitteln und an den sonstigen Kosten des laufenden Betriebs beteiligen sich LSBG und HHVA verursachungsgemäß jeweils anteilig. Es ist davon auszugehen , dass durch diese Aufteilungen keine Mehrkosten für den LSBG oder die HHVA entstehen. Darüber hinaus fallen Kosten für den Umzug und die IT-Anpassungen an, die noch nicht exakt ermittelt werden konnten. Für die Kosten der Übergangsbegleitung siehe Antwort zu 3. c. 5. Welche Kosten-Nutzen-Untersuchungen nach § 7(2) Landeshaushaltsordnung (LHO) wurden bisher durchgeführt? Wo sind die Ergebnisse einsehbar? In einem gemeinsamen Vorprojekt des LSBG und der HHVA wurden erste Prozessuntersuchungen durchgeführt, die erhebliche Synergien versprechen. Da es sich um einen laufenden Prozess handelt, gibt es über die ersten Ergebnisse keine verbindliche Dokumentation. Die exakte Ermittlung und Dokumentation der zu erwartenden Synergien werden im nächsten Schritt, im gemeinsamen Betrieb, durchgeführt (siehe Antwort zu 1.). 6. Bisher agiert der LSBG durch S4 als Auftraggeber für die HHVA (laut Beteiligungsbericht 2015 machen die Aufträge der Freien und Hansestadt Hamburg 98,8 Prozent der Aufträge der HHVA aus). Als Auftraggeber gibt der LSBG zum Beispiel den Standard der Aufgaben vor und prüft auch die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben. Nunmehr soll der Auftraggeber – S4 – in den Betrieb der Auftragnehmerin – HHVA – eingegliedert werden. a. Wer wird zukünftig Standards festlegen und die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben prüfen? b. Wo werden die unter 6.a. genannten Aufgaben angesiedelt? c. Wie viel Personal (VZÄ) ist hierfür notwendig? Dies wird im gemeinsamen Betrieb geklärt werden (siehe Antwort zu 2. d.). 7. Auch die Wirtschaftlichkeit der angestrebten Maßnahme erscheint mehr als fragwürdig. In dem 1986 abgeschlossenen Rahmenvertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der HEW wurden der HEW auf Kosten Hamburgs der Bau und Betrieb der öffentlichen Beleuchtung und der Lichtsignalanlagen übertragen. Dabei wurde vereinbart, dass die Freie und Hansestadt Hamburg der HEW die „entstandenen nachweisbaren Selbstkosten zuzüglich 3% Gewinnzuschlag“ (Anlage 1 des Rahmenvertrags vom 20.2.1986, Nummer 4) bezahlt. a. Gilt diese oder eine vergleichbare Klausel auch für die HHVA? Falls nein: wann wurde diese Klausel gestrichen? Falls ja: i. Was beinhaltet die aktuell gültige Klausel? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9849 5 In der Anlage 1 des Rahmenvertrags vom 20. Februar 1986, Nummer 4) ist für den Bau von Anlagen geregelt, dass Hamburg an die Hamburgische Electricitäts-Werke AG (HEW) für erbrachte Lieferungen und Leistungen die entstandenen nachweisbaren Selbstkosten zuzüglich 3 Prozent Gewinnzuschlag zahlt. Diese Klausel gilt unverändert für HHVA weiter. ii. Welcher Anreiz zu einem sparsamen Umgang mit öffentlichen Mitteln entsteht bei der privaten HHVA GmbH, wenn alle „entstandenen nachweisbaren Selbstkosten zuzüglich 3% Gewinnzuschlag “ gezahlt werden? Durch das System der gesellschaftsrechtlichen Steuerung der FHH wird auf den sparsamen Umgang mit öffentlichen Mitteln hingewirkt. Der Gewinnzuschlag von 3 Prozent ist erforderlich, um unter anderem unterjährige Schwankungen in der Beauftragungslage auszugleichen. Ein etwaiger Gewinn nach Steuern wird aufgrund des bestehenden Ergebnisabführungsvertrags an die HGV Hamburger Gesellschaft für Vermögens- und Beteiligungsmanagement mbH (HGV) abgeführt und fließt daher an die FHH zurück. Im Übrigen ist es insbesondere das Ziel des gemeinsamen Betriebes, die Gesamtkosten zu senken. b. Im Gegensatz zum LSBG ist die HHVA GmbH umsatzsteuerpflichtig . Welche Mehrkosten entstehen der Freien und Hansestadt Hamburg als Auftraggeberin, wenn die bisher umsatzsteuerfreien Aufgaben des LSBG durch die HHVA in Rechnung gestellt werden? Während des gemeinsamen Betriebes entstehen zunächst keine neuen umsatzsteuerbaren Leistungen. Die weitere Kostenentwicklung ist im gemeinsamen Betrieb zu klären. 8. Viele Argumente sprechen für den entgegengesetzten Weg zu der bisherigen Planung, nämlich einer Integration der HHVA in den LSBG. a. Welche Prüfungen/Untersuchungen/Gutachten von Alternativen zur Integration von S4 in die HHVA hat es bisher gegeben? Bitte jeweils auch den genauen Auftrag sowie den Termin der Fertigstellung angeben. Bereits während der Zugehörigkeit der HHVA zum Vattenfall-Konzern hat es wegen der hohen Leistungsverflechtung zwischen der FHH und der HHVA Überlegungen gegeben, die organisatorisch getrennten Operationseinheiten HHVA und LSBG/S4 stärker zusammenzuführen und Synergiepotentiale zu heben. Erst mit dem Erwerb der HHVA im Jahr 2014 durch die FHH, der eine ausschließliche Einflussnahme der FHH auf die HHVA ermöglicht, lassen sich operative, aber auch administrative Prozesse tatsächlich optimieren. Im Übrigen siehe Antworten zu 1. und 3. a.