BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/9890 21. Wahlperiode 28.07.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Cansu Özdemir (DIE LINKE) vom 20.07.17 und Antwort des Senats Betr.: Umsetzung und Ziel der modellhaften Erprobung regionaler Projekte zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) fördert in den Jahren 2017 bis 2021 wissenschaftliche begleitete Projekte zur modellhaften Erprobung des zum 01.01.2020 in Kraft tretenden neuen Eingliederungshilferechts. Dies sieht das Bundesteilhabegesetz vor (Artikel 25 Absatz 3 BTHG). Damit sollen gemäß der Richtlinie des BMAS zur Förderung regionaler Projekte zur modellhaften Erprobung vom 23.06.2017 auf Basis der Evaluationsdaten etwaige Veränderungsbedarfe zu den BTHG-Regelungen erkannt und vorgelegt werden. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Aufgrund der sich aus dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) ergebenden Änderungen ist im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren unter anderem festgelegt worden, die 2020 in Kraft tretenden Verfahren und Leistungen nach Artikel 1 Teil 2 BTHG vorher einer modellhaften Erprobung (modellhafte Fallbearbeitung) zu unterziehen. Dafür stellt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) den teilnehmenden Leistungsträgern auf Antrag Fördermittel im Rahmen von Zuwendungen zur Verfügung. Gemäß der durch das BMAS erlassenen Förderrichtlinien vom 23.Juni 2017 sollen diese damit in die Lage versetzt werden, parallel zur regulären Anwendung geltender Vorschriften einen repräsentativen Fallbestand aus ihrem Zuständigkeitsbereich spiegelbildlich auch nach den Vorschriften des künftigen Rechts „virtuell“ zu bearbeiten. Ziel ist es, dabei festzustellen, ob der Systemwechsel in der Eingliederungshilfe voraussichtlich gelingen wird und die mit dem Bundesteilhabegesetz verbundenen wesentlichen Ziele der Reform der Eingliederungshilfe, nämlich die Verbesserung der Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen und das Bremsen der Ausgabendynamik , erreicht werden können. Zu den wesentlichen Bereichen, die durch die Förderrichtlinien von der modellhaften Erprobung umfasst sind, gehören: die Einkommens- und Vermögensanrechnung (§ 135 fortfolgende des Neunten Buches Sozialgesetzbuch – SGB IX), die Assistenzleistungen in der sozialen Teilhabe, insbesondere Assistenzleistungen für Personen, die ein Ehrenamt ausüben (§ 78 in Verbindung mit § 113 SGB IX), die Umsetzung des Rangverhältnisses von Leistungen der Eingliederungshilfe und Leistungen der Pflege (§ 91 Absatz 3 und § 103 SGB IX), die Prüfung der Zumutbarkeit und Angemessenheit (§ 104 SGB IX), die Möglichkeit der gemeinschaftlichen Leistungserbringung (§ 116 SGB IX), Drucksache 21/9890 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 die Abgrenzung der neuen Leistungen der Eingliederungshilfe nach Artikel 1 Teil 2 von den Leistungen nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (existenzsichernde Leistungen) und die Bezüge zu anderen Leistungen der sozialen Sicherung, insbesondere soweit sie Gegenstand des Gesamtplanverfahrens sind. Den Förderrichtlinien zufolge ist es nicht erforderlich, mit dem jeweiligen Antrag auf Förderung für ein Modellprojekt alle wesentlichen Regelungsbereiche abzudecken. Vielmehr ist es ausreichend, einen der Aspekte modellhaft bearbeiten zu wollen. Mögliche Antragssteller für eine Förderung sind die jeweiligen Leistungsträger in den Bundesländern. Für Hamburg ist dies nach geltendem Recht die Freie und Hansestadt Hamburg selbst. Über die Förderung will das BMAS daraufhin im Einvernehmen mit den obersten Landesbehörden zeitnah nach dem 31.10.2017 aufgrund pflichtgemäßen Ermessens und im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel entscheiden. Dabei sollen in einer Gesamtübersicht die regionale Verteilung der geförderten Projekte ebenso wie die Bearbeitung aller wesentlichen Bereiche berücksichtigt werden. Die modellhafte Erprobung wird durch ein vom BMAS noch zu beauftragendes Forschungsinstitut wissenschaftlich begleitet. Anhand der gewonnenen Daten soll der Gesetzgeber frühzeitig – noch vor dem für den 1. Januar 2020 vorgesehenen Inkrafttreten – Hinweise auf etwaige Veränderungsbedarfe erhalten. Voraussetzung für den Erhalt einer Zuwendung ist auch die Bereitschaft zur Mitwirkung an dieser wissenschaftlichen Untersuchung. Die mögliche Projektförderungsdauer ist auf den 31. Dezember 2021 befristet. Das BMAS berichtet dem Bundestag und dem Bundesrat in den Jahren 2018, 2019 und 2022 zum Stand und zu den Ergebnissen der unterschiedlichen Untersuchungen, so auch zu den Modellprojekten nach Artikel 25 Absatz 3. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Welche auf Hamburg bezogenen konkreten Regelungsbereiche nach Artikel 1 Teil 2 BTHG sind von der modellhaften Fallbearbeitung erfasst? Die Regelungsbereiche sind nicht auf einzelne Bundesländer bezogen, sondern gelten bundesweit. 2. Wie können alle Regelungsbereiche von der modellhaften Fallbearbeitung umfassend erfasst werden, wenn die Richtlinie zur Förderung der Modellprojekte des BMAS vom 23.06.2017 alleinig mindestens ein zu förderndes Modellprojekt vorsieht? Siehe Vorbemerkung. 3. In Abschnitt 5.1.1 der Richtlinie zur Förderung der Modellprojekte des BMAS vom 23.06.2017 lautet es, dass der Antrag zur Förderung eines Modellprojekts erkennen lassen muss, dass er geeignet ist, die gesetzgeberischen Ziele der Modellprojekte umzusetzen. Nach welchen Kriterien wird bemessen was hier als geeignet befunden wird? Über die Förderung entscheidet das BMAS auf Grundlage der Förderrichtlinien und im Einvernehmen mit den obersten Landesbehörden aufgrund pflichtgemäßen Ermessens und im Rahmen der zur Verfügung stehenden Mittel. Im Übrigen siehe Vorbemerkung . 4. Welche Einzelpersonen sind ermächtigt, über die Eignung der Umsetzung der gesetzgeberischen Ziele zu entscheiden? Bitte auflisten mit Vor- und Nachname, Berufsbezeichnung und Organisationszugehörigkeit . Entsprechende Entscheidungen werden nicht von Einzelpersonen getroffen. Im Übrigen siehe Vorbemerkung und Antwort zu 3. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9890 3 5. Sind Anträge aus Hamburg über die Förderung von Modellprojekten zur modellhaften Erprobung des BTHG in den Bundesländern in der zuständigen obersten Landesbehörde in Hamburg eingereicht worden? Bitte auflisten mit Datum des Antragseingangs, Vor- und Nachname der/s Antragstellers/in, Organisation der/s Antragstellers/in, Name der Behörde , die den Antrag entgegen genommen hat, Bearbeitungsstand des Antrags, Vor- und Nachnamen der wissenschaftlichen Beobachter/-innen des jeweiligen Projekts im Antrag, beantragte Förderhöhe in Euro, beantragter Förderzeitraum, tatsächlich bewilligte Förderhöhe des Projekts durch das BMAS. Entsprechende Anträge sind bisher nicht gestellt worden. Im Übrigen siehe Vorbemerkung und Antwort zu 3. 6. Wie verfährt der Senat damit, wenn keine Anträge bis zum 30.09.2017 (Antragsfrist des BMAS) eingereicht werden? Die Anträge sind nicht beim Senat der Freien und Hansestadt Hamburg einzureichen, sondern bei der in den Förderrichtlinien bestimmten Stelle des BMAS. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 7. Wie kann sich die wissenschaftliche Begleitung der Modellprojekte vorgestellt werden? Siehe Vorbemerkung und Antwort zu 9. 8. Welche Wissenschaftler/-innen welcher Organisationen sind mit der Beobachtung und Begleitung welcher Modellprojekte zu Erprobung des BTHG in Hamburg betraut? Bitte auflisten nach Vor- und Zunahme des/r Wissenschaftlers/in(nen), Bezeichnung des organisatorischen beziehungsweise institutionellen Hintergrunds, Zuordnung des jeweiligen Modellprojekts, Angabe des Zeitraums der wissenschaftlichen Begleitung des Modellprojekts. Die Beauftragung erfolgt durch das BMAS. Im Übrigen siehe Vorbemerkung und Antwort zu 9. 9. Nach welchen Kriterien wird im Kontext der Auswertung der Modellprojekte entschieden, ob eine Regelung des BTHG beziehungsweise etwas juristisch verändert werden muss? Die Modellprojekte werden wissenschaftlich untersucht. Das BMAS bereitet derzeit die Ausschreibung für die wissenschaftliche Untersuchung vor. Im Rahmen des Untersuchungskonzeptes sind Kriterien und Maßstäbe zu definieren, anhand derer die Ergebnisse der Modellprojekte bewertet werden können. Die Entscheidung, ob gesetzliche Änderungen an den BTHG-Regelungen vorgenommen werden sollen, trifft der Gesetzgeber. 10. Inwiefern werden bei der Beurteilung einer Veränderung der geplanten BTHG-Regularien bei den Modellprojekten Menschen mit Behinderung (en), die tatsächlich davon betroffen sind, einbezogen? Menschen mit Behinderungen und ihre Verbände sollen in die vom BMAS zu beauftragende wissenschaftliche Untersuchung einbezogen werden. Sofern Modellprojekte in Hamburg durchgeführt werden, ist die Beteiligung von Menschen mit Behinderung beziehungsweise deren Interessenvertretungen selbstverständlich. 11. Welches Gewicht hat die wissenschaftliche Stellungnahme zur Umsetzung des Nachbesserungsbedarfs im jeweiligen Modellprojekt im Hinblick auf juristische Veränderungen? Siehe Antwort zu 9. 12. Wie wird damit gesetzgeberisch verfahren, wenn sich herausstellt, dass die nun nach dem BTHG neu von der Eingliederungshilfe erfassten Lebensbereiche nicht den Bedarf abdecken und es mehr Lebensbereiche gibt, die für die Eingliederungshilfe bedürftig sind? Drucksache 21/9890 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Nach Artikel 25a § 99 Absatz 7 BTHG bestimmt ein Bundesgesetz das Nähere über Anzahl, Verhältnis von Anzahl der Lebensbereiche und Ausmaß der jeweiligen Einschränkung sowie Inhalte der Lebensbereiche, die für den Leistungszugang in die Eingliederungshilfe künftig maßgebend sind. Insoweit hat der Bundesgesetzgeber mit der Zustimmung des Bundesrats das Letztentscheidungsrecht über die künftige Definition des leistungsberechtigten Personenkreises der Eingliederungshilfe. Im Übrigen wird nach Artikel 25 Absatz 3 BTHG der Artikel 25a § 99 BTHG erst ab dem Jahr 2019 in die modellhafte Erprobung einbezogen. 13. § 118 Absatz 2 BTHG überträgt den Landesregierungen eine Ermächtigung zur Entwicklung eines Instruments zur Bedarfsermittlung. Dies ist im Sinne der Ermittlung des individuellen Bedarfs der Leistungsberechtigten der Eingliederungshilfe zu verstehen, das sich an der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit orientiert. Wie ist der Stand der Entwicklung und die konkrete Ausformung eines solchen Instruments? Wenn noch nicht angelaufen, warum nicht? Wenn bereits im Prozess, wann wird das Instrument auf Basis der Mitarbeit welcher Organisationen und Richtlinien oder Klassifikationen fertig entwickelt sein? Das in Hamburg vom zentralen Fachamt Eingliederungshilfe verwandte Instrument der Bedarfsermittlung orientiert sich bereits jetzt an der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. Im Hinblick auf die Umsetzung des BTHG Artikel 1 Teil 2 wird geprüft, inwieweit dieses Instrument noch weiter verbessert werden kann.