BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/9924 21. Wahlperiode 01.08.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein (FDP) vom 24.07.17 und Antwort des Senats Betr.: Entlassung aus der Untersuchungshaft der Jugendhaftanstalt Hahnöfersand Nach aktuellen Berichten ist ein 19-Jähriger, Jason B., aus der Untersuchungshaft in der Jugendhaftanstalt Hahnöfersand entlassen worden. Die Überlastung der Gerichte sei der Grund für seine Freilassung gewesen. Das Amtsgericht St. Georg hatte Jason B. im Oktober 2016 verurteilt. Er habe sich wegen 21-fachen Betrugs strafbar gemacht. Eine Verhandlung habe bisher nicht stattgefunden. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die Entlassung des Untersuchungsgefangenen Jason B. erfolgte nicht aufgrund einer Überlastung des zuständigen Amtsgerichts oder anderer Justizeinrichtungen. Eine absehbare Überschreitung der Sechs-Monatsfrist von Beginn der Untersuchungshaft bis zum Beginn der Hauptverhandlung führt grundsätzlich zunächst nur zu einer gesetzlich vorgesehen Haftprüfung durch das Oberlandesgericht. Dabei überprüft das Gericht das Verfahren nicht nur auf unzulässige Verfahrensverzögerungen, sondern nimmt eine vollständige Prüfung der Voraussetzungen für den Erlass und das Fortbestehen des Haftbefehls vor. Eine Aufhebung wegen Fristüberschreitung erfolgt nur, wenn das Oberlandesgericht feststellt, dass das Verfahren durch die Staatsanwaltschaft oder das zuständige Gericht – wegen Überlastung oder aus anderen Gründen – nicht angemessen gefördert worden ist. Eine solche unzulässige Verfahrensverzögerung hat das Hanseatische Oberlandesgericht (HansOLG) in diesem Fall nicht festgestellt . Vielmehr hat es ausdrücklich angemerkt, dass der bisherige Verfahrensablauf „noch keine als solche zur Aufhebung des Haftbefehls nötigenden Verfahrensverzögerungen aufweist.“ Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Warum musste Jason B. aus der Untersuchungshaft in der Jugendhaftanstalt Hahnöfersand entlassen werden (bitte genau die Gründe benennen )? Warum kam es bislang zu keiner gerichtlichen Verhandlung? Die Aufhebung des Haftbefehls erfolgte, weil das HansOLG, anders als die Staatsanwaltschaft und das Amtsgericht, den Haftgrund der Wiederholungsgefahr nicht als gegeben ansah, da die dem Haftbefehl zugrunde liegenden Taten nicht den erforderlichen Schweregrad aufwiesen. Hauptverhandlungstermine sind bereits engmaschig für den 15., 17. und 24. August 2017 terminiert. Eine frühere Terminierung war nicht möglich, da noch eine Begutachtung des Beschuldigten durch einen Sachverständigen im Hinblick auf die Voraussetzungen der §§ 20, 21, 63 des Strafgesetzbuches (StGB) in Auftrag gegeben wurde. Zudem waren frühere Termine auch in Abstimmung mit dem Verteidiger nicht möglich. Drucksache 21/9924 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 2. Wann hatte welches Gericht Jason B. zum ersten Mal aufgrund welcher Delikte verurteilt? Wegen welcher weiteren Delikte stand Jason B. dann erneut vor Gericht (bitte mit Zeitangabe darstellen)? Der Angeklagte wurde ausweislich eines Bundeszentralregisterauszugs vom 3. Juli 2017 am 27. Oktober 2016 vom Amtsgericht Hamburg-St. Georg wegen Betrugs in 19 Fällen, davon sechs Fälle als Versuch, zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Die Vollstreckung dieser Jugendstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt . Das Urteil ist seit dem 24. November 2016 rechtskräftig. 3. Seit wann war Jason B. in der Untersuchungshaft der Jugendhaftanstalt Hahnöfersand untergebracht worden (bitte Haftgründe nennen)? Der Beschuldigte wurde am 3. Februar 2017 festgenommen und der JVA Hahnöfersand am 6. Februar 2017 zugeführt. Als Haftgrund wurde Wiederholungsgefahr gemäß § 112a Absatz 1 Nummer 2 der Strafprozessordnung (StPO) genannt. 4. Zeigten sich Auffälligkeiten im Verhalten bei dem Jason B.? Wenn ja, seit wann und durch wenn wurden diese dokumentiert? Als „Auffälligkeiten“ werden Verhaltensweisen qualifiziert, die ein Disziplinarverfahren nach sich ziehen. Ein solches Verhalten zeigte der Beschuldigte nicht. 5. Ab welchem Zeitpunkt war der zuständigen Stelle klar, dass Jason B. aus der Untersuchungshaft in der Jugendanstalt Hahnöfersand freigelassen werden muss (bitte begründen)? Der Haftbefehl wurde mit Beschluss vom 20. Juli 2017 aufgehoben. Zugleich wurde die Untersuchungshaftanstalt um Entlassung ersucht. Der Beschluss des HansOLG wurde im Laufe des Nachmittags des 24. Juli 2017 von der Generalstaatsanwaltschaft der für das Sachverfahren zuständigen Jugendabteilung telefonisch mitgeteilt. 6. Welche Gespräche haben zu dem Fall mit wem stattgefunden (bitte nach Zeitpunkten und Teilnehmern der zuständigen Stellen des Senats darstellen )? Die Leiterin der Strafrechtsabteilung der zuständigen Behörde hat am Nachmittag des 24. Juli 2017 den stellvertretenden Behördenleiter der Staatanwaltschaft um Auskunft über das Verfahren gebeten. Der Beschluss lag der Staatsanwaltschaft zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor, da sich die Akte noch beim HansOLG befand. Das HansOLG hat der Fachabteilung der zuständigen Behörde am 25. Juli 2017 auf die Informationsbitte zu der vorliegenden Schriftlichen Kleinen Anfrage die wesentlichen Inhalte des Beschlusses mitgeteilt. Diese wurden mit der Behördenleitung am selben Tag erörtert. 7. Wann hat Justizsenator Steffen von der Entlassung des Jason B. Kenntnis erlangt? Wie bewertet der Senat die vorzeitige Haftentlassung und welche Konsequenzen werden daraus gezogen? Der Präses der zuständigen Behörde hat am 22. Juli 2017 von der Entlassung Kenntnis erlangt. Die Entscheidung eines unabhängigen Gerichts über die Frage des Vorliegens von Haftgründen gibt keine Veranlassung für Konsequenzen. 8. Wie stellt sich die Belastung des Amtsgerichts dar? a. Wie viele Vollzeitäquivalente und Teilzeitstellen sind im Amtsgericht St. Georg nicht besetzt in 2017 (bitte nach Richtern/-innen und nicht richterlichem Personal sowie Angaben in Monaten darstellen)? Wie hat sich dies zu den Jahren 2015 und 2016 verändert? Das Amtsgericht Hamburg verfügt sowohl im richterlichen als auch im nicht richterlichen Bereich über eine feste Anzahl von Stellen und Vollzeitäquivalenten. Diese sind den Segmenten und Stadtteilgerichten jedoch nicht konkret zugewiesen. Vielmehr steuert das Amtsgericht seinen Personaleinsatz bedarfsabhängig und flexibel nach Eingangszahlen und Arbeitspensen. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9924 3 Nach diesem System der Binnensteuerung stellt sich die Besetzung des Amtsgerichts Hamburg-St. Georg mit seinen rund 170 Beschäftigten insgesamt wie folgt dar (Unterbeziehungsweise Überbesetzung in Pensen beziehungsweise VZÄ): Unter- bzw. Überbesetzung des Amtsgerichts Hamburg-St. Georg   1.7.2015  31.12.2015*  1.7.2016**  31.12.2016  1.7.2017***  Richter/- innen  1,43  0,26  0,07  0,48  0,61  Rechtspfleger /-innen  -1,00  -1,60  -1,60  -2,30  -1,50  Service  -2,30  -2,60  -2,30  -2,90  -2,70  Kostensachbearbeitung   - 0,10  0,00  0,10  0,10  -0,20  abweichende Stichtagsdaten für den nichtrichterlichen Dienst: * 1.10.2015 ** 1.10.2016 *** 1.6.2017 Das Jugendgericht des Amtsgerichts Hamburg-St. Georg ist seit 2015 bis zum heutigen Tag nahezu durchgehend mit 2,8 Richterpensen bedarfsgerecht besetzt (rechnerischer Bedarf aktuell 2,46 Pensen). Gleiches gilt für den nicht richterlichen Bereich im Jugendgericht des Amtsgerichts Hamburg-St. Georg, der sich seit Jahren durchgehend über dem errechneten Bedarf bewegt. b. Wie hoch ist die Fehlzeitenquote am Amtsgericht St. Georg bei den Richterinnen und Richtern in 2017? Wie hoch ist die Fehlzeitenquote am Amtsgericht St. Georg bei dem nicht richterlichen Personal in 2017? Wie hat sich dies im Vergleich zu 2015 und 2016 verändert? Fehlzeitenquote Amtsgericht St. Georg 2015 2016 2017 (Januar - April) nicht richterliches Personal 8,2% 9,3% 9,4% richterliches Personal 1,8% 1,4% 3,5% 9. Wie viel Personal war in 2017 in der Jugendhaftanstalt, insbesondere der Untersuchungshaft, der JVA Hahnöfersand tätig? In der JVA Hahnöfersand sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Umfang von 147,29 VZÄ beschäftigt (Stand: 25. Juli 2017). Davon können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Umfang von 27,67 VZÄ fest der Untersuchungshaft zugeordnet werden. Bei den Verwaltungs- und Fachdiensten, dem medizinischen Dienst, den Betrieben und weiteren zentralen Einrichtungen sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anteilig für die Untersuchungshaft tätig. Der Anteil kann rechnerisch nicht ausgewiesen werden. Hierfür wäre eine aufwändige Analyse der Aufgabenanteile auf jedem Dienstposten notwendig , die Wochen in Anspruch nehmen würde. a. Wie viele Stellen sind in 2017 bisher nicht besetzt gewesen? Wie stellte sich die Situation im Vergleich dazu in 2015 und 2016 dar? Stichtag Vakanzen in VZÄ 31.12.2015* 27,72 31.12.2016 19,95 30.06.2017 21,35 * inklusive Teilanstalt für Frauen (Verlagerung in die JVA Billwerder ist zum 1. März 2016 erfolgt), eine gesonderte Darstellung der Vakanzen ohne die Teilanstalt für Frauen ist rückwirkend nicht möglich.) b. Gab es Abweichungen von den ursprünglichen Planungen? Wenn ja, welche und warum? Nein. Drucksache 21/9924 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 10. Wie viele und welche vergleichbare Fälle von vorzeitigen Haftentlassungen hat es in den Jahren 2014 bis Juli 2017 in den Hamburger Justizvollzugsanstalten gegeben (bitte Angaben in Jahren und der Angabe der Justizvollzugsanstalt insbesondere Untersuchungshaft darstellen)? Vergleichbare Fälle – also Fälle in denen eine Haftentlassung erfolgt, weil ein Gericht höherer Ordnung abweichend von der Vorinstanz die dort angenommenen Haftgründe nicht als gegeben ansieht – werden statistisch nicht erfasst. a. In wie vielen Fällen wurde noch vor Ablauf der Sechsmonatsfrist nach der StPO eine Freilassung aus der Untersuchungshaft veranlasst (bitte nach Justizvollzugsanstalt darstellen)? b. Was waren jeweils die Gründe für die vorzeitigen Freilassungen (bitte nach Jahren und Justizvollzugsanstalt darstellen)? Eine statistische Erfassung dieser Fälle findet seit Anfang dieses Jahres statt. In diesem Zeitraum hat es keine Fälle im Sinne der Fragestellung gegeben. Auch aus den Jahren davor sind der zuständigen Behörde und der Staatsanwaltschaft Hamburg keine derartigen Fälle bekannt.