BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/9958 21. Wahlperiode 04.08.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Nebahat Güçlü (fraktionslos) vom 27.07.17 und Antwort des Senats Betr.: Zum Umgang mit Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung Am 30. Juli 2017 ist der Welttag gegen Menschenhandel. In Hamburg ist die Zahl der bekannt gewordenen Fälle von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, von 31 im Jahr 2013 auf 64 im Jahr 2016 (PKS 2014/2016). Obgleich nur ein Bruchteil der Fälle bekannt wird und aus dem Anstieg der Fallzahlen nicht automatisch auf eine Zunahme von Menschenhandel im Allgemeinen geschlossen werden kann, schätzen Experten, dass Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung (§232 StGB) und zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft (§233StGB) in Europa zunehmen wird, unter anderem wegen der anhaltenden „Migrationskrise“.1 Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Senat beantwortet die Fragen teilweise auf Grundlage von Beiträgen der Koordinierungsstelle gegen Frauenhandel e.V. (KOOFRA) wie folgt: 1) Wie bewertet der Senat die Entwicklung des Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung in Hamburg in den vergangenen fünf Jahren? Die Polizei hat in den letzten fünf Jahren keine Besonderheiten im Sinne der Fragestellung festgestellt. Die Fallzahlen bewegen sich auf nahezu unverändertem Niveau. Der Anstieg der Fallzahlen im Jahr 2016 resultiert aus einem einzelnen größeren Ermittlungskomplex. Die Staatsanwaltschaft betreibt Strafverfolgung in konkreten Einzelfällen bei Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für die Begehung einer verfolgbaren Straftat . Eine fundierte Bewertung der Entwicklung des Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung in Hamburg in den vergangenen fünf Jahren ist der Staatsanwaltschaft nicht möglich. Die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) stellt aus den Jahresberichten der Koordinierungsstelle KOOFRA sowie aus regelmäßigen Austauschund Vernetzungstreffen ebenfalls keine gravierenden Veränderungen in den letzten fünf Jahren im Sinne der Fragestellung fest. Auf rechtlicher Ebene wurden mit der Reform der §§ 232 und 233 StGB, die am 16. Oktober 2016 in Kraft trat, umfangreiche Veränderungen vorgenommen, deren Auswirkungen auf die Praxis zurzeit noch nicht bewertet werden können. 1 Vergleiche Europol (2016): Situation Report. Trafficking in human beings in the EU, Seite 4. Drucksache 21/9958 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Im Übrigen siehe Drs. 20/10994, Konzept zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Menschenhandel und Gewalt in der Pflege. 2) Hat es in den vergangenen fünf Jahren merkliche Veränderungen bezüglich sozialstruktureller Merkmale bei den Opfern von Delikten nach §232 StGB gegeben? 3) Hat es in den vergangenen fünf Jahren merkliche Veränderungen bezüglich sozialstruktureller Merkmale bei den Tätern von Delikten nach §232 StGB gegeben? Die Jahresstatistik von KOOFRA unterscheidet in der Betrachtung einzelner Merkmale nicht nach Opfern von Delikten nach § 232 und nach § 233 StGB. Für die Gesamtzahl der von KOOFRA in den letzten fünf Jahren betreuten Personen lässt sich hinsichtlich Alter und Herkunftsland keine gravierenden Veränderung feststellen. Weitere sozialstrukturelle Merkmale sowie täterbezogene Daten werden nicht erfasst. Der Polizei liegen keine Erkenntnisse im Sinne der Fragestellungen vor. Die staatsanwaltlich verfolgten Verfahren werden hinsichtlich bestimmter sozialkultureller Merkmale/des Geschlechts der Opfer oder der Täter nicht ausgewertet. Im Übrigen siehe Antwort zu 1). 4) Wie viele Ermittlungsverfahren sind seit 2014 bis einschließlich erstes Halbjahr 2017 im Zusammenhang mit Delikten nach § 232 StGB in Hamburg eingeleitet worden? Wie viele dieser Verfahren wurden nach §170 StPO eingestellt? Bitte für die genannten Jahre und Delikte einzeln aufschlüsseln. Die statistische Erfassung von bearbeiteten Fällen erfolgt in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) mit Abschluss aller polizeilichen Ermittlungen durch die für die Endbearbeitung zuständige Dienststelle bei endgültiger Abgabe der entstandenen Ermittlungsvorgänge beziehungsweise des Schlussberichts an die Staatsanwaltschaft. Die Anzahl der in der PKS erfassten Fälle des Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung gemäß § 232 Strafgesetzbuch ist in der nachstehenden Tabelle dargestellt: Jahr Fälle 2014 40 2015 46 2016 64 2017* 13 * 1. Januar bis 30. Juni 2017 Die Einstellungen gemäß § 170 Absatz 2 StPO in Verfahren gemäß § 232 StGB werden statistisch nicht gesondert erfasst. Zur Beantwortung der Frage müssten mehrere Tausend Ermittlungsakten händisch ausgewertet werden. Dies ist in der für die Beantwortung Parlamentarischer Anfragen zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich . 5) Gibt es Strategien oder Überlegungen seitens der zuständigen Fachbehörden , welche auf eine erhöhte Aussagebereitschaft von Opfern des Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung zielen? Wenn ja, wie sehen diese aus? Wenn nein, warum nicht? Die Aussagebereitschaft zu erhöhen, ist seit Jahren das Bestreben der Staatsanwaltschaft Hamburg und der Fachbehörden. Hierzu gehören folgende Maßnahmen: Belehrung über die gegebenen Möglichkeiten einer Unterstützung der Geschädigten durch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie nach neuer Rechtslage psychosozialen Prozessbegleitung gemäß § 406g der Strafprozessordnung (StPO). Regelmäßig wird seitens der Fachdienststelle des Landeskriminalamtes (LKA) auch frühzeitig geprüft, ob Zeugenschutzmaßnahmen in Betracht kommen. Die Polizei hat in den letzten Jahren die Betreuung von Opfern zum Teil unter Einbeziehung von Trä- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9958 3 gern bedarfsgerecht angepasst und stetig optimiert, um die Aussagebereitschaft dieser Personen zu erhöhen. Die von der Polizei initiierten Opferschutz- und Betreuungsmaßnahmen orientieren sich regelhaft an den Gegebenheiten des Einzelfalls. Die BASFI berät mit den beteiligten Akteuren regelhaft am von ihr organisierten Runden Tisch gegen Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung über aktuelle Entwicklungen und Handlungsbedarfe in Hamburg. Die Steigerung der Erreichbarkeit der Opfer ist dabei ebenso ein zentrales Anliegen wie ihre bestmögliche Unterstützung . Dazu gehört auch die verständliche Aufklärung über rechtliche Möglichkeiten und die Minimierung der damit verbundenen Risiken für das Opfer. Der Senat setzt sich außerdem für eine Stärkung der Opferrechte sowie ein Zeugnisverweigerungsrecht für Beraterinnen und Berater von Opfern von Menschenhandel ein (siehe Drs. 20/10994). 6) Wie viele Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für Opfer von Menschenhandel nach §25 Aufenthaltsgesetzes wurden seit 2014 gestellt und erteilt? Bitte nach Jahren aufschlüsseln. Seit 2014 wurden bis zum Stichtag 28. Juli 2017 insgesamt 41 Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absätze 4a und 4b Aufenthaltsgesetz gestellt, in 35 Fällen wurde eine Aufenthaltserlaubnis erteilt. Die Aufschlüsselung nach Jahren ist der folgenden Tabelle zu entnehmen: Jahr Anträge Erteilungen 2014 10 7 2015 11 9 2016 4 4 2017* 16 15 * 1. Januar bis 28. Juli 2017 7) Wie sieht die derzeitige Strategie des Senats zur Bekämpfung von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung aus? Die Bekämpfung von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung ist strategisch im Konzept zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Menschenhandel und Gewalt in der Pflege (Drs. 20/10994) verankert. Der Senat hat auf dieser Grundlage bereits vor einigen Jahren verstärkte Maßnahmen eingeleitet (siehe Antworten zu 8) bis 12)). Zudem finden auch im Rahmen der Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes zwischen der BASFI, der Behörde für Inneres und Sport (BIS), dem LKA und KOOFRA Abstimmungsprozesse statt (vergleiche Antwort zu 13)). Im Übrigen siehe Drs. 20/10994. 8) Inwieweit hat der Senat die Kritik des Rechnungshofes aus dem Bericht von 2015 aufgegriffen? a) Hat der Senat eine eigene Analyse der Bedarfe von Hamburger Schutzsuchenden vorgenommen? b) Inwieweit ist die angekündigte Profilschärfung des Beratungsangebotes in 2015/2016 vollzogen worden? Die Koordinierungsstelle KOOFRA hat in der Opferhilfelandschaft bereits ein spezifiziertes Profil, da sie die einzige Beratungsstelle für Opfer von Menschenhandel in Hamburg ist. Die Abgrenzung zur Beratungstätigkeit zur Servicestelle Arbeitnehmerfreizügigkeit des Trägers Arbeit und Leben e.V. (Arbeitsausbeutung) ist in einer Kooperationsvereinbarung geregelt Insofern ist eine weitere Schärfung im Verhältnis zu den übrigen Angeboten nicht erforderlich. Daneben steht die zuständige Behörde im regelmäßigen Austausch mit der Koordinierungsstelle KOOFRA, diskutiert und analysiert dabei auch die bedarfsgerechte Konzeption des Hilfeangebots und steuert gegebenenfalls im Sinne des Konzeptes des Senats (Drs. 20/10994) nach. Im Übrigen siehe Drs. 21/794. Drucksache 21/9958 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 9) Im „Konzept zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Menschenhandel und Gewalt in der Pflege“ wird darauf verwiesen, dass eine gezielte Ansprache der Zielgruppe notwendig sei, für die Entwicklung tragfähiger Unterstützungsstrukturen.2 Inwiefern haben diese Erkenntnisse Eingang in die derzeitige Praxis gefunden? Die gezielte Ansprache der Zielgruppe ist grundlegender Bestandteil der Arbeit von KOOFRA. Das Angebot ist anonym und nicht an Bedingungen gebunden. Die Ansprache an potenziell Betroffene erfolgt soweit möglich in der Erstsprache (Muttersprache ). Die potenziell Betroffenen erhalten erste Informationen in einem speziellen Faltblatt, das in 34 Sprachen sowie in Leichter Sprache in Deutsch erhältlich ist. Die konkrete Unterstützung wird durch kulturelle Mediatorinnen soweit möglich in der Erstsprache geleistet. Derzeit kann KOOFRA die Unterstützung im Einzelfall in 21 Sprachen abdecken. 10) Wie viele Fälle hat die Koordinierungsstelle gegen Frauenhandel e.V. (KOOFRA) im ersten Halbjahr 2017 betreut? Wie viele Opfer von Menschenhandel wurden seit 2014 von KOOFRA betreut? KOOFRA meldete folgende Anzahl von Personen, die im jeweiligen Jahresverlauf von ihr beraten und betreut wurde: Jahr Fallzahl 2014 57 2015 41 2016 53 2017* 37 * 1. Januar bis 30. Juni 2017 11) Die finanziellen Zuwendungen für KOOFRA sind seit 2014 verdoppelt worden, von 160.000 Euro auf 320.000 Euro in 2016. Für 2017/2018 ist eine weitere Aufstockung der Zuwendungen auf 348.000 Euro geplant. a) Wofür werden die Mittel konkret verwendet? b) Wie wird der zusätzliche Bedarf an finanziellen Mitteln begründet? Mit der Konkretisierung zum Zuwendungsbescheid 2017/2018 wurde folgender Zuwendungszweck für KOOFRA festgelegt: Im Rahmen der Sicherstellung einer niedrigschwelligen , geschlechtersensiblen, interkulturellen und inklusiven Opferhilfelandschaft sollen alle von Menschenhandel Betroffenen Beratung und Unterstützung erhalten . Hierfür soll KOOFRA insbesondere folgende Hilfestellungen vorhalten oder koordinieren : mehrsprachiger Betreuerinnenpool für qualifizierte muttersprachliche psychosoziale und ressourcenorientierte Beratung und Begleitung in Fällen von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung und zum Zwecke der Arbeitsausbeutung , Hilfe bei der Unterbringung, bei der Ausreise, bei Passangelegenheiten, Organisation von Lebensunterhalt, Vermittlung medizinischer Betreuung und rechtlicher Beratung, Hilfe bei der Antragstellung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Weitere Aufgaben sind die Beobachtung und Dokumentation der Fallentwicklung bezüglich der Opfer von Menschenhandel zum Zwecke der Arbeitsausbeutung und verbindliche Kooperationsstrukturen mit Polizei Hamburg, Servicestelle Arbeitnehmerfreizügigkeit und weiteren Akteuren aufrechterhalten, (weiter-)entwickeln und vorhalten. Die Erhöhung der Zuwendung ab Mitte 2014 ist zurückzuführen auf die Ausweitung der Zielgruppe von Opfern von Frauenhandel/Zwangsprostitution auf Opfer von Menschenhandel zum Zwecke der Arbeitsausbeutung. Wegen der damit verbundenen Aufstockung des Personalstands sowie infolge eines Umzugs erhöhten sich die Bedarfe für die Betriebs- und Geschäftsausstattung. 2 Behörde für Arbeit, Soziales und Integration (2014): Konzept zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Menschenhandel und Gewalt in der Pflege, Seite 54. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/9958 5 Mit dem Zuwendungsbescheid 2017/2018 wurde einer weiteren Stellenaufstockung um 0,4 Stellen zugestimmt, da die thematische Ausweitung und die verstärkten Kooperationen zu erhöhtem Koordinierungsaufwand geführt hatten. Auch mussten neue kulturelle Mediatorinnen gewonnen und eingearbeitet werden, die im Hinblick auf Geflüchtete auch weitere Sprachen besetzen (zum Beispiel Arabisch und Dari). Daneben werden tarifliche Erhöhungen bei der Berechnung der Personalkosten berücksichtigt, was sich ebenfalls auf die Zuwendungshöhe auswirkt. 12) Welche Erkenntnisse wurden in den vergangenen zweieinhalb Jahren zu Opfern (männlich, Trans*) von Menschenhandel gesammelt? Wie viele Opfer (männlich, Trans*) von Menschenhandel hat KOOFRA in der Zwischenzeit beraten und betreut? KOOFRA betreute 2015 drei, 2016 vier, und im ersten Halbjahr 2017 zwölf Männer (Mehrfachnennungen möglich, da die Betreuung manchmal über mehrere Jahre andauert). Im gleichen Zeitraum wurden keine Trans* begleitet. Die Polizei hat in den Jahren 2015 und 2016 jeweils ein Ermittlungsverfahren mit einem Trans*-Opfer von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung registriert, die bei der Fachdienststelle des LKA geführt wurden (LKA 65 – Fachkommissariat Menschenhandel). Die Erfahrungen aus diesen Ermittlungsverfahren zeigen, dass es kaum Unterschiede zu Verfahren mit weiblichen Opfern gibt. 13) Welche Effekte verspricht sich der Senat von der Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes auf den Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung? Im Rahmen des Anmeldeverfahrens gemäß §§ 3 fortfolgende Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) werden erstmals umfängliche Informations- und Beratungspflichten normiert. Insbesondere bei der gesundheitlichen Beratung nach § 10 ProstSchG, beim Informations- und Beratungsgespräch nach § 7 in Verbindung mit § 9 ProstSchG sowie bei der Anmeldung der weiblichen, männlichen und Trans*-Prostituierten kann mit den im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen auf Hilfebedarfe eingegangen und zu Unterstützungsmöglichkeiten beraten beziehungsweise weitervermittelt werden.