Kleine Anfrage des Abg. Merz (SPD) vom 05.11.2014 betreffend Geschwindigkeitsbegrenzung auf der A 5, Teilabschnitt Fernwald/Reiskirchen und Antwort des Ministers für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung Die Kleine Anfrage beantworte ich im Einvernehmen mit dem Minister des Innern und für Sport wie folgt: Frage 1. Ist es richtig, dass die errechneten Lärmminderungswerte auf Basis der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h bzw. 80 km/h errechnet wurden? Ja. Grundlage für die Berechnungen sind Gesetze und Regelwerke, die der Bund den Ländern als Auftragsverwaltung für die Bundesfernstraßen verbindlich vorgibt. Zur Beurteilung straßenverkehrsrechtlicher Maßnahmen werden zunächst die maßgebenden Beurteilungspegel der Ist-Situation berechnet. Dies erfolgt neben zahlreichen weiteren Parametern unter anderem auf Grundlage der Verkehrsmenge, des Lkw-Anteils und der Geschwindigkeit. Entsprechend der vorhandenen örtlichen Situation sind hierzu gemäß der Berechnungsvorschrift RLS-90 für Pkw die Geschwindigkeit von 130 km/h und für Lkw deren zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h auf Autobahnen in Ansatz zu bringen. Die Pkw-Geschwindigkeit von 130 km/h ist die höchste Geschwindigkeit, die mit dieser Berechnungsvorschrift in Ansatz gebracht werden kann. Sie ist auf die, im Rahmen der Entwicklung dieser Berechnungsvorschrift ermittelten Durchschnittsgeschwindigkeit aller Pkw und pkw-ähnlichen Fahrzeuge auf Autobahnen, zurückzuführen . Die damit errechneten Beurteilungspegel sind maßgeblich für die Beurteilung der Erforderlichkeit von Maßnahmen. Frage 2. Wurde bei den Berechnungen die unebene Fahrbahn in dem oben genannten Teilabschnitt berück- sichtigt? Die eingebaute Betondecke genügt sowohl den bautechnischen als auch den schalltechnischen Anforderungen. Eine unebene Fahrbahn kann somit rechnerisch nicht berücksichtigt werden. Frage 3. Sind dem Verkehrsminister die Geschwindigkeitsmesswerte, die in gewissen Abständen von der Wiebelbrücke aus durchgeführt werden, bekannt? Nein. Nach Auskunft des Hessischen Ministeriums des Inneren und für Sport liegen für diesen Bereich keine repräsentativen Geschwindigkeitsmessungen vor. Frage 4. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Unfallhäufigkeit und Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Bundesstraßen und Autobahnen? Wenn ja, welchen? Die Anordnung von örtlichen Verboten und Beschränkungen des Verkehrs gehört zu den ordnungsrechtlichen Gefahrenabwehrmaßnahmen. Als solche sind sie grundsätzlich vorläufiger Natur. Sie dienen dazu, bestimmte Gefahren durch oder für den Straßenverkehr zu bekämpfen, bis der Straßenbaulastträger oder sonst hierfür Verantwortliche ihren Pflichten nachkommen, für eine nachhaltige, in der Regel bauliche Beseitigung der besonderen örtlichen Gefahren zu sorgen. Geschwindigkeitsbeschränkungen aus Verkehrssicherheitsgründen können erforderlich sein, wenn aufgrund besonderer örtlicher Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Eingegangen am 10. Februar 2015 · Ausgegeben am 19. Februar 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/1071 10. 02. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1071 Risiko einer Beeinträchtigung des Rechtsguts "Verkehrssicherheit" erheblich übersteigt. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn örtliche Unfalluntersuchungen ergeben haben, dass eine Häufung geschwindigkeitsbedingter Unfälle vorliegt, die nicht auf die Nichteinhaltung allgemeiner oder bestehender örtlicher Geschwindigkeitsbeschränkungen zurückzuführen ist. Eine Unfallhäufung liegt dann vor, wenn die Unfallrate auf einem bestimmten Streckenabschnitt erheblich über dem, aus dem Unfallgeschehen auf den vergleichbaren Strecken, ermittelten Vergleichswert liegt. In solchen Fällen können Geschwindigkeitsbeschränkungen geeignet sein, die Unfallrate zu reduzieren . Aufgrund des beschriebenen Zusammenhangs weisen Streckenabschnitte mit Geschwindigkeitsbeschränkung aus Verkehrssicherheitsgründen in der Regel ein höheres Unfallgeschehen auf, als vergleichbare Streckenabschnitte ohne Geschwindigkeitsbeschränkung. Das Unfallgeschehen dieser Streckenabschnitte mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung aus Verkehrssicherheitsgründen liegt dann immer noch über dem durchschnittlichen Unfallgeschehen von vergleichbaren Strecken in Hessen ohne Geschwindigkeitsbeschränkung. Frage 5. Wie beurteilt die Landesregierung die Einführung einer Geschwindigkeitsbegrenzung in der Zeit von 22:00 bis 6:00 Uhr im oben genannten Abschnitt der A 5? Rechtsgrundlage für die Anordnung straßenverkehrsrechtlicher Maßnahmen ist die Straßenverkehrs -Ordnung (StVO). Grundlage für eine Bewertung straßenverkehrsrechtlicher Maßnahmen zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm sind die vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur erlassenen Richtlinien für straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm (Lärmschutz-Richtlinien-StV). Nach den Lärmschutz-Richtlinien-StV können straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zum Schutz der Wohnbevölkerung in Betracht kommen, wenn der gemäß den Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen (RLS-90) ermittelte maßgebliche Beurteilungspegel am Immissionsort, den je nach Flächennutzung und Tageszeit differenzierten Richtwert überschreitet und durch die Maßnahmen eine Pegelminderung um mindestens 3 dB(A) bewirkt wird. Beim Vorliegen dieser Voraussetzung ist auf der Grundlage einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalls eine Abwägung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme vorzunehmen. Dabei ist insbesondere die Erforderlichkeit nach § 45 Abs. 9 StVO festzustellen. In die Abwägung sind unter anderem die unterschiedlichen Funktionen der Straßen , z.B. Autobahnen als integrale Bestandteile des Bundesfernstraßennetzes und das quantitative Maß der Lärmbeeinträchtigungen einzubeziehen (vgl. Lärmschutz-Richtlinien-StV, Abschnitt 1.3). Bei der Abwägung und Entscheidung über Geschwindigkeitsbeschränkungen ist gemäß dem Bundesfernstraßengesetz (FStrG) und der Lärmschutz-Richtlinien-StV zu berücksichtigen , dass Autobahnen dem weiträumigen Schnellverkehr dienen und diese besondere Verkehrsfunktion Vorrang hat (vgl. Lärmschutz-Richtlinien-StV, Abschnitt 3.3b). Aus Sicht der Landesregierung wäre eine Änderung der Vorschriften des Bundes wünschenswert, die einen verbesserten Schutz der Bevölkerung vor Verkehrslärm gewährleistet. Vor dem Hintergrund der geltenden Rechtsvorschriften kann eine Entscheidung über die Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung nur auf der Grundlage einer gebäudescharfen Ermittlung der maßgeblichen Beurteilungspegel erfolgen. Sollte diese ergeben, dass die maßgeblichen Beurteilungspegel für die Nachtstunden erreicht oder überschritten werden, könnte auch eine Geschwindigkeitsbeschränkung in der Zeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr in Betracht kommen. Über die konkrete Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung entscheidet die Straßenverkehrsbehörde im Einzelfall. Eine gebäudebezogene Berechnung hat Hessen Mobil für die Gemeinde Fernwald im Juli 2014 durchgeführt. Die ermittelten Beurteilungspegel in Kombination mit den darüber hinaus gehenden notwendigen Voraussetzungen zur Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung liegen nicht vor. Wesentlich ist jedoch, dass die Gemeinde Fernwald unmittelbar neben der Autobahn ein Wohngebiet mit Einfamilienhäusern ausgewiesen hat. Mit Schreiben vom 10. Oktober 1972 hatte das Regierungspräsidium Darmstadt der Gemeinde Fernwald zur Auflage gemacht, für einen ausreichenden Schutz der Bewohner dieses Wohngebietes vor dem von der Autobahn herrührenden Lärm zu sorgen. Darüber hinaus hat die Gemeinde im Jahr 1990 ihren Verzicht auf weitere Forderungen zum Lärmschutz erklärt. Somit sind im vorliegenden Fall die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm nicht gegeben. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1071 3 Frage 6. Ab welchem Zeitpunkt kann der Seitenstreifen als dritte Fahrspur im Bereich Fernwald/Reis- kirchen temporär genutzt werden? Es gibt zurzeit keine konkreten Planungen für eine temporäre Nutzung des Seitenstreifens im Abschnitt zwischen Fernwald und Reiskirchen. Frage 7. Hat sich die Unfallhäufigkeit nach der grundhaften Sanierung der Autobahn im Teilabschnitt Fernwald/Reiskirchen erhöht? Wenn ja, um wie viel Prozent? Die grundhafte Sanierung der A 5 im betreffenden Abschnitt erfolgte in den Jahren 2006 und 2007. Die in der Tabelle abgebildeten Unfallzahlen zeigen das Unfallgeschehen vor der Sanierung und im Anschluss an die Bauarbeiten (Angaben des statistischen Landesamtes). Seit dem Jahr 2003 wurden folgende Unfalldaten erhoben: Unfallzahlen der Jahre Unfälle Getötete Personen Schwerverletzte Personen Leichtverletzte Personen 2003 bis 2005 261 1 11 69 2006 bis 2007 B A U Z E I T 2008 bis 2010 222 1 14 64 2011 bis 2013 171 0 15 41 Anhand der Unfallzahlen ist erkennbar, dass sich die Unfallhäufigkeit nach der grundhaften Sanierung verringert hat. Frage 8. Entspricht die 3 dB (A) Berechnungsgrenze der heutigen Verkehrssituation? Die physikalische Größe der Schallintensität wird als Dezibel bezeichnet und stellt eine Vereinfachung für sehr große logarithmische Verhältniszahlen dar. Das menschliche Ohr reagiert auf niedrige Frequenzen - also auf tiefe Töne - weniger empfindlich als auf hohe. Dies wird durch die sogenannte A-Bewertung berücksichtigt. Verkehrsgeräusche werden daher grundsätzlich in Dezibel (A) angegeben. Von 3 dB(A) spricht man, da erst Veränderungen des Beurteilungspegels von Verkehrsgeräuschen um 3 dB(A) vom menschlichen Ohr gerade noch wahrgenommen werden. Bei der Entscheidung über Maßnahmen zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm dient das Kriterium einer Pegeldifferenz von 3 dB(A) insofern als Anhaltspunkt für die Geeignetheit bzw. Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme. Dies ist dann gegeben, wenn wahrnehmbare Effekte zu erwarten sind. Da es sich um eine Pegeldifferenz handelt, spielen die absoluten Pegelwerte und damit die ihnen zugrunde liegenden Verkehrsbelastungen an dieser Stelle der Betrachtung keine Rolle. Wiesbaden, 30. Januar 2015 Tarek Al-Wazir