Kleine Anfrage des Abg. Florian Rentsch (FDP) vom 10.11.2014 betreffend Aufkauf von Arztsitzen und Einrichtung von Terminservicestellen und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Vorbemerkung der Fragesteller: Der Referentenentwurf des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes sieht vor, § 103 SGB V so zu verändern, dass die KV Hessen künftig verpflichtet ist, Arztsitze aufzukaufen, falls schwerwiegende Versorgungsgründe dem nicht entgegen stehen. Gleichzeitig sollen die kassenärztlichen Vereinigungen Terminservicestellen einrichten, die Patienten innerhalb von vier Wochen einen Termin in einer Facharztpraxis anbieten sollen. Darüber hinaus kommt die Studie der Bertelsmann Stiftung, Faktencheck Gesundheit, Regionale Verteilung von Arztsitzen, zu dem Ergebnis, dass die bisherige Bedarfsplanung nicht geeignet sei den tatsächlichen Bedarf an Arztsitzen zu ermitteln, da neben der Altersstruktur auch sozioökonomische Faktoren sowie Morbiditätsfaktoren zu berücksichtigen seien. Weiterhin kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass die Zulassungsregionen kleinräumiger gefasst werden sollten und "eine einheitliche anstelle einer nach Regionstyp differenzierten Verhältniszahl festgesetzt oder zumindest deren Spreizung zwischen den Regionstypen verringert werden" (Bertelsmann Stiftung, Faktencheck Gesundheit, S. 7) müsste. Vorbemerkung des Ministers für Soziales und Integration: In wegen Überversorgung gesperrten Planungsbereichen ist aus Gründen des Eigentumsschutzes ein sog. Nachbesetzungsverfahren möglich. Beendet ein Praxisinhaber seine Tätigkeit und verzichtet auf die Zulassung, kann er die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens beantragen . Findet sich ein Nachfolger, der die Praxis kauft, erhält dieser gleichzeitig auch eine Zulassung , obwohl der Planungsbereich an sich für Neuzulassungen gesperrt ist. Der Referentenentwurf eines GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes sieht nun vor, dass der zuständige Zulassungsausschuss den Antrag auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens nicht mehr nur ablehnen "kann", sondern "soll", wenn eine Nachbesetzung aus Versorgungsgründen nicht erforderlich ist. Generell ausgenommen von dieser Regelung - d.h. ein Nachbesetzungsverfahren wird auf Antrag stets durchgeführt - sind Konstellationen, in denen ein Bewerber Ehegatte, Lebenspartner, Kind, angestellter Arzt oder Praxispartner des bisherigen Vertragsarztes ist. Die vorgesehene Änderung ("soll") stellt einerseits eine Verschärfung dar. Andererseits bleibt es aber bei der aktuellen Regelung, nach der ein Antrag auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens nur abgelehnt werden kann, wenn im paritätisch besetzten Zulassungsausschuss zumindest einer der Ärzte dies unterstützt (unterstellt, die Vertreter der Krankenkassen plädieren für eine Ablehnung). Der Sitz fällt also bereits dann nicht weg, wenn die Vertreter der Ärzte sich für den Erhalt des Sitzes aussprechen. Hinzu kommt, dass ein Wegfall ohnehin nur in Betracht kommt, wenn Versorgungsgründe nicht entgegenstehen. Wenn also in der Öffentlichkeit massiv vor einem schlagartigen Verlust sämtlicher Arztsitze oberhalb der Grenze zur Überversorgung die Rede ist, impliziert das die Auffassung , diese Sitze seien sämtlich für die Versorgung nicht erforderlich. Seit 17. Dezember 2014 liegt der Kabinettentwurf vor. Dieser sieht Veränderungen bei § 103 Abs. 3a SGB V in der Fassung des Referentenentwurfs vor. So soll ein Nachbesetzungsverfahren auch dann stattfinden, wenn der Nachfolger sich verpflichtet, die Praxis in ein anderes Gebiet des Planungsbereichs zu verlegen, in dem nach Mitteilung der Kassenärztlichen Vereinigung aufgrund einer zu geringen Arztdichte ein Versorgungsbedarf besteht. Dies stellt eine Abmilderung dar und greift den Gedanken einer - bisher kaum möglichen - Versorgungssteuerung auf. Eingegangen am 6. Januar 2015 · Ausgegeben am 8. Januar 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/1077 06. 01. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1077 Die Hessische Landesregierung wird den Kabinettentwurf gerade im Hinblick auf die Regelungen , die Gegenstand der Kleinen Anfrage sind, kritisch prüfen. Dies gilt insbesondere für die psychotherapeutische Versorgung. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wie viele Arztsitze wird die KV Hessen voraussichtlich insgesamt aufkaufen müssen? Bitte nach Facharztgruppen gliedern sowie nach Gebietskörperschaften. Einen Zwang zum Aufkauf eines Arztsitzes sieht der Referentenentwurf eines GKVVersorgungsstärkungsgesetzes (GKV-VSG) nicht vor. Die Prüfung, ob ein Nachbesetzungsverfahren durchgeführt werden soll oder abgelehnt wird mit der Folge, dass der Arztsitz wegfällt und der Praxisinhaber den Wert der Praxis ersetzt hält, kommt nur in wegen Überversorgung gesperrten Planungsbereichen in Betracht. Überversorgung liegt ab einem Versorgungsgrad von 110 % vor (§ 101 Abs. 1 S. 3 SGB V). In der Anlage ist eine Aufstellung der KV Hessen (unterteilt nach den vier Versorgungsebenen entsprechend der Bedarfsplanungs-Richtlinie), in der für jede Arztgruppe die Anzahl der über der 110 %- Grenze liegenden Arztsitze aufgeführt ist Frage 2. Wie beurteilt die Landesregierung die Neuregelung des § 103 SGB V im Hinblick auf die künfti- ge ärztliche, insbesondere fachärztliche, Versorgung in Hessen? Hierzu wird auf die Vorbemerkung des Hessischen Ministers für Soziales und Integration verwiesen . Frage 3. Wie beurteilt die Landesregierung den geplanten Wegfall von Facharztsitzen einerseits bei gleich- zeitiger Einrichtung von Terminservicestellen andererseits, die aufgrund zu langer Wartezeiten auf einen Facharzttermin eingerichtet werden sollen? Die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens wird nur abgelehnt, wenn Versorgungsgründe dem nicht entgegenstehen. Praxen mit hohen Fallzahlen in Gebieten mit langen Wartezeiten sind daher ein starkes Indiz für Versorgungsrelevanz. Seit 2012 heißt es im Gesetz ausdrücklich, dass der Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen auch die angemessene und zeitnahe Zurverfügungstellung der fachärztlichen Versorgung umfasst (§ 75 Abs. 1 S. 2 SGB V). In Konkretisierung dieser Vorgabe sieht jetzt der Referentenentwurf die Einrichtung von Terminservicestellen vor. Frage 4. Wie beurteilt die Landesregierung das Ergebnis der Studie der Bertelsmann Stiftung im Hinblick auf die bedarfsbestimmenden Faktoren einer zeitgemäßen realistischen Bedarfsplanung? Die Vorgaben der Bedarfsplanungs-Richtlinie zur Bestimmung des Bedarfs haben seit ihrer Einführung stets höchstrichterlich Bestand gehabt. Die Faktoren, die die Studie aufzählt, können zudem seit Inkrafttreten des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes regionale Besonderheiten begründen , die zum Abweichen von der Bedarfsplanungs-Richtlinie im Bedarfsplan berechtigen (§ 99 Abs. 1 S. 3 SGB V, § 2 Bedarfsplanungs-Richtlinie). D.h. Umstände wie eine besondere regionale Morbidität oder sozioökonomische Faktoren können bereits heute zum Bestandteil der Bedarfsplanung gemacht werden. Frage 5. Wie beurteilt die Landesregierung die Absicht, künftig Krankenhäuser stärker in die ambulante Versorgung mit einzubeziehen, a) für den Erhalt einer flächendeckenden Versorgung mit Haus- und Facharztpraxen, b) für die Krankenhäuser in personeller und finanzieller Hinsicht, c) für die qualifizierte fachärztliche Versorgung von Patientinnen und Patienten? Die Unterpunkte werden wegen des sachlichen Zusammenhangs wie folgt gemeinsam beantwortet : Nach § 116a SGB V kann der Zulassungsausschuss zugelassene Krankenhäuser für das entsprechende Fachgebiet in den Planungsbereichen, in denen der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen Unterversorgung nach § 100 Absatz 1 SGB V oder einen zusätzlichen lokalen Versorgungsbedarf nach § 100 Absatz 3 SGB V festgestellt hat, auf deren Antrag zur vertragsärztlichen Versorgung ermächtigen, soweit und solange dies zur Beseitigung der Unterversorgung oder zur Deckung des zusätzlichen lokalen Versorgungsbedarfs erforderlich ist. Der Referentenentwurf eines GKV-VSG sieht vor, das "kann" in ein "muss" zu ändern. D.h. in Fällen von festgestellter Unterversorgung oder festgestelltem zusätzlichem lokalen Versor- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1077 3 gungsbedarf hat der Zulassungsausschuss künftig kein Ermessen mehr. Dies scheint angemessen ; das Krankenhaus wird prüfen, ob es Kapazitäten für eine Ermächtigung hat und nur dann einen Antrag stellen. Aus dem Behandlungsvertrag schuldet auch das Krankenhaus den Facharztstandard . Dies gilt für alle Regelungen, die den Krankenhäusern eine Teilnahme an der ambulanten Versorgung ermöglichen; jeweils sind die Regelungen von der Motivation getragen, mögliche Lücken in der vertragsärztlichen Versorgung zu schließen. Frage 6. Wie bewertet die Landesregierung die Entschädigungsregelungen für Ärztinnen und Ärzte, deren Arztsitz auch gegen deren Willen aufgekauft wird? Frage 7. Wie bewertet die Landesregierung die geplanten Regelungen zum Aufkauf von Arztsitzen vor dem Hintergrund der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes und mit der Vereinbarkeit mit den Grundsätzen der Freiberuflichkeit? Die Fragen 6 und 7 werden wie folgt gemeinsam beantwortet: An sich müssten nach der gesetzlichen Konzeption der Bedarfsplanung in überversorgten Planungsbereichen Arztsitze ersatzlos wegfallen, wenn der Praxisinhaber seine Praxistätigkeit beendet . Da aber eine Arztpraxis regelmäßig unverkäuflich sein dürfte, wenn sie nicht mit einer Zulassung (Arztsitz) verbunden ist, wurde aus Gründen des grundgesetzlichen Eigentumsschutzes das Nachbesetzungsverfahren eingeführt. Dieses ermöglicht den Erhalt einer Zulassung, wenn eine bestehende Praxis von einem Nachfolger fortgeführt werden soll. Der Eigentumsschutz umfasst den Wert der Praxis. Das Gesetz sieht vor, dass die Kassenärztliche Vereinigung eine Entschädigung in Höhe des Verkehrswertes zu zahlen hat. Insofern sind die Vorgaben des Grundgesetzes eingehalten. Das Gesetz lässt aber bisher sämtliche Fragen zur praktischen Umsetzung dieser Regelung offen, beispielsweise, nach welcher Methode der Verkehrswert zu bestimmen oder eine beim Praxisinhaber verbleibende Einrichtung anzurechnen ist. Auch lässt sich fragen, warum die Entschädigung ausschließlich von den Kassenärztlichen Vereinigungen aufzubringen ist. Die Hessische Landesregierung wird daher das Gesetzgebungsverfahren entsprechend kritisch begleiten und erforderlichenfalls seine Einflussmöglichkeiten auf Bundesebene nutzen. Wiesbaden, 15. Dezember 2014 Stefan Grüttner Anlagen