Kleine Anfrage der Abg. Merz und Roth (SPD) vom 18.02.2014 betreffend Entwicklung der Zahl pflegebedürftiger, verletzter, kranker und traumatisierter Flüchtlinge in Hessen und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Vorbemerkung der Fragesteller: In den letzten Wochen wird im Zusammenhang mit der Entwicklung der Zahl der Flüchtlinge und der damit entstehenden Kosten auch häufig von einem Ansteigen der Zahl pflegebedürftiger, verletzter, kranker und traumatisierter Flüchtlinge in Hessen berichtet. Kommunen klagen, dass die dadurch entstehenden Kosten nun unzureichend vom Land erstattet werden. Diese Vorbemerkung der Fragesteller vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung hinsichtlich der Entwicklung des Anteils pflegebe- dürftiger, verletzter, kranker und traumatisierter Personen an der Gesamtzahl der Flüchtlinge in Hessen? Eine Statistik über die Anteile bzw. die Entwicklung pflegebedürftiger, verletzter, kranker und traumatisierter Personen wird in der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung (HEAE) nicht geführt . Festzustellen ist jedoch, dass besonders die Asylsuchenden, die aus den Kriegsgebieten Syriens kommen, aber auch Flüchtlinge aus Pakistan und Afghanistan aufgrund ihres höheren Lebensalters häufig chronische Erkrankungen aufweisen. Flüchtlinge aus Eritrea, Somalia und anderen afrikanischen Ländern sind häufig jünger, was sich auf die Art der Erkrankung auswirkt. Sämtliche vorhandene Erkrankungen werden im Rahmen der Erstuntersuchung - soweit diagnostisch möglich - festgestellt und einer Behandlung zugeführt. In der medizinischen Abteilung werden die Asylsuchenden möglichst spätestens fünf Arbeitstage nach ihrer Aufnahme erstuntersucht und obligatorisch geröntgt. Es wird durch Anamnese, körperliche Inspektion sowie Laboruntersuchung [Glucose und International Normalized Ratio (INR = Laborwert vor Ort)] und Sonographie sichergestellt, dass chronische Erkrankungen erkannt und daraufhin behandelt werden. Die akuten Symptome chronischer Erkrankungen werden intensiv und umfassend vor Ort in Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Fachärzten und Kliniken behandelt, wohingegen die nicht akut erkrankten Patienten mit chronischen Erkrankungen nach dem Transfer an die weiterbehandelnden Ärzte in den Gebietskörperschaften verwiesen werden. Neben der obligatorischen Erstuntersuchung steht den Asylsuchenden die Ambulanz in der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung zur Verfügung. Beispielhaft aufzuführen sind folgende häufig gestellte Diagnosen und festgestellte Krankheitsbilder : - Magenprobleme, Hypertonie, COPD (chronisch obstruktive Lungenerkrankung chronic obstructive pulmonary disease), Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Tuberkulose (Lungen, Lymphknoten, urogenitale seltene Hauttuberkulosen), Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz bis hin zur Dialyse, Gerinnungsstörungen, HIV, Krebserkrankungen, hier handelt es sich vorwiegend um gynäkologische Tumore, Eingegangen am 25. März 2014 · Ausgegeben am 28. März 2014 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/110 01. 04. 2014 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/110 - auch chirurgische, unfallchirurgische und orthopädische Erkrankungen wie alte Schussverletzungen , Arthrosen, Bandscheibenschäden, Fehlbildungen sowie gynäkologische Diagnosen wie Schwangerschaften, häufig Geburten, - bei Kindern sind verstärkt Bagatellerkrankungen wie Virusinfektionen, aber auch erhebliche Fehlbildungen festzustellen. Hin und wieder kommt es zu Ausbrüchen von Windpocken, - hautärztlich werden häufig eitrige Hautentzündungen, Mykosen, Flöhe und immer wieder Skabies diagnostiziert, - bei den Augenerkrankungen kommen häufig Konjunktivitis, Sehschwäche bis hin zu schweren Fehlbildungen vor. Insgesamt ist eine zunehmende Zahl posttraumatischer Belastungsstörungen, Psychosen sowie psycho-vegetativer Erschöpfungssyndrome aufgrund der Lebenssituation zu konstatieren. Zusammenfassend kann von einer signifikanten Zunahme sowohl psychischer Erkrankungen, aber auch von Infektionserkrankungen ausgegangen werden. Frage 2. Wie hat sich der Anteil in den letzten 5 Jahren entwickelt? Hierzu wird auf die Beantwortung der Frage 1 verwiesen. Frage 3. Wie haben sich die Kosten für diesen Personenkreis in diesem Zeitraum entwickelt? Differenzierte Angaben zur Kostenentwicklung bezogen auf die Frage 1 können nicht gemacht werden, da die pflegebedürftigen-, verletzten-, kranken- und traumatisierten Flüchtlinge nicht getrennt erfasst werden. Die Kostenentwicklung für "Medizinische Betreuung" in der HEAE korreliert mit der Entwicklung der Zugangszahlen, so dass ein deutlicher Anstieg der dementsprechenden Ausgaben zu verzeichnen ist. In den unten dargestellten Kosten für die medizinische Betreuung sind weder die Personalkosten noch die Overheadkosten einbezogen. Die Honorarärzte werden bei den Sachkosten gebucht. In der nachstehenden Tabelle sind die Zugangszahlen der Hessenfälle aufgeführt. Dies ist die Anzahl der Asylbewerber, deren Asylverfahren in Hessen zu führen ist, die Asylantragsannahme bei der Außenstelle des BAMF in Gießen erfolgt und die damit länger in der HEAE verbleiben . Diese Menschen sind im Anschluss in den hessischen Gebietskörperschaften unterzubringen. Jahr Anzahl der Menschen, deren Asylerstan- tragsverfahren in Hessen zu führen ist (Antragsannahme beim BAMF Gießen) Kosten für medizinische Betreuung in der HEAE 2009 1.464 886.410,04 € 2010 2.345 1.105.507,85 € 2011 2.508 909.972,14 € 2012 4.508 1.500.921,31 € 2013 7.872 2.337.618,49 € Frage 4. In wie vielen Fällen (bitte aufgeschlüsselt nach Gebietskörperschaften) wurden der kommunalen Ebene die Kosten für die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen erstattet, da die Grenze nach §7 Abs. 2 Nr. 2 Landesaufnahmegesetz überschritten wurde? Die Entwicklung der Kostenerstattung nach dem LAG über 10.226 € pro Jahr und Person kann verlässlich nur bis zum Jahr 2011 erfolgen, da die Abrechnungen für die Folgejahre noch sehr lückenhaft sind. Hierzu wird auf die Anlage verwiesen. Die gezahlten Beträge sind die Erstattungen des Landes die den Betrag von 10.226 € übersteigen. Frage 5. Wie wird sichergestellt, dass insbesondere chronische Erkrankungen und Traumata frühzeitig erkannt und behandelt werden können? Ergänzend zur Antwort zu den Fragen 1 und 3 ist festzustellen, dass die bei den Erstuntersuchungen festgestellten akuten und chronischen somatischen Erkrankungen auf der Grundlage des § 4 AsylbLG behandelt werden. Die Erkennung und demzufolge auch die Behandlung von Traumata sind erfahrungsgemäß wesentlich schwieriger, da viele der körperlichen und psychischen Symptome und Verhaltensweisen auch bei anderen Beschwerdebildern vorkommen. Behandlungen von Traumata sind langwierig und traumatisierte Menschen thematisieren das Erlebte oftmals nicht. In der Regel brauchen die Betroffenen Zeit, um einer behandelnden Person zu Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/110 3 vertrauen und sich dieser gegenüber öffnen zu können. Wegen der kurzen Verweildauer der Flüchtlinge in der HEAE ist die Erkennung und Behandlung von Traumatisierungen bereits deshalb deutlich erschwert. Eine länger andauernde Behandlung ist wegen der durchschnittlichen Verweildauer von vier bis sechs Wochen und einer auf höchstens drei Monaten begrenzten Verweildauer in der HEAE schwer möglich. So ist derzeit davon auszugehen, dass Traumata und posttraumatische Belastungsstörungen in der HEAE nur erkannt und behandelt werden können , wenn die Symptomatik so auffällig ist, dass eine Einweisung in eine psychiatrische Klinik erfolgen muss oder auffällige, körperliche Symptome entwickelt wurden, die von Fachärzten weiter behandelt werden können. Bezüglich der Minderjährigen (umF), die in Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht werden, ist bekannt, dass durch die Form der Betreuung Traumata in der Regel erkannt und behandelt werden. Frage 6. Wie wird insbesondere bei der Zuteilung von Flüchtlingen eine optimale Krankenversorgung, insbesondere auch bei traumatisierten Personen, berücksichtigt? Die Frage impliziert, dass bereits bei der Verteilung Traumata erkannt worden sind und Berücksichtigung finden können. Dies ist anders als bei allgemeinen Krankenfällen selten möglich, da sehr oft die Traumata erst später erkannt werden. Wenn bereits vor der Verteilung eine solche Krankheit diagnostiziert worden ist, wird eine Verteilung möglichst dort vorgenommen, wo eine Behandlung möglich ist. Bei Kranken wird regelmäßig darauf geachtet, ob die Krankheit (soweit bekannt) am Zuweisungsort behandelt werden kann. Soweit eine Anbindung an eine Klinik erforderlich ist, wird dies soweit wie möglich berücksichtigt. Regelmäßig werden Verwandtschaftsverhältnisse (auch Bruder, Schwester, Tante, Onkel) bei der Zuweisung mit berücksichtigt ; es ist jedoch nicht immer möglich, den Wünschen zu entsprechen. Dann wird versucht , in die Nähe zuzuweisen. Wiesbaden, 22. März 2014 Stefan Grüttner Anlage