Kleine Anfrage des Abg. Schaus (DIE LINKE) vom 20.11.2014 betreffend rechte Aufmärsche, Gewalt und Straftaten sowie Straftaten mit NSU-Bezug in Hessen und Antwort des Ministers des Innern und für Sport Vorbemerkung des Fragestellers: 1. Die Kampagne "Mut gegen rechte Gewalt", welche unter anderem vom Magazin "STERN", der Ausstiegshilfe "Exit" und den Organisationen "Pro Asyl" und der "Amadeu-Antonio-Stiftung" getragen wird, macht auf alltägliche Hetze und Gewalt gegenüber Flüchtlingen in Deutschland aufmerksam. Laut Online-Portal der Kampagne seien allein im 1. bis 3. Quartal 2014 - 29 Übergriffe auf Flüchtlinge, - 23 Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte und - 194 flüchtlingsfeindliche Kundgebungen und damit statistisch gesehen beinahe täglich rassistische Gewalt und Hetze gegenüber Flüchtlingen in Deutschland zu beklagen. (Siehe: http://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/news/meldung/rechtehetze -gegen-fluechtlinge-eine-chronik-der-gewalt-2014-03.) 2. Am 24. Juni 2014 kam es am Hochhaus "Am Richtsberg 88" in Marburg, in welchem überwiegend ausländische Studenten mit ihren Familien untergebracht sind, zu einem schweren Brand mit lebensbedrohlichen Folgen für 280 Bewohner und 23 Verletzten (http://www.opmarburg .de/Lokales/Marburg/Versicherung-setzt-Belohnung-aus). Von Ermittlungen über ein rechtes Tätermotiv ist nichts bekannt. Am Mittwoch, 22. Oktober, wurde in Limburg ein Mann aus Ruanda zu Tode geprügelt, wobei Polizei und Staatsanwaltschaft einen "rassistischen Hintergrund der Täter" unterstellen (http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/limburg-war-es-eine-fremdenfeindliche-tat- 13237027.html). Die Kampagne "Mut gegen rechte Gewalt" listet bundesweit eine Vielzahl rechter Übergriffe und Kundgebungen auf, deren regionale Verteilung höchst unterschiedlich ist. Eine vergleichsweise (sehr) geringe Zahl von nicht minder schweren Fällen betrifft dabei Hessen. 3. Laut Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der LINKSFRAKTION (DS. 18/2166) wurden seit Selbstenttarnung des NSU am 4. November 2011 insgesamt 225 Fälle mit NSU-Bezug bekannt, darunter 8 Gewaltdelikte (Stand 21. Juli 2014). Mindestens 15 Fälle stammen aus dem Bundesland Hessen (sieben Fälle mit unklarem Straftatbestand sind nicht nach Bundesland eingeordnet). Unter den Hessen zugeordneten Fällen befindet sich offenbar kein Gewaltdelikt. Vorbemerkung des Ministers des Innern und für Sport: Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) ist eine Ausgangsstatistik und erfasst nur die der Polizei bekannt gewordenen und durch sie endbearbeiteten Straftaten (einschließlich Versuche), wobei die "echten" Staatschutzdelikte (§§ 80-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102-104a, 105-108e, 109- 109h, 129a, 129b, 234a, 241a StGB), im Ausland begangene Straftaten oder Verkehrsdelikte keine Berücksichtigung finden. Die Klassifizierung und Kategorisierung von Straftaten erfolgt in der PKS vorrangig anhand gesetzlicher Tatbestände und nur bedingt unter kriminologischen Gesichtspunkten. Angaben zu Tatörtlichkeiten oder Opfern erfolgen, soweit sie hinreichend konkretisierbar sind. Der Kriminalpolizeiliche Meldedienst - Politisch Motivierte Kriminalität (KPMD-PMK) gewährleistet , im Gegensatz zur PKS, durch eine zeitnahe Tatmeldung die einheitliche und systematische Erhebung der gesamten Daten zur politisch motivierten Kriminalität. Die Klassifizierung und Kategorisierung von Straftaten bzw. Angaben zu Tatörtlichkeiten oder Opfern erfolgen in Anlehnung an die PKS. Der KPMD-PMK ermöglicht durch eine mehrdimensionale Erfassung eine differenzierte Betrachtung der politisch motivierten Kriminalität. Somit können Aussagen zu Deliktsqualität, Phänomenbereichen, internationalen Bezügen und extremistischen Ausprägungen getroffen werden . Weiteres Ziel ist die adäquate Belieferung der Fallzahlenübersichten mit den notwendigen Daten zur politisch motivierten Kriminalität. Politisch motivierte Gewaltkriminalität ist eine Teilmenge der politisch motivierten Kriminalität, Eingegangen am 11. März 2015 · Ausgegeben am 16. März 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/1152 11. 03. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1152 die eine besondere Gewaltbereitschaft der Straftäter erkennen lässt und folgende Deliktsbereiche umfasst: - Tötungsdelikte, - Körperverletzungen, - Brand- und Sprengstoffdelikte, - Landfriedensbruch, - gefährliche Eingriffe in den Schiffs-, Luft-, Bahn- und Straßenverkehr, - Freiheitsberaubung, - Raub, - Erpressung, - Widerstandsdelikte, - Sexualdelikte. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wie viele Brandanschläge in Hessen betrafen seit 2011 hauptsächlich oder ausschließlich von Mi- granten bewohnte Wohn-, Geschäfts-, Gebetshäuser oder sonstige migrantische Einrichtungen bzw. ähnliche Einrichtungen für Flüchtlinge? Frage 2. In wie vielen Fällen wurde ein mögliches rechtes Tatmotiv bei Ermittlungen zugrunde gelegt und in wie vielen Fällen ein rechter Brandanschlag zweifelsfrei ermittelt? In der PKS und dem KPMD-PMK sind die Opfertypen "Migranten" bzw. "Flüchtlinge" keine Erfassungskriterien . Eine Auswertung der KPMD-PMK für die Kalenderjahre 2011 bis 2014 ergab jedoch, dass keine Tötungs-, Brand- und Sprengstoffdelikt mit rechter Motivation erfasst wurden. Frage 3. Wie viele Gewaltdelikte in Hessen betrafen seit 2011 Migranten bzw. Flüchtlinge? Frage 4. In wie vielen Fällen wurde ein mögliches rechtes Tatmotiv bei Ermittlungen zugrunde gelegt und in wie vielen Fällen ein rechter Übergriff zweifelsfrei ermittelt? In der PKS und dem KPMD-PMK sind die Opfertypen "Migranten" bzw. "Flüchtlinge" keine Erfassungskriterien. Eine Einzelfallauswertung des KPMD-PMK im Hinblick auf politisch motivierte Gewaltdelikte "rechts" ergab für die Kalenderjahre 2011 bis 2014 insgesamt 24 erfasste Gewaltdelikte zum Nachteil von Migranten bzw. Flüchtlingen. Frage 5. Wie viele Aktionen (wie Handzettel, Spuckies etc.), Kundgebungen (unangemeldete und ange- meldete) oder größer organisierte Demonstrationen mit ausländer- oder flüchtlingsfeindlichen Zielsetzungen fanden in Hessen seit 2011 statt (bitte nach Datum, Ort, Teilnehmerzahl, Anmeldern bzw. "Spektrum" aufschlüsseln)? Folgende Aktionen, Demonstrationen und Kundgebungen mit ausländer- oder flüchtlingsfeindlichen Zielsetzungen sind seit dem Jahr 2011 polizeilich bekannt geworden: Lfd. Nr. Datum Ort Teilnehmer Anmelder/Spektrum Veranstaltungstyp 1 21.04.2011 Lampertheim 22 Privatperson/rechts Mahnwache 2 23.06.2012 Frankfurt am Main 40 Partei angemeldete Kundgebung 3 01.10.2012 Idstein 26 Gruppierung/ rechtspopulistisch angemeldete Mahnwache 4 03.10.2012 Friedberg/Bad Vilbel 12 Partei angemeldete Kundgebung 5 08.10.2012 Büdingen nicht bekannt nicht bekannt Spucki-Aktion 6 30.10.2012 Frankfurt am Main nicht bekannt Gruppierung/ rechtspopulistisch nicht angemeldete Banner-Aktion 7 08.12.2012 Frankfurt am Main 8 Gruppierung/ rechtspopulistisch nicht angemeldete Aktion 8 Ende Juni 2014 Weinbach-Blessen- bach, Grävenwies- bach, Niedernhausen nicht bekannt Partei nicht angemeldete Flyer-Aktion 9 02.09.2014 Rabenau 10 Privatperson Nicht angemeldete Aktion im Rah- men einer Informationsveranstaltung zur Unterbringung von Asylbewer- bern 10 26.09.2014 Wetzlar 6 Privatperson Nicht angemeldete Plakat-Aktion im Rahmen des "Tag des Flüchtlings" 11 28.09.2014 Rabenau-Lonsdorf 6 Störer Privatperson Im Rahmen einer Mahnwache für ein tolerantes Lumdatal 12 05.11.2014 Ebersburg-Wehyers nicht bekannt Gruppierung/ rechtspopulistisch nicht angemeldete Plakat-Aktion 13 28.11.2014 Hofbieber nicht bekannt Gruppierung/ rechtspopulistisch nicht angemeldete Plakat-Aktion 14 29.11.2014 Hofbieber nicht bekannt nicht bekannt nicht angemeldete Aktion Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1152 3 Frage 6. Wie viele Straftaten bzw. "Fälle" mit NSU-Bezug wurden in Hessen seit 04.11.2014 (über die Antwort der Bundesregierung hinausgehend) bekannt (bitte nach Datum, Ort und Deliktsart aufschlüsseln )? Im Sinne der Fragestellung wurden in Hessen seit dem 04.11.2014 keine Fälle mit NSU-Bezug bekannt. Unabhängig davon wurden seit dem 04.11.2011 zwei Fälle bekannt, die weitestgehend einen NSU-Bezug aufwiesen: 1. 17.07.2014, Eiterfeld, Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86a StGB (Sachverhalt: An einer Bushaltestelle (Sandsteinmauer) wurde "Free Palästina ", darunter "NSU" und daneben ein Hakenkreuz gesprüht. Die Tatörtlichkeit befindet sich neben einer jüdischen Gedenktafel.) 2. 22.07.2014, Frankfurt am Main, Volksverhetzung gemäß § 130 StGB (Sachverhalt: Ein unbekannter Täter versuchte, einen Kommentar mit beleidigendem und hetzerischem Inhalt unter dem Onlineartikel "NSU-Prozess: Mit verschränkten Armen auf der Anklagebank" einer Redakteurin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) zu veröffentlichen. Diese Kommentierung wurde noch vor seiner Veröffentlichung seitens der FAZ gelöscht.) Frage 7. Wie viele Straftaten bzw. "Fälle" mit NSU-Bezug konnten in Hessen seit 04.11.2014 (einschließ- lich der in der Antwort der Bundesregierung genannten und eventuell darüber hinausgehenden) Tätern zugeordnet bzw. wie geahndet werden? In Hessen konnte bisher in einem der bekannt gewordenen Fälle mit NSU-Bezug ein Tatverdächtiger ermittelt und zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt werden (10.07.2012, Kassel, Volksverhetzung gemäß § 130 StGB. Sachverhalt: Unbekannte Täter hatten an eine Frankfurter Zeitung Schreiben mit bedrohlichen und volksverhetzenden Inhalten geschickt , die sich gegen eine aus der Türkei stammende freie Journalistin richteten. Diese hatte sich in einer Kolumne der Zeitung negativ zu der Person Sarrazin geäußert. Die unbekannten Täter drohten damit, dass es Zeit wird, dass der NSU sich um die Journalistin kümmert. Unterzeichnet sind die Karten jeweils mit "Deutsch-Nationale Front".) Frage 8. Wie bedeutsam oder gefährlich wird die Anzahl und "Qualität" der hier genannten Straftaten gegen Migranten, Flüchtlinge bzw. mit NSU-Bezug im Verhältnis zu anderen politisch motivierten Straftaten in Hessen durch die Landesregierung sicherheitspolitisch bewertet? Straftaten gegen Migranten und Flüchtlinge, insbesondere Brand- und Gewaltdelikte, stehen aufgrund ihrer Qualität und Bedeutung im besonderen Fokus der Polizei und werden mit hoher Intensität verfolgt. Bei den in Hessen polizeilich bekannten Straftaten mit NSU-Bezug (seit 04.11.2011) handelt es sich ausschließlich um Straftaten unterhalb der Schwelle von Gewaltdelikten . Gleichwohl enthalten diese eine Verherrlichung bzw. Befürwortung der rechtsterroristischen Taten des NSU, entwickeln dadurch eine besondere Gefährlichkeit und bedürfen deshalb einer besonderen sicherheitsbehördlichen Betrachtungsweise. Eine Verhältnisabwägung mit anderen Straftaten der politisch motivierten Kriminalität ist im Sinne der Fragestellung jedoch nicht möglich, da jedes Ereignis einer Einzelfallbetrachtung bedarf. Wiesbaden, 6. März 2015 Peter Beuth