Kleine Anfrage der Abg. Holschuh, Schmitt, Decker, Hofmeyer, Kummer, Löber, Warnecke und Weiß (SPD) vom 10.12.2014 betreffend Besucherzahlen- und Kostenentwicklung des Erbacher Schlosses seit dem Ankauf durch das Land und Antwort des Ministers für Wissenschaft und Kunst Vorbemerkung der Fragesteller: Für 13,3 Mio. € erwarb das Land 2005 das Schloss mit Kunstsammlung in Erbach (Odenwald). Die Landesregierung sprach von einer "Chance für die Region" sowie von "insgesamt größter Bedeutung" von Schloss und Sammlung "für das kulturelle Erscheinungsbild des Landes Hessen, die Identität der Region und … den Kulturstaat Deutschland". Das Schloss sei, so die Landesregierung weiter, "für die wirtschaftliche Entwicklung der Region von nicht zu unterschätzender Bedeutung". Es wurde von einer Steigerung der Besucherzahlen pro Jahr auf bis zu 100.000 (später 60.000) Personen gesprochen. Vorbemerkung des Ministers für Wissenschaft und Kunst: Der Erwerb des Schlosses Erbach durch das Land hatte nicht in erster Linie wirtschaftliche Gründe; es war vor allem das Ziel, die authentisch erhaltenen Sammlungen von sehr hoher Qualität in der originalen Aufstellung dauerhaft zu sichern. Schloss Erbach und die Sammlungen des Grafen Franz I. stellen für die Geschichte des Odenwaldes einen wichtigen kulturhistorischen Markstein dar. Die Sammlungen bezeugen den intellektuellen Weitblick, mit dem Graf Franz sie Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts zusammengetragen und präsentiert hat. Sie sind wichtiges Zeugnis der Identität der Region, weil sich darin auch die sozialen und wirtschaftlichen Erfolge jener Zeit widerspiegeln. Mit dem Ankauf der Gräflichen Sammlungen des Schlosses Erbach wurde deren drohender Abzug aus Hessen verhindert und der Erhalt vor Ort als ein wichtiger Bestandteil des historischen Erbes des Landes Hessen gesichert. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Welche Kosten in welcher Höhe sind jeweils dem Land, der Stadt Erbach und dem Odenwald- kreis seit dem Ankauf des Schlosses entstanden? Im Jahre 2006 wurde die Betriebsgesellschaft Schloss Erbach als gemeinnützige GmbH, bestehend aus den Gesellschaftern Land, Stadt Erbach und Odenwaldkreis/OREG, gegründet. Die Gesellschaft verfügt über ein Stammkapital in Höhe von 25.000 €. Davon entfallen je 40 % (je 10.000 €) auf Stadt und OREG sowie 20 % (5.000 €) auf das Land Hessen. Seit dem Ankauf des Schlosses und der Gräflichen Sammlungen hat das Land folgende Aufwendungen getätigt (bis einschließlich 2014): - für die Unterhaltung und Instandsetzung des Gebäudes und der Freiflächen 759.291,44 € - für die Restaurierung, Erforschung und Inventarisierung der Gräflichen Sammlungen 1.128.693,97 € - zum Ausgleich des Fehlbedarfs der Betriebsgesellschaft 676.000,00 € Die Stadt Erbach sowie der Odenwaldkreis haben der Betriebsgesellschaft bei Gründung je 200.000 € zugewendet. Seit dem Jahr 2009 wird die Gesellschaft von Stadt und Land durch Sachleistungen in Höhe von jährlich je 15.000 € unterstützt. Eingegangen am 10. März 2015 Ausgegeben am 16. März 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/1236 10. 03. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1236 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 Besucher/Tickets Schlossführungen 18.020 27.534 26.386 21.034 21.847 20.478 28.000 18.824 18.725 14.678 Themenführungen 296 445 604 896 778 1.161 1.153 Veranstaltungen 188 248 387 196 339 276 193 239 122 Zahlende Besucher ges. 18.020 27.722 26.634 21.717 22.488 21.421 29.172 19.795 20.125 15.953 Frage 2. Welche Kosten übernehmen die einzelnen Gebietskörperschaften in welcher Höhe derzeit? Im Haushaltsplan des Landes für das Jahr 2015 sind im Mandantenhaushalt Historisches Erbe (Kapitel 1537) 140.000 € für Bauunterhalt/Instandsetzung und Restaurierung vorgesehen. Der Ausgleich des Fehlbedarfs der Betriebsgesellschaft erfolgt aus dem Förderkapitel 15 50 des Landeshaushaltes im Wege der institutionellen Förderung. Für das Jahr 2015 wurde hier ein Betrag in Höhe von 144.000 € veranschlagt. Der Odenwaldkreis/OREG erbringt laut Wirtschaftsplan der Gesellschaft auch im Jahr 2015 Sachleistungen in Höhe von 15.000 €. Für die Stadt Erbach sind im Wirtschaftsplan 2015 Sachleistungen in Höhe von 9.000 € und 6.000 € Zuschuss für Schlossführungshonorare vorgesehen. Frage 3. Wie entwickelte sich die jährliche Besucherzahl seit Ankauf des Schlosses durch das Land? Anhand der Zahlen wird deutlich, dass das Besucherinteresse in den Anfangsjahren nach dem Erwerb der Sammlungen und der Liegenschaft durch das Land am Größten war. Im Weiteren hat die Betriebsgesellschaft vor allem versucht, über Sonderausstellungen und Sonderveranstaltungen das Interesse der Besucher zu wecken. Im Jahr 2011 ist dies durch die Ausstellung "Das Leben im Römischen Reich" gelungen, die ca. 7.500 Besucher mehr ins Schloss gebracht hat. Eine weitere Ausstellung in Kooperation mit den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim ("Die Kurfürstlichen schenken von Erbach - Eine Dynastie im Dienste der Wittelsbacher") im Jahr 2013/2014 konnte den rückläufigen Trend der Besucherzahlen zumindest kurzfristig überbrücken . Die Besucherzahlen bewegen sich derzeit auf einem Niveau von etwa 15.000 Personen ohne Sonderausstellungen. Rückläufig sind vor allem die Gruppenreisen. Zur Steigerung der Besucherzahlen evaluiert die Betriebsgesellschaft jährlich ihr Veranstaltungsangebot . Sie reagiert auf wechselndes Besucherinteresse, entwickelt neue Themenführungen und bietet Sonderveranstaltungen anlässlich historischer Jubiläen an. Im Jahr 2015 gibt es u.a. eine Veranstaltungsreihe zum 500. Jubiläum der Fertigstellung des Schöllenbacher Altars. Derzeit werden Überlegungen angestellt, ein frei zugängliches Entree mit Informationen zu schaffen, das auf die Sammlungen im Schloss aufmerksam machen und Wartezeiten auf Führungen verkürzen soll. Es ist geplant, das museumspädagogische Angebot zu erweitern. Die Marketing-Aktivitäten erfolgen in enger Abstimmung mit der Stadt Erbach/Stadtmarketing und dem Deutschen Elfenbeinmuseum. Auf diese Weise werden Synergien genutzt und die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel effizient eingesetzt. Die Außendarstellung aller drei Institutionen ist aufeinander abgestimmt. Seit 2008 gibt es ein gemeinsames Veranstaltungsprogramm von Deutschem Elfenbeinmuseum und Schloss, auch Messeauftritte erfolgen gemeinsam . Künftig wird der gemeinsame Werbeschwerpunkt zudem auf die Präsenz in sozialen Netzwerken und moderne Medien gelegt. Frage 4. Welchen konkreten Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung der Region leistete das Erbacher Schloss seit Übernahme durch das Land abseits der durch Sanierungs-, Restaurations- oder Erweiterungsarbeiten ausgelösten Effekte? Die Städte Erbach und Michelstadt und der umliegende Teil des Odenwalds sind sehr stark auch von Tagestourismus geprägt. Für Gäste aus dem Rhein-Main-Gebiet und dem Rhein-NeckarRaum gehört das Schloss mit den Sammlungen zu den Hauptattraktionen für kulturell interessierte Reisende. Durch die Präsentation des Schlosses für die Öffentlichkeit, zum Beispiel auch im Rahmen der regionalen Zusammenarbeit im Stauferjahr 2010 und das Gemeinschaftsprojekt "Die Wittelsbacher am Rhein" (2013/2014) - beides auch länderübergreifende Projekte mit Baden -Württemberg und Rheinland-Pfalz - konnten mehr Gäste in Erbach und Michelstadt begrüßt werden. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1236 3 Die Öffnung des Schlosses an sieben Tagen in der Woche (in der Zeit vom 1. März bis zum 31. Oktober eines Jahres) gewährt einen reibungslosen Geschäftsbetrieb von Führungen, Themenführungen , Veranstaltungen, Vorträgen und Kinderveranstaltungen sowie standesamtlichen Trauungen. Gäste, die das Schloss besuchen, verweilen in der Stadt und steigern die Umsätze im örtlichen Handel, in der Gastronomie und den Beherbergungsbetrieben. Die Betriebsgesellschaft kooperiert bei größeren Veranstaltungen (z.B. "Wein im Schloss", Erbach -Michelstadter Theatersommer) mit dem örtlichen Handel und Kulturbetrieben. Diese Fremdveranstaltungen erhöhen den Bekanntheitsgrad des Schlosses. Sie haben im Jahr 2014 ca. 7.000 Besucher zusätzlich in die Schlossanlage gebracht. Einen ähnlichen Effekt versprechen die zahlreichen Leihanfragen für Einzelstücke aus der Sammlung von überregionalen Museen (z.B. Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim, Landesmuseum Mainz, Kunst und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn). Dadurch wird die hohe Qualität der Sammlung sichtbar und Besucher andernorts werden auf das Schloss Erbach und die Region aufmerksam. Frage 5. Welchen konkreten Einfluss übte das Schloss "auf das kulturelle Erscheinungsbild des Landes Hessen, die Identität der Region und …. den Kulturstaat Deutschland" seit der Übernahme durch das Land aus? Die Sammlungen des Schlosses waren bis zum Erwerb nur sehr wenigen Fachleuten bekannt. Durch eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit in Fachkreisen sind viele Museen aufmerksam geworden und stellen Leihanfragen. Dies ist Ausdruck der anerkannt hohen Qualität der Sammlungen und der Einzelexponate. Die Geschichte der Grafschaft Erbach wird im Kontext deutscher Geschichte dargestellt und immer mehr auch wahrgenommen. Hier sei zum Beispiel verwiesen auf die gemeinsame Sonderausstellung mit dem Deutschen Elfenbeinmuseum Erbach "Das Leben im Römischen Reich" (2011/2012). Es gibt darüber hinaus Gemeinschaftsprojekte mit anderen Ländern, wie zum Beispiel die oben genannte Gemeinschaftsausstellung "Die Wittelsbacher am Rhein" (2013/2014) der Länder Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen. Für die "Arche Nebra", das multimediale Besucherzentrum nahe dem Fundort der spektakulären Bronzescheibe in Sachsen-Anhalt, wurde eigens eine Kopie einer bronzezeitlichen Streitaxt aus dem Erbacher Schloss angefertigt. Diese Streitaxt ist das Referenzobjekt für die Himmelsscheibe von Nebra, mit dessen Hilfe das Alter der weltweit ältesten bisher bekannten konkreten Himmelsdarstellung genau eingegrenzt werden konnte. Angefragt wird deutschlandweit der Erbacher Alexanderkopf, eine römische Kopie nach einem griechischen Original gearbeitet. Sie gilt als bedeutendste und am besten erhaltene Version des frühesten offiziellen Bildnistyps von Alexander dem Großen. Auf der ganzen Welt existieren nur noch zwei weitere römische Kopien davon: Sie befinden sich heute in den Staatlichen Museen zu Berlin und im neuen Akropolis-Museum in Athen. Die Marmorbüste trägt in der Wissenschaft die Bezeichnung "Alexander Erbach". Neben den unter Frage 4 genannten Kooperationspartnern finden sich unter den Leihnehmern namhafte Kultureinrichtungen, wie die Veste Ehrenbreitstein der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland Pfalz, die Archäologische Staatssammlung München, die Bayerische Landesausstellung in Rosenheim und das Museum auf dem Heidelberger Schloss. Die Gräflichen Sammlungen zu Erbach wecken auch Interesse im europäischen Ausland. So gibt es Leihanfragen der Kunsthalle Leoben (Österreich) und des Centro de Exposiciones Arte Canal in Madrid (Spanien). Frage 6. Falls die prognostizierte Besucherzahl von 100.000 (später 60.000) Personen pro Jahr nicht er- reicht wurde: aus welchen Gründen trafen die Prognosen nicht ein? Die Prognosen waren sehr optimistisch. Vergleichbare Schlossmuseen brauchen meist gastronomische Zusatzangebote und zahlreiche Vermietungs-Veranstaltungen, um aus der Kategorie der Besucherzahl, in der sich Schloss Erbach bewegt, herauszukommen. Derzeit werden Überlegungen angestellt, durch Zusammenlegung von kulturellen Angeboten in das Schloss die Attraktivität für einheimische und auswärtige Besucher zu erhöhen. Frage 7. Wann werden sie nach Einschätzung der Landesregierung eintreffen? Die Landesregierung beteiligt sich nicht an Spekulationen, sondern versucht, durch klare Strukturen und effiziente Werbestrukturen möglichst viele Besucher zu gewinnen. 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1236 Frage 8. Wurde das ursprüngliche Vermarktungskonzept der Betriebsgesellschaft geändert? Falls ja: welche Änderungen gab es? Bei Gründung der Betriebsgesellschaft gab es verschiedene Vorschläge für Betrieb und Nutzung sowie Vermarktung des Gebäudes und der darin befindlichen Gräflichen Sammlungen. Diese Überlegungen gingen von einer Nutzbarkeit des gesamten erworbenen Anteils der Schlossanlage aus, die jedoch aus baulichen Gründen nicht gegeben ist. So sind die Kellergewölbe und das Obergeschoss des Schlosses derzeit nicht nutzbar. Das ursprüngliche Vermarktungskonzept wurde dahin gehend angepasst: Der historische Museumsbereich (Vestibül, Rittersaal, Waffenkammer, Teile des Treppenhauses , die Hirschgalerie und die Römischen Zimmer) wurde zur Präsentation für die Öffentlichkeit hergerichtet. Des Weiteren für die Öffentlichkeit zugänglich sind die Salons und Wohnräume des Schlosses in ihrer original erhaltenen Form. Eingerichtet wurde überdies ein Museumsshop. Die Betriebsgesellschaft konzentriert sich auf die qualifizierte Vermittlungsarbeit der Gräflichen Sammlungen und führt regelmäßig Schulungen für die Mitarbeiter durch. Es werden Begleitprogramme für Sonderausstellungen angeboten. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. Wiesbaden, 24. Februar 2015 Boris Rhein