Kleine Anfrage der Abg. Cardenas (DIE LINKE) vom 11.12.2014 betreffend zu Unrecht im Knast - Gerechtigkeit für Abschiebehäftlinge in Hessen und Antwort des Ministers des Innern und für Sport Vorbemerkung der Fragesteller: Abschiebehäftlinge dürfen seit der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 17. Juli 2014 bis zu ihrer Ausreise aus Deutschland nicht in normalen Gefängnissen untergebracht werden, sondern nur in speziell dafür vorgesehenen Hafteinrichtungen (verbundene Rechtssachen C-473/13 und C-514/13 sowie Rechtssache C-474/13). Der EuGH hat damit die Praxis in Hessen, Abschiebehäftlinge gemeinsam mit anderen Strafgefangenen in der JVA Frankfurt am Main I unterzubringen, wo sie weitgehend den gleichen Restriktionen unterworfen waren wie Strafgefangene, wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht untersagt. Der EuGH begründete seine Entscheidung mit dem Trennungsgebot aus Art. 16 Abs. 1 der europäischen Rückführungsrichtlinie (Richtlinie 2008/115/EG), wonach die Inhaftierung von Abschiebehäftlingen "grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen" erfolgen soll, die es etwa in Berlin, Brandenburg, Hamburg, Niedersachsen , Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein gibt. Obwohl das Urteil des EuGH spätestens mit dem Schlussantrag des Generalanwalts Yves B. vor dem EuGH vom 30.04.2014 zu erwarten war und auch mehrere deutsche Gerichte, wie etwa das Landgericht Kassel in seinem Beschluss vom 14.04.2014 (Az. 3 T 162/14), die hessische Regelung bemängelten, hielt die hessische Landesregierung bis zuletzt an ihrer rechtswidrigen Praxis fest. Vorbemerkung des Ministers des Innern und für Sport: Die Ausgestaltung der Abschiebungshaft in der JVA Frankfurt war nicht Gegenstand des Urteils des EuGH vom 17. Juli 2014 in den verbundenen Rechtssachen C-473/13 und C-514/13 und der Rechtssache C-474/13 vom 17.07.2014. Das Urteil stellte klar, dass ein Mitgliedsstaat auch dann verpflichtet ist, illegal aufhältige Drittstaatsangehörige grundsätzlich in einer speziellen Hafteinrichtung dieses Staates in Abschiebungshaft zu nehmen, wenn er föderal strukturiert ist und die nach nationalem Recht für die Anordnung und Vollziehung einer solchen Haft zuständige föderale Untergliederung über eine spezielle Hafteinrichtung im Sinne von Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Rückführungsrichtlinie verfügt. Jedem Einzelfall einer Inhaftierung lag eine richterliche Anordnung gemäß § 62 Aufenthaltsgesetz zugrunde. Die Rechtskraft dieser Anordnung wurde durch den Beschluss des BGH vom 25. Juli 2014 nicht in Frage gestellt, der ausschließlich den dort geregelten Einzelfall betrifft. Von daher kann nicht von einer zu Unrecht erfolgten Inhaftierung gesprochen werden. Die in der Anfrage in Bezug genommene neuere obergerichtliche Rechtsprechung ist auch nicht durchgängig einheitlich. Beispielsweise hat das Landgericht Bonn in einem Beschluss vom 14.08.2014 (4 T 225/14) festgestellt, dass die BGH-Entscheidung vom 25. Juli 2014 (V ZB 137/14) den Vollzug der Abschiebungshaft nicht rückwirkend rechtswidrig macht und sich dabei u. a. auf folgenden Passus aus dem BGH-Beschluss bezogen: "Daran gemessen ist jedenfalls der weitere Vollzug der Haft rechtswidrig, weil der Betroffene derzeit unter Verstoß gegen die Vorgaben des Unionsrechts untergebracht ist und die Behörde eine Änderung der Unterbringung abgelehnt hat." Es ist jedoch hervorzuheben, dass seit der EuGH-Entscheidung keine Ausländer, die aufgrund einer richterlichen Anordnung in Abschiebungshaft genommen wurden, in einer hessischen JVA untergebracht wurden. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich im Einvernehmen mit der Ministerin der Justiz die Kleine Anfrage wie folgt: Eingegangen am 11. Februar 2015 · Ausgegeben am 13. Februar 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/1244 12. 02. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1244 Frage 1. Wie viele Abschiebungshäftlinge wurden vom 24. Dezember 2010, dem Ablauf der Umsetzungs- frist der europäischen Rückführungsrichtlinie, bis zur Verkündung des Urteils des EuGH zum Verstoß gegen das Trennungsgebot am 17. Juli 2014 in der JVA Frankfurt am Main I festgehalten ? In dem oben genannten Zeitraum waren in der JVA Frankfurt am Main I 2010 ........... 46 Personen, 2011 .......... 357 Personen, 2012 .......... 356 Personen, 2013 .......... 374 Personen, 2014 .......... 129 Personen. in Abschiebungshaft untergebracht. Frage 2. Wie viele Tage verbrachten die zu Unrecht inhaftierten Abschiebegefangenen in der JVA jeweils? Zur Abschiebungshaft, die in Justizvollzugsanstalten des Landes Hessen in Amtshilfe für das Innenressort vollzogen wurde, wurden keine speziellen regelmäßigen statistischen Erhebungen durchgeführt. Für den Zeitraum 2010 bis 2014 liegen hier daher nur in sehr begrenztem Umfang Daten vor. Insofern können lediglich die Gesamtzahl der Hafttage in den Jahren 2010 - 2014 sowie die Haftdauer in den einzelnen Jahren in der nachfolgend dargestellten Untergliederung mitgeteilt werden. Die Gesamtzahl der von Abschiebungsgefangenen in der JVA Frankfurt am Main I verbrachten Hafttage betrug in der Zeit vom 24. Dezember 2010 bis zum 17. Juli 2014 im Jahr 2010 ........ 1.531 Hafttage, 2011 ....... 11.930 Hafttage, 2012 ....... 10.688 Hafttage, 2013 ....... 10.190 Hafttage, 2014 ........ 3.386 Hafttage. Die Anzahl der verbrachten Hafttage stellt sich in den einzelnen Jahren wie folgt dar: 2010 Anzahl der verbrachten Hafttage Anzahl der Abschiebungsgefangenen 1 bis 10 10 11 bis 20 8 21 bis 30 4 31 bis 40 4 41 bis 50 8 51 bis 60 7 61 bis 70 2 71 bis 80 1 81 bis 90 1 91 bis 100 1 über 100 0 Gesamt 46 2011 Anzahl der verbrachten Hafttage Anzahl der Abschiebungsgefangenen 1 bis 10 79 11 bis 20 70 21 bis 30 53 31 bis 40 38 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1244 3 41 bis 50 43 51 bis 60 19 61 bis 70 18 71 bis 80 16 81 bis 90 7 91 bis 100 5 über 100 9 Gesamt 357 2012 Anzahl der verbrachten Hafttage Anzahl der Abschiebungsgefangenen 1 bis 10 98 11 bis 20 53 21 bis 30 71 31 bis 40 44 41 bis 50 34 51 bis 60 19 61 bis 70 8 71 bis 80 10 81 bis 90 6 91 bis 100 1 über 100 12 Gesamt 356 2013 Anzahl der verbrachten Hafttage Anzahl der Abschiebungsgefangenen 1 bis 10 102 11 bis 20 74 21 bis 30 56 31 bis 40 51 41 bis 50 33 51 bis 60 23 61 bis 70 15 71 bis 80 9 81 bis 90 10 91 bis 100 0 über 100 1 Gesamt 374 2014 Anzahl der verbrachten Hafttage Anzahl der Abschiebungsgefangenen 1 bis 10 37 11 bis 20 24 21 bis 30 28 31 bis 40 15 41 bis 50 7 51 bis 60 8 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1244 61 bis 70 5 71 bis 80 2 81 bis 90 1 91 bis 100 1 über 100 1 Gesamt 129 Frage 3. Wie gedenkt die Landesregierung die zu Unrecht Inhaftierten zu entschädigen? Eine Entschädigung von Personen, die vor der Entscheidung des EuGH in hessischen JVAen im Rahmen der richterlichen Anordnung von Abschiebungshaft untergebracht waren, erfolgt nicht. Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 4. Juli 2013 - III ZR 342/12 - Entschädigungen unter Bezugnahme auf Art. 5 Abs. 5 EMRK ("Jede Person, die unter Verletzung dieses Artikels von Festnahme oder Freiheitsentziehung betroffen ist, hat Anspruch auf Schadenersatz.") abgelehnt: Er hat festgestellt, dass diese Norm sich grundsätzlich nur auf die Anordnung der Freiheitsentziehung als solcher, nicht aber auf die Art und Weise des Vollzuges der Haft bezieht. Die Anordnung von Abschiebungshaft war in jedem Einzelfall Gegenstand rechtskräftig gewordener gerichtlicher Entscheidungen. Die Differenzierung zwischen der Anordnung der Freiheitsentziehung als solcher und den Modalitäten des Haftvollzugs entspricht auch der Regelungstechnik in den §§ 62 und 62a AufenthG. Ein Anspruch auf Entschädigung aus Art. 5 Abs. 5 EMRK scheidet daher nach Auffassung der Landesregierung bereits aus Rechtsgründen aus. Frage 4. In welcher Höhe werden die zu Unrecht Inhaftierten für die Kosten der Abschiebungshaft nach § 67 Abs. 1 Nr. 2 Aufenthaltsgesetz in Anspruch genommen? Nur die Kosten einer rechtmäßigen Abschiebungshaft können mit Leistungsbescheid gegenüber dem Kostenschuldner geltend gemacht werden. Frage 5. In welchen anderen Abschiebehaftanstalten außer in der "Gewahrsamseinrichtung für Ausreise- pflichtige (GfA)" in Ingelheim werden Abschiebehäftlinge aus Hessen seit der Entscheidung des EuGH inhaftiert? Kurz nach der Entscheidung des EuGH wurden einige wenige Ausländer in die Einrichtung nach Eisenhüttenstadt (Brandenburg) und ein Ausländer in die Einrichtung nach Mühldorf am Inn (Bayern) verbracht. Frage 6. Wie sind die Haftbedingungen in diesen Abschiebehaftanstalten? Die Haftbedingungen entsprechen in den vorgenannten Einrichtungen den europa-rechtlichen Vorgaben. Frage 7. Welche verbindlichen Vorgaben gibt es für die Ausgestaltung der Haftbedingungen in diesen Ab- schiebehaftanstalten? Rechtsgrundlage für den Vollzug von Abschiebungshaft ist § 62a AufenthG, ergänzt durch die Bestimmungen der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98). Nach § 106 Abs. 1 Satz 1 AufenthG richtet sich das Verfahren bei Freiheitsentziehungen nach Buch 7 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Die konkrete Ausgestaltung der Haftbedingungen obliegt den Ländern , die eine Gewahrsamseinrichtung für abzuschiebende Personen betreiben. Frage 8. Auf welchen vertraglichen oder sonstigen rechtlichen Grundlagen erfolgt die Unterbringung hes- sischer Abschiebehäftlinge in Abschiebehaftanstalten anderer Bundesländer? Die Unterbringung erfolgt in Einzelabsprache mit der jeweiligen Einrichtung. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1244 5 Frage 9. Welche durchschnittlichen Kosten entstehen dem Land Hessen durch die Inhaftierung ausreisepflichtiger Personen in den jeweiligen Abschiebehaftanstalten pro Tag und Häftling? a) Ingelheim: bis 31. Oktober 2014 100,18 Euro pro Person und Tag seit 1. November 2014 313,14 Euro pro Person und Tag b) Eisenhüttenstadt: 118,00 Euro pro Person und Tag Frage 10. Über welchen Zeitraum waren minderjährige Abschiebehäftlinge aus Hessen in den Jahren 2012, 2013 und 2014 inhaftiert (bitte nach Personen und Tagen aufschlüsseln)? Wie bereits in der Antwort zu Frage 2 erwähnt, werden hier keine spezifischen Einzelfallstatistiken geführt. Ermittelt wurde lediglich die Gesamtzahl der jungen Abschiebungsgefangenen zu den jeweiligen Stichtagen der Frühberichte der Justizvollzugsanstalten. Die Zahlen im Detail sind in der Anlage aufgeführt. Aus den Zahlen geht hervor, dass zum jeweiligen Stichtag im Jahr 2012 maximal sieben Abschiebungsgefangene in den Justizvollzugsanstalten Rockenberg und Wiesbaden untergebracht waren. Im Jahr 2013 war dort zum jeweiligen Stichtag maximal ein Abschiebungsgefangener untergebracht. Eine Aufschlüsselung nach der jeweiligen Dauer der Abschiebungshaft ist nicht möglich. Die Anzahl der weiblichen jungen Abschiebungsgefangenen wurde statistisch nicht gesondert erfasst . Es handelte sich um sehr wenige Ausnahmefälle. Im Jahr 2014 waren keine Abschiebungsgefangenen mehr in den Justizvollzugsanstalten Rockenberg und Wiesbaden untergebracht. Wiesbaden, 4. Februar 2015 Peter Beuth Anlagen 2012 Stichtag: Rockenberg Wiesbaden* gesamt: Stichtag: Rockenberg Wiesbaden* gesamt: 04.01. 0 7 7 01.08. 0 0 0 11.01. 0 7 7 08.08. 0 1 1 18.01. 0 7 7 15.08. 0 1 1 25.01. 0 6 6 22.08. 0 1 1 01.02. 0 6 6 29.08. 0 1 1 08.02. 0 5 5 05.09. 0 2 2 15.02. 0 7 7 12.09. 0 2 2 22.02. 0 4 4 19.09. 0 2 2 29.02. 0 3 3 25.09. 0 2 2 07.03. 0 3 3 03.10. 0 2 2 14.03. 0 1 1 10.10. 0 1 1 21.03. 0 2 2 17.10. 0 1 1 28.03. 0 3 3 24.10. 0 0 0 04.04. 0 3 3 31.10. 0 0 0 11.04. 0 3 3 07.11. 0 0 0 18.04. 0 4 4 14.11. 0 0 0 25.04. 0 5 5 21.11. 0 0 0 02.05. 0 5 5 28.11. 0 0 0 09.05. 0 1 1 05.12. 0 0 0 16.05. 0 3 3 12.12. 0 0 0 23.05. 0 3 3 19.12. 0 0 0 30.05. 0 3 3 06.06. 0 4 4 13.06. 0 4 4 20.06. 0 5 5 *Erlass vom 11. November 2012 (4421/1 E - IV/B 1 - 2012/7507-IV/B) 27.06. 0 5 5 Junge männliche Abschiebungsgefangene ab dem 18. Lebensjahr werden künftig nur 04.07. 0 3 3 noch in der JVA Frankfurt am Main I aufgenommen. 11.07. 0 3 3 18.07. 0 1 1 25.07. 0 1 1 Justizvollzugsanstalten Justizvollzugsanstalten Anlagen zu KA 19/1244 2013 Stichtag: Rockenberg Wiesbaden gesamt: Stichtag: Rockenberg Wiesbaden gesamt: 02.01. 1 0 1 24.07. 0 0 0 09.01. 1 0 1 31.07. 0 0 0 16.01. 1 0 1 07.08. 0 0 0 23.01. 1 0 1 14.08. 0 0 0 30.01. 1 0 1 21.08. 0 0 0 06.02. 0 0 0 28.08. 1 0 1 13.02. 0 0 0 04.09. 1 0 1 20.02. 0 0 0 11.09. 0 0 0 27.02. 0 0 0 18.09. 0 0 0 06.03. 0 0 0 25.09. 0 0 0 13.03. 0 0 0 02.10. 0 0 0 20.03. 0 0 0 09.10. 0 0 0 27.03. 0 0 0 16.10. 0 0 0 03.04. 0 0 0 23.10. 0 0 0 10.04. 0 0 0 30.10. 0 0 0 17.04. 0 0 0 06.11. 0 0 0 24.04. 0 0 0 13.11. 0 0 0 02.05. 0 0 0 20.11. 0 0 0 08.05. 0 0 0 27.11. 0 0 0 15.05. 0 0 0 04.12. 0 0 0 22.05. 0 0 0 11.12. 0 0 0 29.05. 0 0 0 18.12. 0 0 0 05.06. 0 0 0 12.06. 0 0 0 19.06. 1 0 1 25.06. 0 0 0 03.07. 0 0 0 10.07. 0 0 0 17.07. 0 0 0 Justizvollzugsanstalten Justizvollzugsanstalten Anlagen zu KA 19/1244