Kleine Anfrage der Abg. Cárdenas (DIE LINKE) vom 15.01.2015 betreffend schutzbedürftige Personen in hessischer Abschiebungshaft und Antwort des Ministers des Innern und für Sport Vorbemerkung der Fragesteller: Mit seiner Entscheidung vom 17. Juli 2014 hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Praxis in Hessen, Abschiebungshäftlinge gemeinsam mit anderen Strafgefangenen in Justizvollzugsanstalten unterzubringen , wegen Verstoßes gegen das Unionrecht untersagt und klargestellt, dass Abschiebungshäftlinge nur in speziell dafür vorgesehenen Hafteinrichtungen untergebracht werden dürfen (verbundene Rechtssachen C-473/13 und C-514/13 sowie Rechtssache C-474/13). Hessische Abschiebungshäftlinge werden seit der Entscheidung des EuGH vornehmlich in der "Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige (GfA)" in Ingelheim untergebracht, wie aus der Antwort von Innenminister Peter Beuth (CDU) auf eine Frage der Abgeordneten Barbara Cárdenas (LINKE) hervorgeht. Hessen habe laut einer Mitteilung der rheinland-pfälzischen Staatsministerin Irene Alt (Grüne) vom Dezember 2014 zugesichert, keine schutzbedürftigen Personen - also vor allem Jugendliche unter 18 Jahre, kranke und alte Menschen, Familien mit Kindern, Alleinerziehende, Behinderte und Traumatisierte - in die Abschiebehaftanstalt Ingelheim zu schicken. Gerade die Inhaftierung von Minderjährigen, deren Dauer nach § 62 Abs. 4 des Aufenthaltsgesetzes bis zu 18 Monaten betragen kann, ist kaum mit dem Gedanken des Kindeswohls zu vereinen, zu dessen Beachtung sich Deutschland u.a. in dem Übereinkommen zum Schutz der Rechte des Kindes verpflichtet hat. Die mangelhafte Umsetzung kinderrechtlicher Verpflichtung bei der Durchführung der Abschiebungshaft wird daher von zahlreichen Menschen- und Flüchtlingsorganisationen, UNICEF sowie dem Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte des Kindes gerügt. Die untenstehenden Fragen 1 bis 3 ergänzen die Kleine Anfrage der Abgeordneten Barbara Cárdenas vom 11.12.2014 und erweitern die Fragestellung auf mögliche weitere Justizvollzugsanstalten, in denen Abschiebungshäftlinge bis zur Entscheidung des EuGH vom 17. Juli 2014 rechtswidrig untergebracht wurden. Diese Vorbemerkung der Fragestellerin vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit der Justizministerin wie folgt: Frage 1. In welchen Justizvollzugsanstalten neben der JVA Frankfurt am Main I wurden Abschiebungs- häftlinge vom 24. Dezember 2010, dem Ablauf der Umsetzungsfrist der europäischen Rückführungsrichtlinie , bis zur Verkündung des Urteils des EuGH zum Verstoß gegen das Trennungsgebots am 17. Juli 2014 festgehalten? Frage 2. Wie viele Abschiebungshäftlinge waren hiervon betroffen? Zur Abschiebungshaft, die in den Justizvollzugsanstalten des Landes Hessen in Amtshilfe für das Innenressort vollzogen wurde, wurden keine speziellen regelmäßigen statistischen Erhebungen durchgeführt. Für den Zeitraum 2010 bis 2014 liegen hier daher nur in begrenztem Umfang Daten vor. Ermittelt wurde lediglich die Gesamtzahl der Abschiebungshäftlinge zu den jeweiligen Stichtagen aus den Frühberichten der Justizvollzugsanstalten. Ausgehend von der Anzahl der Abschiebungshäftlinge zu den jeweiligen Stichtagen waren im Dezember 2010 im Durchschnitt 12 Abschiebungshäftlinge, im Jahr 2011 durchschnittlich 14 Abschiebungshäftlinge, 2012 durchschnittlich 5 Abschiebungshäftlinge, 2013 durchschnittlich 2 Abschiebungshäftlinge und 2014 im Durchschnitt 1 Abschiebungshäftling in den hessischen Justizvollzugsanstalten (außer der JVA Frankfurt am Main I) untergebracht. Hinsichtlich der genauen Zahlen wird auf die in der Anlage beigefügten Übersichten hingewiesen . Eingegangen am 9. März 2015 · Ausgegeben am 11. März 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/1447 09. 03. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1447 Frage 3. Wie viele Tage verbrachten die zu Unrecht inhaftierten Abschiebungsgefangenen in den JVA jeweils ? Die Anordnung von Abschiebungshaft war in jedem Einzelfall Gegenstand rechtskräftig gewordener gerichtlicher Entscheidungen. Die Differenzierung zwischen der Anordnung der Freiheitsentziehung als solcher und den Modalitäten des Haftvollzugs entspricht auch der Regelungstechnik in den §§ 62 und 62 a AufenthG; von daher kann nicht von zu Unrecht inhaftierten Abzuschiebenden gesprochen werden. Die statistischen Daten zur Abschiebungshaft in jedem Einzelfall liegen hier nicht vor. Eine nachträgliche Feststellung jeder Person und ihrer Verweildauer in der Abschiebungshaft ist im Hinblick auf den Zeitablauf, den Umfang des erfragten Zeitraums, die Vielzahl der betroffenen Anstalten und die Notwendigkeit jeweiliger Einzelerhebungen mit einem außerordentlich hohen Aufwand verbunden - soweit sich dies überhaupt noch nachvollziehen lässt - und daher in der Kürze der Bearbeitungszeit nicht möglich. Frage 4. Wie werden vor bzw. bei Durchführung der Abschiebungshaft schutzbedürftige Personen im Sin- ne der europäischen Rückführungsrichtlinie (RL 2008/115/EG), also Minderjährige, unbegleitete Minderjährige, Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen, Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, identifiziert? Zur Vorbereitung der Abschiebungshaft werden u.a. medizinische Untersuchungen durchgeführt . Damit kommt es, wenn nicht schon zuvor bekannt, zur Identifizierung der Schutzbedürftigkeit von Personen im Sinne der o.a. Richtlinie. Frage 5. Wie viele schutzbedürftige Abschiebungshäftlinge aus Hessen waren in den Jahren 2012, 2013 und 2014 inhaftiert? Hinsichtlich der Inhaftierung minderjähriger Abschiebungshäftlinge wird auf die Ausführungen zu Frage 10 der Kleinen Anfrage Drucksache 19/1244 verwiesen. Frage 6. In welchen Abschiebungshafteinrichtungen werden schutzbedürftige Personen untergebracht? Falls ein rechtskräftiger Beschluss vorliegt, dass eine schutzbedürftige Person in einer Gewahrsamseinrichtung für Abzuschiebende unterzubringen ist, erfolgt dies, wie in allen anderen Fällen auch, in Einrichtungen, die europarechtskonform sind. Frage 7. Wie wird im Einklang mit Art. 16 Abs. 3 der RL 2008/115/EG sichergestellt, dass spezifische Bedürfnisse schutzbedürftiger Personen beachtet werden? Da die Gewahrsamseinrichtungen, die derzeit in anderen Ländern vorgehalten werden, europarechtskonform sind, ist auch sichergestellt, dass die Anforderungen der o.a. Norm beachtet werden. Frage 8. Wie wird die in den Abschließenden Bemerkungen des Ausschusses der Vereinten Nationen für die Rechte des Kindes vom 31. Januar 2014 zum gemeinsamen dritten und vierten periodischen Staatenbericht Deutschlands enthaltene Empfehlung umgesetzt, wonach sicherzustellen ist, "dass die Inhaftierung von asylsuchenden Kindern und Kindern mit Migrationshintergrund immer nur ein letzter Ausweg ist und für die kürzest mögliche Zeitspanne erfolgt im Einklang mit Art. 37 (b) des Übereinkommens [über die Rechte des Kindes] und dass die Inhaftierung einer zeitlichen Begrenzung und einer gerichtlichen Überprüfung unterliegt"? Für die Ausländerbehörde ist folgende Regelung in den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften verbindlich. Nr. 62.05, Satz 2-3: "Halten sich die Eltern des minderjährigen Ausländers nicht im Bundesgebiet auf, hat die Ausländerbehörde mit dem zuständigen Jugendamt wegen der Unterbringung des Ausländers bis zur Abschiebung Kontakt aufzunehmen (vgl. § 42 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII). Minderjährige Ausländer, deren Asylantrag abgelehnt wurde, sollen bis zur Abschiebung regelmäßig in der bisherigen Unterkunft untergebracht werden." Der Regelfall ist folglich, dass minderjährige Asylbewerber nicht in Abschiebungshaft genommen werden. Die Abschiebungshaft ist in jedem Fall, vor allem auch bei Minderjährigen, immer die ultima ratio. Wie aus der Beantwortung der Frage 10 der Kleinen Anfrage Drucksache 19/1244 hervorgeht, wird in Hessen mit dieser Problematik sehr sensibel umgegangen. Die geringen Haftzahlen sprechen für sich. Frage 9. Wie wird die Forderung von UNICEF, wonach das Kindeswohl besonders in Fällen, in denen Abschiebung angedroht bzw. vollstreckt werden soll, insbesondere in den Durchführungsverordnungen und den für die Ausländerbehörden verbindlichen Verwaltungsvorschriften zu den einschlägigen Gesetzen durch die Festlegung klarer Regelungen berücksichtigt werden muss, umgesetzt ? In § 62 Abs. 1 Satz 3 Aufenthaltsgesetz ist Folgendes festgesetzt: "Minderjährige und Familien mit Minderjährigen dürfen nur in besonderen Ausnahmefällen und nur so lange in Abschiebungshaft genommen werden, wie es unter Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist." Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1447 3 Die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz, an die die Ausländerbehörden gebunden sind, präzisieren in Nr. 62.0.5, Satz 1 wie folgt: "Generell sollten aber Kinder unter 16 Jahren u. Personen über 65 Jahre sowie Schwangere u. Mütter innerhalb der Mutterschutzfrist nicht in Haft genommen werden." Damit ist eine klare Regelung im Sinne der Forderung der UNICEF gegeben. Das Beschleunigungsgebot und die Verhältnismäßigkeit gelten hier in besonderem Maße. Frage 10. Wie beurteilt die Landesregierung die Empfehlung des Deutschen Instituts für Menschenrechte, wonach die Dauer der Abschiebungshaft deutlich zu senken und Abschiebungshaft von unbegleiteten Minderjährigen grundsätzlich zu untersagen ist? Die Landesregierung stellt fest, dass die Ausländerbehörden Abschiebungshaft nur als letztes Mittel ansehen, damit ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer auch tatsächlich das Bundesgebiet verlässt. Die Dauer der Abschiebungshaft wird auch heute schon so gering wie möglich gehalten (Beschleunigungsgebot). Aufgrund der o.a. gesetzlichen Grundlagen werden Minderjährige nur in ganz besonderen Ausnahmefällen in Abschiebungshaft genommen, was auf der Grundlage des § 62 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz und eines richterlichen Beschlusses geschieht. Wiesbaden, 2. März 2015 Peter Beuth Anlagen Anlage zu KA 10/1447 Anlage zu KA 10/1447 Anlage zu KA 10/1447 Anlage zu KA 10/1447 Anlage zu KA 10/1447