Kleine Anfrage der Abg. Warnecke, Decker und Weiß (SPD) vom 03.02.2015 betreffend Subventionierung von Inländern der Schweizer Eidgenossenschaft durch Erstattung der Mehrwertsteuer durch die Bundesrepublik Deutschland und Antwort des Ministers der Finanzen Vorbemerkung der Fragesteller: Es ist rechtskonform und offenbar auch Praxis von Schweizer Inländern, sich die beim Einkauf in der Bundesrepublik Deutschland gezahlte Mehrwertsteuer erstatten zu lassen. Damit verbunden sind nicht allein Mindereinnahmen beim Mehrwertsteueraufkommen der grenznahen Bundesländer - vorrangig Baden-Württemberg -, sondern auch bundesweit beim Versandhandel. Daher ist auch das Bundesland Hessen betroffen. Vorbemerkung des Ministers der Finanzen: Das europäische Mehrwertsteuersystem (seit der 1. und 2. EG-Richtlinie) wie auch das deutsche Umsatzsteuergesetz folgen bei der Behandlung von grenzüberschreitendem Warenverkehr dem sogenannten Bestimmungslandprinzip. Grundgedanke ist, dass der Steuerertrag aus der Umsatzsteuer dem Land gebührt, in dem der Endverbraucher ansässig ist. Hieraus folgt - analog dem Erwerb von Waren durch einen inländischen Endverbraucher - ein Tragen der Steuerlast durch den Endverbraucher. Dies dient vor allem der Abgrenzung der Aufkommenshoheit zwischen verschiedenen Staaten - mit gegebenenfalls verschiedenen Steuersätzen - hinsichtlich des Umsatzsteueraufkommens . Die Folge ist, dass ein nicht im Inland ansässiger Endverbraucher mit der Steuerlast des Bestimmungslandes belastet wird. Technisch wird dies so gehandhabt, dass grenzüberschreitender Warenverkehr für ausländische Endverbraucher im jeweiligen Exportland von der Umsatzsteuer befreit wird. Dem Importland obliegt dann die Besteuerung des Warenverkehrs nach dem dort herrschenden Umsatzsteuerrecht. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Sieht die Hessische Landesregierung eine grundsätzliche Notwendigkeit, den inländischen Schweizer Konsumenten, neben den Preisvorteilen des bundesdeutschen Handels, durch den Mehrwertsteuerverzicht einen weiteren Preisvorteil zu gewähren? Der angesprochene "Mehrwertsteuerverzicht" resultiert aus der Umsatzsteuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen im nicht-kommerziellen Reiseverkehr, die nicht nur Deutschland gewährt, sondern international üblich ist (siehe Vorbemerkung). Diese Steuerbefreiung steht innerhalb der EU auch nicht zur Disposition der einzelnen Mitgliedstaaten, sondern ist nach Maßgabe von Artikel 146 Absatz 1 Buchstabe b und Artikel 147 der Richtlinie 2006/112/EG (sog. Mehrwertsteuer -Systemrichtlinie - MwStSyStRL) verpflichtend anzuwenden. In Deutschland ist die Steuerbefreiung in § 4 Nummer 1 Buchstabe a in Verbindung mit § 6 Absatz 3a des Umsatzsteuergesetzes geregelt. Danach können Verkäufe von Unternehmern an alle Reisenden mit Wohnsitz oder Sitz in einem Staat außerhalb der Europäischen Union (sogenanntes Drittland) von der Umsatzsteuer befreit werden, sofern die Waren für den privaten Bedarf bestimmt sind und innerhalb von drei Monaten nach Kauf im persönlichen Reisegepäck in das Drittlandsgebiet gelangen. Man spricht hier vom "Export über den Ladentisch". Die Steuerbefreiung wird in Deutschland unabhängig vom Wert der gelieferten Gegenstände gewährt. Ferner ist unerheblich, ob die Ausfuhr der Ware über eine Landesgrenze oder über See- und Flughäfen erfolgt. Insofern ist die Steuerbefreiung nicht auf Schweizer Kunden beschränkt. Eingegangen am 11. März 2015 · Ausgegeben am 12. März 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/1555 11. 03. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1555 Die Umsatzsteuerbefreiung steht ausschließlich dem Unternehmer (Verkäufer) zu. Die Voraussetzungen der Steuerbefreiung hat er durch die Ausfuhr- und Abnehmerbescheinigung nachzuweisen . Hierzu ist eine Ausfuhrbestätigung der deutschen Grenzzollstelle erforderlich. Legt ein Kunde die Nachweise vor, kann der Verkäufer die durch die Steuerbefreiung entstehende Steuerentlastung im Wege eines entsprechenden Preisnachlasses an diesen weitergeben. Eine unmittelbare Steuererstattung durch die Finanzämter an die Käufer ist nicht möglich. Die Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr stellen einen nicht unerheblichen Umsatzanteil im Einzelhandel dar, sichern damit einerseits die Ertragsteuereinnahmen und andererseits auch Arbeitsplätze. Frage 2. Hält die Hessische Landesregierung diese Wettbewerbsverzerrung für zielführend? Aus Sicht der Hessischen Landesregierung führt die Umsatzsteuerentlastung im nichtkommerziellen Reiseverkehr zu keiner Wettbewerbsverzerrung, da dies eine international übliche Praxis darstellt (siehe Vorbemerkung). Frage 3. Wie beurteilt die Hessische Landesregierung steuersystematisch den aus diesem Erhebungsver- zicht von Mehrwertsteuer durch die Bundesrepublik Deutschland, wie auch der Schweiz, grundlegenden steuerfreien Einkauf? Auf die Antworten zu Frage 1. und 2. wird verwiesen. Frage 4. Welche Volumina (ggfs. schätzungsweise) macht dieser Verzicht auf Mehrwertsteuer bundesweit aus? Frage 5. Welche Volumina (ggfs. schätzungsweise) macht dieser Verzicht auf Mehrwertsteuer im hessi- schen Einzel- und Versandhandel aus? Hierzu liegen der Hessischen Landesregierung keine Zahlen vor. Frage 6. Wie wirkt sich ein solcher Mehrwertsteuerverzicht auf die Verteilung des Umsatzsteueraufkom- mens zwischen den Bundesländern aus? Bei einer Veränderung des Umsatzsteueraufkommens verteilen sich Mehr- oder Mindereinnahmen des Länderanteils an der Umsatzsteuer grundsätzlich nach der Einwohnerzahl auf die einzelnen Länder, unabhängig davon, in welchem Land diese Mehr- oder Mindereinnahmen kassenmäßig angefallen sind. Frage 7. Unterstützt die Hessische Landesregierung vor diesem Hintergrund Initiativen, dieses Steuerprivi- leg grundsätzlich abzuschaffen oder deutlich einzugrenzen? Eine Abschaffung der Umsatzsteuerbefreiung scheidet aus Sicht der Hessischen Landesregierung bereits aus, weil diese nach Maßgabe der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL) durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union verpflichtend anzuwenden ist. Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. Nach Artikel 147 MwStSyStRL wäre eine Begrenzung durch die Einführung einer Wertgrenze bis maximal 175 € grundsätzlich möglich. Erst wenn der einzelne Rechnungsbetrag diese Wertgrenze überschreitet, sind die zugrunde liegenden Warenlieferungen insgesamt von der Umsatzsteuer befreit. Deutschland hat von dieser Möglichkeit bisher keinen Gebrauch gemacht. Bereits eine frühere Überlegung, eine Wertgrenze von 50 DM je Rechnungsbetrag einzuführen, hatte bundesweit zu erheblichen Widerständen seitens des betroffenen Einzelhandels geführt. Es waren starke Umsatzeinbußen und der Verlust von Arbeitsplätzen befürchtet worden. Nach Schätzungen der Industrie- und Handelskammer Hochrhein-Bodensee liegt der durchschnittliche Einkaufswert Schweizer Kunden unter 50 €. Auch größere Einkäufe bestehen in der Regel aus Teileinkäufen, die ihrerseits unter die Wertgrenze fallen würden. Hinzu kommt, dass neben den Verkäufen an Schweizer Kunden insbesondere auch die DutyFree -Geschäfte an Flug- und Seehäfen (unter anderem der Flughafen Frankfurt am Main) betroffen wären. Schließlich könnte es bei Einführung einer Wertgrenze in Deutschland sogar zu einer doppelten Umsatzsteuerbelastung von Schweizer Kunden kommen, wenn der einzelne Rechnungsbetrag unterhalb der deutschen Wertgrenze liegt, der Gesamtwert der in die Schweiz eingeführten Wa- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1555 3 ren als Summe der jeweiligen Rechnungen aber über der Schweizer Einfuhrfreigrenze (300 Franken) liegt. Im Hinblick auf die überwiegenden Nachteile sieht die Hessische Landesregierung die Einführung einer Wertgrenze für die Umsatzsteuerbefreiung im nichtkommerziellen Reiseverkehr nicht als sinnvoll an. Frage 8. Werden diese Fakten im Rahmen der Verhandlungen für einen neuen Länderfinanzausgleich Be- rücksichtigung erfahren? Ein unmittelbarer Zusammenhang ist hier nicht erkennbar. Bisher wurde dieses Thema auch nicht im Rahmen der Verhandlungen zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen thematisiert. Wiesbaden, 2. März 2015 Dr. Thomas Schäfer