Kleine Anfrage der Abg. Hofmann und Spies (SPD) vom 17.02.2015 betreffend psychische und psychiatrische Versorgung von Gefangenen in den Justizvollzugsanstalten in Hessen und Antwort der Ministerin der Justiz Vorbemerkung der Fragesteller: Die Zahl der psychisch auffälligen Strafgefangenen nimmt in den letzten Jahren stetig zu und stellt die Beschäftigten im Vollzug vor große Herausforderungen. Diese Vorbemerkung der Fragesteller vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wie viele Gefangene erhalten in den jeweiligen Hessischen Justizvollzugsanstalten eine psycho- therapeutische Behandlung? Bitte aufschlüsseln nach Einzel- beziehungsweise Gruppentherapie 2014 erhielten insgesamt 412 Gefangene eine psychotherapeutische Behandlung. In der folgenden Übersicht ist die Aufschlüsselung nach den einzelnen Justizvollzugsanstalten dargestellt. Justizvollzugsanstalt Anzahl Butzbach 120 Darmstadt 5 Dieburg 0 Frankfurt I 0 Frankfurt III 14 Frankfurt IV 71 Fulda 0 Gießen 64 Hünfeld 0 Kassel I 9 Kassel II 0 Limburg 0 Rockenberg 63 Schwalmstadt 17 Weiterstadt 4 Wiesbaden 45 Psychotherapie umfasst dabei die Behandlung seelischer Erkrankungen und Störungen, die Menschen in der Wahrnehmung, der Erlebnisverarbeitung, in den Körperfunktionen, in ihrem Verhalten und/oder ihren sozialen Beziehungen einschränken. Psychotherapeutische Behandlungen werden in der Regel durch externe Therapeuten in Form von Einzeltherapiemaßnahmen durchgeführt. In der JVA Butzbach werden grundsätzlich psychotherapeutische Gruppenmaßnahmen angeboten, nur für nicht gruppenfähige Gefangene wird eine psychotherapeutische Einzeltherapie angeboten. Eine genaue Aufschlüsselung ist hier nicht möglich. In der JVA Frankfurt am Main IV nahmen ca. 40 Gefangene an einer Gruppenmaßnahme teil, der Rest wurde einzeltherapeutisch behandelt. In der JVA Gießen wurden von den Eingegangen am 25. März 2015 · Ausgegeben am 27. März 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/1610 25. 03. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1610 64 therapeutisch behandelten Gefangenen 25 in Einzeltherapien und 39 in Gruppenmaßnahmen behandelt. Psychotherapie kommt insbesondere bei Gewalt- und Sexualstraftätern zum Einsatz, die behandlungsbedürftige psychische Störungen und ein hohes Rückfallrisiko aufweisen. Darüber hinaus werden in vielen Anstalten kriminaltherapeutische Behandlungsgruppen angeboten . Hier erfolgt eine zielgerichtete therapeutische Aufarbeitung, die sich auf die den Taten zugrunde liegenden kriminogenen Faktoren konzentriert. Es handelt sich insoweit nicht um psychotherapeutische Maßnahmen. Frage 2. In welchem Umfang erfolgt die unter Frage 1. dargestellte Behandlung durch anstaltseigene be- ziehungsweise externe Therapeuten? Die in der Antwort zu Frage 1. aufgeführten psychotherapeutischen Behandlungen werden ausschließlich von externen Kräften durchgeführt. Frage 3. Wie stellen sich die in Frage 1. und 2. genannten Zahlen in den jeweiligen Jahren von 1999 bis heute dar? Ausgehend von den obigen Ausführungen zu Frage 1. stellt sich die Anzahl psychotherapeutischer Behandlungen in den Jahren 1999 bis 2013 wie folgt dar: Justizvollzugsanstalt 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 Butzbach 100 66 65 100 102 86 61 96 Darmstadt 2 0 0 0 0 0 0 1 Dieburg 0 2 6 11 0 3 2 0 Frankfurt I 0 0 0 0 0 0 0 0 Frankfurt III 5 6 11 28 26 23 17 31 Frankfurt IV 11 63 132 92 100 76 67 54 Fulda 1 1 2 2 0 0 0 2 Gießen 7 5 8 10 13 13 28 57 Hünfeld* 0 0 0 0 0 0 0 0 Kassel I 11 17 27 23 32 28 16 19 Kassel II 1 14 13 29 29 26 19 27 Kassel III** 0 0 0 8 10 3 5 3 Limburg 0 0 0 0 0 0 0 0 Rockenberg 27 32 48 22 29 17 17 39 Schwalmstadt 17 42 59 57 53 37 22 22 Weiterstadt 0 0 0 0 0 0 0 0 Wiesbaden 43 55 32 55 38 13 3 7 Gesamt 225 303 403 437 432 325 257 358 * ab 2006 | ** bis 2009 Justizvollzugsanstalt 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 Butzbach 84 98 90 87 95 88 117 Darmstadt 0 0 0 0 3 5 6 Dieburg 0 1 0 0 0 0 0 Frankfurt I 0 0 0 0 0 0 0 Frankfurt III 47 33 20 16 29 31 23 Frankfurt IV 13 15 24 31 59 61 83 Fulda 0 0 0 1 0 0 1 Gießen 52 57 75 63 81 83 85 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1610 3 Hünfeld* 0 0 0 0 0 2 1 Kassel I 20 27 24 27 18 33 34 Kassel II 5 26 7 1 19 1 2 Kassel III** 3 3 0 0 0 0 0 Limburg 0 0 0 0 1 1 0 Rockenberg 61 113 83 49 54 56 56 Schwalmstadt 23 19 21 22 22 20 22 Weiterstadt 0 0 0 0 0 0 1 Wiesbaden 41 95 84 101 101 67 53 Gesamt 349 487 428 398 482 448 484 * ab 2006 | ** bis 2009 Frage 4. Mit welchen Behandlungskonzepten beziehungsweise mit welchen Maßnahmen begegnet der hes- sische Strafvollzug den psychischen Erkrankungen der Gefangenen? Ausgangspunkt der Behandlung psychischer Erkrankungen ist zunächst eine eingehende, sorgfältige Diagnosestellung durch die im hessischen Justizvollzug tätigen Anstaltsärztinnen und Anstaltsärzte bzw. hinzugezogene Konsiliarpsychiaterinnen und Konsiliarpsychiater. Die Behandlung psychisch kranker Gefangener erfolgt in Abhängigkeit von Schweregrad und Komplexität des Krankheitsbildes entweder ambulant in den jeweiligen Justizvollzugsanstalten oder stationär auf den entsprechenden Behandlungsstationen in der JVA Weiterstadt und im Zentralkrankenhaus bei der JVA Kassel I. Eine ergänzende Betreuung findet regelmäßig insbesondere durch den psychologischen Dienst und den Sozialdienst statt. Im Bereich der ambulanten Behandlung erfolgen regelmäßige medikamentöse Behandlungen, die von weiteren Behandlungsmaßnahmen flankiert werden können. Erwähnenswert sind hier z.B. psychoedukative Gruppen, die vor allem bei Schizophrenie, Zwangsstörungen, Depressionen , Angststörungen sowie Suchterkrankungen oder auch Persönlichkeitsstörungen Berücksichtigung finden. Ziel dieser Gruppen ist es, den Betroffenen ein besseres Verständnis ihrer Krankheit zu vermitteln und ihnen den Umgang damit zu erleichtern, zum Beispiel indem persönliche Erfahrungen mit der eigenen Erkrankung mit gegenwärtigem Fachwissen über diese Erkrankung abgeglichen werden. Auch lernen die Betroffenen eigene Ressourcen und Möglichkeiten kennen, um so mögliche Rückfälle zu vermeiden und selbst längerfristig zur eigenen Gesundheit beitragen zu können. Die wichtigsten Elemente der Psychoedukation sind Informationsvermittlung über die Störung und deren Symptomatik, die Unterstützung einer medikamentösen oder psychotherapeutischen Behandlung und die "Hilfe zur Selbsthilfe". Ihren Ursprung hat die Psychoedukation in der Verhaltenstherapie. Ein allgemeiner integrativer Ansatz des hessischen Vollzugs unterstützt, dass Gefangene mit psychischen Erkrankungen, soweit sie diese Erkrankungen nicht daran hindern, jederzeit an weiteren, vor allem delikt- und täterorientierten Behandlungsmaßnahmen teilnehmen können. Frage 5. In wie vielen Justizvollzugsanstalten gibt es spezielle Behandlungsstationen für psychisch Kranke beziehungsweise auffällige Gefangene und wie sind diese konzeptionell ausgestaltet? Sowohl psychisch kranke Gefangene, also solche, bei denen Krankheitsbilder nach der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (sog. ICD 10) diagnostiziert wurden, als auch psychisch auffällige Gefangene, deren Verhalten sich nicht entsprechend einordnen lässt, können auf zwei speziellen Behandlungsstationen in der JVA Weiterstadt und im Zentralkrankenhaus bei der JVA Kassel I behandelt werden. Beide Stationen sind konzeptionell darauf ausgerichtet, während eines vorübergehenden stationären Aufenthalts die psychiatrischen Krankheitsbilder der aufgenommen Patienten abzuklären, Diagnosen zu stellen und - soweit erforderlich - eine medikamentöse Einstellung vorzunehmen. Ziel beider Einrichtungen ist es, die dort aufgenommenen Gefangenen so weit zu stabilisieren, dass sie sobald wie möglich wieder in den Regelvollzug zurückkehren und dort durch den anstaltsärztlichen Dienst weiterbehandelt werden können. 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1610 Frage 6. In wie vielen Fällen findet vor beziehungsweise während der Inhaftierung eine Begutachtung statt und inwiefern findet die Begutachtung in die Förder- bzw. Vollzugsplanung Eingang? Vor der Inhaftierung werden Gutachten vor allem im Rahmen der Hauptverhandlung seitens der Gerichte etwa zur Frage der Schuldfähigkeit bzw. der strafrechtlichen Verantwortlichkeit in Auftrag gegeben. Während der Inhaftierung werden darüber hinaus bei Bedarf Gutachten z.B. zur Frage der Legalprognose , der Gefährlichkeit, der Behandlungsprognose bzw. des Behandlungsstands, der Eignung für vollzugsöffnende Maßnahmen und der Aussetzung des Strafrestes eingeholt. Für die Erstellung der Gutachten werden prognostische Checklisten, Prognoseschemata (u.a. HCR etc.), Diagnoseschlüssel (ICD oder DSM) und Leistungs- und Persönlichkeitstests verwendet. Die Erkenntnisse aus allen vorliegenden Gutachten fließen in die Vollzugs- bzw. Förderplanung ein und werden um die aktuellen Erkenntnisse ergänzt, die die internen Fachkräfte mit Hilfe anerkannter Diagnose- und Prognoseverfahren gewonnen haben. Diese Vorgehensweise ist im Sinne einer Verlaufsanalyse für den Behandlungserfolg und damit verbundener weiterer vollzuglicher Entscheidungen (z.B. über vollzugsöffnende Maßnahmen) unerlässlich. Im Jahr 2013 wurden insgesamt 244 Prognosegutachten in Auftrag gegeben; dabei handelte es sich in 121 Fällen um Einzelbegutachtungen und in 123 Fällen um Doppelbegutachtungen. Für das Jahr 2014 liegen hier noch keine Zahlen vor. Frage 7. Wie ist sichergestellt, dass alle psychisch kranken Gefangenen als solche identifiziert werden? Bei allen Gefangenen wird bei Haftantritt eine Zugangsuntersuchung durch den anstaltsärztlichen Dienst durchgeführt. Werden bereits zu diesem Zeitpunkt psychische Auffälligkeiten festgestellt , erfolgt in der Regel eine Vorstellung der oder des Gefangenen bei der oder dem in der Justizvollzugsanstalt tätigen Konsiliarpsychiaterin/Konsiliarpsychiater. Wird hier eine psychiatrische Diagnose gestellt, so erfolgt im Weiteren entweder eine ambulante Behandlung in der Justizvollzugsanstalt oder - sofern erforderlich - eine stationäre Behandlung auf den o.g. speziellen Behandlungsstationen in den Justizvollzugsanstalten Kassel und Weiterstadt. Treten psychische Auffälligkeiten zu einem späteren Zeitpunkt der Inhaftierung auf, erfolgt über die Vollzugsplanung und die Einschaltung des psychologischen und medizinischen Dienstes eine Abklärung und Behandlung in der oben beschriebenen Weise. Frage 8. Wie beurteilt die Landesregierung die Beschlüsse der Justizministerkonferenz vom Juni 2014, in denen es heißt: "2. Die Justizministerinnen und Justizminister sind sich einig, dass die psychiatrische Versorgung im Justizvollzug und die entsprechende Nachsorge entlassener Gefangener - insgesamt betrachtet - verbesserungsbedürftig sind. 3. Die Justizministerinnen und Justizminister bitten die beteiligten Ressortverantwortlichen auf Länderebene, den Justizvollzug bei seiner Verpflichtung zu unterstützen, psychiatrisch erkrankte Gefangene leitliniengerecht zu behandeln und nach der Entlassung in geeignete Versorgungssysteme zu integrieren." Die Landesregierung trägt den Beschluss der 85. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister zur Verbesserung der psychiatrischen Versorgung von Inhaftierten mit und sorgt für eine entsprechende Umsetzung. Frage 9. Sieht die Landesregierung die Behandlung psychisch kranker Gefangener gerade auch im Hin- blick auf die genannten Justizminister-Konferenzbeschlüsse als verbesserungsbedürftig an? Wenn nein, warum nicht? Die aktuelle Behandlungssituation psychisch kranker Gefangener in Einrichtungen des hessischen Justizvollzugs wird derzeit überprüft. Aktuell finden Gespräche mit verschiedenen, an der Behandlung beteiligten Fachleuten statt. Erst danach kann eine Aussage über gegebenenfalls erforderliche personelle und strukturelle Maßnahmen getroffen werden. Frage 10. Werden Gefangene nach der Entlassung in geeignete Versorgungssysteme integriert beziehungs- weise inwiefern findet eine Nachsorge statt? Wenn nein, warum nicht? Im Rahmen der Entlassungsvorbereitung prüft der Sozialdienst der Anstalt u.a., inwieweit während der Inhaftierung durchgeführte Maßnahmen, wie z.B. psychotherapeutische Behandlungen, nach der Entlassung fortzuführen sind. Dies geschieht in Abstimmung mit dem Entlassungsmanagement und dem Sicherheitsmanagement der Bewährungshilfe. In diesem Zusammenhang wird auch geprüft, inwieweit eine Kostenübernahme der für erforderlich erachteten Maßnahmen im Anschluss an die Inhaftierung durch Dritte (z.B. die Krankenkasse ) erfolgen kann. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1610 5 Für Gefangene, die an das Sicherheitsmanagement übergeben werden und für die eine entsprechende gerichtliche Weisung vorliegt, besteht in diesem Zusammenhang z.B. die Möglichkeit der Übernahme von Behandlungskosten durch den "Verein Förderung der Bewährungshilfe in Hessen e.V.", sofern aufgrund einer fehlenden medizinischen Diagnose die Krankenversicherungen die Kosten nicht übernehmen und der Proband auch nicht in der Lage ist, die Behandlungskosten selbst zu tragen. Dieser Verein wird finanziell durch das Hessische Ministerium der Justiz gefördert. Wiesbaden, 17. März 2015 Eva Kühne-Hörmann