Kleine Anfrage der Abg. Decker, Roth und Dr. Sommer (SPD) vom 26.02.2015 betreffend Regelsatz für erwachsene Menschen mit Behinderung und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Vorbemerkung der Fragesteller: Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts im Jahr 2014 haben erwachsene Menschen mit Behinderung auch dann Anspruch auf den vollen Regelsatz, wenn sie bei ihren Eltern leben. Bis zu diesem Urteil war ihnen lediglich 80 % des Regelsatzes zuerkannt worden. Damit wurden Menschen mit Behinderung gleichgestellt mit jungen Erwachsenen ohne Behinderung, die im Haushalt der Eltern leben. Vorbemerkung des Ministers für Soziales und Integration: Mit bundesaufsichtlicher Weisung gemäß Artikel 85 Abs. 3 GG hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales am 31. März 2015 u. a. verfügt, dass bei Personen, denen im Rahmen des Vierten Kapitels SGB XII bisher die Regelbedarfsstufe 3 zugeordnet worden ist und die außerhalb von stationären Einrichtungen leben, eine abweichende Regelsatzfeststellung vorzunehmen ist, bei der an die Stelle des sich nach der Regelbedarfsstufe 3 ergebenden Betrages der sich nach Regelbedarfsstufe 1 ergebende Betrag tritt. Die Weisung wurde vom Hessischen Ministerium für Soziales und Integration am 1. April 2015 den hessischen Landkreisen und kreisfreien Städten sowie dem Landeswohlfahrtsverband Hessen bekannt gegeben. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wie viele Menschen mit Behinderung, die im Haushalt ihrer Eltern leben, bekommen nach dem Urteil den vollen Regelsatz? Frage 2. Wurde die Anpassung auf den vollen Regelsatz in allen Gebietskörperschaften in Hessen von Amts wegen vorgenommen? Wenn nein, wo nicht und mit welchem Grund? Frage 3. Wurde die Anpassung auch rückwirkend vorgenommen? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, für welchen Zeitraum? Frage 4. In welchen Fällen wird Menschen mit Behinderung, die im Haushalt der Eltern leben, auch heute noch nicht der volle Regelsatz zuerkannt? Frage 5. Wie viele Menschen mit Behinderung in Hessen erhalten nach wie vor nur den gekürzten Regel- satz? Die Fragen 1 bis 5 werden wie folgt zusammen beantwortet. Die Regelbedarfsstufe 3 war schon seit ihrer Einführung eine umstrittene Regelung. In einer Vielzahl von Widersprüchen und angestrengten Gerichtsverfahren haben sich die Betroffenen gegen die Einstufung in die Regelbedarfsstufe 3, die 80 % des Standardbedarfs der Regelbedarfsstufe 1 beträgt, zu wehren versucht. Das Bundessozialgericht hat schließlich in drei Urteilen vom 23. Juli 2014 (B 8 SO 14/13 R, B 8 SO 12/13 R und B 8 SO 31/12 R) über die Höhe des Regelbedarfs für volljährige behinderte Menschen, die bei ihren Eltern oder in einer Wohngemeinschaft leben, entschieden. Die Urteilsbegründungen hat das Bundessozialgericht Ende 2014 veröffentlicht. Danach richtet sich der Bedarf einer erwachsenen Person, die mit anderen in einem Haushalt lebt, ohne dass dabei eine Partnerschaft vorliegt, nicht von vornherein nach der Regelbedarfsstufe 3. Vielmehr richtet Eingegangen am 19. Mai 2015 · Ausgegeben am 22. Mai 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/1664 19. 05. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1664 sich der Bedarf einer erwachsenen leistungsberechtigten Person nach der Regelbedarfsstufe 1 auch dann, wenn sie mit einer anderen Person in einer Haushaltsgemeinschaft lebt, ohne dass eine Partnerschaft im Sinne der Regelbedarfsstufe 2 (d.h. Ehe u.a.) vorliegt. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) teilte diese Auffassung nicht. Mit Rundschreiben 2015/3 vom 16. Februar 2015 hat es den Ländern seine Rechtsauffassung zu den Urteilen des Bundessozialgerichts übermittelt. Das Bundessozialgericht hat in zwei weiteren Urteilen vom 24. März 2015 (B 8 SO 5/14 R und B 8 SO 9/14 R) seine Rechtsprechung vom 23. Juli 2014 im Wesentlichen bestätigt. In der mündlichen Verhandlung wies das Gericht darauf hin, dass die Vermutung der sogenannten verrichtungsbezogenen Haushaltsführung nur durch qualifizierten Sachvortrag der Träger widerlegt werden könne. Nicht ausreichend seien Feststellungen, wonach die leistungsberechtigte Person anleitungsbezogene Haushaltstätigkeiten verrichten könne. Hierfür erforderliche Unterstützungshandlungen änderten daran nichts. Der Besuch einer Werkstatt für behinderte Menschen und die damit bestehende Werkstattfähigkeit spräche eher für die Vermutung der Haushaltsführung als dagegen. Das BMAS war auch nach diesen konkretisierenden Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung weiterhin überzeugt davon, dass es nicht auf die Vermutung einer verrichtungsbezogenen Haushaltsführung für die Zuordnung zur Regelbedarfsstufe 1 oder deren Widerlegbarkeit im Einzelfall für die Zuordnung zur Regelbedarfsstufe 3 ankommt. Die Kleine Anfrage 19/1664 vom 26. Februar 2015 wurde somit zu einem Zeitpunkt gestellt als das BMAS noch die Auffassung vertreten hatte, dass derzeit kein Anlass bestehe, bestehende Bewilligungsbescheide anzupassen, in denen bei Leistungsberechtigten die Regelbedarfsstufe 3 berücksichtigt wurde. Laufende oder eingehende Widerspruchs- und Klageverfahren mit dem Ziel, bei Leistungsberechtigten die Regelbedarfsstufe 1 anstelle der Regelbedarfsstufe 3 anzuerkennen , sollten zunächst im Hinblick darauf überprüft werden, ob angesichts der konkreten Haushaltskonstellation bei der leistungsberechtigten Person im Einzelfall eine abweichende Regelbedarfsfeststellung nach § 27a SGB XII in Betracht kommt. Komme hierdurch eine Abhilfe nicht in Betracht, seien Widerspruchs- und Klageverfahren - soweit möglich und zulässig - bis zum Vorliegen der Entscheidungsgründe ruhend zu stellen. Bei entsprechenden Überprüfungsanträgen sei gleichermaßen zu verfahren. Diese Rechtsauffassung ist dann mit der Weisung des BMAS vom 31. März 2015 revidiert worden . Darin verfügte das BMAS unter anderem, dass bis zum Inkrafttreten eines Gesetzes, das die Regelbedarfsstufen neu ermittelt, erwachsenen Leistungsberechtigten nach dem Vierten Kapitel SGB XII, die weder einen Ein-Personen-Haushalt noch einen Alleinerziehenden-Haushalt noch einen Paarhaushalt führen, die Regelbedarfsstufe 3 zugeordnet wird. Bei diesen Personen ist jedoch, sofern sie außerhalb von stationären Einrichtungen leben, eine abweichende Regelsatzfestsetzung vorzunehmen, bei der an die Stelle des sich nach der Regelbedarfsstufe 3 ergebenden Betrages der sich nach Regelbedarfsstufe 1 ergebende Betrag tritt. Bescheide sind, soweit sie Leistungsberechtigten für die Zeit nach dem 1. Januar 2013 Leistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII unter Anerkennung der Regelbedarfsstufe 3 bewilligen, entsprechend § 44 SGB X zu überprüfen. Sich daraus ergebende höhere Leistungsansprüche sind für Zeiten ab dem 1. Januar 2013 zu bewilligen und auszuzahlen. Damit sind erwachsene Menschen mit Behinderung, die im Haushalt ihrer Eltern leben, nun gleichgestellt mit erwachsenen Menschen ohne Behinderung. Wiesbaden, 10. Mai 2015 Stefan Grüttner