Kleine Anfrage der Abg. Gremmels und Dr. Spies (SPD) vom 05.03.2015 betreffend ärztliche Notdienstregelung im ländlichen Raum und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Vorbemerkung der Fragesteller: Im Zuge der Reform des Ärztlichen Bereitschaftsdiensts (ÄBD) in Nordhessen Anfang des Jahres 2014 durch die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KVH) und der damit verbundenen Zusammenlegung von Notdienstbezirken sowie der Koordinierung der Einsätze über zwei landesweite Callcenter sind von Ärzten und Patienten massive Beschwerden vorgebracht worden. Vorbemerkung des Ministers für Soziales und Integration: Die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung zu den sprechstundenfreien Zeiten (ärztlicher Bereitschaftsdienst-ÄBD) ist Gegenstand des Sicherstellungsauftrags der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen (KV Hessen). In diesem Rahmen regelt die KV Hessen den ÄBD eigenverantwortlich . Laut Mitteilung der KV Hessen wurden im Rahmen der Reform des ÄBD die bisherigen 114 Bezirke zu 41 größeren Bezirken zusammengefasst. Die telefonischen Dispositionszentralen sind in Kassel und Frankfurt eingerichtet worden. Dort arbeiten inzwischen 43 (Kassel) und 76 (Frankfurt) Mitarbeiter. Nach Auskunft der KV Hessen werden alle in den ÄBD-Dispositionszentralen eingehenden medizinischen Hilfeersuchen von qualifizierten, nichtmedizinischen Einsatzsachbearbeitern angenommen . Rettungsdienstrelevante Fälle werden von diesen Mitarbeitern direkt und strukturiert an die jeweils zuständige Rettungsdienstleitstelle übergeben. Bei allen anderen Hilfesuchenden klärt der Einsatzsachbearbeiter das Beschwerdebild ab, stellt fest, ob der Patient eine ÄBDZentrale aufsuchen kann und nimmt, sollte letzteres nicht möglich sein, eine Vorpriorisierung (es gibt drei Prioritätsstufen) zur Übergabe an den Arzt im ÄBD-Hausbesuchsdienst vor. Danach wird der Fall an den für die Region zuständigen Disponenten übergeben. Dieser kommuniziert mit den für die Region zuständigen Ärzten im ÄBD-Hausbesuchsdienst, die ihm beispielsweise auch für Fragen oder die Abklärung unklarer Fälle zur Verfügung stehen. Sobald hier ein Arzt den aktuell versorgten Fall als beendet und sich damit "frei" meldet, stellt der Disponent dem Arzt die anstehenden Fälle mit deren Vorpriorisierung vor. Der Arzt entscheidet dann letztlich, welcher Patient als nächstes versorgt werden muss bzw. in welcher Reihenfolge er die Patienten nach aktuellem Lagebild zu versorgen gedenkt. Ändert sich dieses Lagebild zwischenzeitlich , z.B. weil der Patient sich gemeldet und eine Verschlechterung seiner Erkrankung gemeldet hat, kann der Arzt im ÄBD-Hausbesuchsdienst jederzeit umdisponieren. Selbstverständlich kann der Fall auch jederzeit an die zuständige Rettungsdienstleitstelle übergeben werden, wenn dies notwendig werden sollte. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Welche konkreten Kenntnisse bzw. Beschwerden liegen der Landregierung im Zusammenhang mit der Reform des ÄBD von Ärzten und Patienten vor? Der Landesregierung liegen einzelne Beschwerden vor, zu denen die KV Hessen immer um Stellungnahme gebeten wird. In einigen Beschwerden wird losgelöst von konkreten Vorkommnissen die allgemeine Befürchtung geäußert, dass sich die Versorgung zu den sprechstundenfreien Zeiten verschlechtern könnte. Eingegangen am 21. April 2015 · Ausgegeben am 23. April 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/1703 21. 04. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1703 Frage 2. Wie hat sich nach der ÄBD-Reform in Nordhessen die Anzahl der Rettungswageneinsätze bzw. die Aufsuchung der Notaufnahmen der Krankenhäuser verändert? Die Anzahl der Rettungsdiensteinsätze steigt seit einigen Jahren, also auch schon vor der Reform des ÄBD durch die KV Hessen, an. Inwieweit dies seit der ÄBD-Reform hiermit zusammenhängt , kann nicht festgestellt werden, da dies statistisch nicht zu erfassen ist. Hinsichtlich des Aufsuchens der Notaufnahmen teilen die betroffenen Krankenhäuser folgendes mit: Klinikum Kassel Die Neuregelung des ÄBD im Raum Kassel mit Vergrößerung der Notdienstbezirke fällt zeitlich zusammen mit einer der stärksten saisonalen Grippewellen der letzten Jahre. Aus diesem Grund ist die Frequentierung der Notaufnahme des Klinikum Kassel durch Rettungsdienst oder "Fußgänger " nicht eindeutig auf eines der beiden Ereignisse rückführbar. Insgesamt zeigt sich im Januar und Februar 2015 allerdings eine sehr deutliche Steigerung der rettungsdienstlichen Anfahrten und Fallzahlen in der Notaufnahme. Die Frequentierung der Notaufnahme liegt auf dem bisher jemals verzeichneten Spitzenniveau. Zusammenfassend sind die Anfahrten durch den Rettungsdienst weiter steigend: - im Vergleich zum Vorjahresmonat 2014 im Januar 2015 rund 24 % höher, - die Steigerung verläuft kontinuierlich über das gesamte Jahr 2014 und erreichte im Januar /Februar 2015 den bisherigen Höchststand, - obwohl drei Tage kürzer als der Vormonat, erreichte der Februar 2015 die gleiche, sehr hohe Zahl von Anfahrten wie der Januar 2015, - tagesbezogen stellt dies eine Steigerung vom bisherigen Wert (57,5 Anfahrten/Tag 01/15) auf 62,4 Anfahrten/Tag dar, - der bisherige Verlauf des März lässt eine nochmalige erhebliche Steigerung auf aktuell im Durchschnitt 66,1 Anfahrten/Tag erwarten. Die Gesamtzahl der Fälle in der Notaufnahme steigerte sich im Januar 2015 gegenüber Januar 2014 um 3,4 %. Elisabeth-Krankenhaus, Kassel Zeitgleich mit der Reform des ÄBD in Nordhessen ist die Zentrale Notaufnahme ans Netz gegangen , in der Patienten aller Fachrichtungen erstversorgt werden und die Entscheidung über eine stationäre Aufnahme getroffen wird. Zuvor gab es lediglich eine chirurgische Ambulanz und eine internistische Notaufnahme für Patienten, die über den Rettungsdienst ins Haus gelangten . Insofern gab es ab diesem Zeitpunkt ohnehin einen verstärkten Fallzahlzuwachs durch fußläufige Patienten zu verzeichnen, so dass man daraus keine Rückschlüsse auf die Auswirkungen der Reform ziehen kann. Zudem befindet sich die Klinik direkt in der Kasseler Innenstadt und bedient den ländlichen Bereich wenig bis gar nicht. Asklepios Kliniken Bad Wildungen Im Rahmen der Notfallversorgung besteht die vorrangige Aufgabe der Krankenhäuser in der Sicherstellung der stationären Notfallversorgung. Entsprechend sind Notaufnahmen der Krankenhäuser darauf ausgerichtet, schwerverletzte oder schwer erkrankte Patienten zu behandeln. Neben der stationären Versorgung sind die Notaufnahmen auch die Anlaufstelle für ambulante Notfälle. Hier ist durch die Etablierung der ÄBD-Zentralen an den Asklepios Kliniken im Rahmen der Reform des ÄBD durch die KVH in 2014 ein signifikanter Anstieg zu verzeichnen. Es wird berichtet, dass die Patienten bei Wahl der 116117 oftmals in Warteschleifen gelangen und nach geraumer Zeit das Telefonat abbrechen und sich direkt ins Krankenhaus begeben. Eine deutliche Zunahme an ambulanten Notfallbehandlungen ist seit der Etablierung der ÄBD an Häusern besonders Mittwoch und Freitag nachmittags und täglich im Zeitraum von 20 bis 22 Uhr zu verzeichnen. Vitos Orthopädische Klinik, Kassel In der Vitos Orthopädische Klinik Kassel gemeinnützige GmbH, Kassel, konnte festgestellt werden, dass sich die Patientenzahl in der Notaufnahme um mindestens 30 % erhöht hat. Hospital zum Heiligen Geist, Fritzlar Die Anzahl der Rettungswageneinsätze nach der Inbetriebnahme der ÄBD-Zentrale (02.01.2014) ist im Jahr 2014 gegenüber dem Jahr 2013 um 15,6 % gestiegen. Die Aufsuchung der Notaufnahmen hat sich im gleichen Zeitraum um 0,3 % verringert. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1703 3 Vitos Kurhessen, Bad Emstal Die Notfallaufnahmen der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie steigen kontinuierlich an. Ob dies jedoch an der Reform des ÄBD liegt, kann seitens Vitos Kurhessen nicht beurteilt werden . Gesundheitsholding Werra-Meißner, Eschwege Eine grafische Darstellung, die den Verlauf der Notarztwagen-Einsätze sowie der Notfallaufnahmen der Jahre 2013 und 2014 zeigt, ist der beigefügten Anlage "Standort ESW: Fallzahlenverlauf Notfälle und Notarztwagen-Einsätze 2013 bis 2014" zu entnehmen. Das Schaubild betrifft den Standort Eschwege mit dem Notarztwagen-Standort Eschwege sowie den Standort Witzenhausen, mit dem Notarztwagen-Standort Witzenhausen und Hessisch Lichtenau. Hephata-Klinik, Schwalmstadt In der Hephata-Klinik hat sich bisher noch nichts durch die neue Regelung verändert. Frage 3. Wie bewertet die Landesregierung die Tatsache, dass ab 24 Uhr in den Callcentern der KVH nur nichtärztliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Koordinierung der Bereitschaftsdienstmittel (Notarzt, Rettungsdienst, telefonische Beratung, Hausbesuche) zuständig sind? Bei Notarzt und Rettungsdienst handelt es sich nicht um Bereitschaftsdienstmittel, die durch den ÄBD der KV Hessen koordiniert werden. Die beiden ÄBD-Dispositionszentralen sind laut Auskunft der KV Hessen in der stärker frequentierten Zeit bis 24.00 Uhr zusätzlich mit Beratungsärzten besetzt, damit sich die Ärzte in den ÄBD-Hausbesuchsdiensten auf die Patientenversorgung vor Ort konzentrieren können. Die Beratungsärzte übernehmen schwerpunktmäßig die ärztliche Beratung von Anrufern und stehen für medizinische Fragestellungen und die Abklärung komplexerer Beschwerdebilder zur Verfügung . Nach 24.00 Uhr kommunizieren die Disponenten direkt mit den diensthabenden Ärzten im ÄBD-Hausbesuchsdienst, wobei die ÄBD-Hausbesuchsdienste laut Auskunft der KV Hessen die vollen ÄBD - Zeiten, also Montag, Dienstag und Donnerstag 19.00 Uhr bis 7.00 Uhr am Folgetag, Mittwoch und Freitag 14.00 Uhr bis 7.00 Uhr am Folgetag sowie Samstag, Sonntag, Feier- und Brückentage 24 Stunden von 7.00 Uhr bis 7.00 Uhr am Folgetag abdecken. Die Entscheidung, wie ein Patient medizinisch versorgt wird, obliegt auch nach 24.00 Uhr immer einem Arzt. Frage 4. Welche Fälle von verspätetem Eintreffen der Notfallrettung mit Auswirkung auf die Gesundheit der Patienten sind bekannt? Der Landesregierung sind keine Fälle von verspätetem Eintreffen der Notfallrettung mit Auswirkungen auf die Gesundheit der Patienten bekannt. Frage 5. Wie und wann ist eine Evaluation der ÄBD-Reform geplant? Nach Auskunft der KV Hessen ist die Evaluation der ÄBD-Reform bis Sommer 2016 geplant. Frage 6. Wie ist im Falle eines Hausbesuchs im Rahmen des Bereitschaftsdienstes die ausreichende Ver- sorgung weiterer Patientinnen und Patienten gewährleistet? Neben dem ÄBD-Hausbesuchsdienst ist parallel die ÄBD-Zentrale ärztlich besetzt. Die Versorgung der Patienten, die selbst in die ÄBD-Zentrale kommen können, ist während deren Öffnungszeiten damit gewährleistet. Der Versorgungsauftrag des ÄBD dient der Sicherstellung der normalen vertragsärztlichen Versorgung außerhalb der üblichen Praxiszeiten. Folglich gelten auch die gleichen Rahmenbedingungen für die Patientenversorgung, insbesondere auch hinsichtlich von Wartezeiten, z.B. auf einen Hausbesuch. Der Arzt im ÄBD-Hausbesuchsdienst kann immer und zeitnah entscheiden, in welcher Reihenfolge er die anstehenden Fälle bearbeitet. Die Einrichtung von zwei überregional agierenden ÄBD-Dispositionszentralen erlaubt es nach Auskunft der KV Hessen (im Gegensatz zu den Zeiten vor der Reform des ÄBD) zudem, auch die ÄBD-Hausbesuchsdienste überregional einzusetzen, also auch in angrenzenden ÄBD-Regionen, wenn hier entsprechender Bedarf besteht. Damit können Patienten bei Bedarf schneller versorgt und Wege optimiert werden. Zudem sind in den neuen, oftmals größeren ÄBD-Regionen häufig mehrere Ärzte gleichzeitig im ÄBD-Hausbesuchsdienst im Einsatz . 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1703 Frage 7. Hält die Landesregierung die Wegzeiten von Ärzten in den ÄBD-Bezirken, die nach Angaben der KVH bis zu 60 Minuten und ggf. auch darüber hinaus gehen können, für zumutbar? Solche Wegezeiten stellen laut Auskunft der KV Hessen nicht den Regelfall dar. Sie lassen sich aber in einigen Regionen Hessens, bedingt durch eine geringe Anzahl von Patienten, die mit kürzeren Wegstrecken und -zeiten nicht zu erreichen sind, oder auch bei schlechten Witterungsverhältnissen , nicht vermeiden. Um den Arzt im Hausbesuchsdienst bei längeren Wegestrecken und ungünstigen Witterungsverhältnissen zu entlasten, stellt die KV Hessen jeder ÄBD-Gemeinschaft, die dies wünscht, einen Fahrdienst (Fahrer/Assistent und Fahrzeug) für die Hausbesuche im ÄBD zur Verfügung. So kann der Arzt auch bereits während der Fahrt mit der ÄBD-Dispositionszentrale die nächsten Fälle besprechen (vgl. Antwort zu Frage 3) oder beispielsweise administrative Dinge erledigen. Frage 8. Wie bewertet die Landesregierung die Tatsache, dass die Ruhezeiten der diensthabenden Ärzte sich verkürzen bez. ganz wegfallen? Der Dienst im ÄBD ist eine vertragsärztliche Pflicht. Jeder Arzt muss selbst abwägen, ob er nach einem Nachtdienst in der Lage ist, am nächsten Tag in seiner Praxis zu arbeiten. Frage 9. Welchen Handlungsbedarf sieht die Landesregierung vor diesem Hintergrund? Hierzu wird auf die Beantwortung der Frage 1 verwiesen. Die Landesregierung sieht derzeit keinen Handlungsbedarf. Die Entwicklung des ÄBD wird aber unverändert sehr genau beobachtet . Wiesbaden, 13. April 2015 Stefan Grüttner Anlagen Anlage zu KA 19/1703 petry Rechteck Anlage zu KA 19/1703