Kleine Anfrage der Abg. Löber (SPD) vom 17.03.2015 betreffend Acrylamid in Lebensmitteln und Antwort der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Vorbemerkung der Fragestellerin: Acrylamid ist eine aus der chemischen Industrie bekannte Substanz, die vor allem als Baustein für die Herstellung von Kunststoff verwendet wird. Verbraucherverbände warnen vor den gesundheitlichen Gefahren, die der Stoff Acrylamid in Lebensmitteln für den Menschen birgt. So ergaben wissenschaftliche Untersuchungen bei Tieren eindeutig, dass der Stoff krebserregend und erbgutschädigend ist. Vorbemerkung der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbrau- cherschutz: Acrylamid entsteht in der Regel aus natürlichen Bestandteilen der Lebensmittel während des Herstellungsprozesses bzw. der häuslichen Zubereitung. Die Bildung von Acrylamid wird insbesondere dann gefördert, wenn Lebensmittel hohen Temperaturen ausgesetzt werden. Es ist davon auszugehen, dass Acrylamid schon immer in gewissem Umfang bei der Lebensmittelverarbeitung entstanden ist, aber durch erweiterte analytische Möglichkeiten erst Anfang der 2000er Jahre in den Fokus der Aufmerksamkeit gekommen ist. Nach dem Bekanntwerden der ersten Acrylamidfunde in Lebensmitteln im Jahr 2002 entwickelten Bund und Länder gemeinsam ein dynamisches Konzept, um die Acrylamidbelastung in Lebensmitteln zu minimieren. Dieses Konzept basiert auf sogenannten Signalwerten, die wiederholt aus einer jeweils aktuellen Belastungssituation abgeleitet werden. Wird bei einem Lebensmittel eine Überschreitung des Signalwertes festgestellt, so werden die betroffenen Lebensmittelherstellerinnen oder -hersteller von den Lebensmittelüberwachungsbehörden informiert und zu geeigneten Minimierungsmaßnahmen, beispielsweise Änderung der Prozessführung, Änderung von Rezepturen oder Prüfung der Ausgangsmaterialien, angehalten. Diese Maßnahmen sind im Idealfall mit einer Reduktion der Acrylamidgehalte und somit der Belastungssituation verbunden. Eine Reduktion der Belastungssituation führt dann bei der nächsten Berechnung der Signalwerte zu deren Herabsetzung und der Minimierungsprozess beginnt erneut. Unabhängig von dem Minimierungskonzept der Signalwerte wurde im Jahr 2002 vom damaligen Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) als eine erste Risikomanagementmaßnahme ein Acrylamid-Aktionswert in Höhe von 1.000 µg/kg empfohlen, um kurzfristig eine Möglichkeit zu schaffen, die Industrie zum Handeln aufzufordern . Auf europäischer Ebene hat die Kommission mit ihrer Empfehlung aus dem Jahr 2011 Richtwerte für die meisten vom nationalen Minimierungskonzept bereits erfassten Lebensmittelwarengruppen eingeführt. Bei einer Überschreitung der Richtwerte sollen auch hier Überwachungsbehörden und Lebensmittelunternehmer technologische Verbesserungsmaßnahmen gemeinsam erörtern. Die Vorgehensweise auf europäischer Ebene entspricht somit weitestgehend dem Ansatz des nationalen Minimierungskonzepts. Eingegangen am 30. April 2015 · Ausgegeben am 4. Mai 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/1742 30. 04. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1742 Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wie bewertet die Landesregierung das aktuelle gesundheitliche Gefahrenpotenzial von Acrylamid in Lebensmitteln für den Menschen? Die Landesregierung teilt sowohl die aktualisierte Bewertung des Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) aus dem Jahr 2013 als auch die im Entwurf vorliegenden Bewertung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) aus dem Jahr 2014. Das BfR kommt in seiner Stellungnahme zu dem Ergebnis, dass ein Zusammenhang zwischen der Acrylamid-Aufnahme und einer Krebserkrankung beim Menschen weder angenommen noch ausgeschlossen werden kann. Um das Risiko einer Erkrankung an Krebs zu charakterisieren, hat das BfR Modellrechnungen durchgeführt. Diese Modellrechnungen zeigen, dass für Verbraucherinnen oder Verbraucher und Kinder, die viele Lebensmittel mit hohem AcrylamidGehalt verzehren, aufgrund des geringen Abstandes zwischen der mit der Nahrung aufgenommenen Acrylamid-Menge und einer im Tierversuch als gesundheitsschädlich festgestellten Menge , ein Gesundheitsrisiko bestehen könnte. Aus Sicht des BfR sollten daher die AcrylamidGehalte in industriell hergestellten Lebensmitteln minimiert werden. Die EFSA kommt in ihrem Gutachtenentwurf zu dem vorläufigen Ergebnis, dass Acrylamid in Lebensmitteln, ausgehend von Tierversuchen, das Risiko der Krebsentwicklung bei Verbraucherinnen und Verbrauchern aller Altersgruppen erhöhen könnte. Frage 2. Wann wurde der Stoff Acrylamid überhaupt zum ersten Mal in Hessen in Nahrungsmitteln nach- gewiesen? Das Staatliche Untersuchungsamt Hessen begann im September 2002 mit der Überprüfung von Lebensmitteln auf Acrylamid. Dessen Nachfolger, der Landesbetrieb Hessisches Landeslabor (LHL), hat seit 2005 die Untersuchungen fortgeführt. Die ersten Überschreitungen der im Jahr 2002 vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit empfohlenen Signalwerte wurden am 22. November 2002 dem Sozialministerium, das zum damaligen Zeitpunkt für die Lebensmittelüberwachung zuständig war, gemeldet. Frage 3. Um welche Nahrungsmittel und um welche Mengen handelte es sich dabei? Nach Untersuchungen des Staatlichen Untersuchungsamts Hessen handelte es sich um: Knäckebrot Überschreitung des Signalwertes in Höhe von 610 µg/kg: ....................... 5 Proben Überschreitung des Aktionswertes in Höhe von 1000 µg/kg: .................... 3 Proben Höchste gemessene Konzentration an Acrylamid: .............................. 1672 µg/kg Kartoffelchips Überschreitung des Signalwertes in Höhe von 1000 µg/kg: ...................... 2 Proben Überschreitung des Aktionswertes in Höhe von 1000 µg/kg: .................... 2 Proben Höchste gemessene Konzentration an Acrylamid: .............................. 1287 µg/kg Pommes frites Überschreitung des Signalwertes in Höhe von 770 µg/kg: ..........................1 Probe Überschreitung des Aktionswertes in Höhe von 1000 µg/kg: ......................1 Probe Höchste gemessene Konzentration an Acrylamid: ............................... 1005 µg/kg Frage 4. Wo und in welchen Mengen wurde Acrylamid seit dem erstmaligen Auftreten in Lebensmitteln in Hessen noch nachgewiesen? (Bitte differenzieren nach den einzelnen Mengen und Lebensmitteln) Seit Beginn der Untersuchungen im Jahr 2002 wurden bis Februar 2015 vom Staatlichen Untersuchungsamt Hessen bzw. vom LHL über 3600 Lebensmittelproben analysiert. In der folgenden Auflistung werden die jeweils gefundenen Höchstmengen aufgeschlüsselt nach einzelnen Lebensmitteln bzw. Warengruppen aufgeführt: Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1742 3 Höchste gemessene Konzentration (Jahr) 1. Knäckebrot 1672 µg/kg (2002) 2. Brot 325 µg/kg (2011) 3. Lebkuchen 3192 µg/kg (2002) 4. Spekulatius 991 µg/kg (2003) 5. Kekse etc. 3102 µg/kg (2002) 6. Pommes frites 2443 µg/kg (2011) 7. Kartoffelchips 2285 µg/kg (2006) 8. Kartoffelpuffer 2265 µg/kg (2011) 9. Kaffee geröstet 416 µg/kg (2002) 10. Ersatzkaffee 1880 µg/kg (2008) 11. Instant-Kaffee 1373 µg/kg (2004) 12. Getreidebeikost 387 µg/kg (2004). Frage 5. Welche Gründe sieht die Landesregierung für das verstärkte Auftreten von Acrylamid gerade in stärkehaltigen Lebensmitteln? Acrylamid ist eine chemische Verbindung, die insbesondere bei der Verarbeitung stärkehaltiger Lebensmittel unter hohen Temperaturen entsteht. Hierzu gehören gängige Zubereitungsverfahren , wie das Braten, das Backen oder auch das Rösten von Lebensmitteln. Während der Erhitzung reagieren natürliche Bestandteile der Lebensmittel, insbesondere reduzierende Zucker als Bestandteile der Stärke mit bestimmten Aminosäuren als Bestandteile der Eiweiße, unter anderem in Abhängigkeit von der Temperatur und dem Wassergehalt des Lebensmittels, unter Bildung von Acrylamid. Diese Reaktion ist ein Teil eines als Maillard-Reaktion bezeichneten Prozesses , der auch zur Bildung von Aromastoffen und zur Bräunung von Lebensmitteln führt. Frage 6. Wie viele Fälle der Grenzwertüberschreitung von Acrylamid in Lebensmitteln sind der Landesre- gierung vor 2010 in Hessen bekannt? (Bitte differenzieren nach den einzelnen Mengen und Lebensmitteln ) Im Rahmen des Minimierungskonzeptes wurden für Acrylamid keine Grenzwerte festgesetzt, sondern auf Empfehlung des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit sogenannte Signalwerte eingeführt. Auf Basis der Untersuchungen des Staatlichen Untersuchungsamts Hessen bzw. des LHL wurden für den Zeitraum bis 2010 für die unten aufgeführten Lebensmittel bzw. Lebensmittelwarengruppen folgende Signalwertüberschreitungen berichtet: Überschreitung des Signalwertes 1. Knäckebrot 17 Fälle 2. Brot 2 Fälle 3. Lebkuchen 9 Fälle 4. Spekulatius 1 Fall 5. Kekse und ähnliche Erzeugnisse 5 Fälle 6. Pommes frites 45 Fälle 7. Kartoffelchips 17 Fälle 8. Kartoffelpuffer 7 Fälle 9. Kaffee geröstet 2 Fälle 10. Ersatzkaffee 3 Fälle 11. Instant-Kaffee 4 Fälle 12. Getreidebeikost 2 Fälle Frage 7. Wie viele Fälle der Grenzwertüberschreitung von Acrylamid in Lebensmitteln sind der Landesre- gierung seit 2010 in Hessen bekannt (Bitte differenzieren nach den einzelnen Mengen und Lebensmitteln)? Im Januar 2011 wurden die nationalen Signalwerte für bestimmte Lebensmittel bzw. Lebensmittelwarengruppen auf Empfehlung der Europäischen Kommission durch europäische Richtwerte abgelöst. Nationale Signalwerte blieben nur für die Lebensmittel bestehen, für die keine Empfehlung auf europäischer Ebene erfolgte. Auf Grundlage der Untersuchungen des LHL werden für den Zeitraum seit 2010 folgende Richt- bzw. Signalwertüberschreitungen berichtet: 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1742 Überschreitung des Richt- bzw. Signalwertes 1. Knäckebrot 2 Fälle des Richtwertes 2. Pommes frites 17 Fälle des Richtwertes 3. Kartoffelchips 1 Fall des Richtwertes 4. Kartoffelpuffer 4 Fälle des Signalwertes. Frage 8. Wie viele Kontrollen wurden seit der Änderung des zugelassenen Richtwertes im Jahr 2011 durchgeführt? Unter Zugrundelegung der Annahme, dass jede Probenahme, die mit der Zielsetzung erfolgte zu überprüfen, ob die Richt- bzw. Signalwerte für Acrylamid eingehalten oder überschritten werden , eine Kontrolle darstellt, wurden in dem oben genannten Zeitraum 900 Kontrollen durchgeführt . Frage 9. Wird sich die Landesregierung auf Bundesebene für eine Verringerung des derzeit zugelassenen Richtwertes von Acrylamid einsetzen, falls nein, weshalb nicht? Derzeit existieren auf europäischer Ebene für die verschiedenen Lebensmittel bzw. Lebensmittelwarengruppen , beispielsweise Kekse oder Kaffee-Erzeugnisse, in Analogie zu dem nationalen Minimierungskonzept unterschiedliche Richtwerte. Nach Aussage der Kommission erwägt sie nach Vorlage des endgültigen EFSA-Gutachtens im Jahr 2015 zunächst die Einführung freiwilliger Maßnahmen durch die Lebensmittelunternehmerinnen und -unternehmer zur Reduzierung unbefriedigender Acrylamid-Gehalte. Zusammen mit Risikomanagern in den Mitgliedstaaten beabsichtigt sie zudem, weitere Maßnahmen auf Ebene der Europäischen Union zu diskutieren, um Acrylamid-Gehalte in Lebensmitteln auf ein so niedrig wie vernünftigerweise erreichbares Maß zu reduzieren. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des weiterhin anzuwendenden Minimierungsgebots wird eine Initiative auf Bundesebene derzeit als nicht zielführend angesehen. Wiesbaden, 22. April 2015 Priska Hinz