Kleine Anfrage der Abg. Dr. Sommer und Gnadl (SPD) vom 21.04.2015 betreffend Situation von Auszubildenden in Betrieben und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Vorbemerkung der Fragestellerinnen: Die Regierungspräsidien überprüfen als Aufsichtsbehörde hinsichtlich der jugendlichen Auszubildenden die Einhaltung der Vorschriften des Jugendarbeitsschutzgesetzes (JArbSchG) und hinsichtlich der volljährigen Auszubildenden die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) in den Betrieben. Diese Vorbemerkung der Fragestellerinnen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit Hessischen Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung wie folgt: Frage 1. In welchem Umfang und in welchen Branchen werden nach Kenntnis der Landesregierung, a) Auszubildende als volle Kraft im Betrieb eingesetzt, ohne dass dabei die betrieblichen Ausbil- dungsziele verfolgen werden? b) Einige Azubis angehalten, ihre Pause nicht zu nehmen bzw. weiterzuarbeiten? c) Auszubildende mehr als acht Stunden (über die eigentlich zu absolvierende Arbeitszeit) am Tag im Betrieb beschäftigt? d) Azubis zum Teil auch nach der Absolvierung der Unterrichtseinheiten in der Berufsschule im Betrieb weiterbeschäftigt? e) Azubis Aufgaben auferlegt, die sie zu Hause - neben ihrer Tätigkeit im Betrieb - für den Be- trieb erledigen müssen? Zu Frage 1 a: Der Einsatz von Auszubildenden im Betrieb ohne Verfolgung der Ausbildungsziele wird durch die o.g. Gesetze nicht reglementiert und ist daher von den Arbeitsschutzdezernaten der Regierungspräsidien nicht zu prüfen. Aus dem gleichen Grund können zum Umfang betrieblicher Aufgaben, die von Auszubildenden in ihrer privaten Zeit erledigt werden sollen, keine Angaben gemacht werden. Zu Frage 1 b: Die Überprüfung der Einhaltung des Jugendarbeitsschutzgesetzes (JArbSchG) und des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) gehört zu den Aufgaben der Dezernate für Arbeitsschutz und erfolgt in der Regel im Rahmen einer Revision, als Reaktion auf Beschwerden oder durch besondere Projekte. Im Rahmen der Überprüfung der Arbeitszeiten von jugendlichen Arbeitnehmer/innen im Hotelund Gaststättengewerbe in 2014 wurde in Einzelfällen festgestellt, dass Pausen nicht oder nicht rechtzeitig genommen werden konnten. Zu Frage 1 c: Bei dieser Frage ist zu unterscheiden, ob der Auszubildende noch Jugendlicher ist oder ob er bereits das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat. Jugendliche Auszubildende: In vielen Branchen wird von der 8 Stundenregelung abgewichen. Die Auszubildenden arbeiten 8,5 Stunden pro Tag und haben dann an einem Tag (im Regelfall der Freitag) nach 6 Stunden Arbeitsende. Diese Regelung ist nach § 8 Abs. 2a JArbSchG zulässig. Auszubildende über achtzehn Jahre: Hier gilt das Arbeitszeitgesetz mit zulässigen Höchstarbeitszeiten von 10 Stunden. Auch Nachtarbeit ist in manchen Branchen üblich (z.B. im Sicherheits- und Wachgewerbe). Eingegangen am 12. Juni 2015 · Ausgegeben am 19. Juni 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/1881 15. 06. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1881 Es erfolgt seitens der Aufsichtsbehörden keine flächendeckende Erhebung. Die Aufsichtsbehörden erfahren von Verstößen gegen das JArbSchG oder das ArbZG im Rahmen von Schwerpunktaktionen in einzelnen Branchen oder durch Beschwerden Auszubildender oder dritter Personen . Im Rahmen der Überprüfung der Arbeitszeiten von jugendlichen Arbeitnehmer/innen im Hotelund Gaststättengewerbe in 2014 wurden Verstöße gegen die höchstzulässige Arbeitszeit von täglich 8,5 Stunden festgestellt. Die Evaluierung des Schwerpunktprojektes dauert noch an. Zu Frage 1 d: Auch hier muss unterschieden werden, welches Alter die Auszubildenden haben. Jugendliche Auszubildende: Bei jugendlichen Auszubildenden ist es in der Vergangenheit zu folgenden Verstößen gekommen: a) Jugendliche mussten nach der Berufsschule noch einmal in den Betrieb (Einzelfälle - nicht branchenspezifisch), b) Jugendliche mussten vor Beginn der Berufsschule in den Betrieb (Einzelfälle - nicht branchenspezifisch). Auszubildende über achtzehn Jahren: Auszubildende, die noch berufsschulpflichtig sind, mussten vor Arbeitsbeginn in den Betrieb (Einzelfälle - nicht branchenspezifisch). Eine Beschäftigung nach dem Berufsschulunterricht ist für Auszubildende, die das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben, möglich. Zu Frage 1 e: Die einzige Aufgabe, die den Aufsichtsbehörden bekannt ist, ist das Führen des Berichtsheftes. Dies gilt im Besonderen für Handwerksbetriebe. Frage 2. Mit welchen Maßnahmen wird die Landesregierung im Dialog mit den Ausbildungsbetrieben Sorge tragen, dass a) die Pausenzeiten eingehalten werden, b) die Arbeitszeiten eingehalten werden, c) Azubis an Unterrichtstagen keine weitere Arbeitszeit im Betriebsabsolvieren müssen und dass d) die Azubis in ihrer Freizeit keine Aufgaben für den Betrieb erledigen müssen? Die Einhaltung des Jugendarbeitsschutzgesetzes (JArbSchG) und des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) wird durch die Dezernate für Arbeitsschutz überwacht (siehe Antwort zu Frage 1). Daneben wird im Fachzentrum beim RP Gießen in Zusammenarbeit mit den anderen Regierungspräsidien Informationsmaterial für Auszubildende und Ausbildungsbetriebe erarbeitet. Die Betriebe werden für den Bereich des Jugendarbeitsschutzes sensibilisiert. Dies wird zusätzlich durch persönliche Gespräche, Vorträge in Schulen, Handwerks- und Handelskammern erreicht. Frage 3. Wie werden die Verstöße gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz überprüft, geahndet und sanktio- niert? Die Überprüfung der Einhaltung des Jugendarbeitsschutzgesetzes gehört zu den Aufgaben der Dezernate für Arbeitsschutz und erfolgt in der Regel im Rahmen einer Revision, als Reaktion auf Beschwerden oder durch besondere Projekte. Überprüfungsschwerpunkte sind die Arbeitszeit , die Einhaltung der Pausen und ob die erforderliche Erstuntersuchung und gegebenenfalls die Erste Nachuntersuchung durchgeführt wurde. Grundsätzlich ist anzumerken, dass bei Jugendlichen eine Verfolgung von Arbeitszeitverstößen nur schwer möglich ist. Das Jugendarbeitsschutzgesetz sieht keine Aufzeichnungspflicht der Arbeitszeit vor. Im Rahmen von Betriebsüberwachungen werden bei Feststellung von Verstößen gegen die Vorschriften des JArbSchG Bußgeldverfahren geführt und im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens ggf. Anordnungen erlassen, z.B. zum Führen von Arbeitszeitaufzeichnungen. In Einzelfällen wurde den Betrieben, gemeinsam mit den zuständigen Kammern, das Recht aberkannt "auszubilden". Frage 4. Wie viele Gesetzesverstöße sind der Landesregierung in den vergangenen fünf Jahren jeweils be- kannt geworden? Den Jahresberichten der hessischen Arbeitsschutzbehörden für die Jahre 2010 bis 2014 sind zum Kinder- und Jugendarbeitsschutz für ganz Hessen die folgenden Zahlen von Beanstandungen in diesem Bereich zu entnehmen: Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1881 3 Jahr 2010 2011 2012 2013 2014 Anzahl Beanstandungen 60 109 183 152 174 Es handelt sich im Wesentlichen um Verstöße gegen die Nichteinhaltung von Pausen, Unterschreitungen der Ruhezeit, Überschreitungen der Schichtzeit, Arbeiten an mehr als 5 Tagen pro Woche, weniger als 2 freie Sonntage pro Monat und Überschreitungen der Arbeitszeit. Frage 5. Wird sich die Landesregierung - wie von dem DGB gefordert - für unangekündigte Qualitäts- überprüfung in den Unternehmen zum Schutz der Auszubildenden einsetzen? Wenn nein, warum nicht und welche Maßnahmen plant die Landesregierung stattdessen? Wie in den Antworten zu Frage 1 bis 4 beschrieben, führen die Aufsichtsbehörden im Rahmen ihres Verwaltungshandelns unangekündigte Überprüfung durch, indem sie insbesondere auf Beschwerden Auszubildender oder dritter Personen oder im Rahmen von Schwerpunktaktionen tätig werden. Die Überprüfungen des Jugendarbeitsschutzes ist u.a. ein fachpolitischer Schwerpunkt der Hessischen Landesregierung. Auch in diesem Jahr werden hessenweit Kontrollen bezüglich der Einhaltung des Jugendarbeitsschutzgesetzes durchgeführt werden. Frage 6. Wie viele Jugendliche brechen aus welchen Gründen ihre Ausbildung in Betrieben ab? (Bitte nach Gewerbe/Branchen aufschlüsseln) Nicht jede vorzeitige Vertragslösung stellt einen Abbruch der Ausbildung dar, und nicht jeder Abbruch geht mit einer Vertragslösung einher. Beide Begriffe haben eine gemeinsame Schnittmenge , sind jedoch nicht deckungsgleich. Die Berufsbildungsstatistik erhebt keine Gründe für die vorzeitigen Vertragslösungen oder weitere Kriterien, die eine Differenzierung von Vertragslösungsarten erlauben würden. Vertragslösungen Nach Angaben des Berufsinstituts für Berufsbildungen (BIBB) wurden 2013 in Deutschland 148.914 und in Hessen 9.813 Ausbildungsverträge vorzeitig gelöst. Vertragslösungsquote in Prozent der begonnenen Ausbildungsverträge nach Zuständigkeitsbereichen 2013 Insgesamt Industrie und Handel Handwerk Öffentlicher Dienst Landwirtschaft Freie Berufe Hauswirtschaft Hessen 23,1 20,5 30,9 8,6 26,9 22,0 - Bundesgebiet 25,0 21,6 33,6 6,4 23,9 25,5 27,7 Quelle: "Datenbank Auszubildende" des Bundesinstituts für Berufsbildung auf Basis der Daten der Berufsbildungsstatistik der statistischen Ämter des Bundes und der Länder (Erhebung zum 31. Dezember), Berichtsjahre 2010 bis 2013; Berechnungen des Bundesinstituts für Berufsbildung Gründe für Ausbildungsabbrüche Seit 2009 fördert das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung das Programm "Qualifizierte berufspädagogische Ausbildungsbegleitung in Berufsschule und Betrieb (QuABB)". Hessenweit 25 Beratungsfachkräfte beraten, coachen und begleiten potentielle Ausbildungsabbrecher so erfolgreich, dass über 75 % der jungen Menschen ihre Ausbildung fortsetzen und abschließen. Die Wissenschaftliche Begleitung der Hessen Agentur konnte für einen Teil der Auszubildenden (659 Teilnehmende) die Gründe für den Abbruch bzw. dazu, wer die Kündigung ausgesprochen hat, erheben. Danach wurden rund 33 % der Auszubildenden vom Betrieb gekündigt und etwa 20 % kündigten die Ausbildung selbst auf. Zu den wesentlichen Ursachen für den Abbruch der Ausbildung zählte die Hessen Agentur unüberbrückbare Differenzen zwischen Ausbildungsbetrieb und Auszubildendem sowie eine falsche Berufswahl. Ein weiterer entscheidender Faktor für das Scheitern der Ausbildung war die mangelnde Motivation der Auszubildenden. 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1881 Quelle: Hessen Agentur (HG) Dr. Bernd Werner, Stefan Kuse, Kathrin Ramsauer: Abschlussbericht Wissenschaftliche Begleitung des Modellprojekts Qualifizierte berufspädagogische Ausbildungsbegleitung in Berufsschule und Betrieb (QuABB), Wiesbaden 2013, S. 59-60 Ursachen und Motive von Ausbildungsabbrüchen Wird der Frage nach den Gründen eines Ausbildungsabbruchs nachgegangen, dann ist es notwendig , die Vielzahl von potenziellen Gründen für einen Abbruch zu systematisieren. Die gebräuchlichste Differenzierung, was die Gründe für einen Abbruch anbelangt, ist eine Unterscheidung nach betrieblichen, persönlichen und schulischen Gründen. In einer Untersuchung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BiBB) wurde die Frage nach den Gründen für eine Vertragslösung näher beleuchtet. Die Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass sich die vielfältigen Ursachen für Vertragslösungen in vier Gruppen systematisieren lassen (Mehrfachnennungen waren möglich). Rund 70 % der Befragten gaben an, dass betriebliche Gründe kausal für die Vertragslösung waren. Werden die Hauptgründe für eine Vertragslösung weiter untergliedert, dann lassen sich weitere Erkenntnisse gewinnen. So verbergen sich hinter den betrieblichen Gründen viele Faktoren. Hier sind besonders zu nennen:  Konflikte mit dem Ausbilder, Meister, Chef,  Ungenügende Vermittlung von Ausbildungsinhalten,  Ausübung von ausbildungsfremden Tätigkeiten,  Ungünstige Arbeitszeiten und Überstundenregelungen. An zweiter Stelle rangieren persönliche Probleme (46 %), hierunter sind vor allem gesundheitliche Probleme und familiäre Gründe zu zählen. Berufs(wahl)bezogene Gründe spielten bei rund einem Drittel der Auszubildenden eine dominante Rolle für die Vertragslösung. Hinter diesen Gründen verbergen sich:  Beruf war nicht der Wunschberuf,  Falsche Vorstellungen über die berufsbezogenen Tätigkeiten,  Ungünstige Einkommenserwartungen. Darüber hinaus waren bei 19 % der Auszubildenden schulische Gründe Ursache für die Vertragslösung . Hierzu zählen insbesondere:  Konflikte mit Lehrern,  Überforderung, Prüfungsangst,  Schlechte schulische Leistungen. Wiesbaden, 8. Juni 2015 Stefan Grüttner