Kleine Anfrage des Abg. Rock (FDP) vom 29.04.2015 betreffend Windkraftausbau und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten und Antwort der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Vorbemerkung des Fragestellers: Die vorliegende Kleine Anfrage bezieht sich auf die Beantwortung der Kleinen Anfrage betreffend Windkraftausbau im Wald (Drs. 19/1153) und die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit dem Ausbau der Windkraft. In der genannten Drucksache wurde seitens der Landesregierung dargestellt, dass das Vorliegen und die Ahndungsnotwendigkeit einer Ordnungswidrigkeit nach § 69 BNatSchG bzw. § 28 HAGBNatSchG von der Wiederherstellung eines materiell und formal rechtmäßigen Zustandes - z.B. durch Nachbesserungen, nachträgliche Umgestaltung des Geländes in einen plankonformen Zustand, naturschutzrechtliche Nachbilanzierungen und ggf. Nachweis zusätzlicher Kompensationsmaßnahmen oder beispielsweise Wiederaufforstungen - abhängig sei. Dazu ist grundsätzlich festzustellen, dass die Wiederherstellung vielmehr ein unabhängig vom Ordnungsrecht bestehender fachgesetzlich begründeter behördlicher Anspruch an den Verursacher ist. Schließlich bleibt anzumerken, dass auch fahrlässig begangene Ordnungswidrigkeiten nach Maßgabe des BNatSchG, des HAGBNatSchG und BImSchG zu ahnden sind, was zwar im Fall der Fahrlässigkeit zu einer Reduktion des maximal festsetzbaren Bußgeldes, nicht aber deswegen schon zur Beendigung des Verfahrens wegen Ordnungswidrigkeit führen kann. Vorbemerkung der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz : Die vorliegende Kleine Anfrage bezieht sich zum einen auf die Beantwortung der Kleinen Anfrage vom 24. November 2014 betreffend Windkraftausbau im Wald (Drs. 19/1153) und zum anderen auf die Frage der Ahndung von Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit dem Ausbau der Windkraft in Hessen. Gemäß § 69 BNatSchG und § 28 HAGBNatSchG jeweils i.V.m. § 47 Abs. 1 OWiG kann die für die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit zuständige Verwaltungsbehörde ein Bußgeld verhängen , muss es aber nicht. Das darin zum Ausdruck kommende sog. "Opportunitätsprinzip" gibt der zuständigen Verwaltungsbehörde die juristische Freiheit, innerhalb des von den Vorschriften gesteckten naturschutzrechtlichen Rahmens zu handeln. Sie kann insoweit nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden (§ 47 Abs. 1 OWiG), d.h. die Behörde kann, muss aber nicht eingreifen. Die Grenze pflichtgemäßen Ermessens wäre nur dann überschritten, wenn willkürlich entschieden würde oder sachwidrige Erwägungen herangezogen würden, um von der möglichen Ahndung der Ordnungswidrigkeit abzusehen (Seitz in Göhler, OWiG, § 47 Rdnr. 6 ff., 10; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, Band 1, § 47 Rdnr. 11 ff.). Im Rahmen der Ermessensausübung hat die Behörde stets sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, namentlich die Bedeutung und die Auswirkungen der Tat, den Grad der Vorwerfbarkeit, die Wiederholungsgefahr (auch durch andere), die Häufigkeit gleichartiger Verstöße, die Tätereinstellung zur Rechtsordnung, die Folgen der Tat für die Betroffenen sowie das Nachtatverhalten (Bücherl in BeckOK OWiG Rdnr. 8 zu § 47; Göhler/Seitz OWiG § 47 Rdnr. 10; KK OWiG/Mitsch OWiG § 47 Rd. 106 ff. m.w.Nachw.). Ist die Bedeutung einer Tat eher gering oder der Täter einsichtig und bereit, den rechtmäßigen Zustand (wieder- )herzustellen, kann die Verwaltungsbehörde daher durchaus auch von der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit absehen. Neben dem Naturschutzrecht kommt als Rechtsgrundlage für die Durchführung eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens insbesondere auch das Immissionsschutzrecht sowie ggf. weiteres, im Einzelfall betroffenes Fachrecht in Betracht. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen Eingegangen am 14. Juli 2015 · Ausgegeben am 17. Juli 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/1917 14. 07. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1917 der §§ 71 oder 71a BNatSchG vor, hat die Naturschutzbehörde den Fall wegen des Verdachts des Vorliegens einer Straftat zur weiteren Bearbeitung an die Staatsanwaltschaft abzugeben (§ 41 OWiG). Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Warum werden Überziehungen der materiellen bzw. ökologisch funktionalen Genehmigungsumfänge nicht regelmäßig mit einem Bußgeld belegt? Soweit der Fragesteller von einer "Überziehung der Genehmigungsumfänge" spricht, wird davon ausgegangen, dass damit eine Überziehung des materiellen Genehmigungsumfangs gemeint ist, d.h. die Inanspruchnahme von Flächen, deren Nutzung von der Genehmigung nicht mitumfasst ist. Die "Überziehungen der Genehmigungsumfänge" können auch mit den Möglichkeiten des allgemeinen Verwaltungsrechts korrigiert werden; d.h. die in den Genehmigungsbescheiden getroffenen Nebenbestimmungen können mit den Mitteln des Verwaltungszwangs durchgesetzt werden. Aus den in der Vorbemerkung genannten Gründen kann dann im Einzelfall von der Einleitung eines Bußgeldverfahrens abgesehen werden. Grundsätzlich werden im Bereich des Immissionsschutzrechts, sobald dort Kenntnisse von entsprechenden Verstößen gegen bestandskräftige Genehmigungen für Windkraftanlagen erlangt werden (in der Regel erfolgt dies auf Grund von Mitteilungen durch die Obere Naturschutzbehörde ), regelmäßig Ordnungswidrigkeitsverfahren nach dem BImSchG eingeleitet. Soweit Anhaltspunkte für unabhängig davon zu ahndende Verstöße gegen das BNatSchG oder das HAGBNatSchG vorliegen, werden diese Informationen an die für die Durchführung der naturschutzrechtlichen Bußgeldverfahren zuständigen unteren Naturschutzbehörden weitergeleitet, bei Verstößen gegen das Hessische Waldgesetz an das nach § 29 Abs. 5 HWaldG zuständige Regierungspräsidium Darmstadt Frage 2. In wie viel Fällen wurde eine formale Anhörung nach § 55 OWiG durchgeführt? Grundsätzlich erfolgt die Anhörung der Betroffenen in allen Fällen gemäß § 55 OWiG. Im Bereich des Regierungspräsidiums Darmstadt gab es bisher in drei Fällen Anhörungen nach § 55 OWIG. In einem Fall war eine Anhörung nicht erforderlich, da die Betreiberin die notwendigen Maßnahmen freiwillig ergriffen hat (vgl. Frage 1). Im Regierungspräsidium Kassel gab es im Jahr 2014 ein Bußgeldverfahren (mit Anhörung) wegen Verstoßes gegen die im Genehmigungsbescheid festgesetzte Rodungsfrist. Außerdem wird dort aktuell ein weiteres Bußgeldverfahren (mit Anhörung) wegen des Befahrens gerodeter Flächen in einem nicht zulässigen Zeitraum durchgeführt. Im Regierungsbezirk Gießen ist es in der Vergangenheit im Rahmen der Bauausführung im Gelände hin und wieder zu notwendigen, geringfügigen Abweichungen der Bauausführung im Verhältnis zu den genehmigten Plänen gekommen. Da diese Baumaßnahmen aber regelmäßig von einer ökologischen Bauüberwachung begleitet werden, werden diese Abweichungen gemeldet und den einschlägigen rechtlichen Vorschriften entsprechend bearbeitet. Die festgestellten Abweichungen von den Vorgaben der rechtskräftigen Bescheide waren allerdings bisher nur gering . Die Einleitung eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens war in allen Fällen nicht angebracht. Frage 3. Wenn keine formale Anhörung nach § 55 OWiG erfolgte, warum nicht? Auf die Vorbemerkung und die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. Frage 4. Wurden regelmäßig Anhörungen nach § 28 VwVfG durchgeführt, um den Verursacher formal verbindlich frühzeitig über mögliche ihn belastende behördliche Schritte (wie eine Wiederherstellungsverfügung inkl. Androhung der Ersatzvornahme bzw. Zwangsgeldfestsetzung) in Kenntnis zu setzen? Im Rahmen von immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren werden die Bescheidempfänger vor Erlass des Genehmigungsbescheides unter den Voraussetzungen des § 28 HVwVfG regelmäßig angehört. Zwar handelt es sich bei einem Genehmigungsbescheid grundsätzlich um einen begünstigenden Verwaltungsakt i.S.d. § 48 Abs. 1 Satz 2 HVwVfG, auf den der Antragsteller unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 BImSchG einen Anspruch hat (gebundene Entscheidung), jedoch können entsprechende, im Bescheid enthaltene Nebenbestimmungen Pflichten für den Bescheidempfänger begründen und Gebote oder Verbote aussprechen. Insofern Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1917 3 kann auch ein grundsätzlich begünstigender Verwaltungsakt - wie der immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbescheid - "in die Rechte eines Beteiligten" i.S.d. § 28 Abs. 1 HVwVfG eingreifen . Vor dessen Erlass ist die Verwaltung verpflichtet, dem Bescheidempfänger rechtliches Gehör zu gewähren. Bereits im Vorfeld des Erlasses eines Genehmigungsbescheides wird im Rahmen von Beratungen und Gesprächen (Unterrichtungen) auf die vom Betreiber durchzuführenden und von der Behörde im Bescheid festzusetzenden Vermeidungs-, Verminderungs-, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen hingewiesen. Ergänzend wird hierzu auf die Antworten zu den Fragen 1 und 2 verwiesen. Frage 5. In welcher Verfahrensphase befindet sich dahingehend die Verfolgung der Fälle "Riedelbach" (Erdablagerung), "Freiensteinau" (Gehölzfällung), "Hainhaus" (ein Jahr lang unterlassenes Fledermaus -Monitoring und damit über statistisch normale Aussageunschärfen hinausgehend herbeigeführte zusätzliche Datenunschärfen zu Lasten des Artenschutzes), "Wächtersbach-Vier-Fichten" (nicht programmierte Fledermausabschaltung) und "Wächtersbach-Neudorf" (nicht funktionierendes Gondelmonitoring im ersten Betriebsjahr)? Zu den konkret genannten Fällen im Einzelnen:  Riedelbach: Im Fall (Riedelbach) wurden entgegen der Genehmigung kurzzeitig Waldrandflächen zur Zwischenlagerung von Erdaushub genutzt. Von einer Verfolgung als Ordnungswidrigkeit wurde hier wegen der geringen Bedeutung der Tat (nur sehr kurzzeitige Lagerung ) und des einsichtigen Verhaltens der Betreiberin (die u. a. den von Subunternehmern verantworteten Verstoß selbst angezeigt hatte) abgesehen.  Freiensteinau: Hierbei handelt es sich um eine ungenehmigte Rodung; d.h. es liegt neben dem Verstoß gegen das Naturschutzrecht ein Verstoß gegen das Hessische Waldgesetz (HWaldG) vor. Die Geschäftsführer der Windwald Blaues Eck GmbH & Co. KG wurden gem. § 55 OWiG angehört. Zwischenzeitlich wurde Akteneinsicht durch die Anwälte der Betreiberfirma beantragt und Fristverlängerung zur Stellungnahme erbeten. Die Stellungnahme selbst steht noch aus.  Hainhaus: Der Beginn des Höhenmonitorings bei WEA 3 wurde von 2013 auf 2014 verschoben , da das hierauf besonders spezialisierte Gutachterbüro wegen Arbeitsüberlastung dieses nicht fristgerecht zum entscheidenden Stichtag installieren konnte. Durch die gemäß dem Genehmigungsbescheid vorgenommene Abschaltung war auch im Jahr 2013 der Schutz der Fledermäuse während der kollisionsgefährdeten Zeiten und Wetterlagen gewährleistet. Es liegt keine Verletzung der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände nach § 44 BNatSchG vor. Dementsprechend bedarf es in diesem Fall keiner weiteren Verfolgung.  Wächtersbach-Neudorf und Wächtersbach "Vier Fichten": Hier laufen zurzeit die Anhörungen nach § 55 OWIG. Weitere Angaben können daher hierzu noch nicht gemacht werden. Frage 6. In wie vielen Fällen wurden, unbeschadet der Ahndungsfähigkeit von Fahrlässigkeiten, vorgebrachte Gründe als triftig akzeptiert? Gemäß § 10 OWiG i.V.m. den maßgeblichen Bußgeldtatbeständen wurde in allen genannten Fällen die fahrlässige Handlungsform mit geprüft. Ergänzend wird auf die Antwort zur Frage 5 verwiesen. Frage 7. Welche konkreten Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um die Anforderungen an die ökologische Begleitung von WKA-Baumaßnahmen zu verbessern? Das Hessische Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (HMUKLV) hat in verschiedenen, über die Web-Seite des HMUKLV abrufbaren Handbüchern Hilfestellungen für Antragsteller von Windkraftanlagen erarbeitet, wie z.B. das Handbuch "Genehmigungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz: Anleitung zur Erstellung der Antragsunterlagen für Windenergieanlagen (Stand: 5/2015)" oder das "Verfahrenshandbuch zum Vollzug des BImSchG: Durchführung von Genehmigungsverfahren bei Windenergieanlagen (Stand: 5/2014)". Darin sind u.a. auch die naturschutzrechtlich zu beachtenden Anforderungen dargestellt und es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Funktionskontrolle notwendiger Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege als Nebenbestimmung im Zulassungsbescheid festzusetzen ist. 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1917 Frage 8. In wie vielen Fällen ist den Verursachern der Überziehungen von Auflagen ein wirtschaftlicher Vorteil entstanden, der nach dem Ordnungswidrigkeitsrecht im Falle einer Bußgeldfestsetzung abzuschöpfen wäre? Nach § 17 Abs. 4 Satz 1 OWiG soll die Geldbuße den wirtschaftlichen Vorteil, den der Täter aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat, übersteigen. Reicht das gesetzliche Höchstmaß hierzu nicht aus, so kann es überschritten werden (§ 17 Abs. 4 Satz 2 OWiG). Diese Regelung soll ermöglichen, dass dem Betroffenen nicht nur aus der Zuwiderhandlung selbst keine wirtschaftlichen Vorteile verbleiben, sondern dass er darüber hinaus noch eine Einbuße erleidet (Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils). In der naturschutzrechtlichen Vollzugspraxis ist diese Frage bisher noch nicht relevant geworden , da entweder noch kein entsprechendes Bußgeldverfahren eingeleitet wurde oder - im vom Regierungspräsidium Kassel geschilderten Fall - das Thema "Abschöpfung" deshalb nicht zum Tragen kam, da ein wirtschaftlicher Vorteil nicht ersichtlich war. Auf die Antwort zu Frage 5 wird ergänzend verwiesen. Frage 9: Wie oft ist eine solche Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils durch Überziehung von Auflagen tatsächlich erfolgt und in welcher Größenordnung? Hierzu wird auf die Antwort zu Frage 8 verwiesen. Wiesbaden, 13. Juli 2015 Priska Hinz