Kleine Anfrage der Abg. Dr. Sommer (SPD) vom 30.04.2015 betreffend Stress und Burnout in der Pflege und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Vorbemerkung der Fragestellerin: Knapp ein Drittel der in der Pflege Tätigen fühlen sich (emotional) erschöpft und befinden sich an der Schwelle zum Burnout (vgl. RN4Cas7, Zander et al.). Auch der Stressreport 2012 zeigt, dass gerade das Berufsfeld der Pflege hohe psychosoziale Arbeitsbelastungen sowie erhebliche körperliche Anforderungen aufweist . Vorbemerkung des Ministers für Soziales und Integration: Aus der Perspektive des staatlichen Arbeitsschutzes sind im Bereich der Pflege unterschiedliche Belastungskonstellationen von Bedeutung, die von den Beschäftigten als beeinträchtigend erlebt werden. Dies sind sowohl psychische Belastungsfaktoren wie Arbeitsunterbrechungen, emotionale Belastungen und hohe Arbeitsdichte als auch körperliche Belastungsmomente. Hier spielt beispielsweise schweres Heben und Tragen eine Rolle, was zu einem erhöhten Anteil von Muskel - und Skeletterkrankungen beim Pflegepersonal führen kann. Zusätzliche Belastungen entstehen auch durch Arbeitszeitorganisation wie Nacht- und Schichtarbeit sowie Wochenendarbeit. Allerdings bestehen Unterschiede zwischen der ambulanten und der stationären Pflege. Im Hinblick auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen sind diese Spezifika zu berücksichtigen. Um hier vorzubeugen, sind arbeitsschutzrechtliche Vorgaben einzuhalten, ein mitarbeiterorientiertes , gesundheitsförderndes Führungsklima zu gestalten und ein betriebliches Gesundheitsmanagement zu installieren. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Welche Maßnahmen hält die Landesregierung für erforderlich, um Überlastungen in der Pflege zu vermeiden? Frage 2. Wie können die nach Ansicht der Landesregierung erforderlichen Maßnahmen gemeinsam im Dialog mit Arbeitgeberinnen und Arbeitsgebern sowie Beschäftigten umgesetzt werden? Die Fragen 1 und 2 werden wie folgt gemeinsam beantwortet: Um Überlastungen der Pflegefachkräfte vorzubeugen, ist es aus Sicht der Landesregierung von zentraler Bedeutung, dem bestehenden Fachkraftmangel in der Altenpflege insbesondere durch einen Aufwuchs an Absolventen in den Altenpflegeberufen zu begegnen. Die Anwerbung von ausländischen Fachkräften ergänzt diese Strategie. Durch erhebliche finanzielle Anstrengungen der Landesregierung und durch das Engagement der Arbeitgeber in der Pflege ist es in den letzten Jahren gelungen, sowohl die Zahl der Anfänger als auch die Zahl der Absolventen in den Altenpflegeberufen kontinuierlich zu erhöhen. So leistet die Landesregierung über die Sicherstellung der Schulgeldfreiheit für die Altenpflegeausbildung einen erheblichen Beitrag, um der steigenden Nachfrage nach Pflegefachkräften zu begegnen. Zusätzlich wurden in den letzten Jahren Projekte der Nachqualifizierung von an- und ungelernten Pflegehelfern umgesetzt, die zum Ziel haben, dieser Personengruppe einen Berufsabschluss zu ermöglichen und somit langjährig in der Pflege erfahrene Personen auch im Berufsfeld zu halten. Um die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte zu erleichtern und ihnen mehr Zeit für die Betreuung und Pflege älterer Menschen zu ermöglichen, beteiligt sich die Landesregierung am Modellprojekt des Bundes zur Entbürokratisierung der Pflegedokumentation. Eingegangen am 12. Juni 2015 · Ausgegeben am 19. Juni 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/1928 12. 06. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1928 Die Landesregierung begrüßt, dass der Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit und Bevollmächtigte der Bundesregierung für Patienten und Pflege, Karl-Josef Laumann, am 18. Dezember 2014 das IGES Institut GmbH Berlin gemeinsam mit der Expertin, Frau Elisabeth B. (Projektbüro Ein - STEP), mit der Einrichtung eines Projektbüros zur flächendeckenden Umsetzung des Projekts "Effizienzsteigerung der Pflegedokumentation" beauftragt hat. Es hat die Aufgabe, die ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen bundesweit bei der Umsetzung der neuen Pflegedokumentation (das sogenannte "Strukturmodell") zu unterstützen. Ziel ist es, 25 % der stationären Pflegeeinrichtungen und der ambulanten Pflegedienste in den Länder in einen Praxistest einzubeziehen. Das Land Hessen hat bereits 2012 in § 24 des Hessischen Betreuungs- und Pflegegesetzes den Bürokratieabbau in der Pflege als Schwerpunktthema festgelegt. Es wurde in Hessen eine Unterarbeitsgruppe "Entbürokratisierung in der Pflege - Effizienzsteigerung der Betreuungsund Pflegedokumentation" gebildet, in der die Verbände der Pflegekassen, die Verbände der Leistungserbringer, der MDK, der PKV-Prüfdienst, die Betreuungs- und Pflegeaufsicht und das Hessische Ministerium für Soziales und Integration vertreten sind. Diese Unterarbeitsgruppe fungiert als regionales Koordinierungsgremium zur Umsetzung in Hessen und als Ansprechpartner gegenüber dem Bundesprojekt. Frage 3. Welche Maßnahmen werden in der Gesundheitsförderung/im Gesundheitsmanagement für Be- schäftigte in der Pflege bereits angeboten? Frage 4. Wer bietet diese an (innerbetrieblich oder externe Angebote) und wie werden diese angeboten (auf freiwilliger Basis oder verpflichtend)? Die Fragen 3 und 4 werden wie folgt gemeinsam beantwortet: Um den potentiell gesundheitsgefährdenden Belastungen entgegenzutreten, sind alle Arbeitgeber nach den §§ 5 und 6 Arbeitsschutzgesetz verpflichtet, Gefährdungsbeurteilungen für die Arbeitsplätze in ihren Unternehmen zu erstellen und - falls erforderlich - die notwendigen Maßnahmen zur Belastungsminderung umzusetzen. Ende 2013 wurde das Gesetz dahingehend konkretisiert , dass auch psychische Belastungen in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen sind. Es wurde darüber hinaus ein bundesweites Programm im Rahmen der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) in den Jahren 2009 bis 2012 von den Arbeitsschutzbehörden der Länder gemeinsam mit den zuständigen Unfallversicherungsträgern durchgeführt, um Pflegebetriebe zu überwachen und hinsichtlich der Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu beraten. Die Landesregierung hat die Bedeutung des Themas frühzeitig erkannt und bereits in den Jahren 2010 und 2011 hessenweite Fachveranstaltungen vom Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur durchführen lassen, die sich den Themen "Ältere Pflegekräfte länger im Beruf halten" und "Gesundheitsförderung bei Pflegekräften" widmeten. Auf diesen Tagungen wurden interessierten Arbeitgebern aus Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern sowie Führungspersonal bestehende Verfahren zur Gesundheitsförderung und Beispiele gelungener Praxis vorgestellt sowie für eine Umsetzung geworben. Besonders hervorzuheben ist die Strategie der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), die kostenfrei Pflegeeinrichtungen dabei unterstützen , ihr Unternehmen einem Demografie-Check zu unterziehen und geeignete Maßnahmen betrieblicher Gesundheitsvorsorge für ältere Belegschaften umzusetzen. Darüber hinaus hat die Landesregierung im Rahmen des Europäischen Sozialfonds ein Fortbildungsprojekt für Führungskräfte kostenfrei durchführen lassen (QualiFühr) mit dem Ziel, mitarbeiterorientiertes Führen zu lernen und umzusetzen, da diese Fähigkeit erhebliche positive Auswirkungen auf die Mitarbeiterbindung - trotz Arbeitsbelastungen - hat. Frage 5. Welche Maßnahmen der Unterstützung (wie Kinderbetreuung etc.) werden Beschäftigten in der Pflege angeboten? Frage 6. Wer bietet diese an (innerbetrieblich oder externe Angebote) und wie werden diese angeboten (auf freiwilliger Basis oder verpflichtend)? Die Fragen 5 und 6 werden wie folgt gemeinsam beantwortet. Es besteht seitens der Hessischen Landesregierung kein flächendeckender Überblick, welche Maßnahmen die Arbeitsgeber in der Pflege ihren Beschäftigten anbieten, um die Vereinbarkeit von (Pflege-)Beruf und Familie zu verbessern. Lösungen reichen erfahrungsgemäß von der Einrichtung von Tagespflegeplätzen für die Kinder von Beschäftigten in der stationären Einrichtung oder beim ambulanten Dienst bis hin zu Teilzeitverträgen. Die Nachfrage nach Pflegefachkräften ist so groß, dass die Arbeitgeber in der Altenpflege in der Regel bereit sind, jegliche Form und jeglichen Umfang von Teilzeitbeschäftigung anzubieten. So werden bisher auf freiwilliger Basis Lösungen im gegenseitigen Einvernehmen gefunden. Nach Elternzeit besteht der gesetzliche Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1928 3 In der Pflege Beschäftigte übernehmen überdurchschnittlich oft auch die Pflege von Angehörigen . Um pflegende Angehörige insgesamt stärker zu unterstützen und sie zugleich als Fachkräfte in den Betrieben zu halten, hat die Landesregierung die Initiative für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Pflege ergriffen. Ziel ist es, für das Thema Pflege zu sensibilisieren und Lösungen zu finden, die den pflegenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und den Arbeitgebern gleichermaßen gerecht werden. Im Rahmen der Initiative, die gemeinsam mit dem Bildungswerk der hessischen Wirtschaft, der AOK - die Gesundheitskasse Hessen und der berufundfamilie gGmbH - eine Initiative der Hertie-Stiftung gegründet wurde, werden Informationsveranstaltungen , Kompetenztrainings für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Qualifizierung von Pflege Guides, die in Betrieben erste Anlaufstelle für pflegende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind, angeboten. Eine Sammlung von Best-Practice Beispielen, d.h. Wege einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Pflege, die pflegenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und Unternehmen gleichermaßen gerecht werden, ergänzt die Angebote. Im Rahmen der Initiative wurde die Charta zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege ins Leben gerufen, der mittlerweile 51 Unternehmen beigetreten sind. Am 16. Juli 2015 wird es eine weitere Beitrittswelle zur Charta geben. Auf der Bundesebene hat sich die Landesregierung außerdem nachdrücklich bei dem Gesetzgebungsverfahren zum Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf eingebracht , um die belastende Situation pflegender berufstätiger Angehöriger zu verbessern. Mit dem zum 1. Januar 2015 in Kraft getretenen Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie , Pflege und Beruf konnten folgende Verbesserungen erreicht werden: Pflegeunterstützungsgeld Bei einem plötzlichen Pflegefall in der Familie können Arbeitnehmer wie schon bisher kurzfristig zehn Tage der Arbeit fernbleiben, um die Pflege zu organisieren und erhalten nun einen Lohnersatz. Pflegezeit Wer einen Angehörigen selbst pflegt, kann sich dafür wie bisher auch bei vollem Kündigungsschutz bis zu sechs Monate ganz oder teilweise von der Arbeit freistellen lassen - und dies nun finanziell mit einem zinslosen Darlehen des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben abfedern. Es besteht hier kein Rechtsanspruch gegenüber Arbeitgebern mit 15 oder weniger Beschäftigten. Familienpflegezeit Will ein Angehöriger nach Ablauf dieser Zeit weiter in der häuslichen Pflege tätig sein, kann er maximal 24 Monate eine teilweise Freistellung bei seinem Arbeitgeber beantragen. Die wöchentliche Arbeitszeit liegt dann bei 15 Stunden. Auch hier hat der Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch auf ein zinsloses Darlehen. Es besteht kein Rechtsanspruch gegenüber Arbeitgebern mit 25 oder weniger Beschäftigten, ausgenommen sind die zur Berufsausbildung Beschäftigten. Frage 7. Welche Verbesserungen der Rahmenbedingungen (z.B. Gestaltung der Arbeitsbedingungen, Min- destpersonalverordnung etc.) hält die Landesregierung für erforderlich, um Stress, Leistungs- /Termindruck, Überforderung und gesundheitlichen Beschwerden entgegenzuwirken? Der Einschätzung der Führungskräfte in den Pflegeeinrichtungen zufolge werden bereits umfangreiche Anstrengungen zur Prävention von Belastungen unternommen. Dennoch besteht weiterer Handlungsbedarf, der auf eine verbesserte Gestaltung der Arbeitsbedingungen abzielen muss. Aus diesem Grund beteiligt sich die Landesregierung am Projekt zur "Effizienzsteigerung der Pflegedokumentation". Ziel ist, mit einer entschlackten Pflegedokumentation zur Entlastung und Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beizutragen und gleichzeitig für mehr Zeit für die direkte Pflege und Betreuung hilfe- und pflegebedürftiger Menschen zu sorgen. Derzeit werden betrieblich in erster Linie Maßnahmen im Rahmen der Gesundheitsförderung angeboten, die den Beschäftigten die Bewältigung der belastenden Situation erleichtern sollen (Entspannungskurse, Stressprävention etc.). Die Erstellung von gesundheitlichen Gefährdungsbeurteilungen durch die Arbeitgeber und die Einleitung von erforderlichen Verbesserungsmaßnahmen tragen ebenfalls zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei. Im Zusammenhang mit einer angemessenen Personalbemessung ist bezüglich der Heimpersonalverordnung darauf hinzuweisen, dass derzeit in Hessen gemäß § 26 Abs. 1 Nr. 2 des Hessischen Gesetzes über Betreuungs- und Pflegeleistungen (HGBP) noch die (Bundes-) Heimpersonalverordnung (HeimPersV) Anwendung findet. Gefordert wird darin unter anderem die sog. 50%ige Fachkraftquote (vgl. § 5 Abs. 1 HeimPersV). 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/1928 Derzeit werden die Bundesverordnungen zum Heimgesetz und damit auch diese Verordnung evaluiert. Die Landesregierung wird sich mit Nachdruck dafür einsetzen, dass eine ausreichende Personalbesetzung in Alten- und Pflegeeinrichtungen von den Einrichtungsbetreibern vorgehalten bzw. gewährleistet wird. Hierzu wird auch auf die Beantwortung der Frage 5 verwiesen. Wiesbaden, 8. Juni 2015 Stefan Grüttner