Kleine Anfrage des Abg. Quanz (SPD) vom 16.06.2015 betreffend Abi-Lotterie und Antwort des Kultusministers Vorbemerkung der Fragesteller: Der "Spiegel" berichtet in seiner Ausgabe vom 6. Juni 2015 von eklatanten Unterschieden und Ungerechtigkeiten bei den Abiturgesamtnoten der einzelnen Bundesländer. Offensichtlich hänge der Notendurchschnitt der Abiturienten sehr stark davon ab, in welchem Bundesland die Hochschulreife erworben wird. Die Abiturnote sei auch für die Zulassung zum Studium ein entscheidender Faktor, weil diese oft davon abhängig sei, welche Ziffer hinter dem Komma stehe. In begehrten Fächern und Hochschulstandorten entscheide die Nachkommastelle über den Erhalt des Wunschstudienplatzes. Die Vorbemerkung des Fragestellers vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Teilt die Landesregierung die Aussage, dass es durch den Föderalismus in Deutschland nicht eine, sondern 16 verschiedene Abiturprüfungen gibt, und wie beurteilt sie diese Tatsache? Die primäre Zuständigkeit der Länder für das Bildungswesen und die Kultur (Kulturhoheit der Länder) ergibt sich aus der Kompetenzregelung in Art. 30 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949. Auf dieser Grundlage regeln die Länder in eigener Zuständigkeit auch die rechtlichen Grundlagen für die Abiturprüfung. In der Kultusministerkonferenz nehmen die Länder ihre Verantwortung für das Staatsganze auf dem Wege der Selbstkoordination wahr und sorgen in Belangen, die von länderübergreifender Bedeutung sind, für das notwendige Maß an Gemeinsamkeit in Bildung, Wissenschaft und Kultur, woraus sich insbesondere die Aufgabe ableitet, Vereinbarungen hinsichtlich der Vergleichbarkeit von Zeugnissen und Abschlüssen zu treffen und auf die Sicherung von Qualitätsstandards in Schule, Berufsbildung und Hochschule hinzuwirken. Zur Sicherung der Vergleichbarkeit der Abiturergebnisse unter den Ländern und einer kontinuierlichen Qualitätsentwicklung der Arbeit in der gymnasialen Oberstufe haben sich die Länder über eine gemeinsame Grundstruktur der gymnasialen Oberstufe verständigt, die in der "Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II" (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 7. Juli 1972 i.d.F. vom 6. Juni 2013) näher beschrieben ist. Des Weiteren sind die jeweiligen fachlichen Anforderungen in den Abiturprüfungsfächern in den "Einheitliche Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung" (EPA) formuliert und werden den jeweiligen Landesregelungen zugrunde gelegt. Mit Beschluss vom 18. Oktober 2012 hat die Kultusministerkonferenz (KMK) darüber hinaus Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife für die Fächer Deutsch, Mathematik sowie die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/Französisch) verabschiedet, die in diesen Fächern an die Stelle der EPA treten und den in diesen bereits angelegten Weg der Kompetenzorientierung konsequent fortschreiben. Die Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife beschreiben fachbezogene Kompetenzen und legen fest, welche Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten Schülerinnen und Schüler bis zur Zuerkennung der Allgemeinen Hochschulreife entwickelt haben sollen. Sie liefern damit für die zentralen Fächer einheitliche Leistungsanforderungen , die für eine noch bessere Vergleichbarkeit der Abiturprüfungen der Länder sorgen und langfristig ein gemeinsames Leistungsniveau sichern helfen. Diese gemeinsamen Leistungsstandards dienen zudem als Grundlage für die Qualitätsentwicklung des Unterrichts und zur Überprüfung der erreichten Ergebnisse und sichern so auch die Transparenz schulischer Anforderungen . Die nähere Ausgestaltung obliegt den Ländern. Eingegangen am 1. September 2015 · Ausgegeben am 3. September 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/2085 01. 09. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2085 Bei der Umsetzung der Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife ist ein wesentliches und von den Ländern gemeinsam gestaltetes Element des Implementationsprozesses der Aufbau von Abituraufgaben-Pools für die o.g. Fächer, aus denen die Länder erstmals für die Abiturprüfung im Frühjahr 2017 Prüfungsaufgaben entnehmen können. Damit ist sicherstellt, dass den Ländern ab dem Schuljahr 2016/2017 wissenschaftlich überprüfte und in den Anforderungen gleichwertige Prüfungsaufgaben sowie einheitliche Kriterien zur Korrektur und Bewertung der Prüfungsleistungen zur Verfügung stehen. Zur Orientierung für die Lehrkräfte hat das Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) an der Humboldt-Universität zu Berlin im Auftrag der KMK und in Abstimmung mit den Ländern eine Sammlung von standardbasierten Abiturprüfungsaufgaben entwickelt, die seit Juni 2015 auf der Internetseite der KMK veröffentlicht ist. Die Sammlung ergänzt die bereits im Jahr 2012 mit den Standards veröffentlichten illustrierenden Lern- und Prüfungsaufgaben. Vor diesem Hintergrund sind aus der Sicht der Landesregierung sehr weitreichende Maßnahmen ergriffen, die eine bundesweite Vergleichbarkeit der Abiturprüfungen trotz der eingangs dargestellten Zuständigkeit der Länder gewährleisten. Frage 2. Wie beurteilt die Landesregierung die Feststellungen, dass a) 2013 in Thüringen 38 % aller Prüflinge ein "Einserabitur" ablegten, in Niedersachsen hingegen nur 16 % und b) die Durchfallquote in Rheinland-Pfalz 1,3 % betrug, in Mecklenburg-Vorpommern hingegen fünfmal so viele Abiturienten durchfielen? Die Landesregierung nimmt diese Feststellungen zur Kenntnis und verweist auf die in der Antwort zu Frage 1 dargelegten Maßnahmen der Länder zur Sicherung der Vergleichbarkeit der Abiturergebnisse und einer kontinuierlichen Qualitätsentwicklung der Arbeit in der gymnasialen Oberstufe. Eine darüber hinausgehende Beurteilung landesspezifischer statistischer Daten zur Abiturprüfung liegt in der Verantwortung des jeweiligen Landes. Frage 3. Wie viele Prüflinge haben in Hessen 2013 mit einer Eins vor dem Komma das Abitur gemacht und wie hoch war die Durchfallquote in diesem Jahr? In der Abiturprüfung 2013 haben insgesamt 7.982 Prüflinge eine Abiturdurchschnittsnote mit einer Eins vor dem Komma (also 1,0; 1,1; …; 1,8 oder 1,9) erreicht, das entspricht 25,2 % aller Prüflinge, die die Prüfung bestanden haben bzw. 24,5 % aller Prüflinge. 930 Prüflinge haben die Abiturprüfung nicht bestanden, das entspricht 2,9 % aller Prüflinge. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass im Prüfungsrecht üblicherweise durchschnittliche Prüfungsleistungen bis 1,5 mit der Gesamtnote "sehr gut", ab 1,6 (bzw. >1,5) mit der Gesamtnote "gut" zusammengefasst werden. Frage 4. Teilt die Landesregierung die Auffassung, dass die unterschiedlichen Bewertungen der Abiturleistungen bei der Zulassung zu vielen Studiengängen zu gewichtigen Ungerechtigkeiten führen und wenn nein, warum nicht? Die Auffassung, dass die bestehenden Regelungen zu gewichtigen Ungerechtigkeiten führen, teilt die Landesregierung nicht. Die KMK hat mit dem Konstanzer Beschluss vom 24. Oktober 1997 mit Blick auf die Gleichwertigkeit schulischer Ausbildung und die Vergleichbarkeit schulischer Abschlüsse die Sicherstellung schulischer Qualität als zentrale Aufgabe benannt. Auf die in der Antwort zu Frage 1 dargestellten Maßnahmen der Länder mit dem Ziel einer Sicherung bzw. Verbesserung der Vergleichbarkeit wird hingewiesen. In diesem Zusammenhang muss auch darauf hingewiesen werden, dass die Objektivierbarkeit schulischer Leistungsergebnisse naturgemäß begrenzt ist; dies schon allein deshalb, weil die Schülerinnen und Schüler in der gymnasialen Oberstufe je nach Neigung und Befähigung - a priori unabhängig von einer späteren Studienentscheidung - unterschiedliche Fächer und Kurse belegen und in die Gesamtqualifikation einbringen können. Auch vor diesem Hintergrund legen Universitäten bei der Vergabe von Studienplätzen im Sinne einer Optimierung von Studienentscheidungen zum Teil neben der Abiturdurchschnittsnote weitere ergänzende Kriterien zugrunde ; dies können beispielsweise studiengangbezogene Aufnahmetests oder auch das Ergebnis eines persönlichen Aufnahmegesprächs sein. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2085 3 Frage 5. Welche Position vertritt die Landesregierung bezogen auf Maßnahmen der Kultusministerkonferenz , zu einer deutlichen Vereinheitlichung der Abiturprüfungen zu kommen? Die hessische Landesregierung begrüßt die u.a. in dem einschlägigen Beschluss der KMK vom 8./9. März 2012 formulierten Ziele, eine Vergleichbarkeit der Anforderungen, die Sicherung der Qualität und eine Standardbasierung der Aufgaben zu gewährleisten, und macht sich diese Ziele zu eigen. Entsprechend der KMK-Vereinbarung vom Oktober 2012 wird der Unterricht in Hessen zukünftig an den mit den Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife für die Fächer Deutsch, Mathematik und fortgeführte Fremdsprache (Englisch/Französisch) vereinbarten Kompetenzzielen ausgerichtet. Gleiches gilt in analoger Weise in allen anderen Prüfungsfächern in Bezug auf die Kompetenzziele der EPA. Frage 6. Wie verbindlich für die einzelnen Bundesländer sind beispielsweise die Vorgaben, gleiche Aufgabenstellungen in einzelnen Fächern zu nutzen? Mit Beschluss vom 18. Oktober 2012 haben die Länder vereinbart, dass ab der Abiturprüfung 2017 die Prüfungsaufgaben auf der Grundlage der länderübergreifend einheitlichen Standards erstellt werden. Beim Aufbau von Abituraufgaben-Pools für die o.g. Fächer arbeiten die Länder eng mit dem Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) zusammen. Wie bereits in der Antwort zu Frage 1 dargestellt, können die Länder erstmals für die Abiturprüfung im Frühjahr 2017 Prüfungsaufgaben aus den Pools entnehmen. Eine Verpflichtung zur Nutzung des Pools besteht nicht. Frage 7. Wie steht die Landesregierung zu den Forderungen, in Deutschland ein Zentralabitur, ähnlich wie in Frankreich, oder ein "Gemeinsames Kernabitur", wie vom Aktionsrat Bildung vorgeschlagen, einzuführen? Die Verantwortung für die Entwicklung von Abiturprüfungsaufgaben wird weiterhin bei den Ländern liegen. Die Länder haben sich auf eine gemeinsame "Konzeption zur Implementation der Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife" (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 10. Oktober 2013) verständigt, die die Entwicklung und Nutzung eines Pools von Abiturprüfungsaufgaben einschließt. Der damit eingeschlagene Weg unterscheidet sich in der Ausgestaltung (standardbasierte Abiturprüfungsaufgaben statt standardbasierte Tests von 90- minütiger Dauer) von der durch den sog. "Aktionsrat Bildung" im Jahr 2011 formulierten Forderung nach Einführung eines "gemeinsamen Kernabiturs". Diese Forderung wurde deutlich vor der Verabschiedung der wesentlichen Beschlüsse zu den Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife formuliert und ist zwischenzeitlich durch die entsprechende Beschlüsse der KMK überholt. Frage 8. Gibt es einen Zeitplan, bis wann und in welchen Fächern verbindlich die Aufgabenstellung zentral vorgenommen werden soll? Nein. Auf die Antwort zu Frage 6 wird verwiesen. Frage 9. Gibt es einen Plan, die Qualifikationsphase zu vereinheitlichen, weil sich die Abiturnote zu zwei Dritteln aus den Vorleistungen ergibt? Die Rahmensetzungen für die Qualifikationsphase ergeben sich aus der "Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II" (Beschluss der KMK vom 7. Juli 1972 i. d. F. vom 6. Juni 2013). Die Länder setzen den Weg der Vereinheitlichung fort, der mit den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz zu den Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife (18. Oktober 2012) und zur Erstellung eines Abituraufgaben-Pools (8. März 2012) begonnen wurde. Entsprechend der KMK-Vereinbarung aus dem Oktober 2012 werden die KMK-Standards für die Allgemeine Hochschulreife beginnend mit der Einführungsphase im aktuellen Schuljahr 2014/2015 dem Unterricht der gymnasialen Oberstufe zugrunde gelegt. Insofern tragen die Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife bereits jetzt zur weiteren Vereinheitlichung der Anforderungen in der Qualifikationsphase bei. Inwieweit mit Blick auf die Qualifikationsphase darüber hinaus weitere Maßnahmen zur Vereinheitlichung erforderlich sind, muss geprüft und zu gegebener Zeit entschieden werden. 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2085 Frage 10. Was sagen Abiturnoten bzw. was sagt der Abiturdurchschnitt über die (allgemeine) Studierfähigkeit von Abiturienten aus? Neben den Ergebnissen der schriftlichen Prüfungen gehen in die Abiturnote mit einem großen Gewicht auch Leistungen aus den letzten beiden Schuljahren vor der Abiturprüfung, der sogenannten Qualifikationsphase, ein. Die Abiturnote repräsentiert somit einen langen Beobachtungszeitraum einer Schülerin oder eines Schülers. Studien der vergangenen Jahre belegen, dass die Abiturnote substanzielle Prädiktionskraft für den Studienerfolg hat und eine empirisch hohe Korrelation zwischen der Abiturnote und dem Studienerfolg bzw. -misserfolg besteht. Wiesbaden, 17. August 2015 Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz