Kleine Anfrage des Abg. Wolfgang Greilich (FDP) vom 17.06.2015 betreffend Zurückstellung von Schulanfängerinnen und Schulanfängern und Antwort des Kultusministers Vorbemerkung des Fragestellers: An einer Wiesbadener Grundschule wurden mehrere zukünftige Schulanfängerinnen und Schulanfänger von der Teilnahme am Unterricht zurückgestellt. Die betroffenen Familien erhielten dazu lediglich einen standardisierten Serienbrief, der nicht auf die vermeintlichen individuellen Gründe für die Zurückstellung einging. Auf Nachfrage der Eltern wurde diesen jedoch mitgeteilt, dass die Zurückstellung von der Grundschule und die Empfehlung eines Vorklassenbesuchs aufgrund von Kapazitätsproblemen erfolgt seien und den betroffenen Kindern nun doch noch ein Platz angeboten werden könne. Vorbemerkung des Kultusministers: Dem Hessischen Kultusministerium und dem Staatlichen Schulamt für den Rheingau-TaunusKreis und die Landeshauptstadt Wiesbaden ist ein wie in der Vorbemerkung des Fragestellers beschriebener Sachverhalt nicht bekannt. Insofern erfolgt die Beantwortung abstrakt auf der Grundlage der rechtlichen Regelungen, die in § 9 der Verordnung zur Ausgestaltung der Bildungsgänge und Schulformen der Grundstufe (Primarstufe) und der Mittelstufe (Sekundarstufe I) und der Abschlussprüfungen in der Mittelstufe (VOBGM) dargelegt sind. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wie bewertet die Landesregierung das Vorgehen der Schulleitung? Sollte die Leiterin oder der Leiter einer Grundschule so vorgegangen sein, dann wäre bei Kenntnis ein Handeln der Schulaufsicht zwingend geboten. Kapazitätsprobleme stellen generell keinen Grund für Zurückstellungen dar, Elterngespräche sind im Vorfeld der Entscheidung über eine mögliche Zurückstellung zu führen. Das vom Fragesteller beschriebene Handeln (Zurückstellung aus Kapazitätsgründen und Entscheidung der Schulleitung ohne Einbindung eines Elterngesprächs ) entspricht nicht dem Verfahren der Schulaufnahme, das in § 9 der VOBGM geregelt ist. Frage 2. Hält es die Landesregierung für ausreichend, den betroffenen Familien einen Serienbrief zuzustellen , in dem lediglich darauf hingewiesen wird, dass das Kind „noch nicht den für den Schulbesuch erforderlichen körperlichen, geistigen und seelischen Entwicklungsstand aufweist, um mit Erfolg am Unterricht der 1. Jahrgangsstufe teilnehmen zu können“ und der keinen detaillierten individuellen Bezug zu dem jeweiligen Kind nimmt? Die Landesregierung hält einen Serienbrief nicht für ausreichend. Vielmehr ist in § 9 der VOBGM geregelt, dass die Entscheidung der Schulleitung auf der Grundlage der individuellen Voraussetzungen des einzelnen Kindes getroffen wird. Für die Entscheidung, welches der bestmögliche Förder- und Lernort für das einzelne Kind ist, spielen die Zusammenarbeit der Grundschule mit dem Kindergarten oder mit einer Frühförderstelle, das Gespräch mit den Eltern, die Beteiligung des schulärztlichen Dienstes und/oder einer Schulpsychologin oder eines Schulpsychologen und die Beobachtung des Kindes bei der Anmeldung oder in dafür organisierten Situationen wie beispielsweise Spielnachmittagen oder Kennenlerntagen eine entscheidende Rolle. Eingegangen am 26. August 2015 · Ausgegeben am 28. August 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/2090 26. 08. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2090 Zentral ist in diesem Zusammenhang vor allem das Gespräch mit den Eltern, in dem detailliert Bezug auf die Entwicklung des Kindes genommen wird. Dies ist eindeutig in dem o.g. Verordnungstext geregelt. Die Erfüllung dieser Vorgabe setzt aber auch voraus, dass die Eltern das Gesprächsangebot der Schule wahrnehmen. Nach dem umfassenden, oben beschriebenen Prozess der Entscheidung der Schulleitung erhalten die Eltern abschließend ein Schreiben der Schule. Dieses Schreiben, das auch ein Formblatt mit entsprechender Begründung sein kann, dient der Rechtssicherheit. Frage 3. Welche Kriterien sollten bei der Fertigung solcher Schreiben berücksichtigt werden und wie ist deren Einhaltung Rechnung zu tragen? Das Schreiben zur Zurückstellung ist zu begründen, mit Rechtsmittelbelehrung zu versehen und den Eltern zuzustellen. Wie in der Antwort zu Frage 2 ausgeführt, ist dieses Schreiben der Schulleitung lediglich als abschließendes Dokument innerhalb der komplexen Entscheidungsfindung im Prozess der Schulaufnahme zu sehen. Im Prozess der Schulaufnahme wiederum werden – wie bereits ausgeführt – unterschiedliche Kriterien berücksichtigt. Frage 4. Ist sich die Landesregierung bewusst, welche Irritationen und Verunsicherungen durch ein solches Vorgehen sowohl bei den Eltern als auch bei den betroffenen Kindern ausgelöst werden und hält sie dieses Vorgehen für verantwortungsvoll? Sollte in dem beschriebenen Fall des Fragestellers kein Gespräch mit den Eltern im Vorfeld der Entscheidung geführt worden sein, so ist es aus der Sicht der Landesregierung nachvollziehbar, dass Irritationen und Verunsicherungen hervorgerufen werden können. Jedoch sind die Regelungen zur Schulaufnahme eindeutig und zielen darauf ab, Eltern einzubeziehen und Entscheidungen verantwortungsvoll auf der Grundlage unterschiedlicher Kriterien zu treffen. Frage 5. In wie vielen Fällen wurden von Schulleitungen in Hessen Briefe mit dem in Ziffer 2 zitierten oder ähnlichen Inhalt verschickt? Daten zu der Frage, ob und wie oft ausschließlich ein Brief versandt wurde, ohne dass im Vorfeld ein Gespräch mit den Eltern geführt worden wäre – obwohl es in § 9 der VOBGM anders geregelt ist –, liegen nicht vor. Frage 6. Welche Maßnahmen sind zu ergreifen, um ein derartiges Vorgehen in Zukunft zum Wohle der angehenden Schülerinnen und Schüler zu vermeiden? Die rechtlichen Regelungen sind so gefasst, dass für die Schulleitung das Wohl der Schülerinnen und Schüler, also die Förderung entsprechend den individuellen Voraussetzungen, ein zentrales Kriterium für die Entscheidungsfindung über eine mögliche Zurückstellung ist. Existiert der in der Vorbemerkung des Fragestellers abstrakt behandelte Fall und wird er konkret den Aufsichtsbehörden bekannt, ist ein Handeln der Schulaufsicht zwingend geboten. Frage 7. Wie viele Schulanfängerinnen und Schulanfänger wurden hessenweit (bitte aufgelistet nach Schulamtsbezirken , Landkreisen/Städten) im laufenden Schuljahr zurückgestellt? Die Zahl der im Schuljahr 2014/2015 erfolgten Zurückstellungen liegt derzeit noch nicht vor, da die Information über Schülerinnen und Schüler, welche schulpflichtig waren, aber nicht eingeschult wurden, erst mit der Einschulung im Folgeschuljahr vorliegt. Die Zurückstellungen an Grundschulen des Schuljahres 2013/2014 gegliedert nach Schulamtsbereich bzw. Landkreis/kreisfreie Stadt können der Anlage 1 entnommen werden. Frage 8. Wie viele Schulanfängerinnen und Schulanfänger werden (voraussichtlich) im kommenden Schuljahr eine Vorklasse besuchen? In der Prognose für das Schuljahr 2015/2016 sind mit Stand 24.06.2015 2.966 Schülerinnen und Schüler in 239 Sollklassen von Seiten der Schulen und Staatlichen Schulämter gemeldet. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2090 3 Frage 9. Wie viele zukünftige Schülerinnen und Schüler wurden aufgrund von Kapazitätsproblemen vom Grundschulbesuch zurückgestellt? (Bitte aufgelistet nach Schulamtsbezirken, Landkreisen /Städten)? Der Landesregierung ist kein solcher Fall bekannt. Frage 10. Wie viele Eltern haben gegen die Zurückstellung von der Teilnahme am Unterricht an der Grundschule Widerspruch eingelegt und wie oft wurde dem Widerspruch stattgegeben? (Bitte aufgelistet nach dem laufenden und dem kommenden Schuljahr, soweit für dieses Zahlen vorliegen)? Die Anzahl der Widersprüche bei Zurückstellungen von der Teilnahme am Unterricht der Grundschule ist der beigefügten Anlage 2 zu entnehmen. Wiesbaden, 19. August 2015 Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz Anlagen Anlage 1 Drucksache 19/2090 An Grundschulen zurückgestellte Schülerinnen und Schüler im Schuljahr 2013/2014 nach Landkreis bzw. kreisfreier Stadt Landkreis/kreisfreie Stadt Anzahl Schüler Bergstraße 149 Darmstadt, Stadt 83 Darmstadt-Dieburg 200 Frankfurt am Main, Stadt 447 Fulda 184 Gießen 181 Groß-Gerau 209 Hersfeld-Rotenburg 118 Hochtaunuskreis 143 Kassel 128 Kassel, Stadt 156 Lahn-Dill-Kreis 203 Limburg-Weilburg 147 Main-Kinzig-Kreis 352 Main-Taunus-Kreis 131 Marburg-Biedenkopf 163 Odenwaldkreis 63 Offenbach 274 Offenbach am Main, Stadt 156 Rheingau-Taunus-Kreis 75 Schwalm-Eder-Kreis 125 Vogelsbergkreis 90 Waldeck-Frankenberg 103 Werra-Meißner-Kreis 81 Wetteraukreis 191 Wiesbaden 229 Hessen Gesamt 4381 Quelle: Hessisches Kultusministerium. Eigene Berechnungen. 2 An Grundschulen zurückgestellte Schülerinnen und Schüler im Schuljahr 2013/2014 nach Schulamtsbereich Schulaufsicht Anzahl Schüler SSA f.d. Hochtaunus- u. Wetteraukreis 334 SSA f.d. Lahn-Dill-Kreis Lk. LM-Weilburg 350 SSA f.d. Lk. Darmstadt-Dieburg Stdt. DA 283 SSA f.d. Stadt Frankfurt am Main 447 SSA für den Lk. Fulda 184 SSA für den Lk. Marburg-Biedenkopf 163 SSA für den Lk. u.d. Stadt Kassel 284 SSA Lk. Bergstraße u. Odenwaldkreis 212 SSA Lk. Gießen u.d. Vogelsbergkreis 271 SSA Lk. Groß-Gerau u. Main-Taunus-Kreis 340 SSA Lk. Hersfeld-Rotenb.,Werra-Meißner-K 199 SSA Lk. Offenbach u.Stadt Offenbach/Main 430 SSA Main-Kinzig-Kreis 352 SSA Rhg.-Taunus-Kreis u. Stadt Wiesbaden 304 SSA Schwalm-Eder-Kr. Lk. Waldeck-Frankb. 228 Hessen Gesamt 4381 Quelle: Hessisches Kultusministerium. Eigene Berechnungen. Anlage 2 Drucksache 19/2090 Anzahl der Widersprüche bei Zurückstellung von der Teilnahme am Unterricht der Grundschule Schuljahr 2014/2015 Anzahl der Widersprüche davon stattgegeben MR 1 0 BOW 0 HRWM 1 0 GGMT 2 0 KS 0 0 OF 12 9 F 12 6 MKK 2 1 GIVB 1 1 SEWF 0 0 HTK 0 0 LDLM 2 1 DADI 1 1 RTWI 25 17 FD 0 0 Gesamtzahl 59 36 Schuljahr 2015/2016 Anzahl der Widersprüche davon stattgegeben MR 3 2 stattgegeben; 1 in Bearbeitung BOW 0 HRWM 3 in Bearbeitung GGMT 5 in Bearbeitung KS 1 0 OF 16 9 F 9 4 MKK 1 1 GIVB 1 0 SEWF 4 4 HTK 0 0 LDLM 1 in Bearbeitung DADI 1 1 RTWI 18 12 FD 0 0 Gesamtzahl 63 2090_Anlagen.pdf KA2090_Anlage1 KA2090_Anlage2