Kleine Anfrage des Abg. Rock (FDP) vom 6. Juli 2015 betreffend Vorträge von Mitarbeitern der Genehmigungsbehörden bei Lobbyverbänden und Antwort des Ministers des Innern und für Sport Vorbemerkung des Fragestellers: Auf der Internetseite des Bundesverbandes Windenergie www.bwe-seminare.de werden u.a. kostenpflichtige Seminare zu Themen rund um die Windkraft angeboten. Dabei werden zwei Seminare angeboten, die den Titel "Genehmigungsverfahren von Windprojekten" tragen. Eines fand bereits im Februar 2015 in Berlin statt. Als Alternativtermin wird ein Termin im September 2015 in Stuttgart angeboten. Beworben wird das Seminar mit folgendem Text: "Das Seminar gibt Ihnen einen umfassenden Einblick in die juristischen Rahmenbedingungen des Genehmigungsverfahrens von Windparks. So kann zum Beispiel eine Umweltverträglichkeitsprüfung schnell langwierig und teuer werden. Erfahren Sie, wie eine sogenannte UVP abläuft und wie sie beschleunigt werden kann. Experten aus dem juristischen Beirat des BWE informieren Sie über die aktuellen naturschutzfachlichen Entwicklungen und wie diese das Genehmigungsverfahren beeinflussen. Auch die Nebenbestimmungen der Baugenehmigung können die Wirtschaftlichkeit des Windparks oft erheblich einschränken. Profitieren Sie von den Erfahrungen der Referenten und hören Sie, welche Handlungsspielräume Sie haben bzw. wie Sie am besten gegen Nebenbestimmungen vorgehen können. Unsere Experten zeigen Ihnen darüber hinaus, wie Sie das Problemfeld Windenergie und Luftverkehr am besten gelöst werden kann und wie die aktuelle Rechtsprechung dazu aussieht. Profitieren Sie von den wertvollen Hinweisen und bringen Sie diese in Ihren Arbeitsalltag ein." Eine der Referentinnen ist dabei eine Mitarbeiterin des RP Gießen. Sie hält dabei u.a. einen Vortrag zum Thema: "Praxistipps zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren aus Sicht einer Genehmigungsbehörde ". Im Anschluss an diesen Vortrag findet dann eine Mittagspause mit Networking statt. Die Mitarbeiterin des RP wird auf der Homepage als Expertin für Windkraftgenehmigungen angepriesen. Für die Teilnahme an den beiden Seminaren berechnet der Bundesverband Windenergie zwischen 990 € und 1.190 € (für Nichtmitglieder). Vorbemerkung des Ministers des Innern und für Sport: Die Voraussetzungen, unter den Beamtinnen und Beamte des Landes Hessen eine Nebentätigkeit ausüben dürfen, sind gesetzlich festgelegt. Das Nebentätigkeitsrecht des Landes Hessen ist in den §§ 71 bis 79 des Hessischen Beamtengesetzes (HBG) geregelt. Daneben sind auch noch die §§ 40, 41 des Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG) zu beachten. Weitere Ausführungsvorschriften zur Nebentätigkeit sind in der Verordnung über die Nebentätigkeit der Beamten des Landes Hessen (Nebentätigkeitsverordnung - NVO) zu finden. Die beamtenrechtlichen Vorschriften finden auch auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach § 3 Abs. 4 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst des Landes Hessen (TV-H) sinngemäß (d.h. unter Beachtung der Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses) Anwendung. Im Rahmen des geltenden Nebentätigkeitsrechts ist unter Beachtung des Einzelfalles eine Vortragstätigkeit rechtlich zu würdigen. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, wird die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sowie dem Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung wie folgt beantwortet: Frage 1. Wie beurteilen sie die Teilnahme einer Mitarbeiterin der Genehmigungsbehörde bei dieser Veranstaltung (= Genehmigungsverfahren von Windprojekten) vor dem Hintergrund der Neutralitätspflicht ? Frage 2. War der Landesregierung die Teilnahme an dem Seminar im Februar im Vorfeld bekannt und hat sie diese genehmigt? Eingegangen am 8. September 2015 · Ausgegeben am 14. September 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/2179 08. 09. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2179 Die Fragen 1 und 2 werden zusammen beantwortet: Im konkret genannten Fall handelt es sich um die Vortragstätigkeit einer Mitarbeiterin des Regierungspräsidiums (RP) Gießen im Rahmen einer dort ordnungsgemäß angezeigten Nebentätigkeit . Rechtsgrundlage für eine als Nebentätigkeit ausgeübte Vortragstätigkeit ist § 74 Abs. 1 Nr. 1 4. Alt. i.V.m. Abs. 2 HBG. Der Beamte/die Beamtin hat, wenn für die Nebentätigkeit ein Entgelt oder ein geldwerter Vorteil geleistet wird, in jedem Einzelfall vor ihrer Aufnahme der Dienstbehörde unter Angabe insbesondere von Art und Umfang der Nebentätigkeit sowie der voraussichtlichen Höhe der Entgelte und geldwerten Vorteile hieraus, diese schriftlich anzuzeigen. Dieser Anzeigepflicht ist die Mitarbeiterin nachgekommen. Sie hat am 09.01.2015 schriftlich ihre Vortragstätigkeit für den Bundesverband WindEngergie e.V. (BWE) - konkret für das Seminar "Genehmigungsverfahren von Windprojekten" vom 17.02.2015 - 19.02.2015 in Berlin - angezeigt. Mit Schreiben vom 30.01.2015 hat das RP Gießen der Mitarbeiterin mitgeteilt, dass sie damit ihrer Anzeigepflicht für die nicht genehmigungspflichtige Vortragstätigkeit nachgekommen ist und keine Bedenken gegen die Ausübung der Nebentätigkeit bestehen. Dem Hessischen Ministerium des Innern und für Sport (HMdIS) war die Teilnahme am Seminar nicht bekannt . Es besteht insoweit auch keine Berichtspflicht, vielmehr entscheidet das Regierungspräsidium Gießen in eigener Zuständigkeit. Gemäß § 74 Abs. 4 HBG ist eine nicht genehmigungspflichtige Nebentätigkeit ganz oder teilweise zu untersagen, wenn die Beamtin oder der Beamte bei ihrer Ausübung dienstliche Pflichten verletzt. Das Regierungspräsidium Gießen ist im Januar 2015 nach dienstrechtlicher Überprüfung u.a. des Inhalts der Nebentätigkeit, des zeitlichen Umfangs und der absehbaren Vergütung zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Verletzung dienstlicher Pflichten durch die Vortragstätigkeit der Mitarbeiterin für den BWE nicht zu erwarten ist. Das Regierungspräsidium Gießen hat berichtet, dass die Mitarbeiterin bei ihrem Vortrag zum Thema "Genehmigungsverfahren von Windprojekten" die Anwendung des Immissionsschutzrechts aus Sicht einer Genehmigungsbehörde sowie Praxistipps zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren aus Sicht einer Genehmigungsbehörde vorgestellt hat. Im Rahmen der Anwendung des Immissionsschutzrechts erläuterte sie, welche Maßnahmen im Zusammenhang mit Windprojekten nach dem BImSchG genehmigungspflichtig sind, welche Verfahrensarten es gibt und wie sich diese auf die Verfahrenszeiten auswirken. Auch nannte sie die Akteure in Genehmigungsverfahren und informierte über die Genehmigungsvoraussetzungen im Einzelnen. Darüber hinaus erörterte sie, welche Antragsunterlagen nach dem Immissionsschutzrecht, dem Baurecht und dem Naturschutzrecht erforderlich sind. Sie stellte auszugsweise auch Regelungen aus Genehmigungsbescheiden vor und benannte in diesem Zusammenhang übliche Nebenbestimmungen . Bei ihren Praxistipps zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren regte sie an, konsistente Antragsunterlagen zu erstellen und eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne der Vorgaben des § 25 Abs. 3 HVwVfG durchzuführen, um eventuelle, bereits weit vor der Antragstellung mögliche, Konflikte zu lösen und damit das Genehmigungsverfahren zügiger durchlaufen zu können. Des Weiteren erläuterte sie im Zusammenhang mit dem Prioritätsprinzip, welche Einschränkungen der Grundsatz "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst" bei Genehmigungsverfahren von Windprojekten findet. Entsprechende Vorträge werden von der Mitarbeiterin des Regierungspräsidiums Gießen auch bei der Naturschutzakademie Wetzlar, beim Umweltrechtlichen Praktikerseminar der Universität Gießen (Veranstalter Prof. R. von der juristischen Fakultät), der Sparkassenakademie, im EULI-Ausschuss der Regionalversammlung, dem Karpenstein’s Windtag usw. gehalten. Da Inhalt des Vortrags bei dem BWE eine Darstellung der Sach- und Rechtslage in umweltrechtlichen Genehmigungsverfahren war, vermag allein die Tatsache, dass die Mitarbeiterin ihre Kompetenzen dienstlich erworben hat und diese im Rahmen einer Nebentätigkeit zur Verfügung stellt, ihre Neutralitätspflicht sowie das für die Amtsausführung erforderliche Ansehen und Vertrauen der Öffentlichkeit nicht zu gefährden oder zu verletzen. Auch die Tatsache, dass die Mitarbeiterin denselben Vortrag bei der Gemeinde Villmar gehalten hat, zeigt, dass sich dieser Vortrag nicht an den speziellen Interessen von Windkraftverbänden orientiert. Vielmehr ist Gegenstand des Vortrags "Genehmigungsverfahren von Windprojekten" eine objektive und neutrale Darstellung der Sach- und Rechtslage in Genehmigungsverfahren von Windprojekten. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2179 3 Schließlich stellt auch die Offenlegung der Zugehörigkeit der Mitarbeiterin zum Regierungspräsidium Gießen keine Verletzung der Neutralitätspflicht der Beamtin dar, da zur Identität der Beamtin auch ihr Beruf gehört und sie daher auch außerhalb des Dienstes ihre Zugehörigkeit zum RP Gießen offen legen darf. Insoweit bewegt sich die Entscheidung im Rahmen des dem Regierungspräsidiums Gießen zustehenden Entscheidungsspielraums. Frage 3. Gibt es weitere Beispiele, wo Mitarbeiter der Genehmigungsbehörde des Landes Hessen, Antragstellern auf kostenpflichtigen Seminaren erläutern, wie sie ihre Anträge möglichst schnell genehmigt bekommen? Ziel des Vortrags war u.a. die Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens aus Sicht der Genehmigungsbehörde . Es gibt Mitarbeiter/innen, die bei unterschiedlichsten Veranstaltungen ihr behördlich erworbenes Fachwissen in Form von Vorträgen an Dritte, innerhalb und auch außerhalb des öffentlichen Dienstes, vermitteln. Ob das von den Zuhörern hierbei erworbene Wissen im Einzelfall zur Vorlage vollständiger Genehmigungsunterlagen und frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligungen und damit letztlich zu beschleunigten Verfahren führt, ist nicht bekannt. Frage 4. Welche Inhalte hat die Mitarbeiterin des RP Gießen auf dem Seminar vorgetragen? Themen des Vortrags der Mitarbeiterin waren die Anwendung des Immissionsschutzrechts aus Sicht einer Genehmigungsbehörde sowie Praxistipps zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren aus Sicht einer Genehmigungsbehörde. Im Einzelnen:  Welche Voraussetzungen müssen für den Beginn eines Genehmigungsverfahrens erfüllt sein?  Die Anwendung des BNatSchG, des UVPG, DSchG und der TA-Lärm.  Kommunikation zwischen den beteiligten Behörden und den Trägern öffentlicher Belange.  Wie legt man das Prioritätsprinzip in der Praxis aus?  Herausforderungen im Genehmigungsalltag.  Festlegung von Nebenbestimmungen anhand von Fallbeispielen. Diese Themen waren der Anzeige der Mitarbeiterin vom 09.01.2015 für das Seminar "Genehmigungsverfahren von Windprojekten" vom 17.02.2015 bis 19.02.2015 in Berlin, beigefügt. Ergänzend wird auf die Antwort zu den Fragen 1 und 2 verwiesen. Frage 5. Welche Networking-Kontakte konnten in der Mittagspause für das Land Hessen geknüpft werden ? Die Vortragstätigkeit für den BWE hatte die Mitarbeiterin weder im Hauptamt noch im Nebenamt wahrgenommen. Sie hat ihre Vortragstätigkeit somit nicht als Beamtin im Auftrag des RP Gießen, sondern als Privatperson im Rahmen einer Nebentätigkeit ausgeführt. Das Knüpfen von Networking-Kontakten für das Land Hessen ist nicht bekannt. Frage 6. Falls ein Honorar gezahlt wurde, in welcher Höhe belief sich dieses? Es wurde ein in solchen Fällen übliches Honorar gezahlt. Die konkrete Höhe wird aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht mitgeteilt. Frage 7. Wie beurteilt die Landesregierung, dass ein einschlägiger Lobbyverband für ein kostenpflichtiges Seminar mit Mitarbeitern der Genehmigungsbehörde wirbt? Die Mitarbeiterin des RP Gießen hat den Vortrag für den BWE nicht als Amtsträgerin oder im Auftrag einer Behörde, sondern als Privatperson im Rahmen ihrer Nebentätigkeit gehalten. Im Übrigen vermag auch die Offenlegung der Zugehörigkeit einer Mitarbeiterin zum RP Gießen keine Verletzung der Neutralitätspflicht der Beamtin zu begründen. Ein Missbrauch der Amtsstellung liegt nicht darin, dass sich öffentliche Amtsträger im privaten Bereich zu ihrem Beruf bekennen. 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2179 Frage 8. Entspricht es der Wahrheit, dass die in Rede stehende Mitarbeiterin vor einem Wechsel ins Hessische Wirtschaftsministerium steht? Frage 9. Wenn ja, welche Aufgaben soll sie dort übernehmen? Die Fragen 8 und 9 werden zusammen beantwortet: Personenbezogene Fragen zu Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern werden aus Datenschutzgründen nicht beantwortet. Frage 10. Wie beurteilt die Landesregierung das Zitat ebenjener Mitarbeiterin: "Sie wissen ja, im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt - gleiches gilt auch für die Genehmigung von Windkraftanlagen!", das diese im Rahmen einer Informationsveranstaltung getätigt hat. Das Zitat steht in keinem Zusammenhang mit der Nebentätigkeit der Mitarbeiterin für den BWE. Die Mitarbeiterin äußerte das Zitat im Rahmen ihrer dienstlichen Teilnahme an einer Veranstaltung der Gemeinde Villmar. Es war auf die Darstellung eines Spannungsfeldes zwischen den widerstreitenden Interessen an Windkraftprojekten gerichtet. Vor diesem Hintergrund äußerte die Mitarbeiterin, dass in den Genehmigungsverfahren viele Personen (u.a. die Antragsteller , Dritte) versuchen würden, ihre Interessen mit Vehemenz und den unterschiedlichsten Begründungen zu vertreten. Die Mitarbeiterin wies bei ihrem dienstlichen Vortrag darauf hin, dass es in solchen Fällen die Aufgabe der Genehmigungsbehörde sei, objektiv und neutral zu prüfen, ob die vom Gesetzgeber vorgegebenen Genehmigungsvoraussetzungen für einen Antrag vorliegen. Das frei weg geäußerte Zitat wurde von einer örtlichen Bürgerinitiative gegen Windkraftanlagen aufgegriffen und in Form eines Leserbriefs in den Villmarer Nachrichten vom 19.06.2015 im Nachgang zur Veranstaltung veröffentlicht. Die Äußerung wurde allerdings ohne den vorgenannten Zusammenhang dargestellt. Die Angelegenheit wurde in einem Telefonat zwischen dem Leiter der Bürgerinitiative Vernunftkraft e.V. und der Mitarbeiterin des Regierungspräsidiums Gießen im Nachgang beigelegt. Wiesbaden, 27. August 2015 Peter Beuth