Kleine Anfrage der Abg. Hofmann (SPD) vom 21.07.2015 betreffend Partizipation in Justizvollzugsanstalten und Antwort der Ministerin der Justiz Vorbemerkung der Fragesteller: Die Struktur des Strafvollzugs bedingt weitgehende Eingriffe in die Selbstbestimmung der Gefangenen. Dabei besteht eine wesentliche Aufgabe des Strafvollzuges darin, die Gefangenen zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (§ 2 HStVollzG). Gesellschaftliche Teilhabe im Sinne selbstbestimmter Partizipation gehört dabei zu den Grundpfeilern unserer demokratischen Verfassung und Gesellschaftskultur. § 4 HStVollzG bestimmt in Hinblick auf Eingliederungsmaßnahmen : "Die Gefangenen sollen an Maßnahmen zu ihrer Eingliederung mitwirken. Die Bereitschaft der Gefangenen hierzu ist zu wecken und zu fördern". Diese Vorbemerkung der Fragestellerin vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Welche partizipativen Projekte wurden in den Jahren 2005 bis heute an den einzelnen hessischen Justizvollzugsanstalten durchgeführt und welche personellen, sachlichen und finanziellen Mittel sind dafür jeweils bereitgestellt worden? Falls es solche Projekte nicht gab: Warum nicht? Grundsätzlich ist festzustellen, dass in den hessischen Justizvollzugsanstalten die Mitwirkung der Gefangenen an Maßnahmen zu ihrer Eingliederung nicht nur über einzelne zeitweilige Projektangebote umgesetzt wird, sondern dieser Gesichtspunkt zu den allgemeingültigen Standards der Vollzugsgestaltung gehört. Die Mitwirkung der Gefangenen an der Vollzugsplanung im Strafvollzug der Erwachsenen wird ebenso in besonderem Maß gefördert, wie auch im Jugendvollzug das Mitwirken und Nutzen eigenverantwortlicher Gestaltungsmöglichkeiten als ein wesentlicher Bestandteil der Betreuungsarbeit mit den jungen Gefangenen verstanden wird. Das hessische Jugendstrafvollzugsgesetz sieht die Bildung von Wohngruppen als ein besonderes soziales Lernfeld, auch zur Förderung eines demokratischen Miteinanders, vor. In den hessischen Jugendstrafvollzugsanstalten ist die Unterbringung in Wohngruppen zu maximal zehn Gefangenen die Regel. Eine Unterbringung in Wohngruppen findet ebenso im sozialtherapeutischen Setting wie auch auf den in den Justizvollzugsanstalten in Schwalmstadt, Butzbach und Kassel I eingerichteten Behandlungsstationen statt. Durch die gemeinsame Unterbringung der Gefangenen sollen die Erfahrung im Gruppenleben und das Einüben von Gemeinschaftsbezügen einen positiven Effekt erzielen mit Wirkung auf die:  Stärkung der Eigenverantwortlichkeit mit Entwicklung und Einüben von Vermeidungs- und sozialadäquaten Problemlösestrategien,  Stärkung des sozialen Miteinander und Empathie für eine allgemein akzeptierte Werteordnung sowie  Erarbeitung von realistischen Lebensperspektiven und Befähigung zur Antizipation möglicher Krisensituationen. Somit besteht besonders in Wohngruppen ein intramurales soziales Lernfeld für die Zukunft. Daher erfolgt auch der Vollzug der Sicherungsverwahrung in Wohngruppen. Darüber hinaus sind im Zusammenhang mit der Partizipation die Interessenvertretung der Gefangenen (IVdG) und Interessenvertretung der Untergebrachten IVdUG zu erwähnen. Die IVdG und IVdUG sind gewählte Gremien der Gefangenen und Untergebrachten und vertreten deren Eingegangen am 28. August 2015 · Ausgegeben am 2. September 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/2279 28. 08. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2279 Belange. Inhaftierte können dafür kandidieren und die wahlberechtigten Strafgefangenen und Untergebrachten wählen ihre Vertreter. Das gewählte Gremium bestimmt einen Sprecher und trifft sich in regelmäßigen Abständen. Diese Interessenvertretungen sind einerseits Sprachrohr der Inhaftierten, die sich mit Anregungen , Kritik und ihren Sorgen an das Gremium wenden, aber auch Ansprechpartner der Anstaltsleitung und des Anstaltsbeirats. IVdG und IVdGU gibt es derzeit u.a. in den Justizvollzugsanstalten Kassel I, Kassel II, Darmstadt, Dieburg, Schwalmstadt, Weiterstadt und Hünfeld. Ferner werden die Gefangenen beteiligt an der Planung des Freizeitangebotes, der Gestaltung der Gruppenräume oder der Gestaltung des Außengeländes. Auch das Angebot im Rahmen des Übergangs- und Entlassungsmanagements ist anzuführen, gleichermaßen die Schuldnerberatung, die ohne eigene Beteiligung der Gefangenen ins Leere läuft. Hinsichtlich der Bereitstellung sachlicher, personeller und finanzieller Mittel ist festzustellen, dass die erfragte Abbildung der Mittel nicht möglich ist. Im Rahmen der jährlich stattfindenden Kontraktgespräche werden besondere Mittel für vollzugliche Maßnahmen, jedoch nicht nach dem derartig in Rede stehenden zusammengefassten Oberbegriff "partizipative Projekte", vereinbart und zur Verfügung gestellt. Grundsätzlich werden Kosten für IVdG oder IVdGU, Behandlungsstationen , Wohngruppenvollzug und Übergangsmanagement aus dem Budget der jeweiligen Justizvollzugsanstalt bestritten und nicht projektbezogen zugewiesen, zumal es sich um eine "Daueraufgabe" und nicht um zeitlich begrenzte Projekte handelt. Frage 2. Inwiefern wurden die in Frage 1 genannten Projekte insbesondere hinsichtlich der Resozialisierungsförderung evaluiert, zu welchen Ergebnissen kam die jeweilige Evaluation und welche Konsequenzen wurden daraus jeweils gezogen? In § 69 Abs. 1 und 2 des Hessischen Strafvollzugsgesetzes, § 66 des Hessischen Jugendstrafvollzugsgesetzes und § 66 des Hessischen Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetzes sind die Fortentwicklung des Vollzugs und die kriminologische Forschung geregelt. Die vollzuglichen Maßnahmen werden regelmäßig durch den kriminologischen Dienst begleitet und erforscht; dies gilt auch für die genannten partizipativen Projekte. Diese sind Teil der Gesamtevaluation und mögliche resozialisierende Effekte dieser Projekte werden dabei erfasst. Die Ergebnisse werden den Justizvollzugsanstalten zur Verfügung gestellt und dienen dem Qualitätsmanagement im Sinne der Wirksamkeit des Angebots. Zusätzlich erfolgt eine Evaluation prozessbegleitend in den jeweiligen Projekten. In der JVA Kassel II wurde außerdem die Struktur- und Prozessqualität der JVA durch zwei Gutachten mit einem guten Ergebnis erfasst. Das Projekt "Entlassungsvollzug" der Justizvollzugsanstalt Frankfurt am Main IV wird von der Anstalt in Form einer Befragung der entlassenen Gefangenen evaluiert. Frage 3. Inwiefern findet ein Erfahrungsaustausch über partizipative Projekte zwischen den Justizvollzugsanstalten in Hessen statt? Falls kein Erfahrungsaustausch stattfindet: Warum nicht? Ein Erfahrungsaustausch auch zu partizipativen Projekten zwischen den Justizvollzugsanstalten findet regelmäßig im Rahmen von Workshops, Fortbildungen oder Behördenleiterdienstbesprechungen statt, dies auch unter Beteiligung der Strafvollzugsabteilung des Hessischen Ministeriums der Justiz. Hierbei finden, neben dem intensiven Erfahrungsaustausch zum in Rede stehenden Thema, auch wissenschaftliche Erkenntnisse aus Evaluationen Eingang. Zudem werden Vorträge externer Fachkräfte gehalten. Auch wird über die Teilnahme an länderübergreifenden Arbeitsgruppen ein zusätzlicher Erfahrungsaustausch ermöglicht. Weiter werden Supervision und kollegiale Beratung angeboten. Letztlich bietet der Strafvollzugsausschuss der Länder den Abteilungsleitungen die Möglichkeit eines intensiven Austauschs. Frage 4. Welche Fortbildungen und Schulungen für die Durchführung partizipativer Projekte wurden für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hessischen Justizvollzugsanstalten in den Jahren 2005 bis heute durchgeführt? Ich bitte um Angabe der thematischen Ausrichtung dafür aufgewendeter Finanzmittel und um getrennte Darstellung der Maßnahmen für Anstaltsleiterinnen und Anstaltsleiter . Bezüglich der anstaltsintern durchgeführten Fortbildungsangeboten sind u.a. die Folgenden zu benennen: Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2279 3 JVA Rockenberg  Teamfortbildungen zu Wohngruppenstandards seit mehr als zehn Jahren,  Weiterbildung "Ressourcen- und lösungsorientierte Arbeit im Jugendvollzug". JVA Kassel I  Supervision für Bedienstete der Behandlungsstationen. JVA Butzbach  Supervision für Bedienstete der Behandlungsstationen. JVA Dieburg  Fortbildung zu Gruppentraining sozialer Kompetenzen. Die Kosten für anstaltsintern durchgeführte Fortbildungsmaßnahmen, auch hinsichtlich partizipativer Projekte, sind in den Jahresbudgets der Justizvollzugsanstalten enthalten und durch das Kontraktmanagement geregelt. Detaillierte Angaben für alle Maßnahmen, die seit 2005 bis heute durchgeführt wurden, sind nicht möglich. Außerdem werden durch das H.B. Wagnitz-Seminar anstaltsübergreifende themenbezogene Maßnahmen angeboten, die allen Mitarbeitern zur Verfügung stehen. Hierzu zählen u.a.:  Fortbildung für alle Bedienstete der Behandlungsstationen,  Integrative Teamarbeit im Strafvollzug,  Soziale Gruppenarbeit als Methode der Täterbehandlung,  Workshop für Vorstände der Gefangenensportvereine,  Workshop Sicherungsverwahrung,  Workshop Qualitätsmanagement der Vollzugsplanung,  Sportpädagogik im Justizvollzug,  Trainingsprogramm für Nachwuchskräfte im Psychologischen Dienst,  Reflektion des Wohngruppenvollzugs. Frage 5. Welche Informationen über partizipative Projekte aus anderen Bundesländern (z.B. Gefangenenzeitung Lichtblick Berlin, JVA Zeithain) liegen der Landesregierung vor? Die genannte Zeitung sowie weitere Medien werden der Fachabteilung und den Justizvollzugsanstalten regelmäßig elektronisch und in Druckversion zur Verfügung gestellt. Frage 6. Wie beurteilt die Landesregierung das Projekt "Just Community" der JVA Adelsheim insbesondere hinsichtlich: a) der Einübung resozialisierungsförderlicher Kompetenzen der Insassen, b) des Qualifizierungsbedarfs für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie der Anstaltsleitung der Justizvollzugsanstalt, c) der entstehenden Kosten, d) der Eignung für die Umsetzung in Hessischen Justizvollzugsanstalten? Das Projekt "Just Community" der Jugendstrafanstalt Adelsheim basiert auf der Idee der gerechten Schulgemeinschaft des Psychologen und Pädagogen Lawrence Kohlberg. Grundlegend geht dessen Idee davon aus, dass sich das moralische Urteil von Kindern in der kommunikativen Interaktion mit anderen Menschen entwickelt. Die Jugendstrafanstalt Adelsheim wird diesem Grundgedanken einer demokratischen Gemeinschaft mit einer überschaubaren Wohngruppe von ca. 15 Insassen und einem dazugehörigen festen Personalstamm gerecht. Im Gegensatz zu diesem projekthaften Angebot einer Wohngruppe in einem separaten Hafthaus der Jugendstrafanstalt Adelsheim bestimmt das Hessische Jugendstrafvollzugsgesetz die regelmäßige Unterbringung der Gefangenen in Wohngruppen, die entsprechend dem individuellen Entwicklungsstand und Förderbedarf zu bilden sind (§ 18 Abs. 1 HJStVollzG). Die Wohngruppen im Hessischen Jugendstrafvollzug stellen eine Lebensgemeinschaft für jeweils nicht mehr als zehn Gefangene dar. In der Wohngruppe sollen insbesondere Werte, die ein sozialverträgliches Zusammenleben ermöglichen, gewaltfreie Konfliktlösungen, gegenseitige Toleranz und Verantwortung für den eigenen Lebensbereich vermittelt und eingeübt werden (§ 18 Abs. 3 HJStVollzG). Soziale Einstellungen und moralische Orientierung werden nachhaltiger verinnerlicht, wenn sie das Ergebnis einer stetigen Auseinandersetzung mit der Gruppe der Gleichaltrigen und nicht nur bloße individuelle Anpassungsleistung an die Erwartungen der Erziehungsverantwortlichen und Förderplaner darstellen. 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2279 Mit diesen Festlegungen wird außerdem besonders konsequent die Forderung des Bundesverfassungsgerichtes umgesetzt, wonach die Gefangenen vor wechselseitigen Übergriffen zu schützen sind. Die für die jeweiligen Wohngruppen zuständigen Bediensteten nehmen aktiv an Gruppen und Freizeitmaßnahmen teil. Eine sorgfältige Reflektion der jeweils aktuellen Gruppendynamik gewährleistet ein hohes Maß an Transparenz der sozialen Beziehungen unter den Gefangenen. Das Projekt "Just Community" der JVA Adelsheim ist im Vergleich zu dem im hessischen Justizvollzug gesetzlich formulierten und nahezu flächendeckend praktizierten Wohngruppenvollzug lediglich eine örtlich beschränkte Umsetzung des Gedankens der demokratischen Lerngruppe . Wiesbaden, 21. August 2015 Eva Kühne-Hörmann