Kleine Anfrage der Abg. Dr. Sommer (SPD) vom 21.07.2015 betreffend Belastungen durch Depressionen/psychische Erkrankungen in Hessen und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Vorbemerkung der Fragestellerin: Während 1,2 % der hessischen Männer im Jahr 2013 eine Depressions-Diagnose erhalten haben, waren es bei den Frauen 2,1 %. Auch bei den Verordnungen liegen die Frauen vorn: 7,8 % der Patientinnen bekamen von ihren Ärzten Antidepressiva verschrieben, bei den Männern waren es 4,4 %. Studien zeigen, dass Krankheitsbilder wie Depressionen oder das oft genannte Burn-out-Syndrom ansteigen. Sie sind Phänomene unserer heutigen Zeit, die oftmals mit Druck, Stress, Arbeitsanforderungen, psychischen Belastungen und Angst vor dem Versagen im Alltag zusammenhängen. Die Nachfrage nach Beratungsinformationen steige stetig , berichten Praktikerinnen und Praktiker. Zudem steige die Anzahl der Erwerbstätigen, die Medikamente nehmen, um im Job leistungsfähiger zu sein oder Stress abzubauen. Laut einer DAK-Studie haben 408.000 Erwerbstätige Hirndoping bereits einmal angewandt. In 2003 hat die damalige Landesregierung jegliche finanzielle Hilfe für Beratungsstellen dieser Art weggekürzt und sich aus der Verantwortung gezogen. Viele Beratungsstellen kämpfen seither ums Überleben. Gerade angesichts der voll ausgelasteten Psychologinnen und Psychologen, langen Wartezeiten für Patientinnen und Patienten können Beratungsstellen eine erste Anlaufstelle sein, die niedrigschwellige Hilfestellungen für Menschen mit psychischen Belastungen leisten. Vorbemerkung des Ministers für Soziales und Integration: Es wird davon ausgegangen, dass bei der in 2003 erfolgten erwähnten Kürzung der Landesmittel für Beratungsstellen die Zuschüsse für die Psychosozialen Kontakt- und Beratungsstellen (PSKB) gemeint sind. In Hessen gab es damals wie heute 48 Beratungsstellen. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Welche Programme, Informations- und Beratungsmöglichkeiten und welche Präventionsangebote gibt es in Hessen bzgl. der Krankheitsbilder Depression bzw. Burn-out und wie beteiligt sich die Landesregierung daran? Es gibt eine Vielzahl von Informationen bezüglich der angesprochenen Krankheitsbilder, die von den an der Versorgung Beteiligten vorgehalten werden. Auch sei auf das Deutsche Bündnis gegen Depression und die Stiftung Deutsche Depressionshilfe verwiesen. Seitens der Landesregierung liegen zu dieser Frage keine systematischen quantifizierbaren Erkenntnisse vor. Bedingt durch die Diskussionen über psychische Belastungen/psychische Beanspruchungen in der Arbeitswelt wurden vielfach in den Betrieben Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung ergriffen, bei denen in den letzten Jahren verstärkt auch ein Schwerpunkt auf Stressabbau , Förderung der Resilienz etc. gelegt wurde. Es liegen allerdings keine Daten darüber vor, wie viele derartige Maßnahmen angeboten werden und wie der Grad der Inanspruchnahme durch die Beschäftigten ist. Bundesweit findet derzeit - im Rahmen der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) - eine Schwerpunktaktion zum Thema "Schutz und Stärkung der Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen" statt, in deren Verlauf in den Jahren 2015 bis 2018 bundesweit 12.000 Betriebe aufgesucht werden (in Hessen ca. 700) und über die Notwendigkeit der Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung zu psychischen Belastungen und die Ableitung entsprechender Maßnahmen beraten werden. Auch die Themen "traumatische Ereignisse" und "psychische Belastungen und Arbeitszeit" werden angesprochen. Zwar handelt es sich hier nicht um Eingegangen am 23. Oktober 2015 · Ausgegeben am 27. Oktober 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/2281 23. 10. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2281 eine direkte Prävention psychischer Erkrankungen, es ist jedoch davon auszugehen, dass betriebliche Verhältnisprävention im Zusammenhang mit betrieblicher Gesundheitsförderung mittelfristig einen Beitrag zur Senkung des Risikos von Burn-out und Depressionen leisten kann. Konkret beteiligt sich das Hessische Ministerium für Soziales und Integration am Hohe-MarkProjekt . Das Projekt ist eine Initiative des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration in Zusammenarbeit mit einer Forschungsgruppe der Klinik Hohe Mark, der Abteilung Sportmedizin der Goethe-Universität Frankfurt, der Hochschule Darmstadt, der Psychotherapeutenkammer Hessen und dem Landessportbund Hessen. Ziel ist es, einen wissenschaftlichen Nachweis über die Wirksamkeit von körperlicher Aktivität, Sport und Bewegung für die Therapie und für Prävention von Depressionen zu erbringen und diese Bewegungsroutinen nachhaltig im Alltag nach der Entlassung zu verankern. Dazu ist ein ausgestatteter Parcours mit ausgewählten Geräten von nun an Teil der bewegungsrehabilitativen Maßnahme der Klinik. Im Anschluss an die Entlassung soll vor Ort ein entsprechendes Programm zur Fortführung angeboten werden. Somit endet das Projekt nicht nach dem stationären Aufenthalt, sondern wird an dem kommunalen Bewegungsparcours am Wohnort weiter fortgesetzt . Diese Maßnahme sichert die Fortführung eines körperlich aktiven Lebensstils. Dieses Potenzial wird nun in einer Studie der beteiligten Forschungseinrichtungen wissenschaftlich evaluiert. Im Untersuchungsmittelpunkt stehen die Effekte und die Nachhaltigkeit einer 3-monatigen Bewegungsparcours-Nutzung bei Personen mit Depression. Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass als Folge von sportlicher Aktivität eine Verminderung von depressiven Verstimmungen, eine erhöhte Stresstoleranz, eine Verbesserung der Grundstimmung und eine grundsätzlich höhere Zufriedenheit erreicht werden kann. Körperliche Aktivität, Sport und Bewegung gelten als effektive Gesundheitsressource in der Prävention und in der Behandlung der Krankheit. Frage 2. Ist eine Ausweitung der Angebote geplant? Ob eine Ausweitung der Angebote geplant ist, kann von hier nicht beantwortet werden, da dies in der Verantwortung der verschiedenen Akteure im Gesundheitswesen liegt. Eine wesentliche Aufgabe der Landesregierung besteht darin, vorhandene Angebote besser zu vernetzen. Frage 3. Gibt es ein Informationsportal, das Beratungsstellen, Psychologinnen und Psychologen sowie weitere Therapieangebote und Dienstleistungen umfasst? Es gibt im Internet eine Vielzahl von Übersichten zu Therapieangeboten, ambulanter und stationärer Versorgung sowie Beratungsstellen. Frage 4. Was wird die Landesregierung dazu beitragen, dass Betroffene einer Krankheit vorbeugen können ? Wie wird sie die Prävention diesbezüglich unterstützen? Im Zuge der Umsetzung des Präventionsgesetzes werden auch Maßnahmen im Bereich der psychischen Gesundheit Eingang finden. Die konkrete Umsetzung ist derzeit in Beratung. Frage 5. Ist der Landesregierung bekannt, dass viele dieser Beratungsstellen in ihrer Existenz bedroht sind? Wenn ja, welche Maßnahmen will sie dagegen ergreifen? Es wird auf die Vorbemerkung verwiesen, dass keine Beratungsstelle in Hessen geschlossen hat. Frage 6. Wird die Landesregierung, nachdem sie 2003 die finanzielle Unterstützung weggekürzt hat, diese reaktivieren, um der steigenden Nachfrage dieser dringend notwendigen Beratungs- und Hilfsangebote gerecht zu werden? Wenn ja, mit welcher monetären Unterstützung können Beratungsstellen rechnen? Wenn nein, warum erfolgt eine solche Subvention nicht? Es sind keine Mittel zur Förderung der Psychosozialen Kontakt- und Beratungsstellen im Landeshaushalt eingestellt. Frage 7. Welchen Beitrag leistet die Landesregierung derzeit und zukünftig, um Angehörige von Menschen , die unter Depressionen/psychischen Erkrankungen leiden, zu unterstützen? Die Landesregierung steht in regelmäßigem Austausch mit den Angehörigen psychisch kranker Menschen. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2281 3 Frage 8. Welchen Zusammenhang sieht die Landesregierung in Bezug auf Arbeitsverdichtung mit Depressionen /psychischen Erkrankungen und pharmakologischem Neuro-Enhancement? Welche Möglichkeiten sieht sie, Hirndoping zu vermeiden? Das Burn-out-Syndrom ist bis heute nicht genau definiert und es lässt sich schwer abgrenzen, welche Rolle die Arbeitsbedingungen, die Lebensbedingungen, die Persönlichkeit jeweils spielen . Burn-out ist ein krisenhafter Prozess und nicht ein Zustand, der von einem Tag auf den anderen eintritt. In der Arbeitswissenschaft / Arbeitspsychologie wird davon ausgegangen, dass Arbeitsverdichtung - im Zusammenhang mit anderen Faktoren - bei der Entstehung von Burn-out eine Rolle spielen kann. Über konkrete Ursache-Wirkungsbeziehungen liegen allerdings noch keine belastbaren Forschungsergebnisse vor. Im Arbeitsschutz wird vor diesem Hintergrund betont, dass präventive Maßnahmen gegen Burn-out sowohl am Individuum im Sinne des Aufbaus von Stressbewältigungskompetenz und Erholungsfähigkeit ansetzen müssen, wie auch auf Organisationsebene im Sinne der Gestaltung einer gesundheitsförderlichen Präventionskultur. Spezifische Informationen über pharmakologisches Neuro-Enhancement als den Versuch, mittels verschreibungspflichtiger Medikamente die kognitive Leistungsfähigkeit oder das psychische Wohlbefinden zu verbessern oder Ängste und Nervosität abzubauen, liegen in Hessen nicht vor. Einige Informationen über den Gebrauch / Missbrauch von pharmakologischem NeuroEnhancement durch Erwerbstätige in Deutschland bietet der DAK-Gesundheitsreport 2015 unter dem Titel "Doping am Arbeitsplatz". Dort werden aktuelle Daten zur Verbreitung des Missbrauchs verschreibungspflichtiger Medikamente zur Leistungssteigerung und zur Verbesserung des psychischen Wohlbefindens unter Erwerbstätigen, inklusive einer Schätzung der Dunkelziffer , vorgelegt. Danach geben knapp 7 % der Befragten an, wenigstens einmal im Leben pharmakologisches Neuro-Enhancement betrieben zu haben - inklusive der Dunkelziffer wird der Anteil auf etwa 12 % geschätzt. Der Anteil der aktuellen Verwender ist deutlich niedriger. Regelmäßige aktuelle Konsumenten (regelmäßig heißt zweimal pro Monat und öfter) sind etwa 2 bis (inklusive Dunkelziffer) 3,5 %. Gegenüber 2008, dem letzten Befragungszeitpunkt des DAK Gesundheitsreport, hat die Verbreitung von pharmakologischem Neuro-Enhancement in der Arbeitswelt zugenommen. Auch das Wissen um die vermeintlichen Möglichkeiten verschreibungspflichtiger Medikamente, auch für Gesunde, hat gegenüber 2008 offenbar stark zugenommen . Zusammenfassend kommt die DAK zu der Auffassung, dass die Zahlen nicht die Annahme stützen , dass es sich beim ‚Doping am Arbeitsplatz‘ bzw. ‚Enhancement aktiv Erwerbstätiger‘ um ein weit verbreitetes Phänomen handelt, jedoch ist von einer kleinen Gruppe regelmäßiger Verwender auszugehen, die ein erhebliches gesundheitliches Risiko eingehen. Aus der Sicht der Landesregierung sind zur Vermeidung von "Hirndoping" abgestufte Strategien erforderlich, die zunächst eine menschengerechte Gestaltung der Arbeit und der Arbeitszeit voraussetzen, durch angemessene Angebote der betrieblichen Gesundheitsförderung ergänzt werden und letztlich auch durch gezielte Präventionsarbeit bei den Beschäftigten nachhaltig gestützt werden, die darüber informiert, dass der Nutzen des pharmakologischen NeuroEnhancements zweifelhaft ist und mit gravierenden gesundheitlichen Risiken einhergeht. Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen Depressionen/psychischen Erkrankungen und pharmakologischem Neuro-Enhancement. Depressionen gehören zu den häufigsten und hinsichtlich ihrer Schwere am meisten unterschätzten Erkrankungen. Jeder fünfte Bundesbürger erkrankt ein Mal im Leben an einer Depression. Insgesamt erkranken in Deutschland ca. 4,9 Mio. Menschen jedes Jahr an einer behandlungsbedürftigen , unipolaren Depression. Die Ursachen depressiver Störungen sind komplex und nur teilweise verstanden. Es werden sowohl biologische Faktoren wie genetische Prädispositionen, Persönlichkeit und Persönlichkeitsentwicklung in der Adoleszenz und somit individuelle kognitive Verarbeitungsmuster als auch aktuelle, belastende Ereignisse als Auslöser angesehen. Zu bedenken ist, dass zwischen genetischen Faktoren und Umweltfaktoren komplizierte Wechselbedingungen (Genom-Umwelt-Kovarianz) bestehen können. So können genetische Faktoren z.B. bedingen, dass ein bestimmter Mensch durch eine große Risikobereitschaft sich häufig in schwierige Lebenssituationen manövriert. Umgekehrt kann es von genetischen Faktoren abhängen , ob ein Mensch eine psychosoziale Belastung bewältigt oder depressiv erkrankt. Unter "pharmakologischem Neuro-Enhancement" versteht man die Einnahme psychoaktiver Substanzen aller Art durch Gesunde, mit dem Ziel der geistigen Leistungssteigerung, beispielsweise bezüglich Wachheit, Gedächtnis oder Stimmung. "Hirndoping" im engeren Sinne meint die missbräuchliche Einnahme einer Subgruppe solcher Substanzen, die in der Regel verschreibungspflichtig oder illegal sind. Zu diesen Substanzen 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2281 zählen vor allem Psychostimulanzien (Amphetamine, Methylphenidat) und Modafinil, aber auch Antidementiva (Acetylcholinesterase-Inhibitoren, Memantine) und Antidepressiva (selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer ), die eigentlich zur Therapie des Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitäts-Syndroms, der Alzheimer-Demenz und Depressionen eingesetzt werden. Es gibt derzeit keine wissenschaftliche Evidenz dafür, dass Hirndoping von einem größeren Teil der Menschen in Deutschland betrieben wird. Auch die Autoren des DAK Gesundheitsreports 2009 (Datengrundlage der Anfrage) resümierten , dass die Befragungsergebnisse insgesamt betrachtet »nicht die Annahme [stützen], dass es sich beim "Doping am Arbeitsplatz"bzw. 'Enhancement aktiv Erwerbstätiger' um ein (bereits) weit verbreitetes Phänomen handelt. Vielmehr verstärkte sich der Eindruck, dass in der Öffentlichkeit ein verzerrtes Bild dargestellt wird" (DAK 2009, S. 60). Im Rahmen einer Studie des Robert Koch-Instituts (KOLIBRI-Studie) wurde im Jahr 2010 eine deutschlandweite Befragung von 6.142 Personen zum Konsum leistungsbeeinflussender Mittel in Alltag und Freizeit durchgeführt. Dabei wurde die Anwendung verschreibungspflichtiger und illegaler Substanzen (z.B. Amphetamine ), aber auch frei verkäuflicher Präparate in der Allgemeinbevölkerung ab 18 Jahren erhoben . Die Ergebnisse der KOLIBRI-Studie zeigten, dass pharmakologisches Neuro-Enhancement mit Medikamenten oder illegalen Mitteln in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung Deutschlands nur gering verbreitet ist. Aus dem aktuellen DAK-Gesundheitsreport (2015) geht Folgendes hervor: Die Verwendung verschreibungspflichtiger Medikamente zum Neuro-Enhancement hat 2014 gegenüber 2008 zugenommen. Die Analysen des Reports zeigen, dass pharmakologisches Neuro-Enhancement weiterhin kein verbreitetes Phänomen ist. Jedoch ist von einem harten Kern von etwa 2 bis 3,5 % aktueller und regelmäßiger Konsumenten auszugehen. Die Verwendung von pharmakologischem NeuroEnhancement verbleibt damit also auf einem niedrigen Niveau. Gleichzeitig wurde jedoch auch festgestellt, dass der Großteil der Arbeitnehmer hier schon auf dem richtigen Weg ist und beruflichen Stress aktiv angeht: mehr als jeder Zweite setzt auf eine gute Organisation bei der Arbeit. 44 % der Beschäftigten achten darauf, ihre Freizeit möglichst sinnvoll zu verbringen. Sechs von Zehn schlafen ausreichend, um besonders leistungsfähig zu sein. Die hessische Landesregierung unterstützt seit Jahren mit erheblichen finanziellen Mitteln die medizinische und transnationale Forschung in ihrer gesamten Breite. Wiesbaden, 16. Oktober 2015 Stefan Grüttner