Kleine Anfrage der Abg. Löber, Lotz und Müller (Schwalmstadt) (SPD) vom 22.07.2015 betreffend Schlachtung tragender Rinder und Antwort der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Vorbemerkung der Fragesteller: In Deutschland gehen Studien von ca. 10 % der weiblichen Rinder aus (180.000 Tiere), die überwiegend gegen Mitte oder Ende der Trächtigkeit geschlachtet werden. Seit Anfang 2013 gibt es eine EU-weite gesetzliche Regelung zu Schlachtungen, jedoch keine Vorschriften zum Schlachten tragender Tiere. Die Diskussion um die Schlachtung von Kühen, die bereits im dritten Trimester tragend sind, ist nicht neu. Aktuell kam sie wohl auch nur wieder auf, weil es neue Forschungsergebnisse darüber gab, welche Auswirkungen die Trächtigkeitshormone auf das Fleisch haben. Die Hormone haben ab dem siebten Monat einen Einfluss auf die Qualität des Fleisches (Kühe sind neun Monate und +/- 10 Tage trächtig). Es muss in Deutschland im Schlachthof nicht kontrolliert werden, ob eine Kuh tragend ist oder nicht. Vor dem Schlachten wird die Kuh durch einen Bolzenschuss betäubt, das hat allerdings keine Wirkung auf den Fötus, bis dieser durch Mangel an Sauerstoff erstickt. Diese Vorbemerkung der Fragesteller vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Worin sieht die Landesregierung die Gründe für die Schlachtung tragender Rinder? Die Gründe für die Schlachtung tragender Rinder sind bisher nicht abschließend geklärt. Aus einem Forschungsbericht aus dem Jahr 2014 zum Umfang und den Hintergründen der Schlachtung tragender Rinder (Freitag M., Ickler A. L., Pieper J., 2014: Schlachtung gravider Rinder - Umfang und Hintergründe. Forschungsberichte des Fachbereich Agrarwissenschaft Soest Nr. 34) gehen unter Bezugnahme auf verschiedene Veröffentlichungen zu der Thematik insbesondere folgende Gründe hervor:  Unerkannte Trächtigkeit,  schlechtes Herdenmanagement mit fehlender Übersicht über den Trächtigkeitsstatus der einzelnen Tiere und Unterlassen der Trächtigkeitsuntersuchung, z.B., o bei der Extensivhaltung, bei der es durch den Natursprung des in der Herde mitlaufenden Bullen zur Befruchtung der Kühe ohne Terminbestimmung kommt, o bei einem zu späten Absetzen der Bullenkälber im Rahmen der Mutterkuhhaltung, bei der es zur Befruchtung von Kühen ohne Terminbestimmung kommen kann,  Verletzungen des Tieres, die eine weitere Nutzung ausschließen,  Krankschlachtung: im Falle einer akuten Erkrankung, z.B. Klauenerkrankung, Eutererkrankung , Herzkreislaufstörung usw. der Kuh mit erforderlichen, ggf. teuren tierärztlichen Behandlungen , kommt dem Kalb sekundäre Bedeutung zu, da für den Landwirt die wirtschaftlichen Folgen im Vordergrund stehen,  Ökonomische Faktoren: o Alter des Tieres, o nachlassende Leistung, o schlechte wirtschaftliche Lage eines Betriebes in Verbindung mit einem geringen Handelswert der Kälber,  Fehldiagnose bei der Trächtigkeitsuntersuchung,  Bestandsräumung infolge tierseuchenrechtlicher Maßnahmen, Eingegangen am 3. September 2015 · Ausgegeben am 8. September 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/2303 03. 09. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2303  "Sanierungsversuche" bei hygienischen Problemen, z.B. hoher Milchzellgehalt,  Masthilfe : die bewusste Besamung zur Wachstumsförderung kann nicht nachgewiesen, aber auch nicht gänzlich ausgeschlossen werden, hierbei würden Milchkühe ca. drei Monate vor dem Schlachttermin besamt, damit es durch den Anstieg der Sexualhormone zu einer hormonell bedingten Gewichtszunahme kommt. Frage 2. Wie bewertet die Landesregierung, die in Frage 1 genannten Gründe, aus ethischer, medizinischer , tierschutzrechtlicher und wirtschaftlicher Sicht? Die bewusste Schlachtung eines gesunden, tragenden Rindes, insbesondere im letzten Trimester, ist sowohl aus ethischer, medizinischer als auch tierschutzrechtlicher Sicht grundsätzlich abzulehnen . In Einzelfällen, z.B. im Rahmen der erforderlichen Notschlachtung eines Tieres oder bei Bestandsräumungen im Rahmen tierseuchen-rechtlicher Maßnahmen kann es jedoch unvermeidbar sein, dass tragende Tiere zur Schlachtung gelangen oder getötet werden müssen. Ökonomische Gründe stellen keinen vernünftigen Grund im Sinne des Tierschutzgesetzes zur Tiertötung dar, so dass die Schlachtung eines tragenden Rindes abzulehnen ist. Frage 3. Wie steht die Landesregierung zu einer Trächtigkeitsüberprüfung von Rindern vor der Schlachtung ? Auf die Antwort zu Frage 8 in Verbindung mit Nr. 1 c der Protokollerklärung wird verwiesen. Frage 4. Wie hoch ist der Aufwand einer Trächtigkeitsuntersuchung im 1., 2. und 3. Trimester? Die Trächtigkeitsuntersuchung stellt eine sehr häufig durchgeführte Routinetätigkeit in der Nutztierpraxis dar. Ab der 5. Trächtigkeitswoche kann sie von erfahrenen Untersuchern, von weniger Erfahrenen ab der 6. bis 8. Woche nach der Konzeption mittels transrektaler manueller Palpation (Betasten mit der Hand) einfach und günstig durchgeführt werden. Darüber hinaus hat sich die transrektale Ultraschalldiagnostik zur genauen und sicheren Trächtigkeitsuntersuchung in der Rinderpraxis etabliert, die nach dem 20. Tag, wenn embryonale Strukturen erkennbar sind, angewandt wird. Als indirekte Methoden zur Trächtigkeitsdiagnostik stehen der laborgebundene Nachweis graviditätsspezifischer Proteine (Bovine Pregnancy Associated Glycoproteins - bPAGs) im Blutserum zur Verfügung. Zudem kann der Nachweis von Progesteron in Blut und Milch zur Trächtigkeitsdiagnose herangezogen werden, der auf der Sekretion von Progesteron durch den Trächtigkeitsgelbkörper beruht und hauptsächlich zum Ausschluss einer Trächtigkeit drei Wochen nach der Belegung eingesetzt wird, da die Progesteronkonzentration bei trächtigen Tieren über den 20. Tag hinaus auf einem erhöhten Niveau bestehen bleibt, während sie bei nicht tragenden Tieren ab dem 17. Tag nach der Besamung aufgrund der Rückbildung des Zyklusgelbkörpers wieder abfällt. Neben laborgebundenen Testverfahren zur Progesteronbestimmung gibt es auch Nachweisverfahren, die im Stall durchgeführt werden können und somit eine schnelle Diagnose vor Ort ermöglichen. Weiterhin stehen ab der 15. Trächtigkeitswoche die Bestimmung von Östronsulfat in der Milch und die Östrogenbestimmung im Blut als Nachweisverfahren für das Vorhandensein einer lebenden Frucht zur Verfügung, da die Plazenta (Mutterkuchen) als Hormonbildungsstätte für diese Östrogene fungiert. Frage 5. Wie bewertet die Landesregierung einen Landeskodex für Hessen zur Schlachtung tragender Rinder , wie es ihn bereits in Schleswig-Holstein gibt? Der "Landeskodex Schleswig-Holstein zum Verzicht auf das Schlachten hochtragender Rinder" wird seitens der Landesregierung begrüßt. Frage 6. Wird die Landesregierung einen Landeskodex zur Schlachtung tragender Rinder in Hessen herausgeben ? Falls nein, weshalb nicht? Die Landesregierung steht einem Landeskodex zum Verzicht auf das Schlachten tragender Rinder offen gegenüber. Das Thema wird daher im Rahmen der Beratungen des "Runden Tisches Tierwohl" zeitnah aufgegriffen, die diesbezüglichen Beschlüsse bleiben abzuwarten. Frage 7. Wie steht die Landesregierung zur Forderung der Bundestierärztekammer die Schlachtung tragender Rinder - bis auf wenige Ausnahmen - zu verbieten? Die Forderung der Bundestierärztekammer wird seitens der Landesregierung begrüßt. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2303 3 Frage 8. Wird sich die Landesregierung für ein Verbot der Schlachtung tragender Rinder auf Bundes- und EU-Ebene einsetzen? Falls nein, weshalb nicht? Die Landesregierung hat sich bereits für ein Verbot der Schlachtung tragender Rinder auf Bundes - und EU-Ebene eingesetzt. Dementsprechend wurde im Rahmen der Agrarministerkonferenz am 5. September 2014 ein Beschluss zum Tagesordnungspunkt "Grundsätzliches Verbot der Schlachtung gravider Rinder" gefasst und eine Protokollerklärung, u. a. des Landes Hessen, abgegeben. Der Beschluss lautet folgendermaßen: 1. Die Ministerinnen, Minister und Senatoren der Agrarressorts der Länder stellen fest, dass es im Tierschutzgesetz derzeit keine Regelungen für den Umgang mit Föten und ungeborenen Kälbern als schutzbedürftige Lebewesen gibt. 2. In diesem Sinne bitten sie den Bund, die bisherige Praxis in einem Bericht bis zur Frühjahrs -AMK 2015 darzustellen und sich auf nationaler und EU-Ebene für die Prüfung rechtlicher Bestimmung zur Vermeidung von Schmerzen und Leiden auch bei Föten bzw. ungeborenen Kälbern in Zusammenhang mit der Schlachtung gravider Rinder einzusetzen . 3. Darüber hinaus bitten die Ministerinnen, Minister und Senatoren der Agrarressorts der Länder das BMEL, darauf hinzuwirken, dass möglichst EU-einheitliche Kriterien zum Umgang mit graviden Rindern und mit weit entwickelten Föten entwickelt werden. Protokollerklärung der Länder Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein: 1. Vor dem Hintergrund, dass die Schlachtung gravider Rinder bislang nicht geregelt ist und zudem bei deren Schlachtung bisher die Belange des Tierschutzes des Muttertieres im Vordergrund stehen, bitten die Ministerinnen, Minister und Senatoren der Agrarressorts der Länder den Bund, sich auf nationaler und EU-Ebene für konkrete rechtliche Bestimmungen zur Vermeidung von Schmerzen und Leiden auch bei Föten bzw. ungeborenen Kälbern in Zusammenhang mit der Schlachtung gravider Rinder einzusetzen. In diesem Sinne bitten die Ministerinnen, Minister und Senatoren der Agrarressorts der Länder den Bund, a) die Implementierung eines grundsätzlichen Abgabeverbots hochgravider Rinder, insbesondere im letzten Drittel der Trächtigkeit, zur Schlachtung, b) eine Ausweitung des bestehenden Transportverbotes für trächtige Tiere über das letzte Zehntel der Trächtigkeit hinaus sowie erweiterte Sanktionsregelungen (Ordnungswidrigkeiten ), c) ein Informationsgebot zum Trächtigkeitsstadium jedes geschlechtsreifen weiblichen Rindes bei Abgabe des Tieres zur Schlachtung und d) Regelungen zu Betäubungs- und Tötungsverfahren für Föten bzw. ungeborene Kälber zu prüfen. 2. Die Bundesregierung wird gebeten, die Viehverkehrsverordnung dahin gehend zu ändern , dass unter Berücksichtigung der Belange der Tiergesundheit das Verbringen von in einer Schlachtstätte lebend geborenen Kälbern in eine geeignete Haltungseinrichtung durch die zuständige Behörde genehmigt werden kann. 3. Darüber hinaus bitten die Ministerinnen, Minister und Senatoren der Agrarressorts der Länder das BMEL darauf hinzuwirken, dass möglichst EU-einheitliche Kriterien festgelegt werden, wann in Abhängigkeit vom Vorliegen eines entsprechend ausgebildeten Wahrnehmungs- und Empfindungsvermögens ein entwickelter Fötus schnellstmöglich (z.B. durch Anwendung geeigneter Betäubungs- und Euthanasiemittel) zu betäuben und tierschutzgerecht zu töten ist. 4. Die Ministerinnen, Minister und Senatoren der Agrarressorts der Länder bitten das BMEL ferner, entsprechende und unter Tierschutzaspekten notwendige Maßnahmen und Regelungen für weitere Klauentiere (Schweine, Schafe, Ziegen) sowie pferdeartigen Tieren (Pferd, Esel u.a.) zu prüfen. 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2303 Frage 9. Welche Maßnahmen können aus Sicht der Landesregierung in Hessen ergriffen werden, um die Zahl der zur Schlachtung kommenden tragenden Rinder zu reduzieren? Im Hinblick auf eine valide Datenerfassung zur Dimension der Schlachtung hochträchtiger Tiere werden in den hessischen Schlachtbetrieben die Daten von Rindern, die im letzten Trächtigkeitsdrittel zur Schlachtung angeliefert werden, systematisch erfasst, dokumentiert und als "für das Wohlbefinden der Tiere relevante Befunde" an die Herkunftsbetriebe zurückgemeldet. Darüber hinaus wird bei der Feststellung hochtragender Tiere seitens der für den jeweiligen Schlachtbetrieb zuständigen Veterinärbehörde geprüft, ob ein Verstoß gegen die TierschutzTransportvorschriften vorliegt. Zur Erfassung repräsentativer Daten wird auch das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) geförderte Forschungsprojekt "SiGN" zur Schlachtung gravider Nutztiere unterstützt. Mit dem Projekt werden derzeit Daten zur Anzahl trächtig geschlachteter Nutztiere und das jeweilige Trächtigkeitsstadium auf Schlachthöfen im ganzen Bundesgebiet erfasst und die Gründe für die Abgabe trächtiger Tiere in Zusammenarbeit mit kooperierenden Herkunftsbetrieben, unter Wahrung des Datenschutzes, ermittelt. Im Übrigen wird auf die Antworten zu den Fragen 6 und 8 verwiesen. Wiesbaden, 24. August 2015 In Vertretung: Dr. Beatrix Tappeser