Kleine Anfrage des Abg. Schaus (DIE LINKE) vom 12.08.2015 betreffend verhindert das Luftverkehrsabkommen zwischen der EU und den USA einen besseren Lärm- und Umweltschutz am Frankfurter Flughafen? und Antwort des Ministers für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung Vorbemerkung des Fragestellers: Das Luftverkehrsabkommen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Gemeinschaft vom 25. und 30. April 2007 (nachfolgend: Abkommen) enthielt in seinem Artikel 21 Absatz 1 den Auftrag an die Vertragsparteien, "ein Abkommen der zweiten Stufe" bis November 2010 auszuhandeln. Die Verhandlungen über ein "Abkommen der zweiten Stufe" begannen im Mai 2008. Das Protokoll zur Änderung des 2007 unterzeichneten Luftverkehrsabkommen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten (nachfolgend: Protokoll) "wurde am 25. März 2010 in Brüssel paraphiert und am 24. Juni 2010 in Luxemburg unterzeichnet. […] Ziel des Protokolls ist es, auf der durch das Abkommen geschaffenen Grundlage aufzubauen, um den Zugang zu den Märkten zu öffnen und größtmöglichen Nutzen für Verbraucher, Luftfahrtunternehmen, Arbeitnehmer und Gemeinschaften beiderseits des Atlantiks zu erzielen." Erreicht wurde eine "Vertiefung der Zusammenarbeit der Vertragsparteien in den Bereichen Umwelt, Flugsicherheit, Luftsicherheit, Luftverkehrsmanagementsysteme der Europäischen Union ("SESAR") und der Vereinigten Staaten von Amerika ("Next Gen")." [Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 24. Juni 2010 zur Änderung des am 25. Und 30. April 2007 unterzeichneten Luftverkehrsabkommens zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten, A. Problem und Ziel; 18.06.2015; Bundestagsdrucksache 18/5271] Mit vorliegendem Entwurf eines Vertragsgesetzes (BT-Drs. 18/5271) soll der Protokolltext des erweiterten Luftverkehrsabkommens in deutsches Recht überführt werden. Dabei ist die Regelung über den "ausgewogenen Ansatz" der International Civil Aviation Organization (ICAO, deutsch: Internationale Zivilluftfahrtorganisation ) aus der lärmbedingten Betriebsbeschränkungsverordnung übernommen worden. Nicht übernommen wurden die Forderungen nach Gesundheitsschutz und die Einhaltung einschlägiger Regelungen der Europäischen Union zum Umweltschutz. Ganz im Gegenteil soll der Deutsche Bundestag per Vertragsgesetz eine Protokollregelung für Deutschland verbindlich beschließen, mit dem er den Umweltschutz im Luftverkehr und an deutschen Flughäfen in die Hand der ICAO gibt. Vorbemerkung des Ministers für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung: Die der Kleinen Anfrage zugrunde liegende Auffassung, mit der Annahme des Vertragsgesetzes werde der Umweltschutz im Luftverkehr und an deutschen Flughäfen in die Hand der ICAO gegeben, ist falsch. Deutsche Umwelt- und Lärmschutzstandards an Flughäfen müssen nicht aufgegeben werden bzw. können weiterhin nach entsprechender gesetzgeberischer Entscheidung oder planerischer Abwägung erlassen werden, sofern sie zur Konfliktbewältigung erforderlich sind und Verfahrensvorschriften beachtet wurden. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Die ICAO ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen (UN), über die vor allem die Luftverkehrswirtschaft Standards für die sichere Abwicklung des internationalen Luftverkehres organisiert . Laut eigener Darstellung ist eines der Hauptziele der ICAO, das Wachstum des Luftverkehrs zu fördern. a) Wer sind die einflussreichsten Akteure in der ICAO? Wie eingangs der Anfrage zutreffend festgestellt wurde, handelt es sich bei der ICAO um eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Mitglieder der ICAO sind ausschließlich Staaten und keine weiteren Akteure (insb. keine Luftfahrtunternehmen, -verbände oder Flughafenbetreiber ). Derzeit gehören nach eigenen Angaben der ICAO (Stand: 2013) 191 Staaten und damit faktisch sämtliche Luftfahrt betreibenden Nationen der ICAO an. In dem obersten Organ der ICAO, der Versammlung (Assembly), ist jeder Mitgliedstaat mit einer Person vertreten. Für die Wahrnehmung der Aufgaben für Deutschland in der ICAO ist der Bund zuständig. Im Rat (Council) der ICAO sind 36 Staaten vertreten, darunter Deutschland. Den Vorsitz des Rates hat Eingegangen am 23. September 2015 · Ausgegeben am 24. September 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/2339 23. 09. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2339 Dr. Olumuyiwa Benard Aliu (Nigeria) inne, der in verschiedenen staatlichen Funktionen u.a. für die Entwicklung der Zivilluftfahrt in Afrika gearbeitet hat. Darüber hinaus gibt es eine Expertenkommission (ICAO Air Navigation Commission), deren Mitglieder vom Rat benannt werden. Derzeitiger Vorsitzender der Expertenkommission ist Farid Zizi, der zuvor an der Nationalen Hochschule für Luftverkehr in Frankreich tätig war bzw. Projekte im Rahmen von SESAR (Single European Sky; Initiative der EU für einen einheitlichen Luftraum in der EU) und Eurocontrol (Europäische Organisation zur Sicherung der Luftfahrt) koordinierte. Der deutsche Vertreter der Kommission, Rolf Monning, war zuvor lange Jahre mit Fragen der Luftverkehrssicherheit im Luftfahrt-Bundesamt befasst. Frage 1. b) Hält die Hessische Landesregierung die ICAO für geeignet, bei Interessenskonflikten Maßnahmen des Umwelt- und Gesundheitsschutzes im Luftverkehr - auch gegen die Luftverkehrswirtschaft - durchzusetzen? Auf die Antwort zu Frage 1 a und die nachfolgenden Antworten wird verwiesen. Die ICAO ist eine internationale Organisation unter dem Dach der Vereinten Nationen, in der von ihren Mitgliedstaaten die völkerrechtlichen Grundsätze und Vorgaben zur zivilen Luftfahrt beschlossen werden. Vertreter der Luftverkehrswirtschaft haben in der ICAO keinen Mitgliedstatus. Grundsätzlich ist es nicht die Aufgabe der ICAO konkret über Interessenskonflikte zwischen der Luftverkehrswirtschaft und dem Umwelt- und Gesundheitsschutz z.B. an einem bestimmten Flughafen zu entscheiden. Dies obliegt den Mitgliedstaaten. Frage 2. Eine zentrale Weichenstellung in dem von der EU am 24. Juni 2010 beschlossenen Protokoll ist die Erklärung der Vertragsparteien, den "ausgewogenen Ansatz" der ICAO in den Vertragsländern verbindlich zu machen. a) Was ist unter "ausgewogener Ansatz" der ICAO zu verstehen? Antwort bitte mit wenigstens einem Beispiel. Der sogenannte Balanced Approach ist Bestandteil der grundlegenden Resolution A 35-5 der ICAO Versammlung aus 2001. Diese Resolution zum Umweltschutz wurde 2007 durch die weiterentwickelte Resolution A 36-22 abgelöst. In der Resolution wurden Grundsätze zum Umweltschutz festgelegt, u.a. die Anerkennung der ICAO, dass der Schutz vor Fluglärm ein von der ICAO zu verfolgendes Ziel ist. Hierbei wurde erklärt, dass das Ziel der ICAO die maximale Kompatibilität der sicheren und ordnungsgemäßen Entwicklung des zivilen Luftverkehrs einerseits und der Umweltqualität andererseits sei. In Ausübung dieser Verantwortung hat die Versammlung beschlossen, dass die ICAO anstrebt “(1) die Zahl von erheblichem Fluglärm betroffenen Menschen zu begrenzen oder zu verringern (2) die Auswirkungen luftverkehrsbedingter Emissionen auf die lokale Luftqualität zu begrenzen oder zu verringern und (3) die Auswirkung luftverkehrsbedingter Treibhausgasemissionen auf das Weltklima zu begrenzen oder zu verringern “ (Appendix A Nr. 1 der Resolution A 36-22). Ein Bekenntnis zu diesen drei Grundsätzen wurde ausdrücklich in Anlage C zum Luftverkehrsabkommen mit den USA als gemeinsame Erklärung der Delegationen der USA und der EU aufgenommen. Der Balanced Approach sieht ausdrücklich vor, dass die Letztverantwortung, wie ein angemessener Lärmschutz an ihren Flughäfen erfolgt, bei den Mitgliedstaaten liegt, unter Berücksichtigung der Regeln und Grundsätze der ICAO. Außerdem wird anerkannt, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen von Mitgliedstaaten zu Unterschieden in der Implementierung des Balanced Approach führen können und dass einige Mitgliedstaaten weitgehendere Lärmschutzpolitiken verfolgen. Auf der anderen Seite wird festgehalten, dass die Umsetzung zu erheblichen Kosten für Luftfahrtunternehmen führen kann, vor allem aus Entwicklungsländern (Erwägungsgründe 7-12 von Appendix C der Resolution A 36-22; Punkt 2.1.1. des Doc 9829 (Guidance on the Balanced Approach to Aircraft Noise Management)). Mittlerweile ist der Balanced Approach auch Teil des Annex 16 (Umweltschutz) zum Chicagoer Abkommen über die zivile Luftfahrt . Konkret ausformuliert wird: “Der Balanced Approach für Fluglärmmanagement besteht darin, das Lärmproblem an einem Flughafen zu identifizieren und danach die verfügbaren Maßnahmen zu analysieren, um den Lärm mittels vier grundlegender Elemente zu reduzieren: 1. Die Reduktion an der Quelle, 2. Siedlungsbeschränkungen und - planung, 3. Lärmarme Flugverfahren und 4. Betriebsbeschränkungen. Dabei soll Ziel sein, dass das Lärmproblem auf die kosteneffizienteste Weise angegangen wird. Alle Elemente des Balanced Approach werden in den Empfehlungen zum Balanced Approach adressiert“. Ein Beispiel für eine Maßnahme zum Fluglärmschutz, die u.a. auch dem Balanced Approach gerecht wird, war die Einführung des Nachtflugverbots von 23.00 Uhr bis 05.00 Uhr für Frankfurt , das neben eine Reihe von anderen Maßnahmen trat. Alle im Balanced Approach genannten Instrumententypen werden am Standort Frankfurt genutzt: eine Entgeltordnung, die Anreize für den Einsatz lärmarmen Fluggeräts setzt, das im Landesentwicklungsplan und Regionalplan festgeschriebene Siedlungsbeschränkungsgebiet, die Baubeschränkungen im Lärmschutzbereich nach dem Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm (FluglärmSchG), das erste Maßnahmenpaket Ak- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2339 3 tiver Schallschutz des Forums Flughafen und Region, die Allianz für Lärmschutz aus 2012 sowie Betriebsbeschränkungen. Frage 3. In Artikel 15 (3) neu des Protokolls heißt es: "Bei der Festlegung von Umweltmaßnahmen sind die Umweltschutzstandards für den Luftverkehr zu beachten, die von der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation angenommen und dem ICAOAbkommen als Anhänge hinzugefügt wurden, ausgenommen in Fällen, in denen Abweichungen angezeigt wurden. Die Vertragsparteien wenden Umweltmaßnahmen, die sich auf die von diesem Abkommen geregelten Luftverkehrsdienste auswirken in Übereinstimmung mit Artikel 2 und Artikel 3 Absatz 4 dieses Abkommens an." [BT-Drs. 18/5271: 10] a) Hält die Hessische Landesregierung die Umweltschutzstandards der ICAO für den Gesundheitsschutz der am Frankfurter Flughafen von Fluglärm und anderen luftverkehrsbedingten Emissionen betroffenen Menschen, für ausreichend? Antwort bitte mit Begründung. Den Standards und Instrumentarien der ICAO kommt kein abschließender Charakter für Maßnahmen der planerischen Konfliktbewältigung an einem Flughafen zu. So war das Land Hessen als Träger der Planfeststellungs- und Genehmigungsbehörde für den Flughafen Frankfurt Main beispielsweise bei der im Zusammenhang mit dem Flughafenausbau erforderlichen Bewältigung der Vorhabensauswirkungen nicht auf die Standards und Instrumentarien der ICAO beschränkt, sondern konnte unter Abwägung sämtlicher Mittel der planerischen Konfliktbewältigung, im Einklang mit dem Belanced Approach, beispielsweise restriktive Betriebszeitenregelungen treffen (vgl. Planfeststellungsbeschluss vom 18.12.2007, S. 1084 f.). Daher stellt sich die Frage, ob die Standards und Instrumentarien der ICAO ausreichend sind, insoweit nicht. Frage 3. b) Hat das Land Hessen, die Bundesregierung oder die Europäische Union "Abweichungen" von den Umweltschutzstandards der ICAO angezeigt, die dazu geeignet sind, einen besseren Schutz gegen Fluglärm und andere luftverkehrsbedingte Emissionen zu erreichen, als es die Umweltschutzstandards der ICAO vorsehen? Antwort bitte mit Begründung. Das Land Hessen hat im Rahmen der Planfeststellung den Bund von den beabsichtigten und später erlassenen restriktiven Betriebsregelungen in Kenntnis gesetzt. Weiteres ist der Hessischen Landesregierung nicht bekannt. Frage 3. c) Können nach Annahme des Protokolls durch das Vertragsgesetz (BT-Drs. 18/5271) strengere Umweltschutzvorschriften für den Frankfurter Flughafen, z.B. für eine bessere Luftreinhaltung , gegen Fluglärm oder für einen besseren Klimaschutz, gegen die Umweltschutzstandards der ICAO durchgesetzt werden? Bitte Antwort mit Begründung und wenigstens einem Beispiel . Bereits die Planfeststellung vom 18.12.2007 hat gezeigt, dass dies möglich ist, wenn die planerische Konfliktbewältigung Derartiges erfordert und rechtfertigt. Die maßgebliche Rechtslage hat sich insoweit zwischenzeitlich nicht geändert. Frage 4. In Artikel 15 (4) des Protokolls heißt es unter c): "Die Betriebsbeschränkungen müssen (i) nichtdiskriminierend , dürfen (ii) nicht restriktiver als zur Erreichung des für den betreffenden Flughafen festgelegten Umweltschutzziels erforderlich und (iii) nicht willkürlich sein." [BT-Drs. 18/5271: 10] a) Wer kann die "Umweltschutzziele" für den Frankfurter Flughafen festlegen? Die Frage lässt sich nicht pauschal beantworten, da sich dies aus den jeweils dem Bund und den Ländern zugewiesenen Aufgaben und den gesetzlich festgelegten Zuständigkeiten ergibt. Im Hinblick auf den Lärmschutz kommt je nach Fragestellung der Bund in Betracht (z.B. in Form des Fluglärmschutzgesetzes) aber auch das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung als zuständige Landesplanungs- und Fachplanungsbehörde. Frage 4. b) Welche Auswirkungen hätte die Annahme des Vertragsgesetzes (BT-Drs. 18/5271) durch den Bundestag auf die Durchsetzung erweiterter lärmbedingter Betriebsbeschränkungen, wie z.B. die Einführung von Lärmobergrenzen am Frankfurter Flughafen? Die Annahme des Gesetzes hätte - vorausgesetzt, dass auch die anderen Parteien das Abkommen ratifizieren - ab dem Inkrafttreten des Abkommens zur Folge, dass die im Abkommen vorgesehenen Grundsätze und Verfahrensregeln einzuhalten sind. Es ergeben sich keine Verpflichtungen aus dem Abkommen hinsichtlich neuer lärmbedingter Betriebsbeschränkungen, die sich nicht bereits aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip des deutschen Verwaltungsrechts und der Verordnung (EU) Nr. 598/2014 ergeben. Im Verfahren muss lediglich zusätzlich sichergestellt sein, dass - auch die USA im ohnehin nach EU Recht vorgeschriebenen Konsultationsverfahren anzuhören sind und ihre Standpunkte ordnungsgemäß geprüft werden müssen, - eine Beschränkung neben der EU Kommission, den EU Mitgliedstaaten und sonstigen interessierten Parteien auch den USA sechs Monate vor dem Inkrafttreten mitgeteilt werden muss, 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2339 - auf Verlangen der USA der ohnehin nach EU Recht zu erstellende Bericht über die Gründe für die Einführung der Beschränkung, das Umweltschutzziel, die in Erwägung gezogenen Maßnahmen sowie die Kosten-Nutzen-Analyse vorzulegen ist. Diese zusätzliche formale Beteiligung der USA im Verfahren stellt keine substanzielle Veränderung der bisherigen Regelungen dar. Frage 5. Wie hat sich die Hessische Landesregierung bei den Abstimmungen des Entwurfs des Vertragsgesetzes (Bundesrat-Drs. 267/15) im Verkehrsausschuss des Bundesrates sowie bei der Abstimmung am 12. Juni 2015 verhalten? Die Hessische Landesregierung hatte keine Einwendungen gegen den Gesetzentwurf. Wiesbaden, 10. September 2015 In Vertretung: Mathias Samson