Kleine Anfrage der Abg. Löber (SPD) vom 26.08.2015 betreffend Glaubensgemeinschaften im Wahlkreis Marburg-Biedenkopf I und Antwort des Kultusministers Vorbemerkung der Fragestellerin: Glaubensgemeinschaften prägen das Leben vieler Menschen, insbesondere im hessischen Hinterland. Da die Angehörigen einiger Gemeinschaften ein von der übrigen Gesellschaft abgekoppeltes Leben führen, sind jedoch Erkenntnisse über Art, Anzahl, Mitglieder der bestehenden Gemeinschaften und Auswirkungen für Außenstehende innerhalb des Wahlkreises in der Regel nicht bekannt. Vorbemerkung des Kultusministers: Das Kultusministerium ist allgemein zuständig für die Kultusangelegenheiten im Land Hessen. Allerdings hat das Grundgesetz über Art. 140 in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sowie Art. 49 der Hessischen Verfassung die Zuständigkeit des Staates deutlich begrenzt. Daher ist die Beantwortung der Fragen vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften nur eingeschränkt möglich. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Welche Religions-, Glaubens-, und Weltanschauungsgemeinschaften sind an welchen Orten im Wahlkreises Marburg-Biedenkopf I ansässig? Da es kein Register gibt, aus dem sich Sitz und Namen ansässiger Religions-, Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften ergeben, ist zu dieser Frage keine Angabe möglich. Zudem ist der Übergang von individuellen Glaubensvorstellungen, denen einzelne Personen oder eine Gruppe von Personen anhängen, hin zu verfestigten Vorstellungen und organisatorischen Strukturen fließend, sodass es schwierig wäre, auch kleinere Gemeinschaften zu identifizieren und konkret zu benennen. Frage 2. Wie charakterisiert die Landesregierung die in der Antwort auf Frage 1 genannten Gemeinschaften ? Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. Die Landesregierung ist nach der Hessischen Verfassung und dem Grundgesetz zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität verpflichtet. Damit scheidet eine Charakterisierung im Sinne einer wertenden oder bewertenden Einordnung unterschiedlicher Glaubensvorstellungen aus. Zwar kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Bundesregierung (und damit entsprechend auch der Landesregierung) "die Befugnis zu, in den Grenzen einer ordnungsgemäßen Wahrnehmung ihrer verfassungsrechtlich eingeräumten Kompetenzen gegenüber der Öffentlichkeit Stellung zu beziehen sowie Empfehlungen oder Warnungen auszusprechen , ohne dass es insoweit für konkrete Maßnahmen mit Eingriffscharakter einer besonderen gesetzlichen Grundlage bedarf" (BVerfG, Beschluss vom 15. August 1989, Az. 1 BvR 881/89), jedoch kann eine solche Befugnis zu einem im Einzelfall orientierten Handeln nicht ausgeweitet werden im Sinne einer Gesamtbewertung aller religiösen und weltanschaulichen Gruppierungen. Frage 3. Stehen in der Antwort auf Frage 1 genannte Gemeinschaften unter staatlicher Beobachtung? Neben den bereits zu den Fragen 1 und 2 gegebenen Antworten ist darauf hinzuweisen, dass es nicht Aufgabe des Staates ist, Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften zu beobachten. Lediglich das Hessische Landesamt für Verfassungsschutz befasst sich im Rahmen seiner Aufgabenstellung mit gewaltbereiten religiösen Strömungen und informiert im Rahmen von Veranstaltungen . Eingegangen am 9. Oktober 2015 · Ausgegeben am 15. Oktober 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/2363 09. 10. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2363 Frage 4. Wie viele Mitglieder haben die in der Antwort auf Frage 1 genannten Gemeinschaften jeweils schätzungsweise? Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. Ergänzend ist die Bestimmung des § 31 Abs. 1 des Hessischen Meldegesetzes zu beachten, nach dem das Recht zur Übermittlung von Daten gerade nicht das Datum der Religionszugehörigkeit umfasst - soweit eine Datenübermittlung aus dem Melderegister überhaupt zulässig ist. (In dem Register ist nach § 3 Abs. 1 Nr. 11 das Religionsmerkmal gespeichert, aber nur, soweit es sich um die rechtliche Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft handelt.) Insofern sind Angaben zu dieser Frage nicht möglich. Frage 5. Welche der in der Antwort auf Frage 1 genannten Gemeinschaften schränken nachweislich durch bestehende Gemeinschaftsregeln welche allgemeingültigen Menschen- und Bürgerrechte ein? Frage 6. Welche der in der Antwort auf Frage 1 genannten Gemeinschaften schränken vermutlich durch bestehende Gemeinschaftsregeln welche allgemeingültigen Menschen- und Bürgerrechte ein? Frage 7. Welche der in der Antwort auf Frage 1 genannten Gemeinschaften könnten aufgrund von bestehenden Gemeinschaftsregeln negative Einflüsse auf das Wohl von Kindern haben? Zu den Fragen 5 bis 7 wird auf die Antworten zu den Fragen 1 und 2 verwiesen. Frage 8. Sind der Landesregierung Fälle bekannt, in denen Mitglieder von in der Antwort auf Frage 1 genannten Gemeinschaften mit Führungsverantwortung in Unternehmen und Betrieben der Region Arbeitnehmerrechte (z.B. Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz) von Nichtmitgliedern entsprechender Gemeinschaften beschränkt haben oder verwehrt worden sind oder Rechte verwehrt werden sollten, und wenn ja, was wurde in den konkreten Fällen unternommen? Hierüber liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. Wiesbaden, 2. Oktober 2015 Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz