Kleine Anfrage der Abg. Gnadl (SPD) vom 14.09.2015 betreffend zukünftige Wasserversorgung des Rhein-Main-Gebietes insbesondere Frankfurts und Antwort der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Vorbemerkung der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz : Die öffentliche Wasserversorgung zählt als Teil der Daseinsvorsorge zu den wesentlichen Aufgaben der Gemeinden. Sie können diese Aufgaben entweder selbst durchführen oder sich geeigneter privater Dritter bedienen bzw. können dabei auch Wasser- und Bodenverbände oder Zweckverbände bilden und öffentlich-rechtliche Vereinbarungen abschließen. Insofern obliegt es im Rhein-Main-Gebiet und in der Stadt Frankfurt am Main, unter Berücksichtigung betrieblicher Gesichtspunkte, den Städten und Gemeinden sowie den von diesen beauftragten Unternehmen, wie z.B. der Hessenwasser GmbH & CO KG und der Oberhessische Versorgungsbetriebe AG (OVAG), in welcher Form und mit welchen Anlagen sie die Wasserversorgung dauerhaft sicherstellen wollen. Aufgabe des Landes mit seinen Fachbehörden ist es, die entsprechenden Randbedingungen für eine qualitativ und quantitativ gesicherte und dabei umweltschonende Wasserversorgung festzulegen und darüber zu wachen, dass diese auch eingehalten werden. Diese Vorbemerkung vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Auf welche Gebiete ist eine Ausweitung des Fernwasserbezuges für Rhein-Main und Frankfurt vorgesehen? Derzeit wird auf Grundlage des Planfeststellungsbescheides des Regierungspräsidiums (RP) Gießen vom 30. Januar 2015 eine Leitungsverbindung zwischen den Versorgungsnetzen der OVAG und des Zweckverbandes Mittelhessische Wasserwerke (ZMW) hergestellt. Der ZMW betreibt im Landkreis Marburg-Biedenkopf u.a. zwei große Wasserwerke (das Wasserwerk Wohratal in Kirchhain und das Wasserwerk in Stadtallendorf). Der Anschluss dieser beiden mittelhessischen Wassergewinnungsgebiete an das Netz der OVAG folgt dem Vorschlag der Fachstudie "Situationsanalyse zur Wasserversorgung in der RheinMain -Region" von Oktober 2013 (erstellt von der Arbeitsgemeinschaft Wasserversorgung Rhein-Main) (WRM), die u.a. in Abstimmung mit dem Ministerium für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (HMUELV) zur fachlichen Absicherung einzelner Maßnahmen zur Sicherung der Wasserversorgung in der Rhein-Main Region erstellt wurde. Durch eine Anbindung der OVAG an den ZMW und Nutzung dortiger umweltverträglich gewinnbarer Grundwasservorkommen sollen vorrangig die Gewinnungsgebiete der OVAG stabilisiert werden. Zielsetzung ist dabei, für das Stadtgebiet Frankfurt eine Absicherung der Mengenbereitstellung und im Vogelsberg eine dauerhafte Sicherstellung der durch entsprechende Wasserrechtsbescheide festgeschriebenen umweltschonenden Wassergewinnung. Eine dauerhafte Mengenerhöhung der Wasserlieferungen nach Frankfurt ist nicht vorgesehen. Insofern handelt es sich hier nicht um eine Ausweitung des Fernwasserbezugs. Maßnahmen zur Ausweitung des Fernwasserbezugs sind im Übrigen nicht bekannt. Eingegangen am 19. November 2015 · Ausgegeben am 23. November 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/2405 19. 11. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2405 Frage 2. Welche Auswirkungen wird eine solche Ausweitung auf die aktuellen Wassergewinnungsanlagen der Stadt Frankfurt haben, welche für die Exportgebiete? Stadt Frankfurt am Main: Nach Anschluss des ZMW an das Versorgungsnetz der OVAG und Stabilisierung der Wasserlieferungen nach Frankfurt (es handelt sich wie oben bereits erwähnt um keine Ausweitung) soll nach Planungen der Hessenwasser GmbH & CO KG - dargelegt im "Regionalen Wasserbedarfsnachweis " der Hessenwasser GmbH & vom November 2014 - das Frankfurter Wasserwerk Praunheim II aufgrund der Qualitätsbeeinträchtigungen im Einzugsgebiet, der geplanten Verkehrsinfrastruktur (Regionaltangente West) sowie der Ausweisung eines Gewerbegebietes in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Brunnen außer Betrieb genommen werden. Diese Entscheidung steht im Ermessen des Wasserversorgers. Ein formales wasserrechtliches Antragsverfahren ist für die Stilllegung des Wasserwerkes nicht nötig. Exportgebiete: Für die Förderung des ZMW von Grundwasser im Gewinnungsgebiet des Wasserwerks Wohratal liegt derzeit ein wasserrechtlicher Bewilligungsantrag beim Regierungspräsidium Gießen vor, der aufgrund des Auslaufens des bisherigen Wasserrechtes in Höhe von 11 Mio. m³/a neu gestellt werden musste. Die beantragte Fördermenge von nunmehr 9,8 Mio. m³/a beinhaltet einen Anteil von 2 Mio. m³/a, der in das OVAG Netz abgegeben werden soll. Für den Bewilligungsantrag Wohratal wurden seitens des Antragstellers in Abstimmung mit den Fachbehörden umfangreiche hydrogeologische und naturschutzfachliche Gutachten erstellt. Auf diesen Grundlagen kann im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben eine sachgerechte Entscheidung mit entsprechenden Nebenbestimmungen, wie z.B. Festlegung von Grenzgrundwasserständen im landschaftsökologisch sensiblen Bereich, Vorgabe eines umfangreichen naturschutzfachlichen und hydrogeologischen Monitorings, getroffen werden. Dem Bewilligungsantrag des ZMW wurde bisher nicht entsprochen. Wegen des noch nicht bestehenden Anschlusses des ZMW-Netzes an das OVAG-Netz (Weiterleitung der 2 Mio. m³/a noch nicht möglich) wurde vom Regierungspräsidium Gießen zwischenzeitlich nur genehmigt, dass vorzeitig mit der Gewässerbenutzung - begrenzt auf eine Höchstentnahmemenge von max. 7,8 Mio. m³/a - begonnen werden darf. Nach derzeitigem Stand der Erkenntnisse sind von dem beantragten Vorhaben keine erheblichen Auswirkungen auf die nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) zu betrachtenden Schutzgüter zu erwarten bzw. können durch o.g. Nebenbestimmungen ausgeschlossen werden. Laut hydrogeologischer Stellungnahme des Hessischen Landesamtes für Umwelt und Geologie (HLUG) vom 01. Oktober 2014 zu dem Bewilligungsantrag, liegt die beantragte Grundwasserentnahme im Rahmen des aus fachlicher Sicht unbedenklich nutzbaren Grundwasserdargebotes. Frage 3. Im Genehmigungsverfahren für eine neue Fernwasserleitung wurde gegenüber dem Regierungspräsidium Gießen eine Exportmenge von 2 bis 5 Mio. m³ pro Jahr angegeben. Weshalb ist die Dimensionierung der genehmigten Leitung auf den Transport von ca. 12 Mio. m³ ausgelegt? Eine Auslegung/Dimensionierung auf 12 Mio. m³/a hat nicht stattgefunden und wurde auch nicht hydraulisch angesetzt. Die Leitungsdimensionierung ergibt sich vielmehr aus den maximalen Stunden- und Tagesmengen, die in bestimmten Betriebsszenarien erforderlich sind. Das Bemessen (Dimensionierung einer Rohrleitung) einer Zubringerleitung erfolgt dabei nach den anerkannten Regeln der Technik, die in der Trinkwasserversorgung durch den Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW) vorgegeben werden. Demnach sind zur Festlegung der Rohrnennweite die Faktoren Durchfluss, Fließgeschwindigkeit, Rauheit und anstehende Druckhöhe entlang der Rohrleitung zu berücksichtigen. Einer der wichtigsten Faktoren zur Bestimmung einer wirtschaftlichen Rohrnennweite ist die Einhaltung der vorgeschriebenen Fließgeschwindigkeitsbandbreite (min./max.) im Zusammenhang mit angesetzten Durchflussmengen (min./max.) und die einzusetzende Energie (in Abhängigkeit der Topografie). Diese Faktoren wurden bei der Dimensionierung der angesprochenen Trinkwasserleitung für eine Jahresmenge von 2 Mio. m³/a bis 5 Mio. m³/a berücksichtigt, so dass das Ergebnis für den wirtschaftlichsten Betrieb der Leitung die Nennweite DN 500 ergab. Eine weitere Untersuchung hinsichtlich zusätzlicher Energieeinsparung im Zusammenhang mit der notwendigen Druckerhöhungsstation ergab eine partielle (ca. 3 km) Nennweitenerhöhung auf DN 600. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2405 3 Frage 4. Welche Auswirkungen erwartet die Landesregierung für den Fall, dass die geplante Wasserversorgung für Rhein-Main und Frankfurt nicht in gewünschter Höhe zur Verfügung steht und Frankfurt gleichzeitig die Erlaubnis erhält, seine Eigenversorgung etappenweise aufzugeben? Die Situationsanalyse 2013 der WRM beschreibt die aktuelle Situation der Wasserversorgung und der Versorgungsstrukturen sowie die qualitativen und quantitativen Gefährdungen für die Sicherstellung der Wasserversorgung in der Rhein-Main-Region. Außerdem wurden die Planungsdaten für den Wasserbedarf, das Dargebot sowie die demografische Entwicklung gegenüber der Leitungsverbundstudie aus 2005 aktualisiert und fortgeschrieben. Die Situationsanalyse betont die Bedeutung der überörtlichen Wasserversorgung im Ballungsraum Rhein-Main, weist im Hinblick auf Wassergewinnung und Verteilung auf vorhandene Einschränkungen hin und zeigt Optimierungsnotwendigkeiten für die Grundwasserbewirtschaftung sowie die Wasserversorgung auf. Die in der Situationsanalyse aufgeführten Maßnahmen zur Erhaltung und Verbesserung der Versorgungssicherheit am Leitungsverbund Rhein-Main unterstützen das Bestreben, das vorhandene Restrisiko für die Trinkwasserversorgung weiter zu minimieren. Insofern geht es nicht darum, dass die Eigenversorgung, wie in der Fragestellung suggeriert, aufgegeben werden soll. Zusammenfassend stellt die Situationsanalyse fest, dass in Trockenjahren die Wasserversorgungssicherheit im Ballungsraum Rhein-Main gefährdet ist und der bestehende Leitungsverbund nicht ausreicht, um entsprechende Sicherheit in der Trinkwasserversorgung herzustellen. Insbesondere das Kerngebiet des Ballungsraums Rhein-Main, d.h. die Bereiche Frankfurt/Vordertaunus und die Region Wiesbaden, weisen in Trockenjahren und Ausfallsituationen Einschränkungen der Versorgungssicherheit auf, die sich indirekt auch negativ auf die Bereiche MainKinzig und Hintertaunus auswirken können. Gerade Spitzenlasten können durch die vorhandenen ortsnahen Trinkwasserversorgungen nicht abgefangen werden. Der Bereich der Stadt Frankfurt gehört zum Versorgungsgebiet der Hessenwasser GmbH & CO KG. In der 5. Fortschreibung des "Regionalen Wasserbedarfsnachweises" vom November 2014 ist u. a. konkret dargelegt, dass die Abdeckung des Jahreswasserbedarfs in einem Trockenjahr nur für die mittlere Bedarfsvariante des Prognosejahres 2030 möglich ist. Unverzichtbare Voraussetzung ist aber, dass alle regionalen Gewinnungsanlagen (einschließlich der Frankfurter Stadtwaldwasserwerke und der vorgesehenen Stabilisierung der Liefermengen der OVAG an die Hessenwasser GmbH) verfügbar sind. In der oberen Bedarfsvariante für 2030 oder bei Einschränkungen in den Wassergewinnungsgebieten weist der Wasserbedarfsnachweis ein Versorgungsdefizit aus. Frage 5. Wie steht die Landesregierung zu den Forderungen des Vereins Oberhessen e. V., die Eigenverantwortung und Eigenversorgung der Region mit Trinkwasser zu stärken? § 50 Abs. 2 WHG fordert, dass der Wasserbedarf der öffentlichen Wasserversorgung vorrangig aus ortsnahen Wasservorkommen zu decken ist, soweit überwiegende Gründe des Wohls der Allgemeinheit dem nicht entgegenstehen. Das ist weiterhin Grundlage des Handelns der Landesregierung . Nach § 50 Abs. 2 WHG darf der Bedarf aber dann aus ortsfernen Wasservorkommen gedeckt werden, wenn eine Versorgung aus ortsnahen Wasservorkommen nicht in ausreichender Menge oder Güte oder nicht mit vertretbarem Aufwand sichergestellt werden kann. Dies ist in diesem konkreten Fall gegeben. Die auf wissenschaftlicher Basis erstellte Situationsanalyse verdeutlicht, dass insbesondere in Trockenjahren die Wasserversorgungssicherheit im Ballungsraum Rhein-Main gefährdet sein kann. Gerade Spitzenlasten können nämlich durch die vorhandenen ortsnahen Trinkwasserversorgungen nicht abgefangen werden. Die Situationsanalyse begründet ferner, warum und auf welche Weise eine Ergänzung der Wasserversorgung Rhein-Main zum Wohl der Allgemeinheit durch ortsferne Wasserversorgung notwendig ist. Der Bau der Wasserfernleitung, der einen von mehreren Bausteinen im Gesamtkonzept "Erhaltung und Verbesserung der Versorgungssicherheit Rhein-Main" darstellt, verstößt somit nicht gegen § 50 Abs. 2 WHG. Frage 6. Wie steht die Landesregierung zu der weiteren Forderung, in Liefergebieten wie dem Vogelsberg mit wissenschaftlichen Kriterien zu untersuchen, wie die Grenzgrundwasserstände aufgrund des Klimawandels angepasst und die erlaubten Fördermengen entsprechend reduziert werden müssen? Der Landesregierung liegen bisher keine konkreten Informationen vor, die Anlass zu der Besorgnis geben, die Grenzgrundwasserstände müssten aufgrund des Klimawandels angepasst und die erlaubten Fördermengen entsprechend reduziert werden. Allgemein ist hierzu auszuführen, dass in jedem hessischen Wasserrechtsverfahren durch die Genehmigungsbehörde geprüft wird, ob landschaftsökologische Beeinträchtigungen oder Auswirkungen auf andere Wassernutzungen möglich sind. Nur wenn beides ausgeschlossen ist, kann ein Wasserrecht ohne Einschränkungen erteilt werden. Können landschaftsökologische Be- 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2405 einträchtigungen nicht mit 100 %-Sicherheit ausgeschlossen werden, wird in der Regel ein landschaftsökologisches Monitoring gefordert, das sicherstellt, dass es zu keinen landschaftsökologischen Beeinträchtigungen kommen kann. Hierbei werden üblicherweise Grundwassermessstellen in den sensiblen Bereichen errichtet, um Grenzgrundwasserstände zu kontrollieren, und zudem regelmäßig Kartierungen von ggf. Fauna und Flora durchgeführt. Dieses Vorgehen wird in Hessen von den zuständigen Genehmigungsbehörden bei allen Wassergewinnungsanlagen vorgenommen und entspricht der umweltschonenden Grundwassergewinnung, die im Vogelsberg zur Anwendung kommt. Gleichwohl hat die Landesregierung die Absicht, sich vorausschauend mit diesen Fragen zu beschäftigen . Hierzu wird auch auf die Beantwortung zu Frage 7 verwiesen. Frage 7. Ist die Landesregierung bereit, unter Beteiligung der Bezugs- und Liefergebiete in einen Stadtland -Dialog einzusteigen, um die Belastungen der Wasserförderregionen abzubauen und einen finanziellen Ausgleich zu schaffen, wie weiterhin vom Verein Oberhessen e.V. gefordert? Falls ja, in welcher Weise beabsichtigt sie, dieses zu tun? Das HMUKLV plant, eine Initiative zur Formulierung eines Leitbildes zur umweltschonenden Wassergewinnung zur Versorgung des Rhein-Main-Ballungsraumes unter Einbeziehung der Wasserförderregionen Süd- und Mittelhessens zu starten. Hierbei soll es vor allem darum gehen, die Grundsätze des Grundwasserbewirtschaftungsplanes Hessisches Ried und der Umweltschonenden Wassergewinnung im Vogelsberg als Eckpfeiler einer ökologischen Wasserversorgung mit den Anforderungen der Wasserversorgungsunternehmen und Städte zu einem gemeinsamen Leitbild einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Sicherstellung der Wasserversorgung im Rhein-Main-Ballungsraum zusammenzuführen. Beteiligt werden sollen insbesondere die betroffenen Städte und Gemeinden und die in der Sache engagierten Umweltorganisationen sowie die betroffenen Wasserversorgungsunternehmen. Der Dialog soll in einem offenen Prozess geführt werden, ohne die bisherigen Diskussionsergebnisse in Frage zu stellen. Begonnen werden soll der Leitbildprozess mit einer Auftaktveranstaltung in der ersten Hälfte des Jahres 2016. Frage 8. Falls Frage 7 verneint wird, weshalb sieht sich die Landesregierung dazu nicht in der Lage? Hierzu wird auf die Beantwortung zu Frage 7 verwiesen. Wiesbaden, 9. November 2015 Priska Hinz