Kleine Anfrage der Abg. Gnadl (SPD) vom 15.09.2015 betreffend eine eigenständige Jugendpolitik in Hessen und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Vorbemerkung der Fragestellerin: Im Rahmen seiner Jugendstrategie "Handeln für eine jugendgerechte Gesellschaft" arbeitet das Bundesjugendministerium daran, eine eigenständige Jugendpolitik zu etablieren, die Jugend als eigenständige Lebensphase begreift sowie die Interessen und Bedürfnisse von Jugendlichen bei allen politischen Entscheidungen mitdenken und berücksichtigen soll. Diese Vorbemerkung der Fragestellerin vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit dem Minister des Innern und für Sport wie folgt: Frage 1. Wie positioniert sich die Landesregierung zu den Inhalten, Leitlinien, Grundsätzen und Zielen der Jugendstrategie des Bundesjugendministeriums? Die Entwicklung einer Eigenständigen Jugendpolitik und daraus abgeleitet einer Jugendstrategie erfolgt auf der Grundlage der übergeordneten Zuständigkeiten des Bundes in jugendpolitischen Angelegenheiten nach § 83 SGB VIII. Sie zielt darauf ab, die politische Debatte auf die Anliegen von jungen Menschen in Deutschland zu lenken und Jugendpolitik als übergreifende gesellschaftliche Zukunftspolitik zu etablieren. Die Landesregierung begrüßt die Initiative der Bundesregierung , durch eine Jugendstrategie den gesellschaftlichen Blick auf die Gruppe der jungen Menschen zu stärken. Sie teilt das Bemühen, allen Jugendlichen gesellschaftliche Perspektiven und Teilhabemöglichkeiten zu eröffnen, das im Zentrum der Jugendstrategie steht und sich in deren Inhalten, Leitlinien, Grundsätzen und Zielen widerspiegelt. Frage 2. Ist oder war die Landesregierung bei der Ausarbeitung der Jugendstrategie des Bundesjugendministeriums beteiligt? Wenn ja, wie? Wenn nein, warum nicht? Die Landesregierung war nicht bei der Ausarbeitung der Jugendstrategie beteiligt, da es sich hier um eine Initiative in eigener Verantwortung der Bundesregierung handelt. Frage 3. Wie werden die Ziele und Leitlinien dieser Jugendstrategie in Hessen umgesetzt (etwa durch politische Planung, Gesetzgebung, Initiativen, Projekte etc.)? Das zentrale Ziel, Jugendlichen größtmögliche Teilhabechancen und Zukunftsperspektiven zu sichern, ist zentrales Anliegen hessischer Jugendpolitik. Die expliziten Ziele einer Eigenständigen Jugendpolitik, die im Rahmen der EU-Jugendstrategie 2010 bis 2018 konkretisiert wurden, werden durch verschiedene Initiativen des Landes Hessen unterstützt und gefördert. So hat das Hessische Ministerium für Soziales und Integration bereits im Jahr 2010 Akteure aus der Jugend - und Jugendsozialarbeit zu einer offenen Arbeitsgruppe eingeladen, um Fragen der Umsetzung der EU-Jugendstrategie zu diskutieren. Als ein Ergebnis wurde in den Jahren 2012 bis 2014 das hessische Jugendaktionsprogramm "Stärkung der Partizipation und Teilhabe von Jugendlichen mit Migrationshintergrund" initiiert und durchgeführt. Damit konnten Ziele der Jugendstrategie wie Chancengleichheit in Bildung, die Stärkung von freiwilligem Engagement und die Förderung der Anerkennung non-formalen Lernens umgesetzt werden. Eingegangen am 21. Oktober 2015 · Ausgegeben am 26. Oktober 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/2429 21. 10. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2429 Unabhängig davon ist festzustellen, dass die Ergebnisse der im Mai 2015 erfolgten repräsentativen Jugendbefragung "Lebensqualität - Glücklich in Hessen!?" deutlich machen, dass fast alle (nämlich 96 %) der befragten Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 14 bis 24 Jahren in Hessen nach eigenem Bekunden alles in allem mit ihrem Leben zufrieden (53 %) oder sogar sehr zufrieden (43 %) sind. Die weit überwiegende Mehrheit (87 %) der hessischen Jugendlichen sieht auch ihre Zukunft alles in allem eher zuversichtlich. Nur acht % schauen eher pessimistisch in die Zukunft. Vor diesem Hintergrund konstatiert die Landesregierung eine hohe Zufriedenheit junger Menschen mit ihrer Lebenssituation wie auch ihrer gesellschaftlichen Perspektive und sieht dies als Grundlage dafür an, dass in Hessen die Ziele der Jugendstrategie ihre Umsetzung finden. Unabhängig davon setzt sich die Landesregierung weiter dafür ein, jungen Menschen Möglichkeiten für ein gesellschaftliches Engagement im persönlichen Umfeld aufzuzeigen. Ein Beispiel hierfür ist die Nachhaltigkeitsstrategie Hessen, die junge Menschen als wichtige Zukunftsbotschafter ansieht und einlädt, die Zukunft Hessens aktiv mitzugestalten. Dabei sollen die Aktionen von und mit jungen Menschen gemeinsam entwickelt werden. Ansätze einer Eigenständigen Jugendpolitik sind aber in erster Linie im persönlichen Umfeld von jungen Menschen zu etablieren. Hier können junge Menschen direkt Verantwortung wahrnehmen und mit Engagement ihre unmittelbare Lebenswelt mitgestalten. Um dies zu ermöglichen wurde in Hessen schon frühzeitig, am 8. Juni 1998, eine wichtige Grundlage für die Beteiligung von jungen Menschen durch eine entsprechende Verankerung in der Hessischen Gemeinde - und in der Hessischen Landkreisordnung (§ 4c HGO bzw. HKO) geschaffen. Damit besteht die Verpflichtung, dass Kinder und Jugendliche bei allen Planungen und Vorhaben, die sie berühren , zu beteiligen und hierfür geeignete Verfahren zu entwickeln und durchzuführen sind. Frage 4. Besteht bei der Umsetzung der Jugendstrategie der Bundesregierung eine Zusammenarbeit mit der hessischen Landesregierung? Wenn ja, in welcher Form? Wenn nein, warum nicht? Die Bundesregierung hat zur Umsetzung der Jugendstrategie eine Vielzahl gesellschaftlicher Akteure in die Diskussion einbezogen. Im Rahmen der grundsätzlichen Auseinandersetzung der Obersten Landesjugendbehörden hat sich auch Hessen an der Umsetzung der Jugendstrategie beteiligt. Frage 5. Erachtet es die Landesregierung für geboten, flankierend oder ergänzend zur Jugendstrategie der Bundesregierung eine landespolitische Jugendstrategie zu lancieren (mit Begründung)? Frage 6. Kann die Landesregierung sicherstellen, dass die Interessen und Bedürfnisse von Jugendlichen als spezieller Altersgruppe bei landespolitischen Entscheidungen berücksichtigt werden? Wenn ja, wie? Wenn nein, warum nicht? Frage 7. Wie kann die Berücksichtigung dieser Interessen und Bedürfnisse auf Landesebene auch ressortübergreifend sichergestellt werden? Frage 8. Welche Maßnahmen erachtet die Landesregierung für geboten, um die Einbeziehung und Beteiligung von Jugendlichen in politische Planungs- und Entscheidungsprozesse auf Landesebene zu erhöhen? Aus inhaltlichen Gründen werden die Fragen 5, 6, 7 und 8 gemeinsam beantwortet. Die Landesregierung sieht in Hessen vielfältige Möglichkeiten, die dazu beitragen und sicherstellen , dass junge Menschen ihre Bedürfnisse artikulieren und so landespolitische Entscheidungen mitbestimmen. Aus diesem Grund bedarf es keiner neuen eigenständigen landespolitischen Jugendstrategie. Über die Möglichkeiten zur Teilhabe von Kindern und Jugendlichen in unserer Gesellschaft entscheidet maßgeblich gute Bildung. Bildung ist eine der zentralen Zukunftsaufgaben. Deshalb ist Bildung ein Schwerpunkt der Politik der Hessischen Landesregierung. Dabei stellt sie die Kinder und Jugendlichen in den Mittelpunkt. Dies gilt auch für bürgerschaftliches Engagement, für das die Hessische Landesregierung insbesondere auch Jugendliche begeistern will. Sie will die Kinderrechte stärken, die UNKinderrechtskommission umsetzen und darauf hinwirken, dass bei allen Trägern von Einrichtungen und bei Verbänden Konzepte eingefordert werden, die die Kinderrechte stärken. Dazu will die Landesregierung mit Kindern und Jugendlichen eine "Hessische Kindercharta" entwickeln , in der ihre Ansprüche und Rechte an die Landespolitik formuliert sind. Die Landesregierung wird die Partizipation von Kindern und Jugendlichen fördern und unterstützen. Sie sieht in Kinder- und Jugendparlamenten oder Jugendforen dafür geeignete, aber nicht die einzigen Mittel . Mit bestehenden Kinder- und Jugendparlamenten oder Jugendforen wird sie für einen weiteren Ausbau in Hessen werben und einen "Partizipationspreis für Kinder- und Jugendparlamente/ Jugendforen" schaffen, der die Umsetzung besonders innovativer Projekte unterstützt. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2429 3 Ein konkreter Beitrag für die beispielhafte Einbeziehung und Beteiligung von Jugendlichen in politische Planungs- und Gestaltungsprozesse auf Landesebene ist die Unterstützung der politischen Jugendorganisationen der im Hessischen Landtag vertretenen politischen Parteien. Diese Organisationen artikulieren wichtige und wesentliche Anliegen von jungen Menschen und bringen diese Sichtweisen in politische Entscheidungsprozesse auf Landesebene ein. Weiter ist die Landesregierung in einem engen Austausch mit dem Hessischen Jugendring (HJR). Im Hessischen Jugendring haben sich 31 landesweit aktive Jugendorganisationen zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen. Er ist die größte und in ihrer Art einzige Interessengemeinschaft für Kinder und Jugendliche in Hessen. Alle relevanten Jugendorganisationen sind hier vertreten. Wenn auch die Verbandsprofile und Inhalte unterschiedlich sind - wichtig ist dem HJR, sich auf gemeinsame Positionen zu verständigen und im Sinne von Kindern und Jugendlichen mit einer Stimme zu sprechen. Der Hessische Jugendring ist als Arbeitsgemeinschaft der Kinder- und Jugendverbände ein wichtiger Akteur in den jugendpolitischen Diskussionen und Entscheidungsprozessen und vertritt hierbei die Interessen der Kinder und Jugendlichen in Hessen. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass bei allen Gesetzgebungsvorhaben der Hessische Jugendring im Rahmen der Verbändeanhörung beteiligt ist. Schließlich ist auf die herausgehobene Funktion des Landesjugendhilfeausschusses (LJHA) hinzuweisen . Er befasst sich mit Grundsatzfragen im Aufgabenbereich Kinder- und Jugendhilfe und bestimmt die Leitlinien der Jugendpolitik des Landes Hessen mit. Seine Zusammensetzung und seine Aufgaben sind in § 71 Achtes Buch Sozialgesetzbuch - Kinder- und Jugendhilfe - (SGB VIII) geregelt. Der LJHA setzt sich zusammen aus Mitgliedern der anerkannten Träger der freien Jugendhilfe, die von der obersten Landesjugendbehörde zu berufen sind und den Mitgliedern , die durch Landesrecht bestimmt werden (Mitglieder nach § 9 HKJGB im LJHA Hessen). Frage 9. Welche Maßnahmen erachtet die Landesregierung für geboten, um die Einbeziehung und Beteiligung von Jugendlichen in politische Planungs- und Entscheidungsprozesse auf kommunaler Ebene zu erhöhen? Die Verankerung der Verpflichtung in der Hessischen Gemeinde- und in der Hessischen Landkreisordnung (§ 4c HGO bzw. HKO), dass Kinder und Jugendliche bei allen Planungen und Vorhaben, die sie berühren, zu beteiligen und hierfür geeignete Verfahren zu entwickeln und durchzuführen sind, ist Basis für eine Einbeziehung und Beteiligung von jungen Menschen in politische Planungs- und Entscheidungsprozesse auf kommunaler Ebene. Die Landesregierung geht davon aus, dass die kommunale Familie diese gesetzliche Verpflichtung umsetzt. Frage 10. Wie positioniert sich die Landesregierung gegenüber Forderungen, das aktive Wahlalter in Hessen bei Landtags- und/oder Kommunalwahlen und Abstimmungen auf 16 Jahre zu senken (mit Begründung)? Die Landesregierung sieht mit Blick auf die Absenkung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre grundsätzliche Probleme. So existiert aus Sicht der Landesregierung ein innerer Zusammenhang zwischen Wahlalter und Volljährigkeit, der sich in der Frage konkretisiert, warum jemand über die Geschicke der Gesellschaft mitentscheiden soll, den diese Gesellschaft noch nicht für reif genug hält, seine eigenen Lebensverhältnisse zu regeln. Derzeit setzt das Wahlrecht für die Kreis- und Gemeindewahlen sowie für die Ortsbeirats- und Ausländerbeiratswahlen in Hessen ein Mindestalter von 18 Jahren voraus, § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HGO, § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HKO, § 82 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 86 Abs. 2 Satz 1 HGO. Ein entsprechendes Mindestalter für die Wahlteilnahme gilt auch für das Europa-, Bundestags- und Landtagswahlrecht, § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EuWG, § 12 Abs. 1 Nr. 1 BWG, § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LWG. Ob Jugendlichen ein aktives Wahlrecht für Kommunalwahlen gegeben wird, obliegt dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, da für eine Absenkung des Wahlalters eine Gesetzesänderung erfolgen müsste. In Hessen wurde durch das Gesetz zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes und anderer Gesetze vom 8. Juni 1998 (GVBl. I S. 214) eine Mindestaltersgrenze von 16 Jahren für die Teilnahme an Kommunalwahlen eingeführt; die Änderung trat am 11. Juni 1998 in Kraft. Durch Gesetz vom 23. Dezember 1999 (GVBl. 2000 I S. 2) wurde das Wahlalter wieder auf 18 Jahre angehoben; in Kraft getreten ist diese Änderung am 5. Januar 2000. Der Gesetzgeber wollte durch die Änderung die Altersgrenze für das aktive Wahlrecht bei Kommunalwahlen mit den Bestimmungen des Landtags- und Bundeswahlrechts harmonisieren und das Wahlalter 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2429 wieder mit dem Volljährigkeitsalter zusammenführen. In dem unterschiedlichen Alter für die Volljährigkeit und dem Wahlalter wurde ein nicht hinnehmbarer Wertungswiderspruch gesehen (vgl. Punkt A. II. 4. des Allgemeinen Teils der Begründung und die Begründung zu Art. 1 Nr. 3 des Gesetzentwurfs für ein Gesetz zur Stärkung der Bürgerbeteiligung und kommunalen Selbstverwaltung, LT-Drs. 15/425). Aktuell gibt es keine Bestrebungen der Landesregierung, in dieser Legislaturperiode das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken. Wiesbaden, 16. Oktober 2015 Stefan Grüttner